Wer einmal Jens Wawrczeck bei einer Hörspiel-Lesung erlebt hat, kann nachvollziehen, dass dieser Sprecher das Werk von Alfred Hitchcock nicht nur einfach wiedergibt, sondern es aufsaugt und auf der Bühne regelrecht lebt. Ich durfte seine Performance von „Die Vögel“ erleben, die er gemeinsam mit einem Geräuschemacher zelebriert, und es war bis zum Schluss ein durchweg spannendes und faszinierendes Erlebnis. Man kann auch die existierenden Hörspiel-Mitschnitte absolut empfehlen. Schließlich ist Jens ja nicht irgendwer, sondern seit Jahrzehnten im Geschäft als kultiger zweiter Detektiv Peter Shaw in den Vertonungen der Drei ???-Reihe.
Jens Wawrczeck, 1963 in Dänemark geboren, wurde als Schauspieler und Hörbuchinterpret mehrfach ausgezeichnet, veröffentlichte 2020 sein Debütalbum als Sänger und arbeitet sporadisch als Synchronbuchautor und Regisseur. Auf seinem Label audoba und in seinem Bühnenprogrammen „Hitch und ich“ widmet er sich der Literatur, die den großen Alfred Hitchcock zu seinen Filmen inspirierte. Und dass dies mehr als abendfüllend sein kann, zeigt auch das vorliegende Taschenbuch im dtv-Verlag.
Sind wirklich alle Mütter Monster? Welche Bücher stecken hinter Alfred Hitchcocks größten Filmen? Und wer sind die wahren Schurkinnen und Schurken auf der Leinwand? Wawrczeck spürt den ikonischen Werken des großen Regisseurs mit viel Leidenschaft nach und nimmt uns mit auf seine ganz persönliche Reise durch das Hitchcock-Universum. Man sitzt mit ihm vor dem Fernseher, wenn er den ersten Hitchcock-Film sieht, begleitet ihn ins Tonstudio zu den Aufnahmen der „Drei ???“ und zieht mit ihm durch die Welt: von Hamburg über New York, von Bodega Bay nach London, immer auf der Spur von Hitchcocks Meisterwerken. Er erzählt, wie ihm Hitchcocks Filme bei der Suche nach der eigenen Identität halfen und ihm zeigten, dass die Beantwortung der Frage „Bin ich verrückt oder sind es die anderen?“ immer vom Standpunkt abhängt. Wawrczeck zeigt alles Wissenswerte: Was ist ein Vertigo-Effekt? Und: Mit welchem Film beginnt man auf dem Weg zum Hitchcockianer?
Die Einblicke in die Filmwelt sind hervorragend recherchiert und sehr umfassend. Es gibt viel Hintergründiges zu den Filmen zu berichten und man erfährt die Antwort auf manch spannende Fragen – vor allem auf solche, die man sich vermutlich gar nicht gestellt hätte. Es geht um Mütter, Ehen und Schurk*innen. Das Kapitel „Der innere Kompass“ ist sehr autobiographisch gehalten. In der Rubrik „Original und Fälschung“ werden die Filme mit der zugrunde liegenden Literatur verglichen. Und „Das Hitchcock-Dutzend“ schlägt den Leser*innen für jeden Monat des Jahres den passenden Film vor. Eine Filmografie zählt zum Schluss alle Filme des Meister-Regisseurs auf, wobei Jens jeden ganz subjektiv mit einer Sterne-Wertung versieht.
Das Büchlein mit gut 250 Seiten ist ein feines Nachschlagewerk für Cineasten. Zudem kann man es auch am Stück lesen wie einen guten (Sach-)Roman. Was zum abschließenden Glück noch fehlt, wäre ein Stichwortverzeichnis mit Filmen und Figuren – doch auch ohne dieses nützliche Extra passt es schon ganz ausgezeichnet.