In ihrem neuen Album suchen Riverside eine Antwort auf die Frage nach ihrer eigenen Identität. Nach den beiden ersten Hördurchgängen findet man nur noch wenige Gemeinsamkeiten zu den ersten Alben. Riverside machen eine Entwicklung durch, überraschen im Opener auch mit elektronischen Klängen.
In 54 Minuten nehmen sie den Hörer auf eine Klangreise mit, singen über diese seltsamen Zeiten, in der wir uns alle gerade befinden. Sind wir noch authentisch oder spielen wir eine Doppelrolle?
Das Album selbst hat Live-Charakter, obwohl es sich um ein Studioalbum handelt. Dennoch ist die Dynamik ihrer Liveshows spürbar. Die Band nimmt aber Abschied von der Traurigkeit und Melancholie, welche die vergangenen Alben bestimmt hat. Das neue Album ist definitiv der Beginn eines neuen musikalischen Weges.
Die Band hat sich offensichtlich erholt vom Tod ihres Gitarristen Piotr (er starb 2016). Der bandtypische Rock-Metal-Klang ist zwar noch vorhanden, aber in einer überarbeiteten und dynamischeren Form. Die Band klingt auf dem neuen Album selbstbewusster, was dem Konzept und den Texten geschuldet ist.
Auffallend ist auch das neue grafische Design, das Cover erinnert an ein Graffiti. Es präsentiert perfekt das neue Konzept der Band und repräsentiert gleichfalls den früheren Stil der Band. Meine Anspieltipps: „Friend or Foe?“, „I’m done with you“. Das Album erscheint am 23. Januar 2023.
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Die Kulturfabrik im luxemburgischen Esch/Alzette ist immer wieder für wundervolle Progressive Rock Abende gut. Ein schönes Ambiente und eine Halle mit guter Akustik, die auch mit einigen hundert Besuchern gut gefüllt wirkt, sprechen für sich.
Am Mittwoch zogen gleich zwei Vorzeigebands des Genres das Publikum nach Esch. Den Anfang machten iamthemorning aus St. Petersburg (Russland) mit der hervorragenden Sängerin Marjana Semkina.
Getragen von dem aktuellen Album “The Bell” gab es (nach den Worten von Marjana) einen sehr stimmungsvollen Set mit “songs about pain and death and dead people”. Man durfte also viel Traurigkeit und Melancholie erwarten.
Ganz so düster war es dann aber doch nicht. Die Vokalistin bestach durch eine sehr variable Stimme, von hoch und sanft bis hin zu tiefen und vor allem sehr energischen Klängen. Traumwandlerisch und barfuß beherrschte sie das Geschehen auf der Bühne und war 45 Minuten lang äußerst präsent.
Der Set war durch die Begleitung mit Cello und Piano sehr klassisch angelegt, hatte aber auch verjazzte Passagen. Hinzu kam ein formidabler Percussionist, der seine Instrumente sehr variantenreich spielte.
Alles in allem waren iamthemorning viel mehr als ein “support act”. Wundervoll, was sie hier zu bieten hatten – belohnt mit viel Applaus von einem begeisterten Publikum. Das aktuelle Album ist wärmstens zu empfehlen.
Nach diesem stimmungsvollen Set ging es um 21:15 mit dem Hauptact los.
Nach der sehr erfolgreichen Wasteland-Tour im Laufe des Jahres haben die Polen um Mariusz Duda noch eine „German Edition“ als Zugabe mit acht Terminen raus gehauen, wobei die Kulturfabrik in Esch-sur-Alzette nicht so wirklich in die „German Edition“ passte.
Ein Großteil des Programms fiel auf Stücke des siebten Studioalbums „Wasteland“. Doch auch ältere Stücke wie das wundervoll tränendrückende „Lost“ und die Kracher „Panic Room“, „Out Of Myself“ sowie das vom Publikum immer wieder gerne geschmetterte „Left Out“ wurden präsentiert.
Riverside gastierten zum zweiten Mal im kleinen Ländchen nach ihrem 2007er Supportact für Dream Theater. Mariusz Duda nahm dies zum Anlass mit dem aufgedrückten Label der „Progressive Metal“-Band zu hadern und zu brechen. Um die Progjünger nicht zu verprellen, werden die ganzen Ausführungen hier nicht wiedergegeben.
Als Quintessenz stellte der charismatische und zum Scherzen aufgelegten Sänger fest: „Die Menschen auf der Straße und auch meine Tochter sagen, Progressive Rock ist für alte Menschen. Der Unterschied von Riverside zu Progressive Rock Bands ist, dass man sich mit Riverside jünger fühlt.“ Das war dann auch das Startzeichen für das Publikum, dem Geburtstagskind (Mariusz Duda) ein Ständchen zu singen, wobei eine kleine Gruppe anwesender Landsleute ein besonderes polnisches Geburtstagslied anstimmte.
Die Band zeigte sich mal wieder voller Spielfreude, viel Kontakt zum Publikum (Michal war in Flirtlaune, Mariusz hatte vor dem Konzert Sprechperlen gefuttert) und zur Überraschung vieler wurde auf der Bühne gescherzt, improvisiert und gejammed. Mit jeder Tour nehmen die Livequalitäten des Vierers zu und es bleibt zu hoffen, dass sie noch lange weiter machen und hervorragende Studioalben für zukünftige Touren produzieren werden.
Hier in kompetenten Stichworten die Erfahrungen unseres neuen Mitarbeiters Alexander Moell mit dem GLOOMAAR Festival:
soup @ Gloomaar Festival, Neunkirchen, 2018/11/17
Nach den leider verpassten und gelobten Openern von Flares, gab es als Einstieg die Norweger von soup. Mit ihrem ruhigen, skandinavischen Artrock, der zu gefallen wusste und in einer Linie mit ihren Kollegen von Gazpacho steht. Hier geht ein eindeutiger Tipp an WiV Entertainment GmbH für das Night of the Prog Festival – Loreley Amphitheater 2019.
DOOL @ Gloomaar Festival, Neunkirchen, 2018/11/17
Mit DOOL ging es mächtig nach vorne. Nach den melancholischen Klängen von soup waren harte und düstere Töne der Niederländer angesagt, die (wie sie selbst sagen) von Bands wie The Sisters of Mercy, Fields Of The Nephilim und Danzig beeinflusst sind. Auch Tiamat-Anleihen waren zu vernehmen. Für die Vielfalt eines solchen Festivals spricht das Booking auch solcher Bands und wurde mit reichlich Beifall der Heavy-Anhänger und vereinzelten Kuttenträger belohnt.
Die Tundra gilt als eine offene und baumlose Landschaft – und wer diese Band am Samstag live erlebt hat, weiß, dass dort keine Bäume mehr wachsen, wo diese brachiale und energiereiche spanische Postrock-Band hinlangt. Wo sich die deutschen Long Distance Calling mit ihrem Album Trips in die poplastigere Verspieltheit hinbegeben und mit “Boundless” wieder zu alter Postrock-Stärke zurückgefunden haben, gehen die Spanier weiter und machen ihrem Namen alle Ehre. Sie zelebrieren den kargen, straighten Rock, der dem Publikum des Festivals ein fettes Grinsen ins Gesicht meißelt.
And So I Watch You From Afar @ Gloomaar Festival, Neunkirchen, 2018/11/17
Die Band mit dem langen Namen und dem Ruf einer hervorragenden Postrock-Band hatte beim diesjährigen Festival einen schweren Stand. Nicht wegen der starken “Konkurrenz” von Toundra, sondern wegen massiver technischer Probleme. Kurzer Hand mussten die Oranges von Rory Frier gegen Marshalls ausgetauscht werden, weil einfach gar nichts mehr helfen wollte. Aber seine Bandkollegen bauten eine massive Wall of Sound auf, um alle Probleme dieser Bühne wegzupusten und kommentierten im typisch britischen Humor, dass das ihr bisher miesester Gig sei. Nach all dem hielt es die Jungs von der Insel nicht mehr und sie gingen derb mit brachialer Gewalt und Gefrickel in die Offensive. Wer musikalischer Gewalt und Gefrickel frönt, sollte sich einen Gig dieser Combo nicht entgehen lassen.
Riverside?! Was soll man zu ihnen noch sagen? Eine Band, die in ihren schwersten und dunkelsten Stunden nicht in Lethargie verfallen ist, sondern Trauer und Wut in Lebensfreude und Musik umgewandelt hat. Und zwar in ein wahnsinnig starkes Stück Musik namens “Wasteland”. Das spiegelt sich auch in ihren Auftritten wieder: Spielfreude, Humor, Zusammenspiel auf der Bühne und Erinnerungen an einen geliebten Freund und Kollegen. Es waren die neuen Stücke, wie auch die Klassiker (“Panic Room”), die das Publikum in ihren Bann zogen. Leider war den Zuhörern und Zuschauern nur ein verkürztes Festival-Set vergönnt, auch wenn die Lust auf mehr vorhanden war – nicht nur beim Publikum. Aber 2019 naht und eine Deutschlandtour ist angekündigt.
[zum Festival]
Mit solch einem vielfältigen und abwechslungsreichen Programm könnte sich ein Grower für die Post- und Progszene in Deuschland für die Hallensaison entwickeln. An die Organisatoren und Macher des Gloomaar Festival: Macht weiter so! – Es war mir ein FEST!!!
Mariusz Duda ist nicht nur Kopf der polnischen Progrock-Band Riverside, sondern auch der Mann hinter dem Ein-Mann-Projekt Lunatic Soul, das sich eher den leiseren elektronischen Tönen in verschiedenen Schattierungen widmet. Das im Oktober erschienene vierte Album „Walking on a Flashlight Beam“ hat es nun auf Anhieb auf Platz 7 der polnischen Charts geschafft – eine absolute Überraschung für ein Liebhaberprojekt, das keine kommerziellen Absichten verfolgt. Im Interview erzählt Duda, wie er mit dem Erfolg umgeht und was ihn zum Projekt Lunatic Soul bewegt hat und wie es aus seiner Sicht heutzutage um Musik und Musiker bestellt ist.
Hallo Mariusz, wie ist es für dich, dass es bis dato keine einzige Rezension zu geben scheint, die auch nur irgendwas an deinem neuen LS-Album „Walking on a Flashlight Beam“ auszusetzen hat? Alle überschlagen sich mit Lob und Begeisterung …
Mariusz: Ich kann es mir nur so erklären, dass die Hater entweder schlafen oder nicht wissen, dass es Lunatic Soul gibt. Ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die negativen Stimmen sich melden. Ich bin unglaublich überrascht über dieses Feedback, denn ehrlich gesagt hab ich dieses Album nicht für ein Publikum geschrieben. Es war eher als eine Art Überlebenstherapie gedacht. Nach der Fertigstellung war ich froh, dass das Ergebnis besser war, als ich gedacht hatte. Ich hoffe, das bedeutet für das nächste Album nicht, dass ich in dem selben ungesunden mentalen Zustand sein sollte, um so kreativ zu sein … Aber ja, jetzt freue ich mich einfach, dass es den Leuten so gut gefällt und ich finde auch, dass es wirklich ein cooles – und kaltes – Album geworden ist.
Was bedeutet für dich Lunatic Soul im Gegensatz zu Riverside, die ja mittlerweile eine etablierte und populäre Band ist?
Mariusz: Bei Riverside geht es um eine gute Rockband mit guten, hörbaren Melodien und coolen Shows. Riverside ist mein Job, mit dem ich mein Leben bestreiten kann. Dank Riverside können wir Shows spielen und Geld verdienen – Tourneen sind ja mittlerweile der einzige Weg, um mit Musik Geld zu verdienen, denn Dank Spotify und anderen Streaming-Portalen gehen die Tonträger-Verkäufe abwärts. Lunatic Soul ist nur ein Studioprojekt, das nicht auf Tour gehen muss. Ich muss keine Konzerthallen vollkriegen. Bei Lunatic Soul geht es nur um meine persönliche Entwicklung als Musiker. Das Projekt hilft mir, ein besserer Musiker zu werden und auf die Suche nach Originalität zu gehen. Das ist schwierig, wenn man das Gefühl hat, dass musikalisch schon alles gesagt und getan worden ist, aber ich kann es als Lunatic Soul ausprobieren. Es gibt dort Raum für musikalische Experimente, die man nicht in Schubladen stecken kann – es ist schwierig zu sagen, ob Lunatic Soul Progrock, Ambient, Folk, orientalische Musik oder Filmmusik macht. Und genau darauf bin ich stolz.
Heißt das, dass wir dich nie mit Lunatic Soul live sehen werden?
Mariusz: Eines Tages bestimmt, aber nicht, weil ich damit Geld verdienen möchte oder muss. Ich bin einfach gespannt, wie die Leute darauf reagieren, wenn Lunatic Soul live spielt.
Dieser Lunatic Soul, diese verrückte Seele, bist du das selbst?
Mariusz: Man könnte sagen, dass Lunatic Soul mein dunkles Alter Ego ist. Ich wollte von Anfang an Musik machen, die vielschichtig und tiefgehend ist, über Musik hinausreicht und ins Metaphysische hinein. Das Projekt ist sehr stark beeinflusst von Dead Can Dance oder Peter Gabriel, deren Werke für mich über bloße Musik hinausgehen. Das gilt auch für Riverside übrigens. Selbst die einfachen Melodien dürfen nie seicht rüberkommen, es muss immer mehr da sein. Und dieses Mehr ist für mich sehr wichtig. Bei Lunatic Soul gehe ich noch viel weiter, was dieses Mehr angeht, vielleicht manchmal soweit, dass die Menschen beim Hören verstört sind.
Ist ein bisschen Verrücktsein wichtig, um ein Künstler zu sein?
Mariusz: Ich bin zum Glück nicht verrückt, ich habe mein Leben doch ziemlich im Griff. Manchmal habe ich vielleicht Phasen, in denen ich mich auch mal zurückziehen muss, um kreativ zu sein. Ein Freund von mir, der Taxifahrer ist, erzählt mir mal, dass Mozart und Bach auf ihre Weise Autisten waren. Sie waren so sehr auf die Musik fokussiert, dass sie nichts anderes interessiert hat und sie ihr Leben teilweise ruiniert haben. Vielleicht muss man also ein bisschen verrückt sein, um kreativ zu sein. Es ist allerdings für Künstler heutzutage sehr schwierig geworden, denn sie haben oft diesen Freiraum nicht. Sie müssen sich gleichzeitig noch um viele andere Dinge kümmern und können nicht einfach nur Künstler sein. Die Fans haben sich in den letzten Jahren Dank der sozialen Medien daran gewöhnt, dass es so eine Art Kontakt gibt mit den Künstlern. Wenn du deine Musik verkaufen willst, musst du immer auf dem Schirm haben, ob die Musik kompatibel ist mit den Zuhörern. Du stellst dir also immer wieder die Frage: Will ich die Platte machen, die die Leute hören oder die Platte, die nur drei Leute hören. Dieser Druck macht es nicht gerade einfach, kreativ zu sein. Vielleicht hilft es also manchmal ein bisschen verrückt oder autistisch zu sein und sich um die Sachen keine Gedanken zu machen. Es schützt einen wie ein Schutzpanzer davor, sich dauernd darüber Gedanken zu machen, ob man jetzt noch was auf Facebook schreiben muss oder nicht. Ich mache das natürlich auch, aber erst, wenn ich kreativ war und ein wenig Zeit übrig ist.
Der Mensch, dessen Gedanken wir auf deinem Album kennenlernen, ist ja auch einer, der sich ganz zurückgezogen hat aus der Welt, der sich eingeschlossen hat in einem Raum.
Mariusz: Ich bin selbst umgeben von Büchern und Filmen und Musik, schon als Kind haben mir diese Dinge viel bedeutet – und in dem Riverside-Song „Deprived“ geht es auch darum. Ich brauche auch die Zeit, um mich mit diesen Dingen zu beschäftigen und manchmal ziehe ich das dem sozialen Leben vor, also mit Leuten Bier trinken zu gehen oder Ähnliches. Aber ja, ich versuche auch da, eine Art Gleichgewicht zu finden und nicht zu sehr abzudriften. Die Person in dem Album ist natürlich die extreme Variante davon, ich bin zum Glück selbst nicht so. Sehr viel meiner Inspiration habe ich da von dem polnischen Journalisten Tomasz Beksiński, der im Alter von 41 Jahren Selbstmord beging. Er hatte irgendwann beschlossen, nur noch einer fiktiven Welt zu leben. Und das Thema fand ich interessant. Daher befassen sich die Texte mit jemandem, der nur noch in einer Welt der Fiktion lebt. Mann könnte es quasi als Prequel zum schwarzen Luantic Soul Album verstehen, in dem es um den Tod geht.
Ich selbst bin wie gesagt nicht so ein Typ, ich ziehe zwar gerne auch mal die Vorhänge zu, um in Ruhe Computerspiele zu spielen, aber ich bin kein Vampir, auch wenn ich die Dunkelheit mag. Das Thema spricht mich eben an. In Japan z.B. gibt es ja auch dieses Phänomen, das als Hikikomori bezeichnet wird. Da schließen sich erwachsene Menschen in ihren eigenen Räumen ein und haben keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Ich glaube, dass das mitunter das Ergebnis dieser hyperaktiven Zeiten ist, über die ich schon in Riverside-Songs geschrieben habe.
Ein ziemlich düsteres und ernstes Thema, zu dem auch die düstere, kalte Musik auf dem neuen Album passt. Wie reagierst du darauf, wenn da Vergleiche kommen mit Nine Inch Nails oder Cure oder Depeche Mode?
Mariusz: Das finde ich okay, denn die Leute müssen immer etwas zum Vergleichen haben. Als ich früher mit meiner ersten Band Musik gemacht habe, gab es da diesen Hausmeister, der nur The Police und U2 hörte. Und immer wenn er beim Proben die Tür aufmachte, sagte er: „Oh, das klingt wie U2!“ oder „Oh, das klingt wie The Police!“ Man hört also immer erstmal die Musik raus, die man halt kennt. Auf jeden Fall wollte ich auf diesem Album aber einen kalten Sound kreieren, und das passt in der Tat zu so Alben wie Depeche Modes „Songs of Faith and Devotion“ oder Cures „Faith“. Es tut mir eher weh, wenn jemand mit Storm Corrosion (Anm. der Red.: dem Gemeinschaftsprojekt von Steven Wilson und Mikael Åkerfeldt von Opeth) ankommt, da ich diese Musik schon gemacht habe, bevor Storm Corrosion überhaupt aufkam. Ansonsten sind diese Vergleiche schon okay und hilfreich. Und diesmal sind es vor allem viele neue Bands, mit denen meine Musik verglichen wird. Das zeigt, dass ich mein Ziel erreicht habe, etwas anderes zu machen als zuvor.
Neben den Texten und der Musik gibt es ja noch diese visuelle Komponente, die zeigt, dass es sich bei dem Album um ein ganzheitliches Konzept handelt. Das Artwork im Booklet, die wunderschön gemachten Trailer auf der DVD, die Teaser, da gibt es noch eine eigene Bildsprache, in die viel Arbeit geflossen ist.
Mariusz: Das ist für mich auch sehr wichtig, weil das Visuelle meiner Meinung nach zu der Musik gehört. Das klappt bei Lunatic Soul viel besser als bei Riverside, wo wir auch viele Fehler gemacht haben. Ich habe diesmal auch zum ersten Mal einen Dokumentarfilm zum Entstehen des Albums gemacht (Anm. d. Red.: weswegen es sich unbedingt lohnt, die DVD-Version des Albums zu holen). Trailer und Teaser wie hier haben wir für Riverside nie gehabt, aber das lag daran, dass wir nicht den richtigen Mann dafür gefunden hatten. Er mag Lunatic Soul mehr als Riverside und wir konnten uns schnell über das Visuelle einigen und eine eigene Sprache finden. Es ist schön, eine Art Seelenverwandten gefunden zu haben.
Wie geht es jetzt weiter?
Mariusz: Ich werde weiterhin daran arbeiten, etwas zu erschaffen, das vielleicht sogar kommerziell genug und erfolgreich ist und trotzdem künstlerisch anspruchsvoll. Ich würde gerne etwas erschaffen, was ehrgeizig und interessant ist und etwas hat, das dich dazu zwingt, immer wieder zurückzukehren. Das ist die Herausforderung – etwas zu erschaffen, was der Musikhörer mag aber auch genauso die normale Hausfrau.
Du wirst ja jetzt erstmal wieder mit Riverside an einem neuen Album arbeiten. Wird der Erfolg der neuen Lunatic Soul irgendeine Wirkung auf den Sound der neuen Riverside haben?
Mariusz: Ja, ich glaube schon. Wir haben heute schon wahrscheinlich den ersten Track des neuen Albums gemacht. Die Schlagworte, die ich mir notiert hatte, waren Hoffnung und Licht und Raum. Zuerst wollte ich eigentlich auch bei Riverside etwas dunkleres machen, aber ich glaube, ich werde Dank Lunatic Soul mehr Licht in Riverside reinbringen. Ich spreche nicht davon, fröhliche Musik zu machen, aber etwas, was mit Licht, Hoffnung und Kraft zu tun hat. Und ich bin auch nicht daran interessiert, Metal oder Retroprog zu machen, was momentan alle machen. Ich will auch bei Riverside jetzt etwas Originelles und Neues erschaffen, denn die Arbeit an Lunatic Soul hat etwas in mir freigesetzt.
Danke, lieber Mariusz! Ich freue mich schon auf das neue Riverside-Album!
Nach der Regenschlacht vom vergangenen Jahr hatte das traditionelle Festival an der Burg Herzberg wahrlich gutes Wetter verdient. 2012 mussten die Landwirte der Umgegend aktiviert werden, um Fahrzeuge auf die Zeltplätze zu schleppen und später wieder raus zu holen. Nächtelang hörte man die Motoren dröhnen – aber das Festival konnte stattfinden und war wie immer ein Zeugnis von Gemeinschaft und Zusammenhalt. Trotzdem hatte das die Veranstalter auf eine harte Probe gestellt, war der Aufwand doch mit hohen Kosten verbunden. Umso erlösender die Nachricht, dass das Event auch 2013 stattfinden kann. Mit ordentlichem Line-up und (wie sich in den mittleren Juli-Tagen herausstellte) unter hervorragenden Wetterbedingungen. Es war den rührigen Leuten vom Herzberg-Team mehr als gegönnt.
Foto: Horst Müller
Alteingesessene Besucher waren bereits seit Dienstag vor Ort, das Festival startete donnerstags, ich selbst traf erst am Freitag ein. Strahlender Sonnenschein, ein aufgeräumter Zeltplatz, die gewohnt hervorragende Infrastruktur. Ich weiß, dass für viele Besucher, die der Hippie-Kultur frönen, der musikalische Aspekt nur eine untergeordnete Rolle spielt, doch es darf wieder gesagt werden, dass es einige Hochkaräter zu bestaunen und einige Perlen zu entdecken gab.
In der Nachmittagshitze hatte es sich die Band um den Bluesgitarristen Bassekou Kouyate auf der Bühne bequem gemacht und unterhielt mit einer bunten Mischung aus westafrikanischem Blues und weltmusikalischen Elementen. Hier standen das Beherrschen der Instrumente und die Verbreitung entspannter Stimmung im Vordergrund. Ein perfektes Ensemble für den durstigen Nachmittag.
Foto: Horst Müller
Um 18 Uhr standen dann die Progrocker Riverside aus Polen auf der Bühne. Gerne wird das Quartett um Mariusz Duda mit Bands wie Marillion, Porcupine Tree oder gar Pink Floyd verglichen. Und tatsächlich haben sie in den letzten Jahren einen immer höheren Grad an musikalischer Perfektion erreicht. Die Reise geht vom psychedelischen Prog der 70er über Blues und Jazz bis hin zu den rockigen, bisweilen gar metallischen Klängen der Gegenwart. Dies bewiesen sie auch im Rahmen des Festivals und legten einen klanglich perfekten Auftritt hin. Mariusz ist kein Exzentriker auf der Bühne, aber er besticht immer wieder durch sein Können. Das brachte die Zuschauer nicht zum Tanzen, aber oft genug zum Staunen. So funktioniert Prog – ob man will oder nicht.
Foto: Horst Müller
Steve Hackett war der zweite Topact am Freitag. Wenige Tage später musste ich im Rolling Stone lesen, dass er “die schlimmste Musik der Welt” fabriziert. Obacht! Natürlich ist das ellenlange Instrumental-Gedudel großer Progwerke nicht jedermanns Sache. Natürlich bewegen sich manche Prog-Götter nur sporadisch auf der Bühne und schwelgen darüber hinaus in elegischen Passagen. Aber Hackett? Gerade, wenn er mit der Genesis-Show unterwegs ist? Er hat einen charismatischen Sänger bei sich, der auffällt, der die Bühne einnimmt und einen extrovertierten Peter Gabriel gibt. Manchem mag das affig erscheinen, doch es passt zu der Musik, die man darbietet. Hier leben die Genesis der 70er Jahre weiter und es macht große Freude, Klassiker wie “The Musical Box”, “I Know What I Like” und vor allem das halbstündige “Supper’s Ready” vom Gitarrenmeister himself zu hören.
Foto: Horst Müller
Der Abschluss mit Agitation Free und Orange lud dann wieder mehr zum Schwofen ein. Die Atmosphäre am Ende des heißen Tages war sehr entspannt und man konnte sich umso mehr auf den interessanten Samstag freuen. Der begann für mich mit den gitarrenlastigen Cactus und einer furiosen Rockshow in der Sonne. Die Musiker standen meist mit Sonnenbrillen auf der Bühne, um das grelle Licht zu ertragen. Die Zuschauer freute es hingegen, dass die Sonne auf den Rücken brannte und nicht das Sichtfeld einengte.
Erstes Highlight am Samstag waren The Levellers. Die Briten halten seit Ende der 80er Jahre den Geist des Folkrock hoch und übertragen ihn locker in die Gegenwart. Musik mit Banjo und Fiddle, viele akustische Elemente, eine raue Stimme, viel Kraft, viel Mut und eine Menge musikalischer Einfälle zeichnen die sechs Musiker aus. Hymnen wie “What A Beautiful Day” luden die Zuschauermassen zum Tanzen ein und verwandelten die Wiese zu einem einzigen großen Fest. Die Darbietung war perfekt und erreichte ihren Höhepunkt mit Einsatz eines Didgeridoos, der das Geschehen mit basslastiger Klangfülle zur Vollendung brachte.
Foto: Horst Müller
Die hochgelobten Gov’t Mule waren dann so gar nicht mein Fall. Ihr Southern Rock begleitete den sonnigen Tag über den Sonnenuntergang hinaus, war aber in seiner eintönigen Ausrichtung auch recht langweilig. Die Songs erreichten ständig Überlänge (10+) und das, was ich beim modernen Prog so liebe – nämlich dass man nur schwerlich auf den Punkt kommt – war hier ziemlich nervig. Das Geschehen auf der Hauptbühne fand aber genug begeisterte Fans. Für viele war es also genau das Richtige.
Fast um Mitternacht traten dann endlich Crippled Black Phoenix auf die Bühne. Zu meiner Schande muss ich gestehen, diese famose Band bisher nicht live gesehen zu haben. Das ging vielen Anwesenden so und die Truppe nutzte ihre Chance, ein aufnahmefähiges Publikum zu verzaubern. Hymnische Klangkonstruktionen, filigrane Balladen und durchaus psychedelische Klänge lassen mal wieder Erinnerungen an die seligen Pink Floyd hoch kommen – und auch CBP gehören zu den Bands, die diesen Vergleich verdienen und sich ihm stellen können. Die atmosphärische Dichte des Auftritts war einfach fantastisch und wohl keiner wird bereut haben, das Träumen am Lagerfeuer noch ein wenig aufzuschieben.
Ich war meist vor der Hauptbühne zu finden. Das Lesezelt hatte die richtigen Autoren zur falschen Zeit, die Protagonisten auf den kleinen Bühnen wurden beim leichten Antesten meist zu Ohrenquälern. Allerdings fanden sie immer ihr begeistertes Publikum – und das ist die Hauptsache. Leider musste ich am Sonntag bereits abreisen, so verpasste ich beispielsweise die Party mit den Spin Doctors. Doch man muss sich seine zeitlichen Kapazitäten nun mal gut einteilen. Zum Entschleunigen haben zwei Tage Herzberg allemal gereicht.
Foto: Horst Müller
Das Herzberg-Festival kann einem schnell ans Herz wachsen. Zehntausend Besucher plus Kinder konnten die Veranstalter vermelden. Also ausverkauft. Zwar würden noch mehr Besucher auf das Gelände passen, doch man will das Konzept nicht überstrapazieren. Kinder unter 14 Jahren sind traditionell frei und es wird einiges für die Kleinen geboten. Der große Spielplatz ist eine Attraktion, ebenso die selbstgebastelten Musikinstrumente und die Konzerte, die man damit gibt. Überhaupt findet viel abseits des großen musikalischen Geschehens statt: Immer wieder findet man Einzelpersonen und Musikgruppen am Wegrand, die sich spontan ein ordentliches Publikum erarbeiten und für manche Lacher sorgen. Mein Kompliment gilt den Veranstaltern, die immer präsent waren und für einen friedlichen Ablauf sorgten. Und auch das Publikum lebte Friede, Freude und biologisch wertvolle Lebensmittel. Die stets präsente Müllentsorgung nicht zu vergessen – so wird man zum Musterbeispiel für ein nachhaltiges Festival.
Dass Riverside meine absolute Lieblingsband ist, kann ich nicht verhehlen. Jahrelang waren sie in der Progrock-Szene ein Geheimtipp. Seit der Veröffentlichung ihres neuen Albums „Shrine of New Generation Slaves” Anfang 2013 gibt es aber keine Zweifel mehr darüber, dass Riverside sich etabliert haben und in der obersten Liga mitspielen.
In den letzten Jahren habe ich drei Interviews mit Mariusz Duda, dem Frontmann und Kopf der Band, gemacht. Es war etwas schwierig, diesmal mit völlig frischen Fragen aufzuwarten, aber nun … wir trafen uns Backstage in Karlsruhe und plauderten bei schwarzem Tee und Gummibärchen.
Mariusz, unser letztes Interview hatten wir drei Wochen bevor „Shrine of New Generation Slaves” herauskam. Da war noch nicht ganz klar, wie das Album ankommen würde. Jetzt sind zwei Monate seit der Veröffentlichung vergangen. Wie waren die Reaktionen?
Mariusz: Also, als wir mit Inside Out zusammenarbeiteten, wurde unser Album „Second Life Syndrome” super promotet. Ich hatte viele Interviews und viel Zuspruch. Die Veröffentlichungen von „Rapid Eye Movement” und „Anno Domini” waren leider überschattet von der Finanzkrise und dem Bankrott von SPV. Wir hatten sehr wenige Reaktionen von den Medien. Aber jetzt ist alles im grünen Bereich. Es gibt unheimlich viel Zuspruch und alle scheinen das neue Album zu mögen. Oder alle sind gute Schauspieler … (lacht) Wir hatten jedenfalls noch nie so wenig negative Reaktionen!
Was ist mit den üblichen Nörglern, die alles Neue zu kommerziell finden?
Mariusz: Naja, manche Leute mögen keine Veränderungen. Manche schätzen es sehr, wenn eine Band sich weiterentwickelt. „Shrine of New Generation Slaves” erinnert wiederum sehr an die Anfänge von Riverside und die Fans von „Out of Myself” z. B. werden sicherlich auch das neue Album lieben, denn es hat den gleichen Vibe.
Merkt man den Erfolg auch an der Anzahl der Leute, die zu euren Konzerten kommen?
Mariusz: Es sind definitiv mehr Leute da, und das ist in Zeiten der Krise ein gutes Zeichen. Bands, die vorher vor 1000 Leuten gespielt haben, spielen jetzt vor 500 usw. Wir haben unsere Zuschauerzahl zum Teil gehalten und zum Teil steigern können. In Paris waren viel mehr Leute da, es waren ungefähr 700 Leute in Köln dabei. In Holland kommen immer mehr Leute zu den Shows. Alles wächst und das find ich gut!
Findest du, dass die neuen Songs live funktionieren?
Mariusz: Du hast sie ja jetzt ein paar Mal live gehört, was meinst du?
Naja, ich finde, sie haben sich seit eurem ersten Gig in Dresden zum Teil verändert, musikalisch und gesangstechnisch, aber das ist ja immer so, wenn Bands ihre Musik live spielen.
Mariusz: Das hat aber auch ein bisschen damit zu tun, dass wir gelernt haben, sie live zu spielen. Der allererste Gig in Dresden war quasi eine große Generalprobe. Denn wir hatten davor 18 Monate lang keine einzige Show gespielt. So nach dem zehnten Konzert hatte ich das Gefühl, dass sich die Songs endlich so anhören, wie sie es von Anfang an hätten tun sollen. Aber ich muss noch ein paar Sachen ändern, und ich denke beim zweiten Teil der Tour wird alles sitzen. Ich hätte auf dieser Tour unheimlich gerne „Deprived” gespielt, aber das funktioniert noch nicht. Wir müssen noch herausfinden, wie. Mit dem Rest bin ich zufrieden. Bei „Depth of Self-Delusion” spielen wir jetzt live zum Beispiel diese verrücken Soli … ich glaube, die Leute merken den Unterschied zu Bands wie Dream Theater. Es geht uns nicht darum, besonders komplizierte Songs zu spielen, wir wollen uns mehr auf die Melodien konzentrieren. Wir wollen uns auch weiterentwickeln. Ich habe keine Lust mehr, dauernd „Second Life Syndrome” zu spielen …
Was war denn bisher auf der Tour das beste Konzert?
Mariusz: Paris war wirklich gut und Köln vor zwei Tagen auch, obwohl wir da technische Probleme hatten. Das Publikum war sehr verständnisvoll. Aber alles in allem war bisher jedes Konzert cool. In Belgien hatte ich zum Beispiel auch Probleme mit der Technik und habe dann ein paar „geflüsterte Schreie” mit dem Publikum gemacht, und das war genial, eines meiner Highlights auf dieser Tour. Das Publikum hat überhaupt super mitgemacht, was für mich ein kleines Rätsel ist, denn wir tun ja nichts Besonderes auf der Bühne. Wir haben keine Animationen im Hintergrund laufen, keine dramatischen Effekte und trotzdem geht das Publikum total mit.
Habt ihr denn schon mal über Videos nachgedacht?
Mariusz: Nein, ich bin kein großer Fan davon, genau das zu spielen, was hinter mir passiert. Ich mag die Spontaneität auf der Bühne lieber.
Ein kleiner Schlenker zu eurem Musikvideo zu „Celebrity Touch”. Bist du zufrieden damit?
Mariusz: Hmm, ich muss sagen, ich bin nicht wirklich mit dem Endresultat zufrieden. Wir wollten ja etwas Einfaches machen, und das ist auch ganz gut gelungen. Aber es ist nicht mein Lieblingsvideo. Ich bin aber auch insgesamt kein großer Fan von Videoclips.
Was wäre der perfekte Tag für dich auf einer Tour?
Mariusz: Oh je, das kann ich alles hier nicht laut sagen (lacht). Wenn ich das alles weglasse, bin ich bei dem Teil, wo wir Backstage sitzen und auf die Show warten … Na gut, also ordentlich schlafen ist immer gut, um ausgeruht auf die Bühne gehen zu können. Und es hilft ungemein, wenn man keine Kämpfe ausstehen muss. Auf dieser Tour ging es zum Teil sehr abenteuerlich zu, ob es nun Probleme mit Transport, dem Equipment oder der Band waren … es ist halt wie in einer Familie, da muss man sich manchmal streiten und dann ist alles auch wieder gut. Manchmal kommt es vor, dass man zusammen auf die Bühne geht und einfach nur angepisst ist. Ich war auf dieser Tour auch noch krank, was nicht wirklich geholfen hat. Der Rest der Band und die Crew waren auch teilweise krank. Das muss man definitiv nicht haben. Heute fühle ich mich zum Beispiel richtig gut, ich bin ausgeschlafen, weil wir uns irgendwo ein Hotel genommen haben. Das tun wir manchmal, um überhaupt mal Schlaf zu bekommen und vielleicht ein schönes Bad zu nehmen!! Ein Bad auf der Tour ist das Beste, was einem passieren kann!!
Ihr werdet im Mai in den Staaten spielen. Bist du aufgeregt?
Mariusz: Ja, nach zehn Jahren ist es jetzt das erste Mal, dass wir in den USA touren werden und ich bin schon sehr aufgeregt. Ich weiß nicht, was uns da erwartet, zumal ich auch noch den Großteil meiner Sachen nicht mitnehmen kann, meinen Verstärker zum Beispiel und die Effektgeräte. Wir müssen das alles dort mieten. Ich hoffe sehr, dass ich es schaffen kann, ohne meine eigenen Sachen gut zu klingen. Die Clubs werden kleiner sein, es ist also wie ein Neuanfang.
Danach geht es ja direkt weiter. Zeit für Urlaub?
Mariusz: Danach werden wir dann noch durch Osteuropa touren und dann kommen die Festivals und dann der zweite Teil der New Generation Tour … puuuh, wir werden dieses Jahr eigentlich nur spielen. Ich weiß nicht, ob es dieses Jahr wirklich Zeit für Urlaub geben wird.
Du hast aber schon angekündigt, dass es dieses Jahr auch noch was von deinem Solo-Projekt Lunatic Soul zu hören geben wird …
Mariusz: Ja, momentan plane ich, zwischen den beiden Touren noch ein bisschen weiter an Lunatic Soul zu arbeiten, vielleicht bis Ende des Jahres eine EP fertigzustellen, und spätestens nächstes Jahr etwas herauszugeben. Ich würde gerne etwas anderes mit LS machen. Die ersten drei Alben waren sehr intim und sanft. Jetzt denke ich darüber nach, eine Band zu gründen und musikalisch in eine etwas kraftvollere Richtung zu gehen …
Eine Tour mit Lunatic Soul???
Mariusz: Ja, vielleicht sogar eine Tour, mal sehen. Sechs Leute auf der Bühne … darüber denke ich momentan nach. Eventuell wäre Michael dabei, wenn wir diese Riverside-Tour überleben …
Warum denn nicht, was wäre das Schlimmste, was passieren könnte … aaaaaah, nein, lass uns nicht darüber nachdenken ...
Mariusz:(lacht) Ehm, ja wir könnten zum Beispiel in Istanbul bleiben, weil diese Stadt so schön ist.
Was findest du am schönsten an Istanbul?
Mariusz: Hmm, die Stadt erinnert mich an eine polnische Stadt (lacht), nur größer. Da gibt es zum Beispiel diese lange Straße mit tausenden Geschäften und Musikläden, dort kann man alle möglichen schönen Spielzeuge, viele „lunatic toys”, finden, seltsame Instrumente usw. Ich will ganz viele Instrumente kaufen für das nächste Album.
Was ist die blödeste und langweiligste Frage, die du bei Interviews gestellt bekommest?
Mariusz: Ganz klar die Frage nach der Entstehung der Band. „Wie hat alles angefangen?” Ich hasse diese Frage. Immerhin haben wir das alles auf unserer Internetseite als Biographie bereitgestellt und alle können es nachlesen. Oh, wie ich das hasse, so langweilig. Dann möchte ich meistens schon aufstehen und gehen.
Mal sehen, ob ich das toppen kann … hmm was ist das peinlichste Album, das du zu Hause hast?
Mariusz: Hmm, also das ist eine Schallplatte mit indischer Musik mit Flöten und so. Unser Drummer hat sie mir geschenkt, weil er sie sonst weggeschmissen hätte. Ich habe sie übrigens immer noch, weil sie sich in meinem Regal gut macht.
Und dein peinlichstes romantisches Lied?
Mariusz: Oh, das ist „Paris Paris” mir Malcolm McLaren und Catherine Deneuve, ich hasse diesen Song so sehr, aber ich habe ihn manchmal im Kopf. Ich hab ihn in Paris andauernd singen müssen.
Machst du Karaoke? Kannst du singen??
Mariusz: Hahaha, wir sind jetzt also auf dieser Ebene gelandet. Ich habe die ganze Zeit Karaoke in meinem Kopf. (lacht)
Jaja, ich könnte noch mehr solcher Fragen stellen. Eine letzte: Was ist dein Lieblingsfilm?
Mariusz: Ich könnte jetzt „Citizen Kane” sagen, um besonders intelligent rüberzukommen. Hmmm, „Braveheart”, ein Film für Jungs!! Da gibt es noch Filme wie „Jerry Maguire”, „Billy Elliot”, die ich immer wieder gucke. Ich mag Filme, in denen der Protagonist sich zum Ende des Films weiterentwickelt.
Mariusz, danke für dieses Interview! Ich bin gespannt, wie sich Riverside in den nächsten Jahren weiterentwickelt!
Die polnische Prog-Band Riverside hat wieder zugeschlagen! Im Januar 2013 veröffentlichten sie ihr nun fünftes Album mit dem Titel „Shrine Of New Generation Slaves”. Im März und April geht es auf eine Tour durch Europa. Kurz vor der Veröffentlichung hatte Musicheadquarter-Redakteurin Shirin Kay die Gelegenheit, Mastermind Mariusz Duda zum neuen Album und zur Tour zu befragen.
Hi Mariusz! Wie geht’s dir und was treibst du so?
Mariusz: Mir geht’s gut, danke! Ich hatte heute viel zu tun, denn ich habe große Pakete mit CDs von InsideOut und Mystic Production bekommen. Und ich muss dir sagen, die Verpackung der neuen limitierten CD ist wahrscheinlich die beste, die wir je hatten. Aber auch sonst gab es bisher viel zu tun, deswegen freue ich mich sehr auf das Wochenende. In einer Woche ist schon die Veröffentlichung des Albums in Polen und wir mussten uns um einige Dinge, die damit verbunden sind, kümmern.
Werdet ihr vor der Tour noch Zeit für eine Verschnaufpause oder Urlaub haben?
Mariusz: Nicht wirklich. Wir müssen jetzt die neuen Songs lernen. Vielleicht haben wir nach der Tour Zeit für eine Verschnaufpause. Vielleicht auch auf der Tour …
Nun ja, auf so einer Tour kann man nicht wirklich Urlaub machen.
Mariusz: Im Nightliner ist es eigentlich schon ganz gemütlich. Man kann da gut schlafen oder sich ausruhen. Und wenn man Glück hat, kann man sich die Stadt, in der man ist, für 15 Minuten angucken und schnell ein Foto für Facebook machen. (lacht)
Hast du zum neuen Album schon viele Interviewanfragen gehabt?
Mariusz: Ja, sehr viele! Und das erstaunt mich, denn es zeigt, dass der Deal mit InsideOut und Century Media gut funktioniert. Ich erinnere mich, dass wir viele Interviews hatten, als wir “Second Life Syndrome” herausbrachten. Bei “Rapid Eye Movement” und “Anno Domini High Definition” waren es nur wenige, denn es gab Probleme mit SPV. Jetzt klappt’s aber richtig gut. Es könnte natürlich auch damit zusammenhängen, dass wir das Album so früh veröffentlichen. In den letzten Monaten ist nicht viel passiert und die heiße Phase, in der alle ihre Alben herausbringen, hat noch nicht angefangen. Wir sind also die ersten, die dieses Jahr ein Album herausbringen. Es könnte natürlich auch das Problem geben, dass die meisten nach Weihnachten keine Kohle mehr haben … (lacht)
Seit ADHD sind drei Jahre vergangen. Was ist in diesen Jahren passiert?
Mariusz: Es waren sogar vier Jahre, von 2009 bis 2013. Es ist viel passiert in meinem Leben, aber auch im Leben der Band. Ich hab zwei Lunatic Soul Alben herausgebracht und zusammen mit der Band haben wir noch die EP “Memories In My Head” gemacht. Wir sind außerdem auf eine interessante Tour gegangen und das letzte Jahr haben wir im Studio verbracht.
Wann hast du genau damit angefangen, das Material für „Shrine Of New Generation Slaves” zu schreiben?
Mariusz: Ende 2011 hatte ich die ersten Ideen für das Album, mit dem Komponieren ging es dann im Dezember los und das zog sich bis Januar, Februar 2012. Im März haben wir dann eine Session im Studio gemacht, ohne Drums – die hab ich auf dem Keyboard gespielt. Ich wollte den Jungs einfach nur meine Ideen zeigen. Wir schmissen die Ideen mit Kompositionen, die wir in den letzten Monaten aufgenommen hatten, zusammen. Danach hab ich festgestellt, dass zwei der Songs nicht so gut waren. Also habe ich sie rausgekickt, und es blieben sieben Songs übrig. Es fehlte noch das Ende … also gingen wir im April wieder ins Studio und es entstand “Escalator Shrine”, der leider 12 Minuten lang wurde. (lacht) Aber ich denke, damit war das Album quasi abgeschlossen. Ich war sicher, dass wir jetzt den letzten Schritt gemacht hatten. Später haben wir nur noch einige Farben und Details verändert.
Was passierte mit den zwei Songs, die rausgeschmissen wurden? Sind sie auf der zweiten CD der limitierten Edition gelandet?
Mariusz: Nein, die sind ganz weg. Aber willst du die Geschichte der beiden anderen Songs hören?
Ist sie aufregend?
Mariusz: Ja!
Dann bitte!
Mariusz: Ich wollte unbedingt mal ein Riverside Album mit einem Medienbuch veröffentlichen, mit einer richtig schönen Verpackung. Das Label war einverstanden, wollte dafür aber unbedingt eine zweite CD haben und fragte nach alten Nummern oder Live-Material. Und ich hab es sofort kommen sehen: Ich wollte eigentlich ein neues Kapitel von Riverside aufmachen und sollte alte Sachen auf das Album packen. Das wollte ich nicht. Zum Glück hatte ich noch für eine Woche ein Studio für Lunatic Soul gebucht. Also haben Piotr, Michael und ich uns zusammengesetzt. Diese zwei Songs sind Instrumentalstücke mit Ambient-Anleihen und haben das Album als Grundlage.
Auf der limitierten Edition haben wir also zwei zusätzliche neue Songs und ein ganzes neues Artwork …
Mariusz: Ja, und das Artwork ist fantastisch geworden. Das Buch hat 32 Seiten und damit meine ich nicht diese dünnen Seiten, es ist eher wie ein richtiges Buch. Und Travis Smith hat da ganze Arbeit geleistet. Wir haben schon oft miteinander gearbeitet, aber diesmal hatte ich das Gefühl, dass die Kommunikation noch viel besser lief, so als gäbe es eine mentale Verbindung zwischen uns. Er hörte sich zum Beispiel einen Roughmix von „Escalator Shrine” an und schickte mir einen Entwurf. Und ich sah sofort, dass es das war, was ich wollte. Ich bin wirklich sehr stolz auf diese Veröffentlichung. Vor allem, weil es die Leute Lügen straft, die meinen, dass CDs tot sind. Diese Leute sollten sich diese Veröffentlichung unbedingt anschauen.
Abgesehen von dem sehr aufwändigen Artwork gab es aber auch grundlegende Veränderungen in der Musik … 2011 hattest du ja schon angekündigt, dass du mit der „Memories In My Head”-EP ein Kapitel von Riverside abschließen wolltest.
Mariusz: Der erste Grund dafür ist, dass ich es nicht mag, mich zu wiederholen. Natürlich war es mir wichtig, den Style und die Seele von Riverside zu erhalten, aber ich wollte einige Details ändern. Bevor ich mit dem Schreiben anfing, hatte ich den Jungs bereits angekündigt, dass ich von einigen Dingen, die wir bis dahin gemacht hatten, genug hatte. Lass uns diese Dinge die „unreifen Momente” nennen. Es gab zuweilen so eine Art „garage style” in unserer Musik, außerdem wollte ich eine bessere Produktion. In den letzten Jahren habe ich mit Lunatic Soul viele Erfahrungen gesammelt und bin dadurch viel selbstbewusster geworden. Ich weiß ganz genau, was ich erreichen will und ich weiß auch, wie ich das umsetzen kann. Diesmal hab ich von den Jungs verlangt, noch mehr auf die Produktion zu achten. Nicht dass ich direkt neben dem Mischpult sitzen wollte, denn dafür haben wir Magda und Robert, aber ich habe eine Vision und weiß, was zu tun ist. Zuerst wollte ich also die Metal-Anteile loswerden und sie mit Hardrock-Elementen ersetzen, denn die sind viel ehrlicher und kommen unserer Art zu spielen viel näher. Es ist viel ehrlicher, als überholte Thrashmetal-Riffs zu spielen – von denen hatte ich die Nase voll. Außerdem wollte ich mich mehr auf Melodien, Gesang und Arrangements konzentrieren, nicht auf die Kompositionen. Daher wollte ich auch den Stil der Drums verändern: Piotr, unser Drummer, hat in Vergangenheit manchmal einige seltsame Dinge gespielt und ich wollte ihn ein wenig runterholen. Das Gleiche galt für die Gitarren: Ich wollte keine “Second Live Syndrome”-Solos mehr. Ich wollte noch mehr mit dem Sound experimentieren, hier und da sogar ein wenig Blues reinholen. Das alles war für uns eine Herausforderung, vor allem am Anfang. Aber am Ende haben wir doch etwas kreiert, das reif ist und uns sehr am Herzen liegt. Es ist jetzt wie eine Visitenkarte für Riverside, eine Visitenkarte, auf die wir stolz sein können.
Würdest du sagen, dass die früheren Alben „unreif” waren?
Mariusz: Nein, gar nicht. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die die alten Sachen immer schlecht finden. Ich erinnere mich daran, dass ich mal einen meiner alten Helden getroffen habe – ich glaube, es war jemand von der Band Pestilence – und die Band hatte gerade ein neues Album herausgebracht. Und der Typ sagte mir, dass die alten Alben alle scheiße waren, und es war sehr enttäuschend für mich, das zu hören. Nein, so ist es bei mir nicht. Mein persönliches Problem mit unserem vorherigen Album ADHD ist zum Beispiel, dass ich immer das Gefühl hatte, das ihm etwas fehlte. Auf einer Skala von 1 zu 6 hätte ich wohl 4,5 gesagt, aber nie 5 oder 6. Ich finde, dass man für ein gutes Album mindestens 80% erreichen sollte, der Rest betrifft persönliche und emotionale Befindlichkeiten. Aber bei „Shrine Of New Generation Slaves” habe ich das Gefühl, 90% erreicht zu haben. Es gab also eine Steigerung! Und bisher ist das für mich der beste Treffer. Ich habe das Gefühl, diesmal fast alles erreicht zu haben, das ich erreichen wollte. Natürlich sind jetzt immer noch 10% übrig, aber trotzdem! Ich bin meiner Vision gerecht geworden und das macht mich glücklich. Dieses Gefühl hatte ich nur noch ein anderes Mal, nämlich nach dem ersten Lunatic Soul Album.
Übrigens: bei unserem letzten Interview hast du gesagt, dass du etwas über das Ende der Welt machen wolltest. Was ist aus diesen Plänen geworden?
Mariusz: Haha, ja. Man könnte “Escalator Shrine” als eine Einführung in das Thema bezeichnen, vor allem da, wo die Menschen im Dunkeln herumkriechen und in ein großes Werbeplakat hineinfallen. Am Anfang des Komponierens wollte ich ja auch eigentlich eine EP machen, aber während des Prozesses ist ein Flow entstanden, und es kamen viele Gefühle hoch. Es war ein bisschen wie beim Schreiben von „Out Of Myself” und „Voices In My Head”. Auch damals habe ich viel auf der Akustikgitarre komponiert. Und es gab diese eigenartige Melancholie, die jetzt auch hier wieder aufgetaucht ist. Als ich dann merkte, dass so viele Details auftauchten, hatte ich das Gefühl, dass hieraus ein Album entstehen sollte und ich noch mehr an den Arrangements feilen sollte, um daraus ein gutes Album zu machen. Aber nach SONGS werde ich definitiv zu dem Thema der Postakopalypse zurückkehren.
Jetzt, wo du den Song „Escalator Shrine” erwähnst, auf dem Cover ist ja auch eine Rolltreppe zu sehen. Die Rolltreppe steht doch wahrscheinlich auch für etwas?
Mariusz: Ja, genau. In all diesen Songs geht es auf die eine oder andere Art darum, sich in bestimmten Situationen wie ein Sklave zu fühlen. Auf dem Cover siehst du einen neuen Schrein, ein neuer Tempel, und das ist heute die Einkaufspassage oder der Supermarkt. Wenn man in einen Tempel geht, kniet man normalerweise nieder, um zu beten, aber in diesen neuen Tempeln hast du nur auf der Rolltreppe Zeit, um nachzudenken – obwohl die Rolltreppen eigentlich dazu da sind, damit die Leute sich schneller fortbewegen, aber sie bleiben dort stehen. Das ist für mich eine Art moderne Sklaverei. Für viele Leute sind ja auch diese Sonntage, die sie in Einkaufszentren sind, die schönste Zeit, die sie mit ihrer Familie und ihren Freunden verbringen, sie hängen dort herum und gehen shoppen. In diesem Track geht es außerdem um Identitäten und darum, wie einfach es heutzutage ist, seine Identität zu wechseln. In der Vergangenheit hat es länger gedauert, bis sich Veränderungen durchgesetzt haben, aber heutzutage kannst du innerhalb von zwei Wochen vom Katholiken zum Buddhisten zu werden. Du brauchst nur die richtigen Klamotten … Und dann spreche ich ja von den Wiki-Girls und Google-Boys, und da geht es um die Tatsache, dass man mittlerweile einen viel schnelleren Zugang zu Informationen hat, alles ist in deinem Smartphone. Wenn man also etwas nicht weiß, kann man es ganz schnell im Internet nachgucken. Früher musstest du eben in Büchern nachschlagen und dich richtig auf die Suche nach den Informationen machen, die Suche nach Wissen war also viel intensiver. Und es war dadurch auch viel einfacher, Dinge zu behalten, weil man sich eben die Mühe gemacht hatte. Nun ist alles viel einfacher geworden, vor allem für die junge Generation. Und das hat eine starke Wirkung auf ihr Erinnerungsvermögen.
Man könnte ja denken, dass man durch den einfacheren Zugang zu Informationen mehr Zeit für andere Dinge hat …
Mariusz: Ja, aber der einfachere Zugang bedeutet auch, dass niemand mehr etwas Interessantes zu sagen hat, denn jeder kann eben alles innerhalb von Sekunden nachschlagen. Die Kommunikation wird so viel oberflächlicher, sie ähnelt mehr dem Lesen von twitter-Nachrichten.
Wie viel von diesen Veränderungen findest du in deinem eigenen Leben?
Mariuz: Ich glaube, dass das eher die jüngere Generation betrifft. Ich verstehe viele Dinge heutzutage nicht mehr … lass uns zum Beispiel nochmal zur CD-Produktion zurückgehen. Ich erinnere mich da an eine Geschichte, wo ein Vater seiner Tochter eine CD geschenkt hat. Später fand er diese CD im Mülleimer und fragte die Tochter, warum sie sie weggeschmissen habe. Und die Tochter antwortete, sie habe alles auf ihren Computer heruntergeladen. Aber vielleicht braucht die neue Generation auch die Dinge nicht, mit denen wir aufgewachsen sind. Die Dinge haben sich verändert.
Andererseits kommuniziert auch unsere Generation nicht mehr via Telegramm …
Mariusz: Ich bin nicht gegen Entwicklungen, die uns im Leben weiterhelfen. Aber manchmal denke ich, dass einige dieser Entwicklungen unser Leben oberflächlicher machen. Manchmal sollten wir Halt machen und nachdenken, sonst laufen wir Gefahr, uns nur noch in Akronymen zu unterhalten. Ichverurteile niemanden in „Shrine Of New Generation Slaves”, ich versuche eher, mich in diese Leute der Moderne hineinzuversetzen und sie zu verstehen. Auf ADHD gab es ja eher die Außenperspektive, aber jetzt geht es eher um eine Innenschau. Abgesehen davon gibt es ja auch einige persönliche Songs …
Welche sind das?
Mariusz: Zum Beispiel “The Depth Of Self-Delusion”, wo es darum geht, dass ich endlich meinen Platz gefunden habe, und das fühlt sich gut an. Auch wenn da noch diese 10% sind, über die wir vorhin gesprochen haben. (lacht)
Bedeutet das, dass du nie zu 100% glücklich sein wirst?
Mariusz: Das weiß ich nicht. Wenn ich 100% glücklich wäre, würde ich wahrscheinlich fröhliche Songs schreiben. Ich weiß nicht, ob ich fröhliche Songs schreiben kann, vielleicht eines Tages … „Deprived” ist übrigens ein weiterer persönlicher Song. Er handelt von den Zeiten, wo es in Polen nur Essig in den Läden zu kaufen gab (lacht), und ich sammelte als Kind Zigarettenschachteln, Pepsi-Dosen und solche Sachen. Das habe ich oft gemacht als Kind, auch diese Puppenaufführungen, von denen ich singe, die gab es, ich malte meine eigenen Comic Bücher und Ähnliches. Meine Vorstellungskraft war damals unglaublich. Jetzt, wo ich alles habe, mache ich das alles nicht mehr. In der Vergangenheit hat man eben seine Vorstellungskraft viel stärker genutzt, jetzt nicht mehr.
Haha, das erinnert mich an meine eigene Kindheit im Iran. Wir hatten nichts außer einen alten Schwarzweiß-Fernseher und ich musste meine eigenen Bücher und Kassetten machen. Lebensmittel waren schwer zu bekommen und das beeinflusst mich heute noch, wenn ich einen Supermarkt betrete. Ich fühle mich dann wie im Wunderland und muss alles haben.
Mariusz: Genau das meine ich in dem Song. Man hat heute Bücher, CDs, Filme, alles zu jeder Zeit! Und ich kann mir das alles jetzt leisten. Früher konnte ich das nicht, aber jetzt habe ich meine Playstation und die Videospiele, und es gibt diese Phasen, in denen ich mit weit aufgerissenen Augen spiele, bis mir die Zehennägel aus dem Mund herauskommen. Die Leute sagen dann: „Mensch, du bist doch ein ernsthafter Musiker, du schreibst solche Songtexte, du solltest ein ordentliches Buch lesen und nicht Zombie-Videospiele spielen!” Aber was soll ich tun, ich mag es halt (lacht). Ich wollte das in der Vergangenheit so gerne machen und jetzt geht‘s eben.
Von Videospielen zum Musikvideo … ihr habt jetzt zu „Celebrity Touch” ein Musikvideo gedreht.
Mariusz: Das ist das zweite Musikvideo mit Riverside. „Panic Room” war unser erstes, aber als SPV weg war, starb mit ihm das Video auf youtube. Dieses Mal haben wir mit einer polnischen Company zusammengearbeitet und im Video werden zwei Geschichten erzählt. Es geht einmal um die Band und einmal um den Untergang eines Promis. Die Band spielt auf einer Privatparty und entscheidet sich an einem bestimmten Punkt, in den Keller zu gehen und dort im Korridor weiterzuspielen. Es geht in dem Song um Promis und das Gefühl wichtig zu sein beziehungsweise um Leute, die denken, sie seien wichtig. Im Video wollte ich zeigen, wie das Leben eines Promis aussehen kann.
Findest du, dass du auch ein Promi bist?
Mariusz: Nein, ich spiele meine Musik doch in einem Keller!
Naja, im Video, aber nicht im wirklichen Leben. Da spielt ihr ja schon vor hunderten Leuten.
Mariusz: Das macht mich trotzdem nicht zu einem Promi. So kannst du mich nennen, wenn ich anfange, seltsame Klamotten zu tragen.
Du hast dennoch viele Fans, die dich regelrecht vergöttern.
Mariusz: Aber es ist eine anständige Zahl von Fans, und das sind richtige Fans, Leute, die mich nicht mögen, weil ich dauernd in der Presse zu sehen bin.
Hast du Angst davor, irgendwann ein Promi zu sein?
Mariusz: Mit dieser Art von Musik? (lacht) Nein, das glaube ich nicht. Aber wer weiß, vielleicht fangen die ganzen Hipster irgendwann an, Prog zu hören, dann vielleicht … hmm, es könnte interessant werden.
Aber das hält dich nicht davon ab, die 100% zu erreichen?
Mariusz: Überhaupt nicht. Ich werde wahrscheinlich versuchen, das nächste Mal 95,5% zu erreichen, die Messlatte ein wenig höher zu setzen, aber dennoch Raum für Herausforderungen zu lassen. Wenn ich sagen könnte „das war’s, ich habe es geschafft”, kann ich genauso gut meine Sachen packen und nach Hause gehen. Aber ich will mit Riverside noch viele interessante Sachen machen. Schau dir diese Bands an, die jetzt einen guten Grad an Ruhm erreicht haben, sie haben 15 bis 20 Jahre dafür gearbeitet. Wir haben also noch viel Zeit, ich glaube wir sind auf halber Strecke dorthin. Wer weiß, vielleicht ist das so, dass wenn wir uns in fünf Jahren treffen und du mich fragst, ob ich mich daran erinnere, wie wir über mich als Promi gesprochen haben, ich dann meinen Pelzmantel beiseite werfe und sage: „Sorry, ich erinnere mich nicht an dich, hatten wir einen Termin? Geh weg, ich muss mich um meinen Tiger kümmern!” (lacht)
Es sollten aber mindestens zwei Tiger sein!!! (lacht, bis sie sich wie eine kaputte Maschine anhört) … Noch eine letzte Frage: Welche der neuen Songs werdet ihr live spielen?
Mariusz: Ich denke, alle. Ich bin sicher, dass es eine interessante Tour wird. Ich freue mich so sehr darauf, weil ich wirklich lange darauf gewartet habe. Ich fühle mich so nüchtern, wie ein Alkoholiker, der lange nichts getrunken hat. Es ist Zeit für die Tour! Übrigens, da ich ja der Administrator unserer Facebook-Seite, komme ich nicht umhin, zu sehen, dass wir unheimlich viele Fans aus dem Iran haben. Vielleicht liegt das an meinen Texten, weil ich darüber schreibe, nicht glücklich zu sein.
Das überrascht mich nicht. Wir sind kein fröhliches Volk, vor allem nicht die von uns, die noch im Iran leben. Das könnte es erklären …
The Polish prog-band Riverside striked again! In January 2013 their fifth album “Shrine of new Generation Slaves” has been released and will be followed by a European tour in March and April. Prior to the release Musicheadquarter editor Shirin Kay had the chance to do an interview with mastermind Mariusz Duda on the new songs and the upcoming tour.
Hi Mariusz! How are you doing and what have you been up to?
Mariusz: Fine, thank you! Well I have had a really busy day today. I received a big package from InsideOut and one from Mystic Production and I have to tell you that I think that the new package of the limited edition is probably the best package we’ve ever come up with. Apart from that it has been a really busy time and I am looking forward to the weekend. There is only one week left to the Polish premiering oft he new album and we’ve had to do a lot of things connected with the local market.
Will there be time left for a bit of rest or some vacation, before the tour in March starts?
Mariusz: Not really, we need to learn how to play the new songs live. So maybe there will be some time to rest after the tour. Or on the tour maybe …
Yes, as we all know touring is not really like vacation.
Mariusz: Actually it’s quiet comfortable in the nightliner. You can sleep and take some rest. And when you’re lucky you get the chance to go and see the city for 15 minutes and take a quick photo for facebook. (laughs)
Have you already given interviews on the new album?
Mariusz: Yes, loads of them actually. I am kind of surprised because that means that this deal between InsideOut and Century Media works. I remember that I had a lot of interviews when we came up with “Second Life Syndrome”. But with “Rapid Eye Movement” and “Anno Domini High Definition” there weren’t that many, cause there were problems with the label SPV. But now it’s really nice. Of course it might be due to the fact that we are releasing the album right at the beginning of the year. Nothing has been really going on in the last months and the hot period when everyone releases albums hasn’t started yet. So we are the first ones to release an album in the new year. The only problem might be that many people don’t have any money left after Christmas … (laughs)
It’s been about three years now that you released the ADHD album. What has been going on in those years?
Mariusz: It’s been almost four years even, from 2009 to 2013. It was quiet a busy period in my own life and the band’s life, cause first I did two Lunatic Soul albums and together with the band we did the anniversary EP “Memories in my Head”. We also went for an interesting tour and then we spent the last year in the studio.
When did you exactly start writing the material for “Shrine of New Generation Slaves”?
Mariusz: At the end of 2011 I had the first ideas for the album and the composing progress started in December 2011, January and February 2012. In March we did kind of a promo session in the studio without drums. I just did them on the keyboards. It was just about showing my ideas to the guys. We also combined the material with some little compositions that we had recorded in the months before and after this I realized that two of the tracks weren’t that good. So I threw them away and seven tracks were left. We were still missing the final part of the album. So in April we went to our rehearsal room again and composed the “Escalator Shrine”, which unfortunately became 12 minutes long (laughs), but I think that was the closing chapter of the album. I know we had reached the final point. Later on we just added some colors and details.
The two songs that didn’t make it on the album, are those the ones that are on the limited edition of “Shrine of New Generation Slaves”?
Mariusz: No, they are are gone. Do you want to hear the story about those two songs on the second CD?
Is it exciting?
Mariusz: Yes!
Then go ahead!
Mariusz: I wanted to finally release a Riverside album with a media book, with a really nice package. The guys from the label agreed, but only if there was a double album to go with the limited edition. And I said I didn’t have a double CD. So they asked me for some old tracks and live songs and I saw where this was going: I wanted to open a new chapter of Riverside and was asked to put old stuff on the album. No way I would do this! Fortunately I had booked a studio for Lunatic Soul for one week and Pjotr and Michael and I came together. These two long instrumental tracks are kind of ambient tracks that are based on the pieces of the album.
So, the limited edition comes with those two songs and a whole new artwork …
Mariusz: Yeah, and the artwork is amazing! It has 32 pages, and by pages I don’t mean thin pages, it’s almost like a book and Travis Smith has done a great job with it. We have been working together quiet often, but this time I got the feeling that the communication went a lot smoother and easier, it was almost as if there was a mental connection between us. He listened to a rough mix of “Escalator shrine” and sent me a draft. And I noticed immediately that that was it. I am very proud of this release. It proves all the people wrong who think that CDs are dying. Those people should really take a look at the new Riverside album.
So there has been massive work done on the album artwork, but the biggest change has taken place in the music actually … in 2011 you said, you wanted to close a chapter with the EP “Memories in my Head”.
Mariusz: First of all I just wanted to release something new because I don’t like repeating myself. Of course I wanted to keep the style and the soul but I wanted to change some details. Before I started to compose I told the guys that I had become tired of some of the stuff we had been doing until then, let’s call them “the immature moments”. From time to time there has been something like a garage style in our music and I also wanted to have a better production. In the last years I have collected more experience with Lunatic Soul and become more self-confident in the studio. I know exactly what I want to achieve and I know that I can achieve it. This time I asked the guys to focus a bit more on the production of the album, I wouldn’t exactly be sitting next to the mixing desk, cause we’ve got Magda and Robert to do this, but I have a vision and I know what to do. And first of all I wanted to get rid of the metal parts and replace them with hard rock elements, because it is much more honest and true to our style of playing — more honest than just playing some square thrash metal riffs. I had become a bit tired of them … Secondly I wanted to focus more on the melodies, the vocals and the arrangements, not on the compositions. That’s why I also wanted to change the style of the drums, Piotr has previously played some strange things at some points and I wanted to calm him down. The same goes for the guitar: I didn’t want to have the “Second Live Syndrome” solos again. I wanted to experiment a bit on the sound, even add a bit of blues to some parts. That was a challenge for all of us and the beginning of the composition process. And in the end we managed to come up with something that is mature and very precious to us. It’s like a real calling card, a reference for Riverside that we can be proud of.
Would you call the previous album “immature”?
Mariusz: No, not at all. I am not the kind of guy who thinks that the old stuff is bad — I remember when I once met one of my old heroes, I think it was a guy from Pestilence and they had just recorded a new album. The guy told me that the old albums are shit and that was disappointing. No it’s not like this. My personal problem with ADHD for instance is that I had the feeling that something was missing, from the scale from 1 to 6, it was maybe on 4.5, but never 5 or 6 for me. I think that when you do a decent album, it should always be something like 80% of, the 20% is booked for personal and emotional stuff. But with “Shrine of New Generation Slaves” I feel something like 90%! It’s growing. This is the best score for me so far. I feel like I have achieved almost everything that I wanted to achieve — this time. Of course there are still 10% left, but still! I have managed to make it up to the vision I had. I am happy! I had this feeling only once before and that was with the first Lunatic Soul album.
By the way, the last time we had an interview you told me you wanted to do something about the end of the world.
Mariusz: Haha, yeah. You could say that “Escalator Shrine” is some kind of introduction to that subject, when people just crawl in the dark and into some big add and they are about to fall down. In the beginning I wanted to do some kind of EP, but during the process there was a flow, and some emotions appeared – it was a bit like the emotions we had when we were working on “Out of Myself” and “Voices in My head”. It was quiet similar because I was composing more on the acoustic guitar and there was this specific melancholy on those albums which is there again. And when I realized they were so many details I felt that it would be more than an album in there and that I had to work more on the arrangements to create a good album. So after SONGS I will definitely go back to the post-apocalyptic subject.
You have been mentioning the song “Escalator Shrine” and there is the escalator on the album cover, so I guess the escalator stands for something, doesn’t it?
Mariusz: Yeah, exactly. All those tracks on the new album are in one way or other about feeling or being like a slave in some particular situation. When you take a look at the cover you can see the new shrine, the new temple, which is the shopping mall or the super market. When you go to temples you normally get down on your knees to pray, but in the new temple the only time for thinking is only when you are on the escalator – even though the escalator was made to make the people walk faster, people normally stand on the escalator. This for me is the new kind of slavery. For many people the Sunday in the shopping mall is the best time they can spend with their family or their friends, hanging around and do some shopping. Plus this track is about identities and about how simple it is these days to abandon your present identity. In the past changing things took time, these day you can easily go from being a Catholic to being a Buddhist within two weeks. You just need to buy the right clothes … The other point is that about the wiki-girls and google-boys in the song I am referring to the fact that you have a much faster access to knowledge, everything is in your smart-phone, so if you don’t know something you can easily look it up in the web. In the past you had to go and check a book, find and the gather the information, so it was a much more intense search for knowledge. At the same time you had a better chance to remember things, because you put a lot more effort into it. And now everything is very easy, especially for the young generation. And this has a huge effect on their memory.
You could think that having easier access to information would save you some time for other things …
Mariusz: Of course, but the easy access to all knowledge also means that no-one has anything interesting to say, because everyone can look everything up within seconds. Communication becomes very shallow this way, it becomes like reading the news on twitter.
How much of that change do you find in your own life?
Mariuz: I think it’s more of an issue with the younger generation. I don’t understand many things these days … let’s go back to the production of a CD with artwork for instance. I remember a story, when a father gave a CD to his daughter. Later on he found the CD in the dustbin and asked her why she threw the CD away. And she responded that she had already downloaded the CD on her computer. Maybe the younger generation doesn’t need the things that we grew up with. Things have changed.
On the other hand our generation doesn’t communicate via telegrams anymore either.
Mariusz: You see, I am not against developing things that should help us with our lives. But from time to time such developments make our life more shallow. From time to time we should stop and think, otherwise we risk talking in acronyms only. I am not making judgments in the lyrics of “Shrine of New Generation Slaves” but I am trying to get inside the people in the modern times and understand them. On ADHD, which was also about modern times, there was an outside perspective, on the new album, it’s more an inner view. And there are also some more personal songs.
Which ones are the personal songs?
Mariusz: For instance “The Depth of Self-Delusion”, which is about the fact that I have found myself and my own place and that I feel good. Even though there are still the 10% we talked about earlier. (laughs)
Which means that you will never be 100% happy?
Mariusz: I don’t know. If I was 100% happy I would probably write happy songs. I am not sure if I can write happy songs, maybe I will one day. Anyway, “Deprived” would be another personal song. It’s about the times, when we had only vinegar in the shops in Poland (laughs) and I used to collect cigarette boxes, Pepsi cans and stuff like that. I did a lot of things as a child, those puppet shows that I am singing about for instance, drawing my own comic books, I did all of that. My imagination was amazing at that time. And now that I have got everything I don’t do these things. In the past you needed to use your imagination, now you don’t.
Haha, that reminds me of the times when I was a child in Iran and we had nothing but a shitty black and white TV and I had to make my own books and tapes. Food was scarce those days as well and I am still amazed every time I go into the super market, I still have the feeling of being in wonderland and having to buy everything.
Mariusz: Exactly … This is what I write about. You have books, CDs, movies, everything around you, all the time! I can afford all these things now. I couldn’t do that in the past, but now I have the Playstation and the video-games, and there are those periods, when I play them with my eyes wide open and my toenails coming out of my mouth. People tell me “oh my God, you’re a serious musician, you write such and such lyrics, you should read a decent book and not play zombie-games.” But I like it, you know. (laughs) This is what I always wanted to do in the past.
Since we have been talking about video-games, let’s move on to the next subject, which is the new video to “Celebrity Touch”.
Mariusz: That’s the second video we’ve done with Riverside so far. We did our first one “Panic Room”, but when SPV died the video on youtube died with it … This time we worked with a Polish company and there are two stories in the video. You can see the band and the down-fall of a celebrity. The band is playing at some private party at some point decides to cut it and play in the cellar for themselves. The song is about celebrities and the feeling of importance — about the people who feel very important. In the video I just wanted to show what it can be like to be a celebrity.
Would you call yourself a celebrity?
Mariusz: No, you see, I play my music in the corridor of a cellar!
Yeah, in the video, but not in real life. You play in front of hundreds of people on your live shows.
Mariusz: Still I am not a celebrity. You can call me one when you see me wearing strange clothes.
But you still have a lot of fans and people who worship you.
Mariusz: But it’s a decent amount of fans, and these are fans, real people, who don’t like me just because I am in the press.
Are you afraid of becoming a real celebrity?
Mariusz: With that kind of music? (laughs) No, I don’t think so. But who knows, maybe one day the hipsters start listening to prog, then maybe … hmm, it could be interesting.
Okay, but that won’t stop you to reach out for the 100%?
Mariusz: No, not at all. I will probably try to reach 95,5% the next time, raise the bar, but still leave room for a challenge. If I would ever say “that’s it, I did it” it would mean I would have to pack my things and go home. No, I still want to do more interesting things with Riverside. Take a look at these bands that are now on a decent level of fame, it took them 15 to 20 years to get that far. So we still have time, I think we are somewhere in the middle of the road. Maybe when we talk in five years you will go “Do you remember, five years ago we were talking about you being a celebrity?” and I will throw aside my fur coat and say “Sorry, I don’t remember you, did we have an appointment? Go away, I need to take care of my tiger.” (laughs)
It should at least be two tigers!!! (laughs until she sounds like a broken engine) … One last question: Which of the new songs are you going to play live?
Mariusz: All of them, I think. I am sure it will be an interesting tour. I am really looking forward to the tour. I have been waiting for this for so long. I feel sober, like an alcoholic who hasn’t been drinking for a long time. It’s time for the tour! By the way, since I am an administrator for our facebook page I couldn’t help but notice that we have a lot of fans from Iran. I don’t know why! Maybe this is because of my lyrics. Because I am writing about not being happy.
That doesn’t surprise me. We are not a happy nation, especially those of us who still live in Iran. That could explain it …
Seit mittlerweile über zehn Jahren beehrt die polnische Band Riverside die Musik-Welt mit Werken, die vor allem in der Prog- und Artrock-Szene eine stetig wachsende Fangemeinde gefunden haben. Nun liegt das fünfte Werk der Polen mit dem etwas sperrigen Titel „Shrine Of New Generation Slaves” vor. Schon eins wird beim erstmaligen Hören klar: Riverside haben sich seit dem letzten Album „Anno Domini High Definition” musikalisch stark weiterentwickelt, eine Entwicklung, die gerade die Fans des letzten Albums verwundern dürfte. War ADHD (Englisch für ADHS) noch ein wildes Feuerwerk aus progressiven und verschwurbelten Sounds sowie überlangen Tracks, legen Mariusz Duda und seine drei Mitstreiter mit SONGS (ja, Duda ist ein Fan von Akronymen) ein Album vor, das in seiner Songorientiertheit für Riverside neuartig ist. Und dieses Album ist verdammt gut gelungen.
Weg sind die metallischen, rasenden Nummern, wie man sie noch von ADHD kennt, oder die ausufernden Eskapaden wie man sie auf der Dream-Reality-Trilogie hören kann. Riverside müssen niemandem mehr beweisen, wie vielseitig sie sind. Auf dem neuen Album dominiert ehrliche und handgemachte Rockmusik mit wunderschönen Melodien. Nicht zu überhören sind nach wie vor die Siebziger-Jahre-Einflüsse, hinzugekommen sind Elemente aus dem Blues und dem Jazz und auch Fans von Dudas Side-Projekt Lunatic Soul werden den einen oder anderen charakteristischen Sound wiedererkennen. Dennoch: Riverside bleiben Riverside bleiben Riverside, deswegen werden Fans der typischen verträumten Melodien und Mariusz Dudas einzigartiger Stimme bei SONGS nichts vermissen. Mit 12 Minuten Spielzeit bedient der Dreiteiler „Escalator Shrine” sogar diejenigen, die gerne ein bisschen länger in einem Song schwelgen wollen. Also doch Prog? Ja und nein. Es gibt keine harten Brüche mehr in der Musik – sie ist organischer geworden, aber von klassischen Songstrukturen sind auch die neuen Nummern noch weit entfernt.
Thematisch befasst sich SONGS mit der modernen Gesellschaft und ihren Wohlstandkrankheiten – eine Weiterführung des Themas der Schnelllebigkeit, die bei ADHD dominierte. Allerdings überwiegen hier nicht der Hass oder die Wut auf die Moderne, vielmehr begibt sich Duda in Songs wie „New Generation Slave” und „Celebrity Touch” auf Spurensuche in der Psyche des immer gestressten, nimmersatten Menschen, der alles hat, aber immer mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit durch die Welt geht. Ruhigere Titel wie „We Got Used To Us” und „Deprived” befassen sich mit der Ausweglosigkeit und der Einsamkeit des entfremdeten Menschen. Die Texte kommen aber nie belehrend oder mit einem erhobenen Zeigefinger daher, sondern sind teilweise sogar humorvolle Beobachtungen einer Entwicklung in einer schneller werdenden Gesellschaft. Zusammen mit der Musik wirken sie wie eine Handbremse, die dazu einlädt, innezuhalten und durchzuatmen.
Mit SONGS eröffnen Riverside auch Nicht-Proggern einen Zugang zu ihrer Welt, ohne in seichtes Gefilde abzudriften. Wem Anathema zu schwülstig und Steven Wilson zu kopflastig geworden ist, findet hier definitiv seine Erlösung – in ehrlicher, unter die Haut gehender und überirdisch schöner Musik.
Anspieltipp zum Verlieben: „The Depth Of Self-Delusion”!