Ein Blick in die Zeitungen, Nachrichtenmagazine, gängigen Infoshows und Talkrunden im TV – und schon wird uns die allgemeine Hilflosigkeit bewusst. Ein Song wie „Igor“ ist so unglaublich intensiv, dass er mich zunächst nicht loslässt. „In der Zeitung gab es Bilder die mich nachhaltig schockiert haben. Unter anderem ein Bild von einem jungen, russischen Soldaten, der in Kiew vor Gericht stand. Er hatte einen älteren, ukrainischen Mann erschossen. Dessen Leben ist aufgrund dieser Tat mit 21 vorbei. Das Thema der jungen Soldaten, die von Politikern in den Krieg geschickt werden hat mich so gepackt, dass mir direkt ein Text dazu einfiel. Und der Gedanke über diesen jungen Mann ließ mich nicht los. Ich nannte ihn Igor“, sagt Heinz Rudolf Kunze über sein eindringliches Anti-Kriegslied. Der Text des Songs richtet sich direkt an den Kriegsherren Putin, so wie P!nk vor vielen Jahren „Dear Mr President“ gesungen hat.
HRK, wie man ihn liebevoll abkürzt, gehört seit über vier Jahrzehnten zu den wichtigsten politischen Songschreibern und Rockpoeten des Landes und ist mit 36 Studioalben, zahlreichen Büchern und unzähligen Konzerten unbestritten auch einer der produktivsten. Immer wieder erfindet er sich dabei neu, ist mit seinen Texten stets am Puls der Zeit und denkt noch lange nicht ans Aufhören. “Ich widme meine Songs immer allen Menschen, aber natürlich hat das Album auch viel Persönliches. Das ist vor allem der aktuellen Zeit geschuldet”, so Kunze. Die Namensgebung zum Album beschreibt er mit den Worten: “Der Titel entstand ganz unspektakulär auf einer Autofahrt in Düsseldorf, als ich an einem Plakat mit genau diesem Spruch vorbeifuhr. Es war wie eine Offenbarung.“
Mit viel sprachlichem Geschick und Wortakrobatik agiert HRK auf diesem Album als Weltenwandler, der sich sicher sowohl im Außen als auch im Innen bewegt. Kunze muss niemandem mehr beweisen, welchen Stellenwert er in der deutschen Rockmusik hat und möchte dennoch es versuchen. Mit Charme, Wortwitz, Kampfgeist und Können.
Das neue Werk ist ein sehr politisches und bisweilen auch zynisches Deutschrock-Album. Worüber soll man auch schreiben, wenn alles den Bach runter geht? „Halt mich fest“ berichtet von Verzweiflung und Zusammenhalt, „Halt das Herz an“ von Beständigkeit und Zuversicht. Das sind rockig erzählende Ohrwürmer, die mich emotional tief treffen. Solche Stücke sollte man im Radio spielen, anstelle des immer gleichen Gassenhauers aus dem Jahr 1985.
Es gibt auch rührselige Momente. „Du tust mir gut“ ist seiner Partnerin gewidmet und in „Klar hab ich geweint“ legt er emotional die Künstlerseele offen: „Tränen bringen Ausdruck ins Gesicht, so wie Wasser, das den Felsen schleift“. Songs wie „Trostlosigkeitsallee“ erinnern an Bob Dylan und man spürt eine innige Verbundenheit der beiden Songwriter, wobei HRK sich hier auf „Desolation Row“ bezieht. Fast sechzig Jahre liegen zwischen beiden Songs – und auch Kunze lässt historische Figuren zu einem skurrilen Stelldichein zusammentreffen.
„Der Irrsinn hat System“ hält mit starken Gitarrenriffs allen Populisten und Verschwörungstheoretikern den Spiegel vor. „Die furchtbaren herrlichen Jahre“ liefert (wie Konstantin Wecker in „Das ganze schrecklich schöne Leben“) mit persönlichen Worten einen Rückblick auf die lange Karriere und bildet ein erstes Fazit: „solange die Bombe tickt, bin ich zu allem bereit“. Nach fast einer Stunde endet das Album mit der elektronischen Ballade „Leuchtturm“ und lässt mich nachdenklich zurück. Schließlich wird Heinz Rudolf Kunze im Alter nicht leiser und liefert hier eins seiner besten Alben ab.
HEINZ RUDOLF KUNZE und Verstärkung – Können vor Lachen Tour 2024:
19.01.24 Leipzig, Haus Auensee
21.01.24 Chemnitz, Stadthalle
22.01.24 Berlin, Friedrichstadtpalast
23.01.24 Dresden, Kulturpalast
25.01.24 Düsseldorf, Mitsubishi Electric Hall
26.01.24 Jena, Sparkassenarena
27.01.24 Saarbrücken, CCS Kongresshalle
30.01.24 Frankfurt, Alte Oper
31.01.24 Nürnberg, Meistersingerhalle
02.02.24 Hamburg, Laeiszhalle
03.02.24 Magdeburg, Amo Kulturhaus
04.02.24 Osnabrück, Osnabrückhalle
06.02.24 Hannover, Theater am Aegi
09.02.24 Rostock, Stadthalle