„Carnival“ erschien ursprünglich im Jahr 2005 als neuntes Album von New Model Army. Es war eine schwierige Zeit für die Band. Fünf Jahre waren seit „Eight“ vergangen und die Band befand sich immer noch im Umbruch. 2004 gab es zwei Todesfälle im Umfeld: Mit Darryl Kempster starb im Juni ein langjähriger Wegbegleiter und Mitarbeiter des Merchandising-Standes. Er wurde bei einem Überfall vor einem Hotel in Südafrika im Alter von 37 Jahren erschossen. Am 4. November starb Schlagzeuger Robert Heaton mit 43 Jahren aufgrund eines Tumors.
Schon in der ersten Ausgabe setzten die Songwriter Justin Sullivan und Michael Dean ein Konzept in den Mittelpunkt, das „Leben und Sterben“ thematisierte. Das Album begann mit „Water“, auf dem der vorgeburtliche Ultraschall von Michaels erstem Sohn als Sound verwendet wird und es endete mit „Fireworks Night“, das die Band dem während der Aufnahmen verstorbenen Heaton widmete.
„‘Carnival’ war ganz anders“, sagt Sullivan im Nachhinein dazu. „Ambitioniert entworfen als eine Art eklektisch-wirbelndes Soundkarussell war es der Beginn meiner kreativen Partnerschaft mit Michael – mit einem endlosen Strom von neuen Ideen von Nelson, Dean und Dave. Vielleicht wählten wir damals mit Chris Tsangarides den falschen Produzenten. Er war nicht dafür gemacht unser Chaos zu steuern und in Bahnen zu lenken. Und die Dinge wurden durch das häufige Fehlen von Nelson und Dave, der aus familiären Gründen dabei war die Band zu verlassen, nur noch komplizierter. Wir hatten immer das Gefühl, dass ‘Carnival’ das Album war, bei dem die Aufnahmesessions, das Mixing und das Mastering den Songs nie gerecht geworden sind.”
Dem will man jetzt zum 40jährigen Bandjubiläum entgegen wirken. Konzerte waren ohnehin Fehlanzeige – warum also nicht am Backkatalog arbeiten? Die Band übergab die Originalaufnahmen an Lee Smith, den Co-Produzenten und Mixer ihrer neusten Werke. Neben dem neuen Mix wurde das Album um vier Songs und damit 14 Minuten Lauflänge erweitert. Zudem wurde die Reihenfolge der Tracks grundsätzlich umorganisiert, ohne aber den umfassenden Rahmen des Openers „Water“ und des Abschlusses „Fireworks Night“ zu ändern.
Die neuen Stücke fügen sich energisch und intensiv in das Tracklisting ein. Keine Fremdkörper, sondern bedeutsamer Bestandteil des neuen Werks: „Rumour and Rapture 1650“ wurde von Sullivan für die Theatertour von “Freeborn John”, dem Konzeptalbum von Rev Hammer, geschrieben und erzählt die Geschichte eines desillusionierten Soldaten der Parlamentsarmee. „Caslen (Christmas)“ war zunächst instrumental, von Nelson auf der Akustikgitarre eingespielt, und wurde nun mit einem Text von Sullivan erweitert. „One Bullet“ und „Stoned, Fired and Full of Grace“ sind Fans der Band als Live-Akustik-Songs bekannt, doch sie kommen auf „Carnival“ als bisher unveröffentlichte Versionen, eingespielt von der gesamten Band, zum Einsatz. Vor allem „One Bullet“ hat sich schnell zu meinem Favoriten entwickelt.
Als neues Konzeptalbum klingt „Carnival“ jetzt deutlich schärfer und rhythmisch kraftvoller als bisher. Starke Gitarren und ein energisches Schlagzeug beherrschen die Platte. Der Charakter von Protesten gegen die Widrigkeiten unserer Zeit (seien es die Not in Afrika, die Flüchtlingskrise oder die Amtsmüdigkeit der Polizei) treten stärker hervor. Und dazwischen verstecken sich Perlen wie das düster-atmosphärische „Too Close to the Sun“ und das orchestral-hymnische Keyboard von „Another Imperial Day“.
In dieser neuen Form macht „Carnival“ einen großen Sprung nach oben und entwickelt sich langsam aber sicher zu meinem NMA-Favoriten im neuen Jahrtausend. Das Artwork wurde modernisiert und die Aufmachung als Digipack ist absolut gelungen. Aus alt mach neu. Perfektes Upcycling!