Der Samstag bot eine enorme Überraschung gleich zu Beginn: FEVER 333 lieferten auf der „Crater Stage“ eine dynamische Show ganz im Stil von Rage against the Machine und Public Enemy. Dafür sollten sie später am Abend noch von Slayers Tom Araya schwer gelobt und damit geadelt werden. Die Band aus Los Angeles hat mit Jason Butler einen fantastischen Frontmann, der mit viel Enthusiasmus politische Botschaften verbreitete und ständig in Bewegung war. Er erklomm kurzerhand das Dach des Mischpults, um Deutschland als Land zu loben, in dem einer sich um den anderen kümmert und kein Schwarzer sich ob seiner Hautfarbe vor Gewalt fürchten muss. Damit sprach er vielen Teilnehmern auf diesem friedlichen Festival aus der Seele.
Auf andere Art spannend wurde es mit SEILER UND SPEER auf der Hauptbühne. Die in ihrer Heimat sehr beliebte Band aus dem Komiker und Schauspieler Christopher Seiler sowie dem Filmemacher Bernhard Speer lieferte deftigen Rock aus Österreich. Dazu gab es solide Gitarren und österreichische Vocals. Musikalisch nicht ganz mein Fall – aber bei Rock am Ring wird ja kaum eine Band verhalten aufgenommen. Auch dieses Duo aus dem Nachbarland wurde gefeiert. Und es hatte die Lacher auf seiner Seite, als der Abgang zu den Klängen von „Going to Ibiza“ erfolgte.
Dann folgte die einstündige Wahnsinnsshow von FEINE SAHNE FISCHFILET. Sänger Monchi (Jan Gorkow) freute sich wie ein kleines Kind, als er von der jubelnden und tanzenden Menge empfangen wurde. Natürlich hatten zahlreiche Bengalos den Weg auf das Festivalgelände gefunden und die Menge wurde in rote und blaue Rauchschwaden gehüllt, wie Rock am Ring sie bisher noch nicht erlebt hatte. Das Publikum feierte den totalen Abriss. Gefühlt waren ALLE vor der „Volcano Stage“ (und das um 17.30 Uhr!) und keiner, der die großen Circle Pits und das kongeniale Abtanzen mitgemacht hatte, wird ohne blaue Flecken nach Hause gegangen sein. Es gab – wie erwartet – politische Botschaften en masse, beispielsweise ein offizielles „Fick dich“ an alle AFD Wähler und die Forderung nach Straffreiheit für Seenotrettung. Ja, solche Botschaften gehören an diesen Ort, auch wenn manche fordern, die Politik außen vor zu lassen. DIE ÄRZTE sollten es Monchi später am Abend gleichtun. Monchi forderte Menschlichkeit, nicht nur gegenüber Flüchtlingen. Er vergaß auch nicht den Dank an Feuerwehr und freiwillige Helfer bei Rock am Ring – und das Heimatgefühl für Dörfer, dem er mit „Geschichten aus Jarmen“ ein musikalisches Denkmal gesetzt hatte.
Im Anschluss waren die DROPKICK MURPHYS gute Kandidaten, um mit Akkordeon, Dudelsack und viel Spielfreude die gute Stimmung in den Abend mitzunehmen. Bei ihrem Celtic Punk aus Quincy in den USA, der so irisch klang, wie man sich das nur vorstellen kann, konnten auch ergiebige Regenschauer den Spaß nicht verderben.
Danach gab es auf der „Crater Stage“ die ARCHITECTS mit feinstem Metalcore. Was für eine Energie: Growls, Hysterie und formidable Circle Pits sorgten für Stimmung. Ein bedrohlich bewölkter Himmel schaffte die perfekte düstere Atmosphäre und Shouter Samuel David Carter zeigte sich beeindruckt, dass Leute bei diesem Festival sich vom Regen nicht die Stimmung verderben ließen. Er betonte, sich in Deutschland sehr daheim zu fühlen und man bekräftigte dies mit einer enormen Portion Pyrotechnik.
BRING ME THE HORIZON, die zum Teil sicher das gleiche Publikum ansprachen, spielten leider parallel mit einer ebenso starken Powershow. Diese war mit ansprechenden Videos versehen und es gab gar Tänzerinnen auf der Bühne. Als Cheerleader feuerten sie die Menge an. Wer schafft den größten Moshpit? Hier waren vermutlich Bring me the Horizon die Sieger – zumindest am Samstag. Obwohl es zwischendurch auch durchaus poppige Klänge zu hören gab, widmete Oliver Sykes die Show Slayer als den Heavy-Metal-Urvätern.
Ein orchestrales Intro und Choräle vom Band kündigten SABATON und ihre Bombastshow an. Songs wie „Ghost Division“ wurden mit einer gewaltigen Knalleffekt-Pyro versehen. Dazu lieferten die Schweden heroischen Gesang und einen ordentlichen Klangteppich. So wurden epische und gewaltige Schlachten auf der Bühne geschlagen.
Währenddessen konnten einem die Protagonisten auf der „Alterna Stage“ fast leid tun. Vor recht überschaubarem Publikum durfte man die feinen und doch sehr stimmgewaltigen Töne von KOVACS genießen. Solch verkopfte Popmusik scheint bei RAR keine Rolle mehr zu spielen. Schade eigentlich, konnte man hier doch vor einer Dekade noch umtriebige Sängerinnen wie Kate Nash und Ellie Goulding abfeiern. Sharon Kovacs betörte die Anwesenden mit verspielt poppigen Melodien und zwei Backgroundsängerinnen.
Auf der Hauptbühne kam endlich der große Moment, auf den 85.000 Fans gewartet hatten. Die Bühne war schwarz verhangen für DIE ÄRZTE. Es gab ein „Drei ???“-Intro und der Vorhang fiel. Fuck – noch ein Vorhang! „Country Roads“ erklang und die Menge sang den „take me home“-Part, der augenscheinlich dem Nürburgring gewidmet war, begeistert mit. Farin, Bela und Rod starteten dann mit „Unrockbar“ durch und gaben recht bald das Motto des Abends vor: Du bist immer dann am besten, wenn’s dir eigentlich egal ist („Lied vom Scheitern“). Besonders umjubelt wurden Klassiker wie „2000 Mädchen“ und moderne Klassiker wie „Lasse redn“. Es gab eine zünftige La Ola gegen die Kälte und man drückte sein Bedauern darüber aus, dass man parallel zu Slayer spielt – doch die Welt kann nicht „Perfekt“ sein.
Für mich dann aber der willkommene Anlass, mit einem lachenden und einem weinenden Auge die Bühne zu wechseln. Es war einfach Ehrensache, auch die fulminante Abschiedsshow von SLAYER zu genießen. Mit Flammenwerfern auf der Bühne präsentierten die Veteranen eine heiße Show. Von Müdigkeit war absolut nichts zu spüren. Fast ohne Ansagen folgte Klassiker auf Klassiker und es war ein Traum, diese gigantische Show zu sehen.
Da Slayer nur 70 Minuten spielten, war ich pünktlich zum „Schrei nach Liebe“ zurück bei der ärztlichen Versorgung an der „Volcano Stage“. BelaFarinRod hatten ja auf eigenen Wunsch 150 Minuten zur Verfügung und vertrödelten diese nicht nur mit ihren Hits, sondern auch mit einer dialoglastigen Comedyshow und diversen Späßen. Wenn es wirklich die letzte Tour der Ärzte sein sollte (was natürlich keiner glaubt und hoffentlich nur aus Marketingzwecken befeuert wird), haben sie hier am Ring eines der besten Konzerte ihrer Karriere geboten. Es gab „Westerland“ als Karaoke Version vom Publikum, „Zu spät“ im Handy Lichtermeer und „Du willst mich küssen“ wurde zumindest angespielt. Wie schon erwähnt war auch Zeit für politische Botschaften. Und man warnte vor den neuen Nazis, die keine Skinheads mehr sind, sondern Dackel-Krawatten tragen.
Das Feiern wollte kaum ein Ende nehmen. Alles fror in der Eifelnacht, doch keiner wollte das spüren. „Junge“ konnte man im Zugabenblock entspannt eröffnen – dann wurde wieder zünftig Party gemacht. Doch irgendwann fielen auch die letzten Partybiester in ihre Zelte.