Am 10. Oktober 2019 gastierte Alexa Feser mit ihrem aktuellen Album „A!“ in der Neuen Gebläsehalle im saarländischen Neunkirchen, einer sehr atmosphärischen Location mit einem ganz besonderen Charme. Unser Redakteur Andreas Weist konnte sich schon nachmittags mit der gut aufgelegten Alexa Feser treffen und ein langes Gespräch über das aktuelle Album und viele weitere Themen führen.
Dein neues Album „A!“ ist eine ziemlich nostalgische Reise in die Vergangenheit. Was hat dich bewegt, als du die Texte geschrieben hast?
Ich weiß gar nicht, ob es eine nostalgische Reise ist. Es geht eigentlich um die Zeit von damals bis heute und ist damit sehr aktuell. Es ist eine Fortsetzung meiner anderen Alben. Thematisch nicht spezieller, aber vielleicht etwas persönlicher. Ich finde es sehr modern und nicht nostalgischer als das, was ich vorher gemacht habe. Man hat ja immer Texte, die auch Vergangenes behandeln.
Ist der Albumtitel – die Initiale A mit Ausrufezeichen – ein Ausdruck von besonderem Selbstbewusstsein?
Nein, auf gar keinen Fall. Das hat nichts mit meinem Namen zu tun, auch wenn die Leute das denken. Bevor ich ein Album rausbringe, sammle ich immer Attribute und Eigenschaften, wie sich das Album für mich anfühlt. In dieser Liste begannen 80% der Worte mit dem Buchstaben A. Daher der Titel. Er ist eine gute Zusammenfassung für alle Begriffe.
Du schreibst zusammen mit Steve van Velvet. Wie darf man sich das vorstellen? Wer bringt die Ideen rein und wie erarbeitet ihr die Songs?
Wir schreiben nicht zusammen. Das heißt: Wir schreiben uns zwar per Email, sitzen aber nicht zusammen in einem Raum. Es gibt keinen Modus Operandi für unsere Zusammenarbeit. Wir machen das seit 15 Jahren so, aber ich kann es jetzt nicht sagen wie ein Zauberer, der einen seiner Zaubertricks verrät. Es gibt keinen Clou, wie man einen Song schreibt.
Und die Texte stammen immer von dir?
Ja. Wir schreiben ja zusammen. Das heißt ich schreibe alles und komponiere alles.
Du stammst aus Wiesbaden, lebst aber schon lange in Berlin. Hast du Heimatgefühle, wenn du so nahe an deinem Geburtsort bist wie hier in Neunkirchen oder morgen in Mainz?
Ich weiß nicht. Heimat ist bei mir nichts, was mit dem Ort zu tun hat sondern mit den Menschen. Ich lebe in Berlin, wo die Menschen sind, mit denen ich zu tun habe. Meine Band, meine Freund. Ich habe nicht dieses klassische Heimat-Ding. Das wäre auch schlimm, denn ich wechsle den Ort ziemlich oft. Es gibt keine Ortsverbundenheit. Ich bin da zuhause, wo die Menschen sind, die ich liebe.
Wiesbaden ist ja eher Provinz – im Gegensatz zu Frankfurt und Berlin. Wo fühlst du dich wohler?
Ich empfinde Wiesbaden nicht als Provinz. Es ist Landeshauptstadt und hat 300.000 Einwohner. Ich bin in der Innenstadt groß geworden, an einer vierspurigen Straße, und war in dem Sinn immer Großstädterin. Sonst könnte ich mich in Berlin gar nicht zurechtfinden. Auch in Berlin hat jeder Bezirk seinen Stadtkern, darum ist der Unterschied gar nicht so groß.
Beim Konzert im „Zoom“ in Frankfurt hast du erzählt, dass du vor jedem neuen Album innerhalb Berlins umziehst. Das könnte auf Dauer ziemlich stressig werden. Willst du das durchhalten?
Ich weiß es nicht. Ich halte nichts von Ritualen oder Dingen, die immer wiederkehrend sind. Ich mache das so, wie ich es für mich empfinde. Es kommt darauf an, was mein Herz sagt. Momentan bin ich in einer ganz anderen Phase: Ich toure, bin viel unterwegs und habe mir daher noch keine Gedanken gemacht.
Ihr habt einige Videos in Japan gedreht. Das war ziemlich aufwändig, kann ich mir vorstellen. Warum ausgerechnet Japan?
Drei Videos haben wir dort gedreht im letzten Jahr, weil ich immer mal nach Japan wollte. Es war ein großer Traum von mir, weil ich die Menschen dort und die Kultur sehr spannend finde. Ich habe auch das Gefühl, dass es total gut zu den Songs, die wir dort abgedreht haben, gepasst hat. Wir haben drei unterschiedliche Videos gedreht und waren in ganz Japan unterwegs, am Fujiyama, in Tokio. Wir haben viel gesehen an Szenerien und Kultur. Es war ein Traum und den habe ich damit verwirklicht.
Also eher Urlaub als Arbeit?
Nein, Urlaub war es nicht, weil wir gedreht haben. Wir waren 14 Tage dort und haben drei Videos gedreht. Es war ein sehr straffes Timing.
Bist du zufrieden mit deinem Job, der dir so viele Freiheiten lässt? Oder würdest du lieber wieder Flugbegleiterin sein und nach einem strukturierten Plan arbeiten?
Ich habe auch als Flugbegleiterin keinen strukturierten Plan gehabt und war das nicht lange. Ich habe immer andere Sachen gemacht. Ich finde auch nicht, dass Künstler-sein immer total frei ist. Der Druck ist groß, man muss sich behaupten. Der Beruf ist nicht voller Freiheiten und Leichtigkeit. Ich finde es nicht leicht, immer wieder Neues zu schaffen. Jeder Beruf hat seine Pros und Contras. Man hat zum Beispiel nie ein freies Wochenende durch die Auftritte und man hat kein festes Einkommen oder Rente. Wenn man sich die Welt so anschaut und das Urheberrecht in Deutschland, dann wird es nicht einfacher für die Künstler.
Deine Musik funktioniert auf verschiedene Weise. Manchmal akustisch mit Piano, dann wieder elektronisch. Auf „Zwischen den Sekunden“ gab es viele orchestrale Passagen, die du dann auch live mit Streichern gespielt hast. Wie entstehen die Songs in deinem Kopf?
Meine Songs sind meist größer angelegt, gar nicht klein. Die Akustikversionen sind immer nur ein Bonus. Ich mag die großen ausproduzierten Sachen. Die Weite in den Songs. Ich glaube auch nicht, dass etwas in meinem Kopf entsteht. Es gibt kein Vordenken, man muss sich ans Instrument setzen und einfach was machen. Es gibt auch keine Anleitung. Der Prozess ist immer anders.
Ich habe das Konzert in der Wiesbadener Ringkirche gesehen. Wie war es für dich? War das ein besonderer Moment?
Da war ich mit einem Streichquartett unterwegs und das mache ich sehr selten. Eigentlich bildet die große Band meine Musik ab. Es war eher eine Ausnahme, dass wir in Kirchen gespielt haben.
Und die Tatsache, dass es in deiner ehemaligen Heimat war?
Wie gesagt, ich bin nicht so ortsverbunden. Meine Mitschüler, mit denen ich Abi gemacht habe, leben nicht mehr dort. Meine Familie auch nicht. Die sind alle weggezogen. Ich habe meist dann Heimatgefühle, wenn ich Familie und Freunde treffe, aber die wohnen nicht in Wiesbaden.
Was dürfen wir für heute Abend erwarten?
Es wird laut, es wird lang, es wird emotional. Ich spiele ein ganz langes Programm, das über zwei Stunden dauert. Ich habe heute keinen Support. Ich habe sehr gute Musiker dabei und es gibt Songs aus allen Alben, vor allem aber von „A!“. Wir machen stimmungsvolles Licht und werden vermutlich auch viel tanzen.
Gibt es auch atmosphärische Stücke wie „Tempelhofer Feld“?
Ja. „Tempelhofer Feld“ ist ein Song über Berlin und zugleich auch ein Synonym für eine Art Entschleunigung. Manchmal ist es für uns alle schwer, in diesen schnellen Zeiten irgendwie zur Ruhe zu kommen. Die Zeit tickt schneller und der Einzelne wird getrieben, ganz viel zu leisten. Man braucht in seinem Herzen einen Ort, an den man sich zurückziehen kann.
Eine der ersten Singles trug den Titel „1A“. Magst du dazu noch was erzählen?
Den Song habe ich quasi aus Trotz geschrieben, weil die Meckerkultur in Deutschland mich so genervt hat. Es hat mich gestresst, dass die Menschen das Glas immer als halbleer empfinden. Eigentlich geht es uns gut, aber man ist nahe dran, in jeder Sache das Haar in der Suppe zu suchen. Darauf wollte ich augenzwinkernd hinweisen. Die Menschen nehmen sich wenig Zeit für spezielle Dinge und lassen diese nicht auf sich wirken. Auch musikalisch: Die Kultur geht verloren, komplette Alben zu hören. Und das ist überall so. Alles muss schnell und einfach zugänglich sein. Fastfood essen, Pakete bei amazon bestellen. Konsum darf keinen Aufwand erfordern. Alles muss billig sein. Diese Wegwerfgesellschaft finde ich so traurig. Und die Verrohung im Internet, wo man sich gegenseitig klein macht. Auch das ist eine Wegwerfmentalität. Viele Menschen bekommen nicht mehr die Wertschätzung, die sie eigentlich verdient hätten.
„Mut“ dreht sich um viele kleine Situationen im Alltag. Passt das auch in diese Richtung?
Das ist ein Song, der viele Sinnbilder enthält, was Mut alles sein kann. Es hat sehr viel mit Alltag zu tun. Es geht gar nicht um Superlative, sondern darum, ob man sich selbst traut, unangepasst zu sein und für Dinge einzustehen, für die es nicht nur Applaus gibt. So wie Greta, die sich durch alle Widrigkeiten durchkämpft und von irgendwelchen alten weißen Männern Gegenwind bekommt, obwohl sie die idealistische Vorstellung hat. Sie gehört zu den Menschen, die die Welt von morgen gestalten.
Damit geht es um Eigenverantwortung, oder?
Ja. Es liegt auch an uns selbst. Wie lebt man zuhause? Was braucht man? Was braucht man nicht? Wie konsumiert man? Jeder muss sich an seiner eigenen Nase fassen. Wir sind eine große Spezies. Mensch ist Mensch – da gibt es keine Unterschiede. Wir sind Individuen, aber wir dürfen das Band und die Connection zu den anderen nicht verlieren.
Vieles fokussiert sich halt auf einzelne Schlagworte: Man schaut kurze YouTube-Clips, liest reißerische Schlagzeilen, aber oft fehlt der Hintergrund. Wie siehst du das?
Der Zugang zu vielen Informationen hat ja auch seine Vorteile. Wer Bock auf Wissen hat, hat mehr Möglichkeiten als je zuvor, wenn er verlässliche Quellen hat und gut recherchiert. Aber es gibt inzwischen so viele Quellen, die unwahr sind. Das finde ich schade. Aus Tatsachenberichten werden Katastrophennachrichten gemacht, um möglichst viele Klicks zu generieren. Man braucht heute einfach länger, um an die wirklichen investigativen Informationen zu gelangen. Das macht es für die Heranwachsenden schwieriger als früher. Ich beneide die Jugendlichen nicht um die Vielfalt. Früher haben wir einzelne Songs aus dem Radio auf Tape aufgenommen, weil das Geld gefehlt hat. Heute ist alles verfügbar. Der Wert von Dingen setzt sich viel daraus zusammen, dass man selber Zeit und Mühe investiert. Gute Musik hören, gute Bücher lesen, gute Gespräche führen, tolle Abende mit Freunden haben – dafür müssen wir uns Zeit nehmen. Es ist das Feinstoffliche, Mimik und Gestik, was uns auszeichnet.
Vielen Dank, liebe Alexa, für das ausführliche Gespräch. Ich wünsche dir und uns ein schönes Konzert heute Abend in der Gebläsehalle und freue mich sehr drauf.
Unser besonderer Dank geht an die Promoterin Sabine Bringmann und an Moritz Bremer von Neuland Concerts für die Vermittlung des Interviews. Außerdem natürlich an Tourmanager Nino Skrotzki für die hervorragende Betreuung vor Ort.
Am Abend durften wir ein fantastisches Konzert von fast 150 Minuten Dauer erleben, das uns durch zum Teil sehr atmosphärische aber auch äußerst tanzbare Songs führte. Alexa war in ihren Ansagen sehr gesprächig und stand in engem Kontakt zum Publikum. Besonders hautnah wurde es, als sie zur Hälfte des Sets ein Piano mitten in der Zuschauermenge aufsuchte und begleitet von der E-Gitarre einige Stücke zum besten gab. Das Konzert endete mit drei Zugaben und entließ viele frohe und emotional berührte Menschen in die Nacht, während Alexa noch weiter ihre Fannähe zelebrierte und lange Zeit für Autogramme und Selfies zur Verfügung stand.
Setlist – Alexa Feser, „A!“ Tour, 10.10.2019 – Neue Gebläsehalle Neunkirchen/Saar
Gold reden
in diesem Moment
Das Tempo von Rost
Haie
Paradies im Kopf
Abgeholt
Sterne
Ich bleibe
Tempelhofer Feld
Das Gold von morgen (akustisch)
Herz aus zweiter Hand (akustisch)
Wir sind hier (akustisch)
Atari T-Shirt
Glück
Lola rennt
Peter Pan
Mensch unter Menschen
Mut
Abschiedslied
1A
Medizin
Bei 10 wieder oben
Wunderfinder