Schon lange muss Thomas Thielen wohl damit leben, dass seine Musik stets mit den Klängen des Artrock einer Band wie Marillion verglichen wird. Ob ihn das wirklich nervt, sei mal dahin gestellt. Schließlich ist die Nähe zur Band einfach offensichtlich und t (so lautet der ungooglebare Künstlername) ist sich auch nicht zu schade, von Zeit zu Zeit live einen Marillion-Song zu covern.
Vor drei Jahren beendete t mit dem Album „solipsystemology“ eine schwermütige Trilogie, die mit den Werken „fragmentropy“ und „epistrophobia“ ihren Anfang nahm (HIER unsere Review dazu). „Ich habe meinen kinematographischen Ansatz noch mal neu gedacht und in Teilen in einer akustischen Landschaft gemixt, die eine neue Welt bietet, in der andere physikalische Gesetze gelten. Das war ein riesiger Haufen Arbeit, bei der mir einige Freunde mit Ideen zur Seite standen – zur Umsetzung nicht zuletzt der Leiter eines Max-Planck-Instituts mit Hilfe bei der Berechnung der Gesetze dieser neuen Akustik! Eno hat mal gesagt: Ein Tonstudio ist ein Musikinstrument.“ So erzählte uns der sympathisch-grummelige Soundarchitekt damals im Interview seine Vorgehensweise. Stilistisch ist das neue Werk noch ein Stück größer geworden. Ob es daran liegt, dass der Multiinstrumentalist und musikalische Alleingänger in Zeiten der Pandemie noch mehr Muße hatte, seine Ideen zu verwirklichen?
Beim ersten Hören muss ich zwangsläufig an meine Lieblingsband denken. Das geht gar nicht anders – und ein untrügliches Zeichen bekomme ich mal wieder von meiner Frau, die beim Mitfahren im Auto fragt, ob „das was Neues von Marillion“ ist. Was Thielen leistet, ist ohnehin unglaublich. Er hat eine emotionale Stimme, die an Steve Hogarth erinnert – er wandert durch die Oktaven und hat eine enorme Eindringlichkeit, mit der er seine Lyrics zum Leben erweckt. Hinzu kommen die Klangcollagen, die er als versierter Sounddesigner allesamt selbst schafft. Gitarrensoli klingen stilistisch wie von den progressiven Meistern, namentlich Steve Rothery und David Gilmour. Deren schwelgerische Spielart kann auch Thielen perfekt verkörpern. Dazu kommen ein entspannter Bass und sphärische Keybords. Dabei klingen diese noch versierter als fast alles, was heute im Neoprog geboten wird.
Ts Vocals stehen für mich immer an erster Stelle. Zu Tode betrübt in den melancholischen Tiefen, weinerlich und hochemotional in den Höhen. Er verstärkt sich selbst in polyphonen und chorischen Passagen, legt die Klangspuren übereinander – das ist eine fantastische künstlerische Leistung. Und auch in den Texten geht es ans Eingemachte. Thielen erzählt nicht irgendwas. Er hat philosophische Botschaften, die er vermitteln will. Nicht von ungefähr trägt das Werk den Titel „Pareidoliving“. Natürlich musste ich googeln um herauszufinden, dass Pareidolie das Phänomen meint, in Dingen und Mustern vermeintliche Gesichter und vertraute Wesen oder Gegenstände zu erkennen. Wer verträumt in den Wolkenhimmel blickt, weiß was gemeint ist.
Das Stück „A Relevant Lovesong“ findet sich als siebter Song auf dem Album, aber nicht im Tracklisting. Quasi Schrödingers Katze im Songformat. Das Album beschreibt eine Beziehung, die an der Projektion von gefühlter Wahrheit scheitert. Gibt es also überhaupt einen relevanten Lovesong oder ist er ein Trugbild? Mit solchen Details kann Thielen seine Fans in den Wahnsinn treiben – und tut dies mit Genuss.
Musikalisch ist das Album ebenso ausufernd wie die mit vielen Worten erzählte düstere Geschichte. Es geht manchmal opulent zu – mit eingespielten Streichern – dann nimmt ein Piano breiten Raum ein bevor die Gitarren zu alter Stärke zurückkehren. Thomas Thielen fährt im Alleingang alles auf, was der moderne Prog und Artrock zu bieten hat. Sein Perfektionismus macht ihn inzwischen zum deutschen Steven Wilson. Nur besser.
Das Album findet ihr bei den gängigen Progressive Rock-Händlern und HIER direkt beim Label GEP.