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Urheber/Fotograf: Popp Concerts

Monchi 18.12.2024 Aula - Gymnasium am Krebsberg / Neunkirchen

Von der kleinsten Location zu einer der größten

Schon vor mehr als zwei Jahen hat Monchi (Jan Gorkow), seines Zeichens Frontmann von Feine Sahne Fischfilet, ein Buch über sein Leben geschrieben. Mit diesem ist er seitdem immer mal wieder auf Lesereise – und das mit wachsendem Erfolg. So sollte die Veranstaltung eigentlich in der Stummschen Reithalle in Neunkirchen stattfinden, was eine eher beschauliche Angelegenheit gewesen wäre. Aber aufgrund großen Andrangs wurde schon bald in die Aula des Gymnasiums am Krebsberg verlegt. Monchi fand das sehr lustig, hatte er doch seine Schullaufbahn kurz vor dem Abi abgebrochen. Und er versprach auch, seiner Mutter ein Foto der vollbesetzten Aula zu schicken, nach dem Motto: „Ich hab es doch noch zu was gebracht“. Immerhin hatten die Neunkirchener dafür gesorgt, dass die Lesung vom kleinsten Setting der aktuellen Tour zu einem der größten geworden ist.

Die Bühne war wohnlich eingerichtet. Mit Tisch und Stuhl, Sofa und Stehlampe, Kleiderständer und (ja, wirklich) einer Badewanne. Als Monchi sich plötzlich bis auf die Unterhose auszog und in der Badewanne Platz nahm, um seine Füße ins Publikum zu strecken, war das schon ein Aha-Erlebnis. Zuvor hatte er im ersten Monolog, noch bevor die eigentliche Lesung begann, einen FSF-Song a cappella vorgetragen und von seinen Schwierigkeiten mit dem Verfassungsschutz erzählt. Ja, Monchi war in jungen Jahren kein einfacher Mensch. Nicht etwa ein Mitläufer. Er war maßgeblich in der Rostocker Hooligan-Szene aktiv, hatte fünf Jahre lang deutschlandweites Stadionverbot, trat und tritt mit politischen, extrem linken, antifaschistischen Texten vielen Menschen auf die Füße. Und das meist zurecht und sehr bewusst.

Monchi macht mit dem Buchtitel „Niemals satt“ seine Fressgier ganz unumwunden zum Thema. Dabei ist das aber nur der oberflächliche Anlass für diese Autobiografie. In wirklich geht es um viel mehr: nämlich um den Hunger nach Leben, den sich die Rampensau und der Grenzgänger der Maßlosigkeit nicht nehmen lassen will. Schonungslos ehrlich und mit kumpelhafter Sprache erzählt das Buch zwei Geschichten. Im Hintergrund schwingt (natürlich) immer die Band mit und der beispiellose Aufstieg aus der Provinzstadt Jarmen vom Hansa-Rostock-Hooligan zur Galionsfigur der linken Szene. Die Band hatte er mit Schulfreunden gegründet und lange Zeit wurden sie aufgrund der expliziten Texte und der Teilnahme an gewalttätigen Demonstrationen vom Verfassungsschutz beobachtet.

Ebenso wichtig ist aber der Selbstfindungsprozess nach der schockierenden Entdeckung backstage bei einem Konzert 2019 in Bamberg, dass die Waage ohne Klamotten 182 Kilo anzeigt. Wer sich selbst zerstören will, googelt in dem Moment nach dem BMI und findet heraus, dass 49,4 fast das doppelte der gängigen Definition von Übergewicht ist. Genau von diesem Erlebnis berichtete er als erstes und las die entsprechende Passage aus dem Buch vor – wie noch viele weitere. Entweder in der Badewanne liegend oder in Omas Lieblingssessel sitzend, den er nach ihrem Tod geerbt hat.

Es ging um Adipositas-Experten, eine Diätassistentin mit sehr verqueren Vorstellungen, Einkaufen in Molli-Läden, dem Abnehmen durch Sport und Intervallfasten. Sehr anschaulich berichtete Monchi von krassen Erlebnissen, Fortschritten und Rückschritten. Man konnte ihm bei seinen kurzweiligen Erzählungen amüsiert und interessiert zuhören. Und plötzlich ein Blick aufs Handy: schon 21.30 Uhr. Ah, es geht dem Ende zu. Pustekuchen! Monchi läutete erst einmal die viertelstündige Pause ein. Die Veranstaltung sollte noch bis 22.45 Uhr gehen – und es wurde keinem der Anwesenden zu lang.

Credit: KiWi

Wir hören auch im zweiten Teil von seiner Essstörung, von der Zuckersucht, von der Scham, wenn man Freunden die Süßigkeiten weg frisst, von den Schwierigkeiten, sich den Arsch abzuwischen. Auf der einen Seite stehen die Maßlosigkeit, das exzessive Leben, die Gier nach immer mehr und nach Leben. Auf der anderen Seite der Wunsch, etwas daran zu ändern, eine Waage zu finden, die mehr als 160 Kilo anzeigt, mit den Nichten aufs Trampolin zu gehen.

Und dann geht es um Selbstdisziplin, um den Wunsch, etwas zu ändern. Fitnessstudio, Ernährungsberatung, Sport, Kalorienzählen, das ganze drum und dran. So wird die Biografie über zwei erstaunliche Lebensjahre und die entsprechenden Hintergründe zu einer Art Selbsthilfebuch. Aber ohne esoterisches Gelaber – allein schon die Wortwahl zwischen Arschloch und Fotze sprechen entschieden dagegen. Die Gefühle auf der Reise zwischen Erfolgen und Rückschlägen werden schonungslos offen gelegt.

Auch die Familie – vor allem die Eltern – spielen eine Rolle und machen diese seltsame Reise sehr emotional. Natürlich hat er Fragen gestellt. Auch, warum ihn niemand gewarnt, vor der Fettleibigkeit gerettet, ihn entsprechend erzogen habe. Der Antwortbrief der Mutter wird von ihr selbst per Video vorgelesen und ist sehr emotional, reflektiert und ehrlich. Das erzeugte zunächst bei Monchi Wut, wie er selbst sagt, aber es zeigte sich dann auch, was er nicht wahrhaben wollte: Dass er mit 14 Jahren keineswegs dick war (das Foto im Konfirmationsanzug findet sich im Buch) und die Probleme erst zu einer Zeit auftauchten, als er ohnehin als pubertierender Jugendlicher schwer zu fassen war.

Aber weiter im Takt: Monchi beschreibt mit schonungsloser Ehrlichkeit und Selbstkritik, wie er es in nur einem Jahr geschafft hat, 65 Kilo abzunehmen, und wie ihn der Kampf gegen die Maßlosigkeit seitdem täglich beschäftigt; mit vielen kleinen Erfolgen, aber genauso vielen Rückschlägen – denn die Herausforderung hat gerade erst begonnen. Auf diesem steinigen Weg ist ein besonderes Buch entstanden, das voller faszinierender Gedanken und Geschichten steckt. Monchi trägt sein großes Herz auf der Zunge – und so schreibt er auch!

Zum Ende hin folgen Kapitel, die erst vor kurzem entstanden sind. Kleine Tagebucheinträge vom Urlaub in Thailand (April 2024) und dem berüchtigten Jo-Jo-Effekt (Dezember 24). Schließlich sind die 150 kg inzwischen wieder erreicht. Es geht um das für ihn unverständliche Jammern der Body-positivity-Blase, die ihn als Verräter beschimpften, über gute und schlechte Nachrichten aus der Szene. Ganz offen, ganz authentisch. Auch sein immer wiederkehrendes Scheitern spielt eine Rolle, und die Drohungen, die er als Vorzeige-Linker erfahren muss. Aber er steht sympathisch, kraftvoll, erzählfreudig und energisch auf der Bühne. Man wird ihn so schnell nicht kleinkriegen. Das ist eine Essenz dieses Abends, der mit stehenden Ovationen und einem sichtlich gerührten Monchi endete – und mit vielen Autogrammen und Selfies, die er zu geben bereit war.

Monchi -
Monchi –
  • Kiepenheuer Witsch GmbH
  • Niemals satt: Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage
  • ABIS-BUCH
  • Silber
  • Monchi (Autor)

Letzte Aktualisierung am 2025-01-08 at 06:01 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API / Bezahlte ANZEIGE

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