Zwei Jahre lang performte der Hamburger Songwriter seine Lieder zunächst in Berlin auf dem Alexanderplatz. Logisch, dass er sein Debütalbum nach diesem pulsierenden Ort im Epizentrum der Hauptstadt benannte. Was mag man dort erleben – jeden Tag inmitten von Obdachlosen, Punks, Skatern, Geschäftsleuten und Touristen? Zumindest ist es nur konsequent, dass Georg Auf Lieder aus diesem Sammelsurium als perfekter Geschichtenerzähler heraus gekommen ist. Nach seinem Debüt 2014 sind zwei weitere Alben von Georg erschienen – und dann kam die Pandemie. Was bedeutet es nun für einen ehemaligen Straßenmusiker, in der sozialen Einöde zu versauern? Diese Geschichte erzählt das neue Werk „8-Spur Lockdown Tape“ mit zehn Songs in einer knappen halben Stunde.
Eine große Rolle spielt dabei ein kaputter 16-Spur-Recorder. Dieses alte Gerät hatte Georg mit seinem letzten Geld einem Freund abgekauft, der ebenfalls fast pleite war. 50 Euro, größere Ausgaben waren nicht möglich im zweiten Corona-Jahr ohne Touren und Festivals. Schon bald nach dem Kauf bemerkte er, dass der günstige Preis nicht nur der Freundschaft, sondern auch der Tatsache geschuldet war, dass von sechzehn Spuren nur noch acht funktionierten. Dennoch sollte das Gerät das Herzstück seiner neuen Platte werden und ihm letztlich den Albumtitel geben.
Um die leid- und lautstärkegeprüften Nachbarn zu entlasten, mietete Georg im Berliner Osten einen kleinen Raum in einem heruntergekommenen Proberaumkomplex an. Der Raum wurde aufgrund fehlender Belüftungsanlage und nicht vorhandener Fenster von den Vorbesitzern liebevoll „Das Verlies“ genannt. Hier fing Georg nun an, neue Songs zu schreiben und diese auch selbst aufzunehmen. Zum ersten Mal allein. So beschäftigte er sich nun ganz anders mit seiner Stimme, seiner Art zu texten und kreierte viele für ihn ungewohnte Sounds auf analogem Wege. Alte Keyboards, günstige Gitarrenpedale, rauschende Verstärker und nur ein einziges Mikrofon bildeten den Kern dieser Welt.
Das Ergebnis ist sehr persönlich und berührend. Es beginnt schon mit dem Opener „2021“. Die Freundin kommt aufgrund der hohen Inzidenzen nicht vorbei. Frustriert spielt Georg seine Demos dem Lieferando-Fahrer vor. So funktioniert Verzweiflung 2021. Und dann gibt es mit „2011“ einen nostalgischen Rückblick in die Zeit, als der Musiker seinen Weg von Hamburg nach Berlin fand.
Der Sound ist leicht gewöhnungsbedürftig, aber absolut authentisch. Als sei man mitten dabei in der experimentellen Phase, die letztlich zum fertigen Album gar nicht mehr glattgebügelt wurde. Musikalisch geht es mit akustischen und elektronischen Klängen und einer manchmal verstörenden, aber immer hörenswerten Soundkulisse aus dem Proberaum direkt auf die Platte. So scheint es zumindest.
Und die Songs sind inhaltlich absolut stark. „Wir lieben uns“ beschreibt mit lakonischen Worten eine toxische Beziehung. „Bye Bye Sommer“ zeichnet ein atmosphärisches Herbstbild, das durch Elektroklänge verstärkt wird, die zu einem letzten Schwofen im Sommer einladen. „Stranger Things“ beschreibt ein Phänomen, das wir vermutlich alle erlebt haben: Das wahre Leben spielt sich plötzlich auf der Achse Berlin-Hawkins ab. Großartig! Und zudem eine leidenschaftliche Erklärung für den großen Erfolg der Netflix-Serie.
Genial prägt sich mir auch „Santa Fu“ ein, das mit Spoken Words eine misslungene Lebensgeschichte beschreibt. Und das in einer erzählerischen Dichte, die man sonst vor allem bei Marcus Wiebusch und Kettcar verortet. Der Abschluss ist sehr melancholisch gehalten, wobei besonders „Alles cool“ heraus sticht, in dem der Protagonist eine verflossene Beziehung lapidar abschließt und in Wirklichkeit doch intensiv beweint.
Symptomatisch erklingt ganz zum Schluss „Eins“, das die intensive Soundkulisse nochmal auf die Spitze treibt. Georg Auf Lieder ist hier ein ganz besonderes Album gelungen. Keine Songs fürs Radio, aber ein bewegendes Dokument wirrer Zeiten!
Holger
19. April 2023 @ 21:11
Ich möchte unbedingt dieses Album als LP !!!!