Es ist nicht nur dringend erforderlich, den vorliegenden Release auf unsrer Site zu reviewen, weil das Cover vom Musicheadquarter-Topfotografen Simon Engelbert stammt, sondern auch, weil BAP sich seit Jahrzehnten immer wieder neu erfinden und gerade ihre Livealben echte Zeugen der Zeitgeschichte sind. Sei es „Bess demnähx“, das 1983 den deutschlandweiten Erfolg der Kölschrocker zementierte, oder die unplugged-Show „Das Märchen vom gezogenen Stecker – live“, die den Namenswechsel von BAP zu Niedeckens BAP vollzog.
Erstaunlich, dass seit 2009 fast im Zwei-Jahres-Rhythmus ein neuer Mitschnitt erscheint. „Lebenslänglich im Heimathafen Neukölln“ ist am 16.11.2016 erschienen – und pünktlich zum diesjährigen Weihnachtsfest gibt es den neuen Release. Das letzte Studioalbum Niedeckens war ein Soloalbum namens „Reinrassije Stroossekööter“, das er seiner Familie gewidmet hat. Inzwischen spielt es ja keine Rolle mehr, ob Wolfgang Niedecken ein Album unter seinem eigenen Namen oder dem Bandnamen BAP veröffentlicht. Die Grenzen verschwimmen schon lange – und nach den Umbesetzungen der Band spielt auch die Trennschärfe keine Rolle mehr.
Der Mitschnitt entstand im Münchner Circus Krone. Es gibt eine Bläser-Sektion. Allein das macht die aktuelle Konzertreihe schon zu etwas Besonderem. Und das Ergebnis mit den neuen Arrangements klingt erstaunlich ausgereift – auch auf dieser Aufnahme. Jener Abend sei etwas ganz Besonderes gewesen, erinnert sich Niedecken. „Wir hatten uns schon am Vortag bei einem ersten Konzert im Circus Krone wunderbar warm gespielt und waren nun bei der zweiten Show, bei der von Sound bis zur Begeisterung des Publikums einfach alles stimmte.“ Zudem standen an diesem Abend auch drei bayerische Weggefährten als Gäste auf der Bühne, Werner Schmidbauer, Martin Kälberer und Hannes Ringlstetter, die mit einer bajuwarisch-kölschen Co-Produktion überraschten, einer umwerfenden Version von Bob Dylans Basement Tapes-Hymne „You Ain’t Going Nowhere“.
Der Rest des Programms ist eine wundervolle Standortbestimmung der Band. Vieles ist sehr melancholisch gehalten. Dann ziehen wieder die Bläser an und es gibt laut arrangierte Parts. Meine persönlichen Highlights sind „Anna“, „Wie schön dat wöhr“ und „Do kanns zaubere“ (das hier endlich komplett gespielt wurde). Das Akustik-Set mit Anne de Wolff am Cello finde ich sehr berührend.
Nur zum Ende hin verliert sich das Konzert in einigen Country-Rock-Arrangements, die den Aufnahmesessions des vergangenen Jahres in New Orleans geschuldet sind. Trotzdem bietet die Doppel-CD ganz großes BAP-Kino und gehört definitiv zu den besten Live-Releases der Band. Nicht so kultig wie „Bess demnähx“ (damit hat auch keiner gerechnet), aber allemal stärker als „Affrocke“ und „Övverall“.