Wenn man moderne Kindermusik hört, geht es heutzutage doch oft sehr wild und laut zu. Das mag in vielen Fällen ganz hilfreich sein und bringt dem Nachwuchs rockige, beschwingte und weltmusikalische Klänge mit kindlicher Treffsicherheit näher. Doch manchmal wünscht man sich auch mal wieder ruhige und besinnliche Klänge, wie es sie früher oft in den Werken von Rolf Zuckowski gab.
Die Schweizer Sängerin Jaël hat ihr Kindermusik-Album „Sensibelchen“ zunächst als „Sensibeli“ in Schweizer Mundart veröffentlicht – doch jetzt ist es auch auf Hochdeutsch erschienen. Das Album richtet sich an hochsensible oder hochsensitive Kinder sowie deren Eltern und liefert 13 wunderbare Lieder, die Kindern vermitteln, dass sie okay sind, wie sie sind.
Die einfühlsamen und außergewöhnlichen Musikproduktion ist für Kindermusik untypisch – verträumt und ruhig. Es geht um Schüchternheit, Fantasien und Ausgrenzung. Es geht auch darum, Verständnis für Kinder aufzubauen, die sich nicht in die Mitte des Geschehens werfen, sondern gern vom Rand oder aus einer sicheren Position heraus am sozialen Leben Teil haben. Und es geht um die vielen kleinen und großen Fragen, die besonders feinfühlige Menschen und Kinder stellen.
Zum wissenschaftlichen Hintergrund: Jaël greift damit das Thema Hochsensivität auf, das ihr persönlich am Herzen liegt, aber sie benennt auch etwas, das sozusagen in der Luft lag, durch die (sozialen) Medien ging, das seit Jahrhunderten immer wieder die Gemüter bewegt. Ca. 20 – 30 % aller Menschen, dazu gibt es nur Schätzungen, können sich als „hochsensibel“ oder „hochsenitiv“ bezeichnen. Das ist keine Diagnose, sondern eine Selbsteinschätzung durch wissenschaftliche Tests. Für viele Erwachsene ist es, ohne sich selbst pathologisieren zu wollen, eine große Erleichterung zu erfahren, dass es vermutlich eine genetische Ursache für ihre hohe Reizempfindung gibt und dass sie damit nicht allein sind. Viele von ihnen haben auch schon längst in den Suchmaschinen gesucht, ob ihre Kinder nicht vielleicht „Kandidaten“ sein könnten.
Jaël hat sich in den 13 neuen Liedern in die Seele der kleinen sensiblen Menschen versetzt, in ihre Bedürfnisse und Träume und in ihre kleinen Verletzlichkeiten. Ihre Stimme bleibt dabei immer stark und tragend wie ein roter Faden, an dem man sich festklammern kann. Die stillen Popballaden für Kinder und deren Eltern sind zurückhaltend instrumentiert und nie zu still, sie erinnern an die dezidiert zurückhaltende Beth Gibbsons von Portishead, die sich unvergesslich in die Musikgeschichte eingeschrieben hat. Vielleicht macht das auch den besonderen musikalischen Reiz des Albums aus: Es geht um ein sensibles Thema. Dazu braucht es eben jemanden mit großer Stimme und hoher Textfähigkeit, die es damit aufnehmen kann, um es für alle da draußen sichtbar zu machen. Jaël ist das auf wunderbare Weise gelungen.
Dabei muss man die CD gar nicht als Therapie-Instrument sehen. Es sind einfach tolle Lieder voll Melancholie und Sanftheit. Die Balladen beantworten auf schöne Art philosophische Grundfragen („Warum wieso“) und regen die Fantasie an wie eine Traumreise („Stell dir vor“). Hinzu kommt die Hardcover-Aufmachung mit einem Booklet, das zugleich ein kleines Kinderbuch ist. In dieser Veröffentlichung steckt unheimlich viel Liebe – und es gehört zu den schönsten Kinderliederalben, die ich kenne.