Oliver Georgi und Martin Benninghoff sind Redakteure bei der FAZ und haben es sich zur Aufgabe gemacht, über Interviews mit bekannten deutschen Künstler*innen die Musikszene unseres Landes zu erkunden und es den Musiker*innen zu ermöglichen, ihr Leben und ihre Arbeit in eigenen Worten darzustellen. Dass dies nicht auf wenigen Seiten darstellbar ist, scheint klar. Mit dem vorliegenden Wälzer sind es 240 großformatige Seiten geworden – und in 23 Gesprächen räumen die Autoren den Interviewpartner*innen unendlich viel Raum ein, um zu erzählen und nachzudenken. Es sind sehr sensibel geführte Interviews. Und vor allem haben die Redakteure hervorragend recherchiert und entlocken den Musiker*innen manche spannende Anekdote. Immer mit im Boot bei der Reise quer durch Deutschland war Fotograf Daniel Pilar, der die Beteiligten in authentischen Bildern darstellte. Und das ohne affiges Gepose.
Vertreten sind Legenden wie Peter Maffay, Marius Müller-Westernhagen, Fanta 4, Reinhard Mey, Klaus Meine oder Urgestein Heino, aber auch die junge Generation – etwa Judith Holofernes, Felix Jaehn, Fynn Kliemann, Adel Tawil oder Silbermond. Manche scheint man schon ewig zu kennen, von einigen hat man schon ewig nichts mehr gehört und einige kennt man höchstens vom Namen her. Gemeinsam haben sie alle eines: Ihre Musik spiegelt unsere Gesellschaft wider, große Themen wie Heimat, Wiedervereinigung, Fremdenhass oder Emanzipation finden sich in ihren Liedern.
Natürlich könnte man sagen: Da fehlen noch einige essentielle Namen. Beispielsweise Udo Lindenberg, der als Pionier der Szene einfach hier mit rein gehört. Doch wo soll man anfangen, wo aufhören? Vielleicht gibt es ja noch einen zweiten Band. Das Potential ist durchaus vorhanden. Lindenberg wird jedenfalls oft erwähnt, unter anderem von Peter Maffay. Man bekommt ihn also zumindest im Sekundärbereich.
Davon abgesehen ist das ganze Buch fantastisch und durchgehend sehr gut lesbar. Alle vertretenen Aushängeschilder deutscher Pop-, Rock- und Schlagermusik haben etwas Wichtiges zu erzählen. Manchmal geht das so tief – beispielsweise bei Reinhard Mey – dass mir die Tränen kommen. Das perfekte Weihnachtsgeschenk für den geneigten Musikliebhaber!
Die Arena Trier war nur zur Hälfte gefüllt und mit einem schwarzen Vorhang abgetrennt. Eigentlich ein schlechtes Zeichen: Adel Tawil scheint nicht mehr so angesagt zu sein wie vor einigen Jahren, als der Übersong „Lieder“ noch in aller Munde war und er locker das Amphitheater in Deutschlands ältester Stadt füllte. Doch ist das ein Problem? Wie zum Trotz legte der Berliner Songwriter und Produzent einen fantastischen Auftritt hin und begeisterter das Trierer Publikum.
“Alles lebt” ist das dritte Album nach dem Ende von Ich + Ich. Während die bisherigen Alben sehr leichtgängig waren, experimentiert Adel jetzt mit Rap und Weltmusik und hat mit “Tu m’appelles” eine aktuelle Single mit Duettpartnerin Peachy am Start. Diese durfte dann auch das Konzert mit einem 20minütigen Set eröffnen. Auf der Bühne: Nur ein DJ am PC-Set und dazu die Sängerin, die Stücke im Stil von Namika zu Gehör brachte und mit der aktuellen Single „Sans Sousi“ endete.
Adel Salah Mahmoud Eid El-Tawil betrat schon recht früh um 20.15 Uhr die Bühne und los ging es mit einem gut zweistündigen Konzert, das voller Hits und Atmosphäre war.
Zu „Liebe to Go“ waren die Bandmitglieder hinter einem durchsichtigen Vorhang versteckt und setzten sich auf Laufbändern in verschiedene Richtungen in Bewegung. Ein sehr cooler Effekt, der dem Auftritt von Anfang an Dynamik brachte. Mit „Katsching“ fiel der Vorhang und der große Bühnenaufbau wurde auf die Bühne gefahren.
Schon an vierter Stelle gab es mit „Vom selben Stern“ ein erstes Highlight der Ich + Ich Phase, dem später auch noch das wundervolle „Stark“ folgen sollte. Seine Songs im Duett mit Annette Humpe sind nicht vergessen und wurden vom Publikum begeistert aufgenommen.
Doch auch die Solostücke entfalteten ihre Wirkung. Für „Zuhause“ brachten die Zuschauer mit ihren Handylichtern „die Welt zum leuchten“. „Ist da jemand“ wirkte als Frage in die Dunkelheit, die mit großem Jubel beantwortet wurde. Adel erzählte offen von Katastrophen in seinem Leben. Auch von einem Fehlalarm auf Hawai, der ihm 18 schreckliche Minuten bescherte, da eine Atombombe avisiert wurde. Die Panik und die Gedanken dazu inspirierten ihn zum gleichnamigen Lied.
Zu Songs wie „Wind“ hatte Adel eine hervorragende Backgroundsängerin dabei, die manche Stücke auch mit Violinen-Klängen veredelte. Das alles führte zu einem sehr atmosphärischen Konzerterlebnis – zu wechselweise lauten und ruhigen Klängen.
Sehr stark fand ich “Wohin soll ich gehen”, das sich mit den neuen Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland auseinandersetzt – aus der Sicht eines Menschen, der hier von Geburt an seine Heimat hat aber fremdländisch aussieht. Adel Tawil hat das seltene Glück, über eine Stimme zu verfügen, mit der er über all diese Dinge sprechen kann und ihm die Leute zuhören. Er kann seinen Schmerz in Melodien packen und so die eigene Verletztheit verarbeiten.
„Ich will nur dass du weißt“ gab es in der Version, die man von der Band SDP featuring Adel Tawil kennt. Dicht gefolgt von der gesungenen Biographie „Lieder“, die immer noch jeder mitsingen kann. Es folgte der Ich + Ich Titel „So soll es bleiben“ und schließlich das aktuelle “Tu m’appelles”, natürlich stilecht mit Sängerin Peachy.
Zwischendurch fielen Adel zwei Kids im Publikum auf, die noch recht jung waren (10-11 Jahre alt), aber schon ordentliche Tanzmoves hinlegten. Er holte sie auf die Bühne und zog die Dance-Show gemeinsam mit ihnen durch. Großer Applaus, zumal auch noch ein Geburtstagsständchen fällig war: Einmal für Elias (eins der Kids) und für Lichtmann Ingo.
Der Zugabenblock begann gegen 22 Uhr und lieferte unter anderem „Pflaster“ (ihr wisst schon: der Song mit dem tobenden Hamster). Es war ein herausragendes Konzert, fanfreundlich mit Ausflügen des Künstlers in die Menge. Er mag den Spitzenplatz der Charts nicht mehr sicher haben, aber er versteht sein Handwerk. Und allein der Backkatalog sorgt für ein Feuerwerk an Hits.
Nach dem großen Erfolg im Jahr 2018 veranstaltet der Kinder- und Familiensender Radio Teddy auch in diesem Sommer ein Festival für 15.000 Musikbegeisterte aller Generationen in der Berliner Wuhlheide. Das Event steigt am 25.8.2019 und gut drei Wochen vorher gibt es den Sampler zum Einstimmen: „RABATZ, die zweite“.
Ja, Radio Teddy macht Rabatz. Mit seinen Sendungen, die klassische und moderne Kinderlieder ebenso in der Playlist haben wie aktuelle Popmusik. Die Compilation zum Festival bietet die besten Lieder für tolle Sommertage. Mit dabei sind Wincent Weiss, Namika, die Lochis, Adel Tawil, Emilio, Louis Held, Lena, die Bibi & Tina-All-Stars, die KIDZ BOP Kids, Deine Freunde, Volker Rosin, Rolf Zuckowski, herrH, Bürger Lars Dietrich (mit seinem Titelsong zum Benjamin-Blümchen-Film), Nilsen, Simon sagt und weitere Stars der Kindermusik- und Deutschpop-Szene. Und ganz exklusiv: der „RABATZ-Song“ von Frank und seine Freunde feat. 3Berlin.
Radio Teddy sendet seit 2005 aus Potsdam-Babelsberg und bietet Unterhaltung und Information für die ganze Familie. Die familientaugliche Mischung des SEnders spiegelt sich im vorliegenden Sampler wieder. Deine Freunde sind immer eine Bank – und die „Bibi und Tina2 Songs trällert ohnehin jedes Mädel mit. Zum Verschnaufen für die Eltern gibt es dann „Kaum erwarten“ von Wincent Weiss und „Größer als du denkst“ von Diane Weigmann. Aber auch der unverwüstliche Bananenbruot-Song von Rolf Zuckowski („Theeeeoooo“) ist mit von der Partie.
Abwechslungsreich ist das Ganze definitiv. Im Gegensatz zum ersten Rabatz-Sampler werden diesmal auch ältere Kinder angesprochen. Man hat also einen Sprung in die richtige Richtung gemacht.
„Alles lebt“ ist das dritte Album nach dem Ende von Ich + Ich. Adel Tawil hat sich diesmal nicht so viel Zeit genommen und doch mit dem Duisburger Produzenten Juh-Dee einen neuen Sound kreiert. Während die bisherigen Alben sehr leichtgängig waren, experimentiert Adel jetzt mit Rap und Weltmusik und hat mit „Tu m’appelles“ eine aktuelle Single mit Duettpartnerin PEACHY am Start. „Irgendwie bin ich ja immer auf der Suche nach Identität und auf der Suche nach was Neuem. Ich will Neues erschaffen. Neue Songs und Sounds finden und erfinden. Ich will neue Sachen machen. Ich will experimentieren, ich will suchen. Der Anspruch an dieses Album war einen neuen Sound zu finden, der für mich eine Entwicklung, einfach das nächste Level darstellt“, sagt Adel selbst dazu.
Passagen zwischen melodischem Rap und leichten Reggae-Anleihen stehen im Vordergrund. Hinzu kommt eine rhythmisch verspielte Produktion, die sich sehr auf elektronische Elemente verlässt. Das führt bisweilen dazu, dass Adels Vocals sehr verfremdet wirken, was ich schade finde. Balladen wie „Neues Ich“, „Sie rennt“ und „DNA“ wissen aber zu gefallen und erinnern an die Großtaten aus der Zeit mit Annette Humpe. Die rhythmisch verspielten Samba-Elemente von „1000 gute Gründe“ geben sommerliche Frische mit und „Atombombe“ will mit mystischen Klängen aufrütteln.
Sehr stark finde ich „Wohin soll ich gehen“, das sich mit den neuen Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland auseinandersetzt – aus der Sicht eines Menschen, der hier von Geburt an seine Heimat hat aber fremdländisch aussieht. Adel Tawil hat das seltene Glück, über eine Stimme zu verfügen, mit der er über all diese Dinge sprechen kann und ihm die Leute zuhören. Er kann seinen Schmerz in Melodien packen und so die eigene Verletztheit verarbeiten. „Alles lebt“ ist zwar das schwächste seiner drei Soloalben, aber ebenso wichtig und ausdrucksstark wie die Vorgänger. Die Tour dazu folgt Anfang 2020 und führt in die großen Arenen. Gut so!
Seit Jahren bringt uns die Reihe „MTV unplugged“ intime Konzert-Atmosphäre direkt ins Wohnzimmer. Und das ist mehr als ein Regelwerk, beispielsweise sitzend vor Publikum zu spielen, Gastmusiker auftreten zu lassen und eigene sowie fremde Songs neu zu interpretieren. Es ist vor allem das Vermitteln eines musikalischen Lebensgefühls durch Geschichten.
Es gibt Gänsehautmomente, wenn die Scorpions in 300 Metern Höhe in einem Freilufttheater in Athen spielen – und zugleich damit MTV unplugged-Geschichte schreiben. Eine Entführung in die Unwirklichkeit, wenn die Klänge der Fantastischen Vier von den Mauern einer Tropfsteinhöhle im Sauerland widerhallen. Da sind Menschen, die mit ihrer Heimat verbunden sind, so wie Rapper Sido, der für sein Unplugged Konzert zu den Wurzeln zurückkehrte und im Märkischen Viertel in Berlin performte. Menschen, die ihre Ängste überwinden, so wie Westernhagen, den es sage und schreibe 20 Jahre kostete, bis er sich traute, sein Unplugged aufzunehmen.
Die Songauswahl für diesen Sampler könnte passender nicht sein. Westernhagen macht den Anfang mit „Freiheit“. Die Toten Hosen liefern den Hit aus ihrem Horrorshow-Konzeptalbum „Hier kommt Alex“. Udo Lindenbergs Beitrag ist sein formidabler Comeback-Hit „Cello“ im Duett mit Clueso. Wir dürfen uns auf das melancholisch-schrille „Ein Kompliment“ von Sportfreunde Stiller freuen und auf fantastischen Rap von den Fantas, von Max Herre, von Samy Deluxe, von Cro und von den Söhnen Mannheims.
Andreas Gabalier und Max Giesinger, Peter Maffay und Johannes Oerding, Sido und Adel Tawil gibt es im Doppelpack. Oerding ist gleich mit zwei Features vertreten, da er auch Revolverheld unterstützt. So bietet die Compilation das Beste aus deutschen Landen bis hin zu den altehrwürdigen Scorpions. Und die Tracklist ist eine feine Bestandsaufnahme der letzten drei Musik-Jahrzehnte.
Etwas unpassend finde ich das „Auffüllen“ der Songliste durch a-ha, Mando Diao und Placebo. Auch sehr geile Titel, aber es stört das „German Sessions“-Konzept. Was soll’s. Wer hier zuschlägt, bekommt einen starken Hit-Sampler voll filigraner Arrangements. MTV unplugged ist und bleibt eine Bank.
Die Wuhlheide in Berlin ist schon ein besonderer Konzertort – vor allem wenn man (wie Adel Tawil) in der Hauptstadt geboren und aufgewachsen ist. Man kann verstehen, was es ihm bedeutete, dort einen überragenden Auftritt mit vielen Gästen und Freunden hinzulegen.
Im Juli 2018 war es soweit. Der Mitschnitt hat so viele Hits und Ohrwürmer zu bieten, dass die deutschsprachige Karriere mit Ich + Ich bis hin zum Soloerfolg abgebildet wird. Nur die Boygroup-Phase mit The Boyz lässt er aus.
Das Konzert vor unglaublicher Kulisse startet mit einem Vorspiel durch Kurt Krömer. Anfänglich plätschert das Konzert noch vor sich hin und lebt vor allem durch den selbstbewussten Auftritt von Adel in seiner Heimat. Doch spätestens mit dem Gastauftritt von SDP gerät der Gig in Fahrt.
Die Bilder aus der Wuhlheide sind schon berauschend. Der Sound ist stark und die Tracklist steigert sich im Verlauf des Konzerts. „Du erinnerst mich an Liebe“ im Duett mit Alina ist das erste Highlight. Dann erscheint Sido zum Superhit „Lieder“ auf der Bühne und gemeinsam schmettern die beiden „Bilder im Kopf“ und „Der Himmel soll warten“. Kongenial und gänsehauterzeugend.
Den Abschluss widmet Adel Tawil seinen Hits aus der Ich + Ich Ära: „Stark“, „So soll es bleiben“ und „Vom selben Stern“ beenden ein furioses Konzert. Ganz zum Ende gibt es ein wehmütiges „Erinnern“ und man kann dem Künstler nur zustimmen, wenn er die Textzeile „Halt den Moment einfach fest, damit er dich nicht verlässt“ anstimmt.
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Noch vor dieser unrühmlichen Bundestagswahl ist der vorliegende Sampler erschienen. Eine Zusammenstellung von Songs zum Thema „500 Jahre Reformation“. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heißt eine der wichtigsten reformatorischen Schriften Martin Luthers und heute sollte das für uns vielleicht übersetzt werden als „Von der Freiheit eines jeden Menschen“. Oder eben vom Traum davon.
29 Tracks wurden von den unterschiedlichsten Künstlern für diese Doppel-CD beigetragen. Und es sind meist nicht die Chart-Erfolge, sondern bewegende Kleinode, die sich im engen oder entfernteren Sinne mit der Freiheitsthematik beschäftigen.
„Ich mach mein Ding“ singt Udo Lindenberg. Philipp Poisel gäbe „Für keine Kohle dieser Welt“ seine Freiheit auf. Die Sportfreunde Stiller erinnern an ein Flüchtlingsdrama an einem „Dienstag im April“. Und Laith Al-Deen proklamiert in seinem aktuellen deutschen Remake von George Michaels „Freedom90“, dass wir alle zur Freiheit geboren sind.
Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Freiheit der Kunst und der Wissenschaft, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit, Bekenntnisfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Berufsfreiheit – das sollten sich alle hinter die Ohren schreiben, die meinten, aus Protestgründen eine rechtsradikale Partei wählen zu müssen. Auch Kunst braucht diese Freiheit. Und so macht es Mut, zu hören, wie viele Künstler sich mit diesem Thema beschäftigen und ihre Songs für die gute Sache zur Verfügung gestellt haben.
Meine Favoriten: „Wellenreiter“ von BAP, Alex Diehls „Nur ein Lied“ und der bewegende Song „Fahnenfluch“ von dem afghanischen Flüchtlingssohn Sorab Jon Asar, der von diesem Traum handelt, frei zu sein, eine Heimat zu haben und nicht gefühlt seit 26 Jahren auf der Flucht zu sein.
Zwei CDs voller wertvoller Songs, die man sich getrost anhören und dabei etwas guten Willen tanken kann.
Nach dem Ende von Ich + Ich brauchte Adel Tawil eine Zeit lang, um sich frei zu schwimmen. Gelungen ist dies letztlich mit dem Song „Lieder“, der seine musikalische Biographie in Worte und Noten fasste. Unglaublich intensiv – und vielleicht deshalb so erfolgreich, weil er den Soundtrack einer ganzen Generation zusammenfasste. Zwei Jahre später versuchte er eine Fortsetzung mit dem Titel „Unsere Lieder“, die aber seltsamerweise nicht funktionierte. So ist das Popgeschäft: Man kann einen Erfolg nur in den seltensten Fällen kopieren. Was blieb, waren Kollaborationen mit Sido und SDP. Stark genug, um den Sänger mit der begnadeten Stimme im kollektiven Gedächtnis zu behalten. So konnte er sich vier Jahre Zeit lassen für sein zweites Album „So schön anders“. Und das Warten hat sich gelohnt!
Gleich zwei Singles bildeten die Vorhut. „Ist da jemand“ als authentischer Lovesong, und „Bis hier und noch weiter“, eine HipHop-lastige Kollaboration mit KC Rebell und Summer Cem. Das zeigt, wohin die Reise geht. Adel Tawil schafft den Spagat zwischen Sprechgesang und Soul. Und seine prägnante Stimme sorgt für den nötigen Wiedererkennungswert.
Adel Tawil hat so einiges mitgemacht in der wunderbaren Welt der Popmusik. Mit The Boyz hat er die weniger schönen Seiten des Business erlebt, mit Ich + Ich die größten Erfolge gefeiert und sein Debütalbum „Lieder“ wurde über 500.000 Mal verkauft und mit zweifach Platin ausgezeichnet. Auf seinem neuen Album findet Adel zu seiner ganz eigenen Ausdrucksform. Ein Album, auf dem er ganz er selbst ist. „Ich habe einfach alles erzählt was mir passiert ist, den ganzen Schmerz und die ganz großen Glücksmomente reingepackt. Im Endeffekt will ich große Songs singen, die man im Bauch fühlen kann. Lieder, die ganz ich sind.“
Der Titel „Eine Welt eine Heimat“, den er mit Youssou N’Dour und Mohamed Mounier singt, ist ganz großes Gefühlskino. Weltmusik fürs deutsche Wohnzimmer, die zu Herzen geht und zum Nachdenken anregt. Ebenso wie „Gott steh mir bei“, das sich mit dem Thema Religion beschäftigt, und der hymnische Schluss-Track „Sensation“.
Auch Balladen-Freunde kommen nicht zu kurz. Adel singt „Mein Leben ohne mich“ und „Nur Liebe mitgebracht“. Dann schafft er gemeinsam mit MoTrip Atmosphäre in „Polarlichter“. Es ist seine angenehme Stimme, die alles zusammenhält. Andreas Herbig hat das Album produziert und ganz auf den Sänger zugeschnitten. Wer sich für die Deluxe Edition entscheidet, bekommt noch eine weitere CD mit sechs Bonussongs.
Der letzte Abend brachte ein ganz besonderes Highlight: Die Reihe der Open Airs im Trierer Amphitheater ging vergangenen Samstag mit dem Auftritt von Adel Tawil zu Ende. Es war mit Abstand das Konzert, das den breitesten Altersschnitt mit sich brachte. Viele Familien waren anwesend und vor Beginn sah man unzählige Kinder ausgelassen durch die Reihen wirbeln.
Als Support war Songwriter Mathia am Start. Er wurde als Mathia-Mathithiahu Gavriel in Tel-Aviv geboren und lebte seither in Los Angeles, London und New York. Seit einiger Zeit lebt er in Berlin und hat damit die perfekte Basis für seine Solokarriere gefunden. Was er in Trier bot, war seichte Gute-Laune-Musik, angerichtet als Gitarrenpop mit einem guten Schuss Indie-Feeling und hymnischen Melodien. Eine feine Vorspeise an einem lauen Sommerabend.
Als Adel Tawil schließlich die Bühne betrat, wurde der letzte Zuschauer wach und die Kids nahmen ihre Plätze auf den Schultern der Väter ein. Bestens gefüllte Konzerte mit nur einem Album – wie schafft man das? Zum Glück weiß jeder Bescheid, denn Adel Tawil hat wie kein anderer zuvor seine musikalische Biographie mit den Fans geteilt. Im Song „Lieder“ sind neben den Einflüssen aller Art auch die Stationen des persönlichen Werdegangs musikalisch verwurstet. Und genau diese spielten im Verlauf des Konzerts eine große Rolle.
Gemeinsam mit Annette Humpe gründete er 2003 das Popduo Ich + Ich, das sich zu einem der erfolgreichsten Bandprojekte des neuen Jahrtausends entwickelte. Das zweite Album „Vom selben Stern“ verkaufte sich über eine Million Mal und hielt sich ganze 154 Wochen in den Top 100 der deutschen Albumcharts. Damit gehörten Humpe und Tawil zu den ersten, die im vergangenen Jahrzehnt bewiesen haben, dass deutschsprachiger Pop und Langlebigkeit sich durchaus mit einander vereinen lassen.
Adel hatte solo schon einen ersten Erfolg mit der Single „Stadt“, die er 2009 im Duett mit Cassandra Stehen einsang. Diesen Titel gab es in Trier auch – zusammen mit Backgroundsängerin Maria Helmin, die hier auch als Solistin glänzte. Überhaupt war die Band großartig und Maria Helmin setzte bisweilen an der Violine noch ein i-Tüpfelchen drauf („Kartenhaus“).
Der sympathische, bärtige Lockenkopf Adel Tawil hatte das Publikum von Beginn an gut im Griff. Er redete mit den Leuten, vor allem den Kindern, machte ab und zu ein Bad in der Menge und ging ganz locker damit um, wenn mal ein Einsatz verpasst wurde. Das Publikum hing an seinen Lippen und man sang lange Passagen des Soloalbums, dessen Titel hauptsächlich gespielt wurden, begeistert mit. Im Hintergrund war eine bühnengroße LCD-Leinwand, die das Geschehen mit Einspielern oder Porträts der Musiker illustrierte.
Highlights gab es eine ganze Menge. Beispielsweise den Titel „Graffiti Love“, der von fünf großen Trommeln begleitet wurde. Oder der rührende Abschluss von „Stark“, als Adel die Textzeile „Ich steh nur hier oben und sing mein Lied“ a cappella ins Publikum schmetterte. Da ging wirklich jedem das Herz auf. An weiteren Ich + Ich-Songs gab es unter anderem „So soll es bleiben“ und natürlich „Vom selben Stern“, das Adel von einigen Kindern mitsingen ließ.
In den 90ern war Adel Tawil noch Mitglied bei The Boyz, was man heute wohl als Jugendsünde verbuchen muss. Immerhin hat ihm diese Boygroup den Weg ins Musikgeschäft geebnet und der Vollständigkeit halber schmetterte der Sänger in einem Medley den einzigen echten Hit „One Minute“, bevor es mit „Der Himmel soll warten“ aus Sidos MTV-unplugged-Album weiter ging. Schon erstaunlich, welche Hits es bereits vor dem Debüt aus Adels Kehle gab.
Irgendwann kam der Moment, wo Tawil fragend in die Menge schaute „Was soll ich denn jetzt noch singen?“ und beinahe umfiel, als ein Chor von Kinderstimmen ihm „Lieder“ entgegen brüllte. Natürlich gab es auch diesen Song und viele Textzeilen wurden vom Publikum lauter gesungen als vom Sänger. Adel Tawil hat Punkte gemacht im Amphitheater. Wer vorher noch kein Fan war, war es danach ganz bestimmt.
Der Sympathiefunken sprang über und die 100 Minuten Konzertlänge vergingen wie im Flug. Mir hat noch „Pflaster“ als allerletzte Zugabe gefehlt (snief). Stattdessen gab es die B-Seite „Kater am Meer“ in einer Langversion, die dann doch irgendwie zu viel des Guten war. Viele Zuschauer verließen während den ausschweifenden Soli schon den Platz und die Ausharrenden ärgerten sich am Ende, dass nicht doch noch ein weiterer Song kam. So sollte man ein Konzert nicht beenden. Sei’s drum. Bis auf diesen seltsamen Abschluss war alles fantastisch!