Der Lockdown hat ja einige kuriose Blüten getrieben und viele Stars nutzten die aufkommende Langeweile, um ihre musikalischen Kontakte zu pflegen und über digitale Sessions spannende Kollaborationen zu ermöglichen. Ich denke dabei vor allem an Gary Barlow, der mit seinen „Crooner Sessions“ immer wieder aufhorchen ließ und ordentlich vorlegte. Doch auch Elton John war mit immerhin 74 Jahren ganz vorn dabei an der digitalen Front. Wenn man jetzt die Ergebnisse hört, die sich auf der CD „The Lockdown Sessions“ versammeln, kann man nur den imaginären Hut vor ihm ziehen. Es sind 16 Songs, aufgenommen unter Pandemiebedingungen mit diversen Größen aus ganz unterschiedlichen Ecken der aktuellen Musiklandschaft. Und gerade diese Vielfalt, die sich durch Jahrzehnte und Generationen zieht, macht das Album zu einer Verjüngungskur für den Künstler, der noch lange nicht zum alten Eisen gehört.
Man nehme nur die Single „Cold Heart“ im Duett mit Dua Lipa. Was für ein Kracher, der zurecht ein dauerhaftes Airplay erfährt – zusammengesetzt aus zeitlosen Hits des Briten und mit einem modernen Beat versehen. Und das ist erst der Anfang! Im Rap-Flow erklingt „Always Love You“ mit Young Thug und Nicki Minaj. „Learn To Fly“ klingt trotz der elektronisch verfremdeten Vocals sehr soulig und das hymnische „After All“ mit Charlie Puth gehört ebenfalls zu den großen Songs des Albums.
John selbst sagt dazu: „Einige der Aufnahmesitzungen mussten aus der Ferne über Zoom durchgeführt werden, was ich noch nie zuvor gemacht hatte. Einige der Sitzungen wurden unter sehr strengen Sicherheitsbestimmungen aufgenommen: mit einem anderen Künstler zusammen, aber durch Glasscheiben getrennt. Aber alle Tracks, an denen ich gearbeitet habe, waren wirklich interessant und abwechslungsreich. Sachen, die sich von allem unterschied, wofür ich bekannt bin. Sachen, die mich aus meiner Komfortzone in völlig neues Terrain geführt haben. Und ich habe gemerkt, dass es etwas seltsam Vertrautes war, so zu arbeiten. Zu Beginn meiner Karriere, in den späten 60ern, arbeitete ich als Session-Musiker. Die Arbeit mit verschiedenen Künstlern während des Lockdowns erinnerte mich daran. Der Kreis schloss sich: Ich war Session-Musiker Und es war immer noch ein Knaller.“
Nicht alle Tracks entstanden aber im Lockdown. Das Album enthält auch Elton Johns Duett „Chosen Family“ mit Rina Sawayama von ihrem selbstbetitelten Debüt, den Gorillaz-Track „The Pink Phantom“ von deren 2020er Album „Song Machine, Season One: Strange Timez“, auf dem John neben 6lack als Gast auftritt, Johns Cover von „It’s a Sin“ der Pet Shop Boys zusammen mit Years & Years, veröffentlicht im Mai 2021, Miley Cyrus‘ Version von „Nothing Else Matters“ mit Elton neben verschiedenen anderen Gästen, veröffentlicht im Juni 2021 von der Metallica-Tribute-Platte „The Metallica Blacklist“ und Johns Zusammenarbeit mit Lil Nas X „One of Me“ aus dessen Debüt-Studioalbum „Montero“.
Darüber hinaus finden sich Künstler wie Pearl Jam-Frontmann Eddie Vedder, Brandi Carlile, Stevie Wonder, Stevie Nicks und Glen Campbell in der illustren Runde. Ein Disco-Song wie „Orbit“ macht großen Spaß, das rockige „E-Ticket“ mit Vedder ist ein fetziger Burner und „I’m Not Gonna Miss You“ bildet den perfekten melancholischen Abschluss eines außergewöhnlichen Albums.
Man könnte kritisieren, dass das Album ziemlich bunt zusammen gewürfelt ist, aber es transzendiert auf diese Weise jede Art von Grenze – zwischen Genres und Generationen, Styles und Sounds, Kulturen und Kontinenten. Zusammengeschweißt wird die extreme Bandbreite von Eltons einzigartigem Gespür für packendes Songwriting – und seine unschlagbare Stimme macht es am Ende doch zu einem homogenen Werk