Über Jahrzehnte hinweg galt Moses P mit seinen Rödelheimern als ungehobelter Flegel, als Enfant terrible der deutschen Rapmusik. Der Frankfurter gründete das Rödelheim Hartreim Projekt und sein eigenes Label 3P. Er gilt als Entdecker von Xavier Naidoo und begleitete dessen Karriere in der Anfangszeit. Später kam es aber zu jahrelangen Rechtsstreitigkeiten. 1997 gab es Schlagzeilen, als er Stefan Raab im Anschluss an die Echo-Verleihung das Nasenbein brach.
Inzwischen sind 20 Jahre vergangen und die Wogen haben sich mehr als geglättet. Aktuell erschienen gleich drei wichtige Alben aus seiner Feder: Mit Xavier Naidoo ließ er „Nicht von dieser Welt“ in einem zweiten Teil auferstehen. Eine gelungene Fortsetzung, die den Spirit des Originals in die Gegenwart hebt. Dann war da mit „Kraft“ das neue Album des Soulprojekts Glashaus. Hier wurde Cassandra Steen mal wieder als kongeniale Sängerin tätig. Und kürzlich legte Moses mit „Herz“ endlich ein neues Soloalbum auf.
Dem vorausgegangen war die Teilnahme an der vierten Staffel von „Sing meinen Song“. Wer hätte das gedacht? Da erschien der harte Rapper plötzlich als emotionaler Kuschelbär mit Dauergrinsen. Und er spielte seine Stärken voll aus: Songs verändern und neu produzieren. Drei Beispiele finden sich auf dem aktuellen Album! Aus Gentlemans „You Remember“, Lenas „Home“ und „Sex On Legs“ von The BossHoss machte Moses P völlig eigenständige Songs, die er zum Teil mit autobiographischen Inhalten versah. Das waren definitiv Highlights der Fernsehsendung – und die deutsche Version von Lenas Hit „Home“, der jetzt „Heimat“ heißt, rührte viele zu Tränen.
Auch der Rest des Albums ist überaus emotional gehalten. „Aus dem Refugium“, „Mehr Licht“ und „An alle Engel“ (mit Vocals von Cassandra Steen) bieten gefühlvolle Texte. „Geheime Welt“ kommt überaus melancholisch daher, genau wie die Ballade „Wir sind eins (sagt ihr)“ mit Klaviermelodie, Streicher-Begleitung und Gesang von Michael Patrick Kelly.
Doch es gibt auch die typische Rapper-Standortbestimmung „Neubeginn“ und härtere, fast schon aggressive Titel wie das für sich stehende BossHoss-Cover „M zum O“. Ganz besonderen Spaß macht aber das fröhliche „Momomomomosespelham“ – ein Ohrwurm mit Kinderchor-Refrain und der unvergleichlichen Fußballer-Textzeile „Es gibt nur ein Moses Pelham“. Schön, dass auch solche Selbstironie auf einem authentischen Rap-Album Platz findet.
Es ist ein Album mit Tiefgang geworden. Sehr emotional, hervorragend produziert, mit bisweilen philosophischen Texten und ganz ohne die typischen Rap-Battles. Bei „Sing meinen Song“ hat man einen gereiften, fast schon altersmilden Moses kennen gelernt. Und diese Seite fasst er hier hervorragend in seine Musik.
Nach dem Durchhänger im Jahr 2016 bin ich inzwischen wieder mit „Sing meinen Song“ versöhnt. Die neue (vierte) Staffel bietet alles, was mich in der Vergangenheit an diesem Sendeformat begeistert hat. Alec Völkel und Sascha Vollmer von The BossHoss haben Xavier Naidoo als Gastgeber abgelöst. Auch sie erledigen diesen Job relativ unaufgeregt, lassen die Emotionen spielen, verzichten aber auf allzu rührselige Kommentare. Das passt.
Die Gäste sind mal wieder vom Feinsten. Multitalent Mark Forster, Stefanie Kloß von Silbermond, uns aller Lena, Gentleman, Moses P und Michael Patrick Kelly. Eine sehr vielseitige Zusammenstellung. Das Anhören der CD macht großen Spaß und entfaltet seine volle Wirkung, wenn man auch noch die Bilder der entsprechenden Sendungen (Folge 4 läuft just heute) im Hinterkopf hat. Die Ausbeute ist so groß, dass es erstmals eine Doppel-CD mit allen (43) Songs der Staffel zu kaufen gibt. Ein Indiz dafür, dass kaum Lückenfüller am Start sind.
Was mich von der ersten Sendung an – mit Songs von Mark Forster – begeistert hat, ist die enorme Bandbreite der vertretenen Künstler. Und keiner beschränkt sich auf eine Egomanie, sondern jeder versucht, die Songs in sich aufzunehmen und emotional neu zu interpretieren. Von Mark und Stefanie erwartet man ohnehin nichts anderes. Doch Michael Patrick Kelly lässt die Zuschauer staunen, wenn er aus den einfachsten Titeln echte Stadionhymnen macht. „Krieger des Lichts“ und „Führ mich ans Licht“ klingen aus seinem Mund einfach gigantisch.
Auch Lena versucht sich (gezwungenermaßen) an deutschsprachigen Titeln und schlägt damit voll durch. Sie sollte das öfter probieren – und sie wäre ja nicht die erste, die per SMS an das deutschsprachige Liedgut heran geführt wurde. Gentleman liefert weiterhin seinen typischen Reggae-Sound, doch er gibt sich alle Mühe, den Originalen gerecht zu werden und erweitert sie gerne mal um eigens hinzu komponierte Rap-Passagen. The BossHoss verändern sich stilistisch kaum in ihrer Country-Attitüde, wissen aber zumindest mit einigen ruhigen Stücken zu gefallen.
Größte Überraschung für mich ist aber Moses Pelham. Den hielt ich seit seinen Streitereien mit Xavier und den Söhnen ohnehin für einen ungehobelten Flegel. Hier geht es aber nicht ums Geschäft, sondern um gute Musik – und da ist er ein echtes As im Ärmel und per Dauergrinsen absolut sympathisch. Moses kann verändern und neu produzieren. Dieses Talent spielt er voll aus. Als Verstärkung hat er oft Cassandra Steen mit dabei, die Hammerstimme von Glashaus, zaubert ein Feature mit Stefanie Kloß aus dem Hut oder rappt sich kurzerhand selbst durch einen Song. Die Ergebnisse sind durchgehend geil: Silbermonds „Symphonie“ gewinnt an neuen Facetten und „Home“ von Lena wird als „Meine Heimat“ ein komplett eigenständiger Song mit Tiefgang.
Die SMS-Sendungen sind oft tränentriefend. Das mag den ein oder anderen nerven, ist aber berechtigt und geht weiter über einen Soap-Charakter hinaus. Zumindest im CD-Format bekommt man die puren Songs ohne visuelle Rührseligkeiten. Und das ist von vorn bis hinten stimmig. Sehr empfehlenswert!
Auch im Jahr 2016 haben sich die Stars der letzten „Sing meinen Song“ Staffel wieder um Xavier Naidoo versammelt, um eine Spezialsendung zum Weihnachtsfest aufzunehmen. Das fand in der Almhütte in Ellmau (Österreich) vermutlich zu einer Zeit statt, als Stollen und Tannenbaum noch in weiter Ferne waren – aber so ist nun mal das Künstlerleben. Man feiert vorneweg, um die Fans zur richtigen Zeit zu beglücken.
So gibt es also auch diesmal (schon vor dem TV-Sendetermin am 20.12.) eine CD mit den ausgewählten Songs. Und es ist eine durchaus spannende Zusammenstellung! Sehr ungewöhnlich und so gar nicht weihnachtlich erklingt nämlich Nenas „Die Antwort weiß ganz allein der Wind“ gefolgt von Samy Deluxe mit „The Dock Of The Bay“. Beides neu und erfrischend – es muss ja nicht der ewig gleiche Schmus zum Fest sein. Richtig geil wird es aber, wenn beide im Duett das eigens für die Show geschriebene „Der Baron von Grinchhausen“ interpretieren. Das fetzt richtig rein und Nena überrascht mit eleganten Rap-Passagen.
Der Rest ist da fast schon festliches Standardprogramm. Ein Highlight ganz klar Niedeckens „Happy Christmas (War Is Over)“. Der kölsche Jung in englischer Sprache. Funktioniert gut. Auch Sevens „The First Noel“ klingt soulig fein und berührend. Zu verspielt ist diesmal Xavier Naidoos „Ihr Kinderlein kommet“. Die Jazz-Begleitung hört sich noch sehr hübsch an, doch Xaviers Koloraturen nerven auf Dauer ganz gewaltig. Vielleicht ist es doch Zeit, dass der Mannheimer nach drei Staffeln das Zepter aus der Hand gibt: The BossHoss – übernehmen Sie! Zum Abschluss gibt es noch das versöhnliche „Ein neues Jahr“. Xavier verabschiedet sich standesgemäß und sehr gefühlvoll.
Ich kann sagen, dass mir das Weihnachtsalbum um einiges besser gefällt als die Ergebnisse der eigentlichen SMS-Show. Selbst Annett Louisan piepst hier ein sehr elegantes „Jingle Bells“ und The BossHoss packen mal wieder ihre pure Coolness aus. Man hat sich wenig Arbeit mit der Produktion gemacht. Die Aufnahmen stammen 1:1 aus der Fernsehsendung, wie man an den Hintergrundgeräuschen erkennen kann. Aber das passt. Vol. 3 ist ein sehr innovatives Weihnachtsalbum geworden.
Was für ein schöner, wertiger Release! Niedeckens BAP veröffentlichte am 18.11. „Lebenslänglich im Heimathafen Neukölln (live)“. Und doch gibt es für manche Freunde der Band auch Grund, sich zu ärgern. Denn Vieles, was sich in diesem Komplettpaket aus vier Silberlingen befindet, haben sie schon im Regal. Jetzt kann man sich über den zusätzlichen Inhalt freuen – oder den Herrn Niedecken und seine Gang der Abzocke bezichtigen. Richtig ist aber: Wer diesen dicken Release käuflich erwirbt, bekommt etwas Schönes für sein Geld. Jenseits allen Streamings und Download-Getues. Hier hat man ein schönes Kleinod in der Hand. Und wer das aktuelle BAP Album ohnehin noch nicht im Regal hat, sollte bei dieser Edition schleunigst zugreifen.
CD 1 bietet also das Studioalbum mit 14 Songs. Dazu brauche ich nicht mehr viel zu sagen, denn das hat Kollege Kröll schon ausführlich an dieser Stelle erledigt: Review „Lebenslänglich“ von Niedeckens BAP.
CD 2 bietet dann die live-CD „Heimathafen“. Anlässlich des 40-jährigen Bandjubiläums suchte Wolfgang Niedecken für den Stapellauf des „Lebenslänglich“-Albums nach einer geeigneten Location, um den Vorabend des Releases gebührend zu zelebrieren. Jedoch waren in seiner Heimatstadt Köln sämtliche Venues aufgrund von Karnevalssitzungen bereits belegt. Wolfgang Niedecken machte die Not jedoch zur Tugend und wich von Köln auf Neukölln (Berlin) aus. Im wunderschönen Heimathafen spielte er samt seiner Band und den Überraschungsgästen Clueso, Thees Uhlmann, Stephan Stoppok, Nicky Müller, Calexico-Trompeter Martin Wenk und Max Prosa sowohl neue Lieder als auch bewährte Klassiker.
Besonders gut gefällt mir die Version von „Dä Herrjott meint et joot met mir“ mit Nicky Müller. Die beiden harmonieren hervorragend miteinander und es menschelt sehr. „Frau, ich freu ich“ ist mit im Set. Und auch „Kristallnaach“ – wunderschön und ewig aktuell.
Die live-DVD hat dann noch vier Songs mehr, nämlich zum einen „Rita“ und das emotionale, immer wieder gern gehörte „Do kanns zaubre“, zum anderen den großen Ausklang mit „Verdamp lang her“ und „Heroes“. Der 110-minütige Live-Mittschnitt fängt diese mal heitere, mal nachdenkliche Atmosphäre in authentischen Kamerasequenzen ein. 17 Songs mit einem klaren Schwerpunkt auf der Jetztzeit. Schließlich steuert Wolfgang Niedecken auf „Lebenslänglich“ denkwürdige Stationen seiner Karriere an. Als Mensch und Künstler. Ein Blick zurück nach vorn also, mit dem sich BAP musikalisch vielfältiger denn je aufstellt.
Als sich zum Ausklang des Auswärtsspiels Band und musikalische Gäste nach einem emotionalen „Verdamp lang her“ zu einem euphorischen Finale versammeln, stimmen sie gemeinsam David Bowies „Helden/Heroes“ an und sogar Kult-Regisseur und Freund Wim Wenders gesellt sich überraschend dazu. Ein weiterer Beleg dafür, dass der rockige, erdige Sound der Band und Niedeckens Texte mit ihren scharfen Beobachtungen, politischen Statements, humorvollen Geschichten und persönlichen Einblicken Menschen in allen Altersgruppen und völlig unabhängig von Genregrenzen erreichen.
CD 4 ist dann ein Extra-Schmankerl mit sieben Titeln, die Niedecken bei „Sing meinen Song“ im März 2016 im Südafrika performt hat. Stücke von The BossHoss bis Samy Deluxe. Besonders genial geraten ist aber die kölsche Version von Xavier Naidoos Hit: „Wat mir allein nit schaffe“.
Die vier Scheiben kommen im Digipack in DVD-Größe und tragen ein dickes Booklet bei sich, das neben den Texten des neuen Albums auch viele großformatige Bilder der Livesession beinhaltet und den Text „Zeitkapsel“ in dem Wolfgang Niedecken ein Statement zu seiner Teilnahme bei „Sing meinen Song“ abgibt. Wir kommen zu folgendem Urteil: lebenslänglich!
Es ist nicht der schlechteste Zeitpunkt für einen Künstler, ein Album zu veröffentlichen, wenn man gerade über Wochen im Fernsehen präsent war. Insofern erscheint Annett Louisans aktuelle CD „Berlin – Kapstadt – Prag“ sicher nicht zufällig passend vor den letzten Folgen der TV-Show „Sing meinen Song“, bei deren dritter Staffel die blonde Sängerin gemeinsam mit Nena die Frauenquote erfüllt. Das Kapstadt im Titel steht dabei tatsächlich für die Dreharbeiten in Südafrika und als Station zwischen Annetts Heimatstadt Berlin und Prag als Aufnahmeort der 10 Coversongs auf dem neuen Album.
Den Anfang macht eine düster groovende Version von „Engel“, die ihren Reiz vor allem dem Umstand verdankt, dass kaum etwas im größeren Kontrast zur Stimme des Rammstein-Sängers stehen könnte wie Annetts mädchenhafter Sopran. Auch „Das Modell“ von Kraftwerk macht sich die Sängerin auf charmante Art zu Eigen, und Materias „OMG!“ wirkt als ruhige Gitarrenballade erstaunlich gut. Bei Annetts Version von „Durch den Monsun“ kann man tatsächlich die großartige Komposition dieses Teenie-Hits erkennen.
Aber nicht alle Titel überzeugen. „Bologna“ wirkt irgendwie albern, ebenso wie die zu verspielte Version von „Solang´ man Träume noch leben kann“. „Wie soll ein Mensch das ertragen“ ist gut interpretiert, kann aber einfach nicht so berühren wie das Original von Philipp Poisel. Und „Merci Chérie“ ist mit dem verstimmten Bar-Piano im Hintergrund ziemlich grauenhaft. Das eindringliche „Helden“, eine Version von David Bowies Heroes mit deutschem Text, setzt immerhin einen gelungenen Schlusspunkt.
Ich habe Annett Louisan eigentlich immer gern gehört, aber auf „Berlin – Kapstadt – Prag“ bin ich zwischendurch tatsächlich genervt von ihrer Kleinmädchen-Stimme und manchem zu beiläufigen Arrangement. Was für ihre hintergründigen und ironischen Chansons perfekt passt, trägt leider nicht durch ein ganzes Coveralbum – deshalb auch nur 6 Sterne.
Ich bin immer noch Fan des Konzepts von „Sing meinen Song“, doch ich muss sagen: im Jahr 2016 ist die Aufstellung der beteiligten Künstler so gar nicht mein Ding. Die esoterische Nena, die piepsige Annett Louisan, die obercoolen The BossHoss. Dann ein Schweizer Soulkünstler namens Seven, der vermutlich die Outsider Gregor Meyle und Wirtz ersetzen soll. Irgendwie reizen mich deren Songs und die neue Umsetzung nicht.
Zum Glück sind Wolfgang Niedecken und Samy Deluxe mit dabei. Allerdings: Die BAP-Hits funktionieren halt vor allem durch die kölsche Sprache. Wenn diese weg fällt, wird es schon schwieriger mit dem Kultfaktor. Für zumindest einen Song lohnt sich allerdings der Kauf der CD: „Kristallnacht“ in der Version von Samy Deluxe ist einfach groß! Er schafft es, diesen Titel aus den 80ern in die Gegenwart zu holen und etwas ganz Neues, Überwältigendes daraus zu machen. Davon hätte ich mir mehr gewünscht!
Der Rest der CD-Titel plätschert so vor sich hin. Seven singt „Das hat die Welt noch nicht gesehen“ ebenso soulig wie der Meister. Und Niedeckens Version von „Was wir alleine nicht schaffen“ ist immerhin nicht verschandelt. Ein netter Song für zwischendurch. Aber sorry, wenn Annett Louisan „Nur geträumt“ mit quietschiger Stimme vorträgt, stellen sich mir die Fußnägel hoch. Umgekehrt funktioniert’s: The BossHoss machen aus „Das Spiel“ eine entspannte Countrynummer, die an Coolness kaum noch zu überbieten ist.
Problem ist vielleicht, dass ich viele der Originale überhaupt nicht kenne. Damit geht schon ein Reiz der SMS-Idee verloren. Ich denke übrigens nicht, dass sich das Konzept der Sendung schon überholt hat. Frische Künstlerinnen wie Alexa Feser und ein Haudegen wie Jan Josef Liefers würden sich da hervorragend machen. In diesem Jahr allerdings herrscht eine gepflegte Form von gähnender Langeweile. Schade eigentlich. Oder (wie der Sozialpädagoge sagt): Beim nächsten Mal wird’s wieder besser. Fünf Sterne für die CD und ein Extra-Stern für „Kristallnacht“. Samy Deluxe ist wirklich groß und seine Version darf man feiern.
Die Sendung „Sing meinen Song“ ist für mich die beste musikalische Fernseh-Idee der letzten Jahre. Neuerdings ist es ja in, auf Xavier Naidoo herum zu hacken. Ich will da gar nicht mit einsteigen. Er mag kein Engelchen sein, was seine Weltsicht angeht, aber er ist ein ehrlicher Kerl und tut halt bisweilen öffentlich kund, was manche nur hinter vorgehaltener Hand sagen. Der NDR hatte nach jahrzehntelanger Suche endlich einen renommierten Künstler, der bereit war, uns beim ESC zu vertreten. Dabei kann man nur verlieren – dessen sollte sich jeder bewusst sein. Ihn dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen, wenn es mal kurzzeitig brenzlig wird, ist einfach nur schäbig.
Dem Format „Sing meinen Song“ wird das vermutlich nicht schaden. Hier hat Xavier Naidoo etwas geschafft, was andere deutsche Künstler seit Beginn der 90er Jahre vergeblich versucht haben: deutschsprachige Titel wieder vermehrt ins Radio und an die Chartspitze zu bringen. Der mediale Aufstieg von Gregor Meyle und Wirtz, das Wiedererstarken der Prinzen und von Yvonne Catterfeld, deutschsprachige Hits von Sarah Connor – das ist letztendlich alles auf Xaviers Mist gewachsen. Hut ab dafür!
Den nachhaltigen Erfolg der Sendung belegt auch die jährliche Weihnachts-CD, die 2015 zum zweiten Mal erscheint. Auch diesmal sind es die Künstler der aktuellen Staffel, die einige Klassiker und viele spannende Weihnachtssongs, die man nicht so oft hört, in ungewöhnlichen Arrangements zu Gehör bringen.
Dafür hat Gastgeber Xavier Naidoo seine Mitstreiter Andreas Bourani, Christina Stürmer, Daniel Wirtz, Die Prinzen, Hartmut Engler und Yvonne Catterfeld erneut ins österreichische Ellmau eingeladen, um in gemütlicher und familiärer Atmosphäre das besinnlichste Fest des Jahres zu begehen. Mit dabei natürlich auch ein paar Geschenke in musikalischer Form, denn jeder konnte sich von einem Kollegen einen Weihnachtssong wünschen. Yvonne Catterfeld setzte diesbezüglich auf Tradition und wünschte sich von den Prinzen das DDR Weihnachtslied „Sind die Lichter angezündet“, während sich Christina Stürmer den Song „Little Drummer Boy“ von Xavier gewünscht hat.
Spannend sind die Interpretationen in jedem Fall, denn jeder Musiker lässt seine ganz persönliche Note und Nuance in die Songs einfließen. Andreas Bourani sagt zu seiner Version von „White Christmas“: „Der Song darf an Weihnachten natürlich nicht fehlen und ich wage mich an eine deutschsprachige Version.“ Yvonne Catterfeld findet Weihnachten ohne Schnee seltsam, daher hat sie sich für ein spaßiges „Let it snow“ entschieden. Für Christina Stürmer stand schnell fest, dass sie das österreichische Weihnachtslied „Weihnacht is neama weit“ beisteuern wird, genauso wie für Hartmut Engler, der bei „Es schneielet es beielet“ ebenfalls auf den Dialekt setzt. Und dass Daniel Wirtz den Rock auch unter den Tannenbaum legen kann, zeigt sich spätestens mit seiner Version des The Pogues-Klassikers „Fairytale Of New York“.
Die Sendung läuft am 15.12. auf VOX. Das Album dazu ist bereits erhältlich. Und es macht großen Spaß! Die Mischung ist ungewöhnlich und vielseitig. Den üblichen Einheitsbrei bekommt man hier kaum zu hören. Bouranis Version von „Maria durch ein Dornwald ging“ verursacht Gänsehaut und wenn dann Xavier zum Abschluss „The Power Of Love“ schmettert, sind die Feiertage gerettet.
Das Tauschkonzert geht in die zweite Runde! Nach dem Erfolg der ersten Staffel hat Xavier Naidoo auch dieses Jahr wieder namhafte Sängerkollegen nach Südafrika eingeladen, die in sieben Sendungen jeweils die Songs der anderen covern. Mit Andreas Bourani, Hartmut Engler, Christina Stürmer, Yvonne Catterfeld, Daniel Wirtz, Sebastian Krumbiegel und Tobias Künzel sind diesmal ausschließlich deutsch singende Musiker dabei. Die schönsten Titel der aktuellen Staffel sind inzwischen auch auf CD erschienen.
Das einfache, aber geniale Konzept des Tauschkonzerts führt auch diesmal wieder zu spannenden, bewegenden und auf jeden Fall hörenswerten Coverversionen. Als Joker erweist sich dabei der bisher weniger bekannte Deutschrocker Wirtz. Er verwandelt Yvonne Catterfelds Kitsch-Ballade „Du hast mein Herz gebrochen“ in ein überzeugendes Liebeslied, und rührt mit einer reduzierten Version von „Wenn sie diesen Tango hört“ nicht nur Hartmut Engler zu Tränen. Dieser revanchiert sich mit einer sehr engagierten Interpretation von Wirtz „Overkill“ und verwandelt außerdem „Millionen Lichter“ von Christina Stürmer in einen astreinen Pur-Song.
Sebastian Krumbiegel und Tobias Künzel können nur zu zweit natürlich nicht den Sound der Prinzen erzeugen, liefern aber eine ordentliche Version von „Nur in meinem Kopf“ ab. Andreas Bourani bedankt sich dafür mit dem wunderbar gefühlvollen „Schlaflied“. So wie dieser weniger bekannte Prinzen-Titel kommen übrigens noch mehr verborgene Schätze aus dem Repertoire einiger Sänger ans Licht – etwa Christina Stürmers „Mitten unterm Jahr“, eindringlich interpretiert von Xavier, oder „Pendel“, ein recht aktueller Song von Yvonne Catterfeld, der wiederum Christina inspirierte. Es gibt aber auch bekannte Hits ganz neu zu entdecken, wie etwa „Küssen verboten“ und „Alles mit dem Mund“, die Yvonne zu einem verführerischen Medley verbindet, oder Bouranis „Auf uns“ in einer tollen akustischen Version der Sing meinen Song Allstars.
„Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ gehört definitiv zu den derzeit besten musikalischen TV-Shows, was auch diese CD wieder beweist. Wer von den getauschten Songs nicht genug bekommen kann, dem sei die zeitgleich erschienen Deluxe-Version empfohlen, die zusätzlich eine zweite CD mit weiteren 14 Titeln enthält. Da dürfte wohl fast jeder seine persönliche Lieblingsversion wiederfinden.
[itunesButton]Sing meinen Song bei iTunes[/itunesButton]
[amazonButton]Sing meinen Song bei Amazon[/amazonButton]
Sarah Connor kennen wir bisher als Sängerin, die mit souligen Popsongs wie „From Sarah with Love“ oder „From Zero to Hero“ die Charts eroberte, zwischenzeitlich ihr Liebes- und Familienleben in TV-Soaps vermarktete und als Jurorin in der Castingshow „X-Factor“ auftrat. Und jetzt ein deutschsprachiges Album? Wer letztes Jahr die TV-Show „Sing meinen Song“ verfolgt hat, den wird diese Nachricht kaum überraschen. Schließlich interpretierte Sarah dort unter anderem Titel der Sängerkollegen Gregor Meyle, Xavier Naidoo und Andreas Gabalier und entdeckte dabei, wie gut ihr das Singen in ihrer Muttersprache steht.
„Muttersprache“ heißt folgerichtig das aktuelle Album der Sängerin, auf dem sie nicht nur erstmals eigene deutsche Songs singt, sondern das sie auch erstmals selbst produziert hat. Die meisten Titel entstanden in Zusammenarbeit mit Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Daniel Faust, die als Songwriterteam auch schon für Rosenstolz komponiert haben. Das ergibt schon mal eine schöne musikalische Mischung, vor allem lebt das Album aber durch seine authentischen Texte, die Sarah unglaublich eindringlich interpretiert.
Im Opener „Mit vollen Händen“ beschwört die Sängerin die Hingabe an das Leben und ebenso die Einzigartigkeit jedes Menschen. Die wunderbare Single „Wie schön du bist“, widmet sie ihrem Sohn; der Song könnte aber auch als universelles Liebeslied verstanden werden. Liebeslieder gibt es auch sonst noch einige – „Mein König“, „Deutsches Liebeslied“, „Versprochen“ oder „Wenn du da bist“ – und sie überzeugen allesamt durch starke Metaphern und eine ganz eigen Poesie.
„Bedingungslos“ erzählt ein Stück weit Sarahs eigene Lebensgeschichte, handelt aber auch von bedingungsloser Mutterliebe. Das eifersüchtige „Kommst du mit ihr“ erinnert in seiner Direktheit und musikalischen Intensität an Melissa Etheridges „Like The Way I Do“, und „Augen auf“ ist ein großartiger Appell für Verantwortung und Zivilcourage, der gerade durch sein sparsames Arrangement besonders berührt. Und Sarah wagt sich sogar an ein Thema, das eher selten besungen wird: In „Das Leben ist schön“ wünscht sie sich, dass nach ihrem Tod nicht getrauert, sondern das Leben gefeiert wird.
Mit „Muttersprache“ ist Sarah Connor ein rundum überzeugender musikalischer Neuanfang gelungen. Das Album ist bereits jetzt eines der erfolgreichsten ihrer gesamten Karriere, was eindeutig dafür spricht, dass die Menschen in diesem Land ehrliche deutschsprachige Musik zu schätzen wissen. Vielleicht sollten wir es damit ja auch mal beim nächsten ESC versuchen?
[itunesButton]Sarah Connor bei iTunes[/itunesButton]
[amazonButton]Sarah Connor bei Amazon[/amazonButton]
Die Fernsehsendung „Sing meinen Song“, die von Xavier Naidoo ins Leben gerufen wurde, hat einiges bewirkt. Die Künstler, die dabei mitgewirkt haben, hatten in der Regel schon zuvor einen hohen Bekanntheitsgrad. Eine Ausnahme ist vielleicht Gregor Meyle, der nach den Clubkonzerten für Insider, die er in der Vergangenheit gab, plötzlich auch große Hallen füllt. Die anderen Sängerinnen und Sänger lernte man aber von einer sehr neuen, fast schon privaten Seite kennen. Und die gesanglichen Qualitäten wurden aufgrund des vielseitigen Repertoires der beteiligten Künstler stark gefordert.
Anscheinend sind aber auch echte Freundschaften entstanden. Zumindest unterstützen sich die Beteiligten seitdem bisweilen auf ihren Konzerten. So geht Gregor Meyle momentan als Support von Roger Cicero mit auf Tour. Zwar spielt er keinen riesigen Set (30 Minuten sind sogar recht dürftig, wenn man seine Chartpräsenz in den letzten Monaten bedenkt), bekommt aber immerhin die Gelegenheit, sich einem neuen Publikum zu präsentieren, und nutzt diese Chance auf seine einmalig sympathische Weise.
In der Saarlandhalle Saarbrücken – leider bei weitem nicht ausverkauft – begann sein Set pünktlich um 20 Uhr. Wie gewohnt hatte er auf der Bühne ein kleines Wohnzimmer mit Teppichen und Lampen aufgebaut. Als Unterstützung war die komplette Meyle-Band mit dabei. Das war gar nicht so selbstverständlich, denn der Keyboarder war auf dem Weg nach Saarbrücken im Zug eingeschlafen und erst in Basel wieder aufgewacht. Eine Freundin brachte ihn dann mit dem Auto zur Saarlandhalle. Diese Anekdote wurde (typisch für die lustigen Ansagen Meyles) zum Running Gag des Abends. Bei einem so kurzen Set musste er aber aufpassen, sich nicht in den Ansagen zu verzetteln, wie das sonst der Fall ist.
Zunächst gab es den aktuellen Titel „Hier spricht dein Herz“ und die Latino-Version von „Heute Nacht“, die mir nicht ganz so zusagt. Ich mag eher die getragenen, melancholischen Titel aus seiner Feder – wie das nun folgende „Finde dein Glück“. Gregor ist ein Lebenskünstler par excellence. Er kokettiert auch damit, dass er mit dem momentanen Erfolg endlich mal ein paar Kröten vor dem Finanzamt retten konnte. Dabei hat er nichts von seiner Leichtigkeit verloren und erzählt frei von der Schnauze weg, wie schlimm er die momentane Medienhetze gegen seinen Freund Xavier Naidoo findet, der anscheinend nachmittags ganz spontan zum Kuchenessen nach Saarbrücken kam.
Der kurze Auftritt endete dann mit „Du bist das Licht“ und „Hätt nix dagegen“. Ein sehr schöner Auftritt, der mit riesigem Applaus belohnt wurde. Es gab sogar stehende Ovationen – und wann erlebt man so etwas schon mal bei einer Vorband. Gregor hatte mal wieder alles richtig gemacht und entließ das Publikum in eine 20minütige Umbaupause.
Roger Cicero fuhr dann die schweren Geschütze auf. Fantastische Bigband mit acht Bläsern und Kontrabass neben der obligatorischen Rockband. Eine Bühne mit Stegen, die um die Musiker herum führten und dem Sänger die ganz großen Showposen ermöglichten. Er kam im dunklen Anzug und mit typischem schwarzem Hut. So hatte er sein Publikum von Beginn an nicht nur optisch im Griff. Sein Vater war ein berühmter Jazzpianist, seine Mutter Tänzerin – Roger ist der Swing einfach in die Wiege gelegt. Diesen verpackt er aber nicht etwa in verkopfte Arrangements, die Otto Normalhörer nur schwer ertragen kann, sondern er wählt leichte Pop-Nummern mit sympathischen Texten, die durch den Bigband-Einschlag an Tiefe gewinnen.
„Glück ist leicht“ war der erste Titel. Damit nahm Roger den Faden auf, den Gregor aus der Hand gelegt hatte. Wunderbar eingängige Titel. Und zwischendurch erzählte Cicero vom Eis essen in Saarbrücken und dem Badezimmer in der Künstlergarderobe der Saarlandhalle, das er erstmals seit zehn Jahren in renoviertem Zustand vorfand.
Cicero erzählt in seinen Stücken gern von Beziehungsdingen. Von Abschied und Freiheit, von Begegnungen und dem schmerzhaften Loslassen. Egal, ob da die Bigband mit virtuosen Trompetensoli glänzt oder Cicero allein zur Akustikgitarre im Rampenlicht steht. Er trifft den richtigen Ton und erzeugt wohlige Gefühle. Opulenter Orchesterklang, entspannte Gitarren, eingängige Pianoballaden – da war alles vertreten. Meist aber dominierten kraftvolle und modern groovende Rhythmen.
Roger gab den großen Entertainer und nahm ein Bad in der Menge. „Zieh die Schuhe aus“ als herzliche Botschaft der Frau zuhause an den Liebsten war der perfekte Song, um auf den Boden der Tatsachen zurück zu kommen. Er sprach dann auch das Thema an, dass jetzt eigentlich Pause im Programm wäre. Aber man hatte ja erstmals einen Supportact dabei und die Pause musste entfallen. Kein Problem – der kraftvolle Sänger stand das auch ohne Verschnaufen durch. Allerdings hätte ich mir ob der neuen Männerfreundschaft erwartet, dass Gregor Meyle irgendwann im Programm des Hauptacts nochmal im Geschehen auftaucht. Das war leider nicht der Fall – die Gründe dafür erschlossen sich dem Publikum nicht.
„Frauen regier’n die Welt“ war ein weiterer Song für die textfesten Zuschauer. Doch es ging nicht nur lustig zu. Ciceros Texte sind insgesamt nachdenklicher geworden, manchmal sogar philosophisch, wenn er mit „In diesem Moment“ eine großartige Ballade über die Bedeutung eines beliebigen Momentes für die Welt und für den Einzelnen besingt. In die gleiche Kerbe schlug „Wenn es morgen schon zu Ende wäre“, bevor „Murphys Gesetz“ das Konzert zunächst beschloss.
Inzwischen waren die Zuschauer längst nicht mehr auf den Sitzen. Der Großteil hatte sich vor der Bühne eingefunden und machte den Konzertabschluss mit „Du bist mein Sommer“ und „Bin heute Abend bei dir“ zur riesigen Party, bevor der Auftritt nach gut zwei Stunden endete. Mit lässiger Eleganz und deutschen Texten im swingenden Big-Band-Sound bezauberte Cicero mal wieder sein Publikum. Er bleibt sich und seinem Stil seit Jahren treu, erweitert aber gleichzeitig die inhaltliche und musikalische Bandbreite. Und er beweist einmal mehr, dass deutschsprachiger Swing durchaus modern und populär sein kann.