Wenn Wirtz kommt ist die Bude voll. Das war in Köln schon immer so. Inzwischen hat sich der 43-jährige Frankfurter einmal quer durch die Domstadt gespielt. Angefangen 2008 vor 300 Leuten im Luxor über die Kulturkirche, Live Music Hall und das E-Werk bis hin zum Palladium. Fehlt eigentlich nur noch die Lanxess Arena. Sein heutiger Besuch ist der Nachholtermin für den ursprünglich schon Anfang Mai vorgesehenen Auftritt, der aber wie die gesamte Tour aufgrund eines bandinternen Unglücksfalles verschoben werden musste. Quasi als Wiedergutmachung wird das Konzert komplett mitgeschnitten und im Laufe des kommenden Jahres als DVD erscheinen. Wirtz selbst konnte sich bereits vor vier Tagen ein Bild von der Location machen, als er seinen Kumpel Wolfgang Niedecken an gleicher Stelle bei dessen Gig mit BAP für einen Song unterstützt hat. Und einen weiteren erwähnenswerten Nebeneffekt gibt es auch noch: All jene, die einen Platz auf der Gästeliste ergattert haben, können freiwillig einen Beitrag nach Wahl für ein Hilfsprojekt in Tansania spenden, was wir ebenfalls gerne tun.
Die Begutachtung der Vorgruppe Deine Cousine lassen wir zugunsten eines hopfenhaltigen Kaltgetränks ausfallen, was angesichts der Töne, die aus der Halle bis zur Theke dringen, die richtige Entscheidung zu sein scheint. Anschließend suchen wir uns ein Plätzchen mit guter Sicht auf die Bühne, was aufgrund der lästigen Pfeiler nicht so einfach ist. Immerhin kommt der Sound im Vergleich zu so manch anderem Konzertabend im Palladium diesmal vom ersten Ton an nahezu perfekt rüber. Dieser erste Ton gebührt dem Intro zu „Die fünfte Dimension“, dem Titelsong zu Wirtz‘ fünftem Studioalbum, das fast auf den Tag genau vor einem Jahr veröffentlicht wurde. Das neue Album ist zunächst auch der Schwerpunkt in der Setlist und im ersten Drittel mit gleich sechs Songs vertreten, darunter erfreulicherweise auch meine beiden persönlichen Favoriten „Das verheißene Glück“ und „Entdeckung der Langsamkeit“. Während „Gib mich nicht auf“ sind auf dem Screen im Hintergrund der Bühne Szenen aus dem Videoclip und im weiteren Verlauf des Abends noch andere Animationen zu sehen, die im Zusammenspiel mit der akzentuierten Lightshow eine fast schon heimelige Atmosphäre ins Palladium zaubern. Die Kölner danken es Wirtz und Band, in der diesmal niemand geringerer als Pascal Kravetz die Gitarre bedient, mit minutenlangen „Jetzt geht’s los“-Sprechchören.
Überhaupt ist die Stimmung nach eher verhaltenem Beginn spätestens ab der zweiten Konzerthälfte DVD-kompatibel. Während „Wir“ fordert Wirtz die Fans auf ihre Handytaschenlampen in die Luft zu halten, was ich ein klein wenig albern finde. Das mag aber daran liegen, dass es noch keine Handys gab, als ich zum ersten Mal auf Konzerte gegangen bin und wir stattdessen Feuerzeuge hochgehalten haben. Wirtz macht das aber schnell wieder gut, indem er vor „Frei“ eine emotionale Ansprache hält, in der er uns allen nochmal bewusst macht, wie dankbar wir dafür sein sollten zu den schätzungsweise zwei Prozent der Weltbevölkerung zu gehören, die ihr Leben in Freiheit genießen dürfen. Und so endet das Mainset dann auch passenderweise mit einem weiteren Kölner Chor und „Oh wie ist das schön“-Gesängen. War die Setlist bis hierhin sehr rockig, so ändert sich das im Zugabenblock kaum. Lediglich „Keine Angst“ beginnt Wirtz solo und akustisch, bis wieder die gesamte Band einsteigt. „Ne Weile her“ und „Mon Amour“ setzen dann schließlich die Schlußpunkte unter einen bis dahin schon gelungenen Konzertabend, der allerdings noch eine weitere Steigerung erfahren soll.
Denn wir erinnern uns, heute abend wird ja eine Live-DVD aufgezeichnet. Und offensichtlich hat sich bei der ersten Version von „Seelen“ ausgerechnet Pascal Kravetz verspielt. Während sich ein Drittel der Fans bereits auf dem Heimweg befindet, probiert sich die Band mit dem Rest an einer zweiten Version, die zur Zufriedenheit aller gelingt. Und weil es so schön war (inklusive der entsprechenden Sprechchöre) legt Wirtz zum endgültigen Ende mit „Kamikaze“ noch einen drauf und lässt die Fans dabei auf Kommando aus der Hocke aufspringen und tanzen. Nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden (!) verneigt er sich ausgiebig vor dem feiernden Palladium während im Hintergrund der Schriftzug „Danke Köln“ an die Wand geworfen wird.
Legt man heute die drei Kriterien für ein gutes Konzert zugrunde, nämlich Länge, Stimmung und Setlist, dann kann die zu erwartende DVD nur der Knaller werden. Ich hätte zwar gerne noch einige ältere bis uralte Stücke gehört, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Angesichts der weichgespülten Sangesbarden, die aktuell im Formatradio auf Deutsch rumheulen dürfen (die Namen könnt ihr für euch selbst einsetzen), tut es immer wieder gut mit Daniel Wirtz jemanden zu erleben, der nicht nur authentisch rüberkommt, sondern in seinen Texten auch fast kein Blatt vor den Mund nimmt. Und wer weiß? Vielleicht reicht das ja bei seinem nächsten Besuch in Köln sogar für die Lanxess Arena. Eines steht jedenfalls jetzt schon fest: Es wird rocken!