Die beiden Australier Daniel Holdsworth und Aidan Roberts sind zwei hervorragende Musiker. Multi-Instrumentalisten, wie sie sich jeder Künstler in seiner Band wünscht. Sie beherrschen Gitarren, Keyboards, allerlei Schlagwerk – nur an den stimmlichen Fähigkeiten hapert es ein wenig. Dafür hat man ja den Lead-Sänger. Holdsworth hat in diversen Bands gespielt und sich als Komponist einen Namen gemacht, Roberts ist noch nicht so prominent in Erscheinung getreten. Damit wäre alles gesagt, hätten die beiden nicht vor etwas mehr als vier Jahren eine seltsame Idee gehabt: Man müsste das Meisterwerk von Mike Oldfield „Tubular Bells“ als komplexes Werk auf die Bühne bringen. Nicht mit einem Mammut-Orchester, sondern als fein arrangiertes Stück, eingespielt von zwei Personen. Kurz gesagt – sie wollten das Unmögliche möglich machen. Ein Vorhaben, das als Schnapsidee begann und den beiden seither Monat um Monat, Jahr um Jahr ausverkaufte Häuser in aller Welt beschert. Ein Fest für Freunde der progressiven Rockmusik.
In Trier waren die beiden in der ehemaligen Reichsabteikirche St. Maximin zu Gast. Ein kluger Schachzug der Veranstalter von Popp Concerts. Die Kirche wird übers Jahr vor allem als Turnhalle (!) für die angegliederte Privatschule genutzt, doch zu besonderen Ereignissen wird sie zu einer akustisch hervorragenden Konzerthalle. Der Altarraum ist eine große Bühne, die Säulen lassen sich hervorragend ausleuchten, der Klang im hohen Kirchenraum ist einfach fantastisch. Davon überzeugte sich und die Zuhörer zunächst der Supportact Brett Winterford.
Winterford stammt ebenfalls aus Australien und ist ein Singer / Songwriter alter Schule. Er stellte sich mit seiner Gitarre auf die Bühne und legte munter los. Ein halbstündiger Set aus eigenen Songs von Liebe, Leidenschaft und Vergänglichkeit. Das wurde mit viel Applaus bedacht – vor allem, als er sich entschied, ganz auf Mikrofon und Verstärker zu verzichten und einfach mal ein Lied in die andachtsvoll lauschende Kirche zu schmettern. Ein großer Moment, der ahnen ließ, dass sich hier viele Musikbegeisterte versammelt hatten und bereit waren, sich von dem Geschehen tragen zu lassen.
Nach kurzer Umbaupause enterten die Protagonisten des Abends die Bühne. Und es sollte eine knallharte Performance werden, die den Zuschauern im Anschluss um die Ohren flog. Auch nach 40 Jahren bleibt es das Debütalbum „Tubular Bells“, an dem sich das Werk von Mike Oldfield mit jeder Veröffentlichung messen lassen muss. Seine berühmteste Komposition nahm er als 19jähriger fast im Alleingang auf, spielte verschiedenste Instrumente in mehreren Tonspuren ein und vereinte sie zu einem zweiteiligen Stück, das heute noch Maßstäbe setzt. Wer kennt sie nicht – die Eröffnungspassage, die in „Der Exorzist“ verwendet wurde und seitdem in aller Ohren ist? Für die Frühphase des Progressive Rock war das Album wegweisend und gilt heute noch als sphärisches Referenzwerk.
So ging es ruhig los mit den berühmten Klängen, die als Loop die Basis für den Eröffnungspart bildeten. Auf einer Bühne, die vollgestopft war mit Instrumenten, Mikrofonen, Schaltern, Ständern und einem Wirrwarr an Kabeln, vollführten Holdsworth und Roberts einen unglaublichen Kraftakt akrobatischer Musikalität. Von dem Moment an, an dem das erste Keyboard-Riff des Albums erklang, gab es für die beiden Musiker keine ruhige Sekunde mehr. Barfuß wirbelten sie in einem unglaublichen Tempo und gleichzeitig höchster Präzision zwischen den verschiedenen Instrumenten umher, spielten gern einmal zwei oder sogar drei oder vier gleichzeitig, den nächsten Einsatz dabei immer schon im Nacken sitzend.
Musikalische Perfektion und Kabarett – so lässt sich das Vorgehen beschreiben. Die beiden kommunizierten offen miteinander, gaben sich Einsätze, verdrehten die Augen, wenn mal ein Instrument kurz nachgestimmt werden musste. Es war ein Genuss, Zeuge dieses harmonischen Geschehens zu werden. Der Mix aus Keyboards und harten Gitarrenpassagen, der Part mit der Vorstellung aller Instrumente, die berühmten Röhrenglocken und die musikalischen Themen – all das ist zeitlos und die beiden Künstler übertrugen den Klassiker perfekt in die Gegenwart. Unglaublich, welche Instrumente sie beherrschen mussten: akustische und elektrische Gitarren, Keyboard, Flöte, Glockenspiel, Klavier, Mandoline, Perkussion, natürlich die berühmten „Tubular Bells“ als dominierendes Klangelement, dass trotzdem recht spärlich eingesetzt wird. Auch durch die chorischen Passagen schlug man sich wacker, wenn auch die vokalen Fähigkeiten grenzwertig waren. Egal, die Zuhörer genossen jede Sekunde der Performance.
Zwischendurch gab es eine Pause – „zum Umdrehen der LP“, in Wirklichkeit aber zum Luftholen, denn man sah den beiden die körperliche Anstrengung an, die ein solcher Ritt durch die Musikgeschichte erfordert. „Tubular Bells For Two“ ist eine Mischung aus grandiosem Konzert und unterhaltsamer Show, aus musikalischer Virtuosität und körperlicher Höchstleistung, aus tiefstem Respekt und spitzbübischer Anarchie. Und egal, ob man das Album bereits zu seinen All-Time-Favorites zählt oder gar nicht kennt: Es ist auf jeden Fall ein spannendes, packendes Erlebnis, das man gesehen haben muss.
In Trier gab es nach den letzten Klängen erlösenden Applaus. Mission erfüllt. Als Zugabe spielten die beiden Australier kein weiteres Stück, sondern das Ende von „Tubullar Bells, Part I“, diesmal aber ohne die Ansage der Instrumente. Die ehemalige Kirche St. Maximin ist als Location absolut empfehlenswert und man kann sich nur weitere akustische Highlights dort wünschen.