Ein zweiter Blick auf das Leben
Seit Oktober 2018 ist Lucy van Kuhl bei Konstantin Weckers Label „Sturm & Klang“ unter Vertrag, wo im April 2019 ihre Solo-CD „Dazwischen“ und im Januar 2021 ihre CD „Alles auf Liebe“ (mit Band – HIER unsre Review) erschienen ist. 2022 folgt nun die dritte CD, wieder mit Band: „Auf den zweiten Blick“.
Die deutsche Liedermacherin und Musikkabarettistin studierte Klavier und Literaturwissenschaft, begleitete renommierte Schauspieler bei Lesungen, machte Kammermusik und hat sich seit 2015 ganz dem Songwriting verschrieben. Ihre Stücke präsentiert sie mit lakonisch-stilvollem Gesang und kabarettistischem Einschlag. Sie erzählt Anekdoten und Geschichten aus ihrem Alltag – und diese sollen verstanden werden. Daher bleibt die Begleitung mit Klavier, Schlagzeug und Bass oft dezent. Nur für drei Stücke darf ein fünfstimmiger Begleitchor herhalten.
Lucy besingt mit viel Leidenschaft die Liebe, das Alter, Menschen, die in unserer Gesellschaft kaum wahrgenommen werden, Menschen, die (leider) viel zu sehr wahrgenommen werden, Situationen, die man sich eingebrockt hat und aus denen man schlecht wieder rauskommt. Alle Songs haben irgendwas mit einem zweiten Blick zu tun, der uns oft auch zum Perspektivwechsel nötigt.
In „Wo ist Frau Schmidt?“ geht es um eine alte Frau, die auf einmal nicht mehr in ihrer Wohnung in Berlin lebt. „Da fang ich doch erst gar nicht damit an “ beschäftigt sich mit dem Schönheitswahn der heutigen Zeit. „Haus in der Provence“ besingt den Lieblingsurlaubsort, während „Deutsche im Urlaub“ die zum Fremdschämen anregende Kehrseite der Medaille zeigt.
Der Titelsong erzählt von der Liebe „auf den zweiten Blick“, die immer noch vorhanden ist, die aber in fortgeschrittenem Alter den ersten Impuls einer plötzlichen Verliebtheit abgelöst hat. Und auch „Erwartungshaltung“ ist sehr philosophisch und therapeutisch, wobei uns Lucy an ihrem Seelenleben teilhaben lässt.
Besonders stark finde ich „Prinzessin sein“, dessen Hauptfigur Paul sich nicht mit den gängigen Klischees und dem Schubladendenken von Männlichkeit und Weiblichkeit abfinden will. Ein Song, der zum Nachdenken anregt und den jeder sich mal anhören sollte, der sich gern so populistisch über die Ideen des Genderns lustig macht.
Im Booklet sind die Songs übrigens sehr schön mit Bildern illustriert, die die Singer/Songwriterin im Comicstil inmitten einer realen Welt zeigt. Immer sehr passend zum Inhalt der Lyrics.