Endlich normale Menschen
Wer vor 17 Jahren Guildo Horns Autobiografie „Doppel-Ich“ gelesen hat, konnte einen ganz anderen Menschen kennen lernen als den Schlagerfuzzi, der Ende der 90er Jahre gemeinsam mit Stefan Raab Schwung in die eingefahrenen ESC-Pfade gebracht hatte. Mir ist Guildo schon seit meinem Zivildienst bei der Lebenshilfe ein Begriff. Da kamen nämlich die Betreuten eines Tages zurück ins Wohnheim und meinten „Unser Musiklehrer ist heute Abend im Fernsehen“. Wir versammelten uns also zu vorgerückter Stunde vor „Schreinemakers live“ und wurden Zeuge, wie Guildo als Wiedergeburt von Roy Black die sonst so wortgewandte Moderatorin sprachlos machte. Seitdem bin ich Fan und besuche natürlich jedes Jahr das Weihnachtskonzert in Trier. Ehrensache!
Jetzt also ein Hörbuch zu besagter Biografie, das der Autor selbst einliest. Allein das ist es schon wert, die gut sieben Stunden der Lesung anzuhören. Guildo (bürgerlich Horst Köhler) erzählt davon, wie er zur Musik kam und vor allem, wie er seine besondere Nähe zu Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung entdeckte. Man kann ohne Umschweife nachvollziehen, wie deren Direktheit und Offenheit den Musiker mit diesen so besonderen Menschen verbanden und zu einer großen authentischen Zuneigung führten.
Guildo Horn ist nicht nur derjenige, der die Nussecke zu einem ungeahnten Bekanntheitsgrad brachte und den deutschen Schlager Mitte der 90er-Jahre aus seiner Totenstarre befreite. Er hat sich ebenso der Arbeit mit geistig behinderten Menschen verschrieben und auch auf den Höhepunkten seiner Karriere nie davon abgelassen. „Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust“, möchte man meinen. Diese jedenfalls liefern ausreichend Stoff für eine außergewöhnliche und faszinierende Biographie.
Wer sonst als Guildo Horn selbst könnte davon erzählen, wie ihn die Arbeit mit behinderten Menschen geprägt hat und welche Erfahrungen daraus resultieren? Wer sonst könnte so respektlos über das Erwachsenwerden, das Sich-selbst-Finden und den Starrummel fabulieren wie der „Meister“ selbst? Guildo Horns Blick zurück und hinter die Kulissen des Showbiz bietet dem Leser eine Vielzahl erhellender bis entblößender Einblicke in ein Leben voller Tatendrang – absolut authentisch, herrlich vorwitzig und extrem selbstironisch. Eben typisch Guildo Horn.
„Die Guildomacher“ entstand damals aus einer Auftragsarbeit des Gütersloher Verlagshauses, inspiriert durch Guildo Horns Talkshow „Guildo und seine Gäste“. In der zweifach für den Grimme Preis nominierten TV-Sendung sprach Horn mit geistig und mehrfach behinderten Erwachsenen über alle möglichen und unmöglichen Themen des Lebens. Über Liebe, Kriege, Fußball, Ängste und Stärken. Stets auf Augenhöhe, mit der gebührenden Ernsthaftigkeit und vor allem mit viel, viel Humor! Sein unverwechselbarer Zugang zur Inklusion und Behindertenarbeit machte ihn, der vor seiner Künstler-Karriere mehrere Jahre als Musiklehrer bei der Lebenshilfe e.V. gearbeitet hatte, zu einer prägenden Stimme in der gesellschaftlichen Debatte. Für sein Engagement wurde er mit dem Bobby der Lebenshilfe e.V. ausgezeichnet wurde. Dieses Buch ist die Lebensgeschichte von einem, der auszog sein Herz zu öffnen. Es ist eine höchst persönliche Erzählung über Individualität und die Kraft der Menschlichkeit.
Mit unerschöpflicher Hingabe und Ehrlichkeit hat Guildo Horn jeden Satz und jedes Komma aus den Tiefen seiner Erinnerungen geschöpft. Dabei führt er seine Hörerschaft selbst durch die geheimsten Episoden seiner Vergangenheit – brettehrlich, witzig und manchmal auch erschütternd. Er selbst verspricht: „Seid euch gewiss: Alles Erzählte ist genauso geschehen, wie ich es erzähle. Und nachher wisst ihr definitiv, mit wem ihr es bei mir zu tun habt!“ Das Buch ist eine Hommage an diejenigen, die ihm prägend zur Seite standen. Er nennt sie “Die Guildomacher“ – Menschen mit geistigen Behinderungen, die ihn inspirierten und zu demjenigen werden ließen, der er heute ist. „Ohne meine Zeit in der Werkstätte für Behinderte würde es den Guildo so nicht geben!“
Doch warum ein Comeback als Hörbuch nach so vielen Jahren? Guildo Horn sieht die gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit behinderten Menschen kritisch. „Es scheint mir, dass wir vor sechzehn Jahren beim Thema Integration und Inklusion weitaus offener waren als heute. Behinderte Menschen werden wieder häufiger als Belastung statt als Bereicherung wahrgenommen. Das schmerzt und es ist auch falsch so! Wenn heute selbst ein neugewählter amerikanischer Präsident, der Hüter der westlichen Welt, nach einer schrecklichen Flugzeugkatastrophe, Menschen mit Behinderung und deren Förderung als mögliche Unfallursache nennt, wenn dann auch hierzulande aus einschlägigen Kreisen behinderte Menschen wieder zunehmend als Belastung und nicht auch als gleichberechtigter Teil unsere Gemeinschaft gesehen werden, ist es an der Zeit für mich, wieder in den Ring zu steigen!“
Dem will ich als selbst in der Behindertenarbeit tätiger Sozialpädagoge gar nichts mehr hinzufügen: Lest das Buch, hört das Hörbuch, besucht Guildos Konzerte, lernt Menschen mit Beeinträchtigung in eurer Umgebung kennen, demonstriert eure Unterstützung – wir brauchen Inklusion und Diversität in allen Bereichen des Lebens!