Erschreckende fünfeinhalb Jahre ist es jetzt schon her, dass mit dem Album „F.E.A.R. (Fuck Everyone And Run)“ das letzte reguläre Studioalbum der britischen Band Marillion erschien. Ein Meisterstück, das eigentlich kaum zu toppen war. So ließ man sich auch Zeit mit dem neuen Werk. Zwischenzeitlich hatte das Rockquintett mit einem in Belgien beheimateten Streicherquartett namens In Praise Of Folly zusammen gearbeitet. Deren orchestrale Einsprengsel in die bekannten Artrock-Arrangements kamen bei den Fans so gut an, dass im Anschluss einige Tourdaten mit den Streicherinnen folgten und es gar eine Compilation von Neuaufnahmen unter dem Titel „With Friends from the Orchestra“ gab.
So weit – so gut. Folgt jetzt im Jahr 2022 die Rückkehr zur puren Lehre des Rock? Nicht unbedingt, denn es war schon immer eine große Stärke von Marillion, sich stetig weiterzuentwickeln. Mit Neoprog hat ihre Musik nach dem Ausstieg von Fish im Jahr 1988 nichts mehr zu tun. Die progressive Ausrichtung gestaltete sich unter Steve Hogarth eher in Richtung Artrock und Melodic Rock. Highlights wie „Brave“, „Afraid of Sunlight“, „Marbles“ und eben „FEAR“ waren die Folge.
Das neue Album wurde wie sein Vorgänger in Peter Gabriels Real World Studios aufgenommen. Der Titel des (je nach Zählung) zwanzigsten Studioalbums der Band hat eine vielseitige Bedeutung. Im englischen Sprachgebrauch handelt es sich dabei unter anderem um die letzte Stunde, in der man als Kind draußen spielen darf. Es ist aber sicher auch eine Anspielung auf den Kampf gegen die Zeit in der Klimakrise. Und geht es hier nicht auch um die letzten Minuten im Leben eines Menschen? Bassist Pete Trewavas hat uns im Interview die Idee folgendermaßen erklärt: „Die Aussage hat verschiedene Bedeutungen – und so ist es bei allen Songs auf dem Album. Alles hängt zusammen und das macht die Magie des Albums aus.“
So wird das neue Werk zum konzeptionellen Album, das sich den Problemen unserer Zeit auf verschiedene Weise nähert. „Reprogram The Gene“ befasst sich mit der Klimakatastrophe. Unglaublich, dass der Titelsong des ersten Marillion-Albums mit Hogarth vor 33 Jahren ebenfalls dieses Thema behandelte („Season’s End“). Gleich zwei Songs beschäftigen sich unterschwellig mit der Corona-Pandemie. „Murder Machines“ betrachtet die Menschen als Gefahr für sich selbst, wobei es auch darum geht, einen anderen mit seiner Liebe zu erdrücken („I put my arms around her and I killed her with love“). Ebenso groß im Pathos ist das abschließende „Care“ als Quasi-Titelsong des Albums, der allen Helfern und Pflegern („Angels on Earth“) gewidmet ist.
Wie von Marillion gewohnt, bekommt man kaum eine Verschnaufpause. Nur das Instrumental „Only A Kiss“ lässt den Hörer kurz zur Ruhe kommen. Die sechs großen epischen Tracks sind deutlich songorientierter als manche Titel von „FEAR“, die doch bisweilen arg zerstückelt wirkten. Auch hier gibt es mit Überschriften versehene Einzelkapitel in den Longtracks (siehe Tracklisting ganz unten), aber die Songs wirken eher als Einheit und sind nur thematisch unterteilt.
Das schon als Single-Auskopplung bekannte „Be Hard On Yourself“ ist kraftvoll und mit starken Lyrics versehen. Neu ist die Integration eines Chores namens Choir Noir, der stilvoll und sphärisch in die Arrangements integriert wird. Wie die Streicherinnen von In Praise Of Folly, die auch wieder mit dabei sind, hat er seine Beiträge aus der Ferne eingespielt und Produzent Mike Hunter hat sie in das musikalische Geschehen eingewebt. Selbst Meistergitarrist Steve Rothery war diesmal aus Pandemie-Gründen nicht durchgehend im Studio. Das tut allerdings seinen genialen Solo-Einlagen keinen Abbruch.
Klar gibt es Höhen und Tiefen, vor allem in der dynamischen Entwicklung des Albums. Zwei getragene Songs läuten die zweite Albumhälfte ein: „The Crow And The Nightingale“ ist eine Hommage an Leonard Cohen. „Sierra Leone“ bietet einen cineastischen Sound mit melancholischen Klängen. Doch der hymnische Charakter des Albums überwiegt und die 55 Minuten vollendeten Sounds wirken dann am besten, wenn man das Werk am Stück hört. Man darf gespannt sein auf die Konzerte im Herbst und auf die Herangehensweise der Band an die Songs.
Nach mehreren Marillion Weekend Terminen bis Sommer 2022, begeben sich Marillion im Herbst auf große Europatour mit vier Daten in Deutschland:
Am 4. März 2022 erscheint mit „An Hour Before It’s Dark“ das neue Album von Marillion. Wir hatten acht Tage vorher, am 24. Februar, die Gelegenheit zu einem längeren ZOOM Call mit dem Bassisten Pete Trewavas. Ein seltsamer Tag, der ganz unter dem Eindruck einer russischen Invasion in der Ukraine stand. Und doch stand uns Pete Rede und Antwort zum Album und zu seinem zweiten Projekt Transatlantic, das ihn ebenfalls gut auf Trab hält. Das Interview führte Andreas Weist.
Hallo Pete. Wir haben uns zuletzt im Dezember 2019 in Essen gesehen. Das war euer letzter Auftritt für lange Zeit.
Es war eine schöne Tour damals mit dem kleinen Orchester, unseren „Friends From The Orchestra“. Das habe ich sehr genossen. Schön, wieder mit dir zu sprechen.
Wie ist es dir seitdem ergangen?
Tatsächlich war ich sehr beschäftigt. Mal abgesehen vom Lockdown, der aber dazu führte, dass wir mehr Zeit mit dem neuen Marillion Album verbrachten. Außerdem war ich sehr mit dem neuen Transatlantic Album beschäftigt, das wir in dieser Zeit aufgenommen haben.
Auf jeden Fall war es eine seltsame Zeit und wir waren auch sehr frustriert, denn wir wollten unbedingt das Album rausbringen. Die Themen, mit denen wir uns beschäftigt haben, waren sehr aktuell und wir wollten nicht, dass sie an Relevanz verlieren. Aber das haben sie wohl auch nicht. Wenn sie auch etwas sekundär geworden sind nach dem Chaos, das wir heute erleben müssen
Du meinst den Krieg in der Ukraine?
Genau. Niemand hätte doch jemals gedacht, dass so etwas wirklich passieren wird. Also ich zumindest nicht.
Mark Kelly und Ian Mosley haben ihre Biografien geschrieben. Auch Steve Hogarth ist schon länger mit seinen Tagebüchern am Start. Hat es dich nicht auch gejuckt, in dieser konzertlosen Zeit unter die Schreiber zu gehen?
Nein. Ich verbringe meine Zeit lieber damit, Musik zu schreiben. Das ist auch bequemer. Seltsamerweise haben mich aber viele Leute nach einem Buch gefragt. Sie sagten, es sei ein Vermächtnis für die Familie und die Freunde, wenn man seine Gedanken niederschreibt. Damit auch die Enkel verstehen, was man mit seinem Leben gemacht hat.
Aber ich denke, du lieferst dein Vermächtnis mit deiner Musik.
Ja, das stimmt. Musik ist einfach ein riesiger Teil meines Lebens. Schon als ich noch sehr jung war, war sie eine große Inspiration. Und ich habe Musik nicht einfach nur geliebt. Von Beginn an habe ich sie auch verstanden. Die Sprache der Noten. Mein Vater war Pianist und spielte Saxofon. Allerdings habe ich ihn nie am Saxofon gehört. Er hat das Instrument verkauft, um einen Verlobungsring zu kaufen. Eine sehr schöne Geschichte.
Ich habe also auf dem Piano geübt. Ich hatte auch Klavierstunden, aber ich habe es gehasst. Ich wollte alles für mich selbst entdecken und ich habe gefühlt, dass ich das kann.
Hast du dir auch den Bass selbst beigebracht?
Im Prinzip schon. Ich hatte ein paar Gitarrenstunden von einem Typen namens Keith. Er hat mir einige Akkorde gezeigt. Eigentlich wollte meine Schwester Gitarrespielen lernen und ich durfte dabei sitzen. Wenn sie dann die Gitarre beiseite gelegt hat, habe ich sie genommen und geübt. Was sie recht schwer fand, fiel mir leicht. Ich habe mit sieben angefangen, Gitarre zu spielen. Ich habe Songs von den Beatles und den Monkees gehört. „Last Train To Clarksville“ war damals ganz aktuell. Ich hatte ein gutes Ohr für die Musik und konnte alles nachspielen.
Die Fans schauen ja auch gespannt darauf, was mit Transatlantic passiert. Gibt es da Tourpläne nach dem Album “The Absolute Universe”?
Wenn alles gut geht, werden Marillion im April eine Convention in Polen spielen. Dann werde ich umgehend nach Amerika fliegen und es wird eine kleine Tour mit Transatlantic geben. Wir werden auch an zwei Abenden Headliner beim „Morsefest“ sein und auf der Kreuzfahrt „Cruise To The Edge“ werde ich mit beiden Bands spielen. Du merkst also, ich bin sehr beschäftigt. Ich muss ja auch alle Songs lernen.
Dann wird es weitere Marillion Conventions geben. In Schweden, Portugal, Leicester (UK) und in Montreal. Und mit Transatlantic gehen wir auf eine kleine Tour durch Europa. Die Priorität liegt aber ganz klar bei Marillion und im Moment promoten wir das neue Album. Es gibt eine große Resonanz in den Medien. Das freut uns.
Ich finde es ist ein großartiges Album, das alle Aufmerksamkeit verdient hat.
Oh danke. Ja, wir sind auch sehr stolz auf das Album. Wir sind die Sache diesmal anders angegangen. Auf „F.E.A.R.“ haben wir die Musik atmen lassen. Wir haben sehr lange Geschichten erzählt wie beispielsweise „The New Kings“. Das ist ein Song, der im Moment wieder sehr aktuell ist weil er vom russischen Geld in Europa erzählt.
Das neue Album „An Hour Before It’s Dark“ ist eher songorientiert, oder?
Ja. Es ist anders. Der Titelsong erinnert mich an die frühen YES. Er trägt eine chaotische Energie in sich und die Musik kann überall hin gehen. Wir wollen uns von Album zu Album verändern und uns auch selbst überraschen. Es passiert viel in den Raum, wenn wir zusammen sind und Musik schreiben. Normalerweise setzen wir uns nicht einfach zusammen und haben vor, einen bestimmten Song zu schreiben. Vielmehr lassen wir die Ideen fließen und jammen zusammen. Wir schauen, was passiert, und lassen die Musik ihren eigenen Weg finden. So verbringen wir oft drei oder vier Jahre, bevor wir ein Album zusammenstellen.
Unser Produzent Mike Hunter ist sozusagen das sechste Bandmitglied. Er sammelt die Ideen und schneidet alles mit. Er ist unsere Bücherei. Außerdem ist jedes Schnipsel unserer Musik in einer Cloud und wir alle können jederzeit drauf zugreifen. Irgendwann fügt sich dann alles zusammen und das Album entsteht.
Man hört, Steve Rothery sei aus Gründen der Pandemie nicht so oft im Studio präsent gewesen. Habt ihr dann aus der Distanz gejammt und geschrieben?
Ja, das stimmt tatsächlich. Wir haben schon sehr früh entschieden, uns zu isolieren. Schließlich sind wir alle in einem Alter, in dem die Krankheit Probleme bereiten kann. Vor allem Steve Rothery war sehr gefährdet. Inzwischen sind wir aber alle voll geimpft – inklusive Booster – und fühlen uns sicher. Am Anfang der Pandemie hatten wir uns aber entschieden, nicht alle zusammen im Studio zu sein. Obwohl es sehr groß ist und wir es mit Trennwänden coronakonform ausgestaltet haben. Wir haben die Räume gut belüftet und Masken getragen. So konnten wir nach einiger Zeit wieder zusammen im Studio sein, aber Steve Rothery war nicht dabei.
In dieser Zeit haben wir stärker an den keyboardlastigen Stücken gearbeitet. Und wir haben uns auf die lyrische Struktur konzentriert Trotzdem konnten wir immer auf Steves Aufnahmen zugreifen. So hat das in dieser Zeit funktioniert. Aber frustrierend war es schon, weil wir unsere Ideen nur über Zoom diskutieren konnten. Als wir alle wieder zusammen waren, wurde die Arbeit auch wieder einfacher.
Auf dem neuen Album habt ihr erstmals mit einem Chor gearbeitet. Wie lief das ab? Waren die Sänger bei euch im Studio oder habt ihr digital mit ihnen gearbeitet?
Der Chor war Mikes Idee. Er wurde auf den Choir Noir aufmerksam und hatte eine ziemlich klare Idee, wie sie klingen sollten. Sehr gotisch und disharmonisch mit Close Harmonies. Sie waren nicht im Studio und haben uns ihre Teile von zuhause aus zugeschickt. Der Chor ist es ohnehin gewohnt, digital zu arbeiten. Es sind acht Stimmen, aber manchmal haben wir sie doppelt übereinander gelegt, um mehr weibliche Stimmen zu haben.
Außerdem waren die Streicherinnen von In Praise Of Folly wieder dabei, mit denen wir in der Vergangenheit schon zusammen gearbeitet haben. Sie haben auch digital eingespielt. Mike hat ihnen grob ausgearbeitet Teile zugeschickt und sie haben daran gefeilt und uns Vorschläge zugeschickt. Außerdem war ein Harfenspieler mit dabei und ein Perkussionist. Mike hatte den Überblick und brachte alles zusammen.
Mike Hunter kennt euch schon sehr gut. Ich denke, seit dem „Brave“ Album.
Oh ja, da war er noch sehr jung. Später haben wir ihn dann wieder dazu geholt, um Dave Meegan beim „Marbles“ Album zu unterstützen. Wir haben großes Vertrauen in ihn und er mischt auch unsere Livealben ab. Er ist ziemlich im Einklang mit allem, was wir tun, und er macht einen fantastischen Job. Die letzten drei Alben klingen hervorragend und Mike hat einen großen Anteil daran.
Lass uns noch über einige Songs sprechen. Mir gefällt die Idee des Albumtitels. Es sind nicht “2 minutes to midnight” wie bei Iron Maiden, sondern “One Hour Before It’s Dark”. Der Zeitpunkt, den Eltern bei ihren Kindern wählen, um sie nach Hause zu rufen.
Genau. Komm rein, es wird dunkel. Das haben meine Eltern auch zu mir gesagt und es wurde zum geflügelten Wort. Heute funktioniert das nicht mehr so. Die Kinder haben schon Smartphones und werden einfach angerufen. Früher hatten wir strenge Regeln und Anweisungen. Tu dies nicht, tu das.
Man kann den Titel also auf zwei Arten lesen: In einer Stunde ist alles dunkel. Oder: Kommt jetzt nach Hause, bevor es zu spät ist. Was ist deine Sicht?
Es ist eine unterschiedliche Interpretation und das ist die Schönheit des Albums. Die Aussage hat verschiedene Bedeutungen – und so ist es bei allen Songs auf dem Album. Alles hängt zusammen und das macht die Magie des Albums aus.
Den letzten Song “Care” findet ich sehr berührend. Es geht um die Pflegekräfte in der Pandemie. Was hat euch dazu bewogen, ihnen ein Denkmal zu setzen?
Ich denke, sie haben es einfach verdient. Sie haben so viele Menschen gerettet und tun es immer noch jeden Tag. Wir haben in unseren Ländern so viel Glück, dass die medizinische Versorgung so gut ist. Das ist nicht in allen Ländern so. Meine Frau war auch Krankenschwester und sie hatte diese Berufung: über sich hinaus zu wachsen, um anderen zu helfen. Die Pflegekräfte haben diese Herausforderung mit großer Leidenschaft auf sich genommen.
Auch “Murder Machines” dreht sich um Corona und Social Distancing. Ich habe das Gefühl, viele Bands vermeiden es, direkt über diese Thematik zu schreiben. Warum habt ihr euch dafür entschieden?
Wir haben die Pandemie natürlich schon zu Beginn diskutiert. Steve Hogarth wollte eigentlich keinen Text dazu schreiben, weil wir alle dachten, es sei eine vorübergehende Sache, die bei Erscheinen des Albums nicht mehr aktuell ist. Und überhaupt würde ja jede Band darüber schreiben. Und dann kam der Moment, in dem wir schon so lange mit der Pandemie lebten. Es wäre fast schon seltsam, wenn wir kein soziales Statement dazu hätten. Plötzlich wurde es zu einer großen historischen Sache, mit der wir alle leben mussten. Man spricht auch heute noch über die Pest. Wie in den 1920ern die Wall Street zusammenbrach und die Weltwirtschaftskrise begann, so gibt es in den 2020ern die Pandemie als Start einer neuen Ära.
Die Aussage von „Murder Machines“ kann viel bedeuten. Es geht zum Beispiel darum, jemanden mit zu viel Liebe zu erdrücken. Es kann auch darum gehen, eine Beziehung aufrecht zu erhalten, bis sie sich zum schlechten wendet. Oder es geht darum, jemandem zu nahe zu kommen und ihm den Virus zu übertragen.
“Seasons End” ist schon über 30 Jahre alt. Jetzt gibt es mit “Reprogram The Gene” wieder ein Stück über die drohende ökologische Katastrophe. Macht ihr euch gemeinsam Gedanken über solche Themen oder kommen diese Ideen meist von Steve Hogarth?
Die Lyrics schreibt Steve Hogarth und er fügt sie zu der Musik, wie es passt. In dem Song sprechen wir ganz klar vom ökologischen Zustand der Welt. Er ist aus der Sicht eines jungen Menschen geschrieben. Die jungen Menschen interessieren sich für das Thema, im Gegensatz zu den Regierungen und der Wirtschaft. Der Planet wird ausgebeutet und wir haben keinen anderen zur Verfügung.
Was sind eure Planungen für die Zukunft? Es wird mehr Marillion Weekends geben als sonst. Und dazwischen eine Tour. Dürfen wir etwas Besonderes erwarten?
Ich glaube, ich darf das sagen: Wir werden das neue Album in voller Länge auf den Weekends spielen. Mit 55 Minuten ist es eigentlich ein kurzes Album. Obwohl es sehr dunkle und melancholische Themen verarbeitet, ist es doch ein sehr lebendiges Album.
Vielen Dank für deine Zeit, Pete! Ich hoffe, wir sehen uns bei den Konzerten im Herbst und natürlich auch beim Marillion Weekend in Holland 2023. Ich wünsche euch viel Erfolg mit dem neuen Album!
Danke, Andi. Es war mir eine Freude. Das Weekend in Holland wird großartig werden.
Ein herzliches Dankeschön geht an Kai Manke für die Vermittlung des Interviews und an earMUSIC für Organisation und Schaffung der technischen Voraussetzungen.
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Mit “An Hour Before It’s Dark” veröffentlichen Marillion eines der eingängigsten und dynamischsten Alben ihrer Karriere und scheuen gleichzeitig dennoch nicht vor unbequemen Themen zurück, erheben den Zeigefinger, auch sich selbst gegenüber, und legen ihren Finger in die Wunden der aktuellen Zeit.
Wie gut das zusammenpasst, zeigt die Band genau einen Monat vor der Veröffentlichung des Albums mit einem neuen Vorgeschmack auf ihr neuestes Werk. „Murder Machines“ ist ein Song, der in den herausfordernden Zeiten von Lockdown und Social Distancing geboren wurde und doch so viel mehr als nur ein Spiegel unserer Zeit geworden ist – mehr als ein Song über die wertvollen und dunklen Seiten menschlicher Beziehungen.
Steve Hogarth über die Hintergründe: “Ich habe versucht, nicht über das Virus zu schreiben. Aber es war in den letzten zwei Jahren so sehr Teil des Lebens, dass es sich immer wieder einschlich. Die erschreckende Tatsache, dass ich meinen Vater oder meine Mutter in die Arme nehmen und sie dadurch töten könnte, war der Auslöser für diesen Song. Der Text wurde dann so weiterentwickelt, dass er auf Eifersucht und Herzschmerz anspielt – auf den Schmerz, wenn man mit ansehen muss, wie die Frau, die man liebt, einen anderen Mann umarmt, oder auf den emotionalen „Mord“ eines Serien-Ehebrechers. Und natürlich die Waffen der Supermächte und die Psychopathen, die manchmal ihre Finger am Abzug haben. Hüte dich vor den Murder Machines…“
“An Hour Before It’s Dark” wurde in Peter Gabriels Real World Studios aufgenommen, wie auch schon der von der Kritik umjubelte und in den Charts erfolgreiche Vorgänger “F*** Everyone And Run (F E A R)”. Dabei entstand auch eine Dokumentation über den Schaffensprozess mit viel Behind-the-Scenes Material sowie eine Performance des Songs “Murder Machines” im Studio.
Nach mehreren Marillion Weekend Terminen bis Sommer 2022, begeben sich Marillion im Herbst auf große Europatour mit vier Terminen in Deutschland:
earMUSIC freut sich über die Veröffentlichung des 20. Studioalbums von Marillion: „An Hour Before It’s Dark” erscheint am 04. März 2022. Ab sofort gibt es einen ersten Einblick in das Album mit der Single “Be Hard On Yourself”.
Was bedeutet Marillion „eine Stunde bevor es dunkel ist“, wie der Albumtitel übersetzt heißt? Im englischen Sprachgebrauch handelt es sich dabei unter anderem um die letzte Stunde, in der man als Kind draußen spielen darf. Es ist aber sicher auch eine Anspielung auf den Kampf gegen die Zeit in der Klimakrise. Und geht es hier auch um die letzten Minuten im Leben eines Menschen? Der Titel „Care“ legt es nahe.
Marillion haben mit dem Album lyrisch den Finger einmal mehr am Puls der Zeit. Seien es soziale, politische oder persönliche Themen; Marillion nehmen kein Blatt vor den Mund und schaffen es, diese bewegenden Themen mit ihrem einzigartigen Sound zu verbinden und Menschen zu bewegen. Nicht ohne Grund ist die Band für brillantes Songwriting, außergewöhnliche Melodien und überragendes musikalisches Können bekannt. Gleichzeitig schwimmen sie stets gegen den Strom und beugen sich nicht den Normen und Erwartungen.
Die erste Single “Be Hard On Yourself” vom kommenden Album könnte dafür kein besseres Beispiel sein.
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„Trotz der scheinbar düsteren Betrachtungen auf diesem Album – das Virus, unsere Sterblichkeit, die medizinische Wissenschaft, die Pflege UND Leonard Cohen (ha ha) – ist das Gesamtgefühl der Musik überraschend optimistisch. Ich denke, die Band ist so gut in Form wie eh und je, und der „Choir Noir“ hat dem Ganzen noch mehr Seele und Farbe verliehen“ – h (Sänger Steve Hogarth)
“An Hour Before It’s Dark” wurde in Peter Gabriels Real World Studios aufgenommen, wie auch schon der von der Kritik umjubelte und in den Charts erfolgreiche Vorgänger “F*** Everyone And Run (F E A R)”. Dabei entstand auch eine Dokumentation über den Schaffensprozess mit viel Behind-the-Scenes Material sowie eine Performance des Songs “Murder Machines” im Studio. Man kann das Album HIER vorbestellen.
Marillion befinden sich derzeit auf der „Light At The End Of The Tunnel“-Tour in Großbritannien. Danach folgen mehrere Marillion-Weekends bis zum Sommer 2022 und eine große Europatour im Herbst 2022. Marillion wurde 1979 gegründet. Seitdem hat die Band 19 Studioalben veröffentlicht und sich in den 80ern zu einer der erfolgreichsten Prog-Rock Bands der Welt entwickelt. Auch heute sind sie einer der wichtigsten Vertreter des Genres. Marillion ist zudem die erste Band, die das Potenzial des Internets für die direkte Interaktion mit ihren Fans erkannte und auf Crowdfunding zurückgriff.
Tracklist:
1. Be Hard On Yourself
i. The Tear In The Big Picture
ii. Lust For Luxury
iii. You Can Learn
2. Reprogram The Gene
i. Invincible
ii. Trouble-Free Life
iii. A Cure For Us?
3. Only A Kiss (Instrumental)
4. Murder Machines
5. The Crow And The Nightingale
6. Sierra Leone
i. Chance In A Million
ii. The White Sand
iii. The Diamond
iv. The Blue Warm Air
v. More Than A Treasure
7. Care
i. Maintenance Drugs
ii. An Hour Before It’s Dark
iii. Every Call
iv. Angels On Earth
Im März 1984 veröffentlichten Marillion ihr zweites Studioalbum „Fugazi“, das den Erfolg ihres 1983 veröffentlichten Debütalbums noch einmal steigern konnte: #5 in den UK-Charts und Gold-Status standen für das Werk zu Buche, das auch wegen seiner Singles „Assassing“ und „Punch & Judy“ (#22/#29 der UK-Charts) bald den Status eines Klassikeralbums der Band erlangen sollte.
Am 10. September erscheinen zwei Deluxe Versionen (4LP-Boxset und 3CD/Blu- ray-Buch), die das Erbe von „Fugazi“ würdigen. Auch Streaming- und Download-Versionen werden am selben Tag erscheinen. „Fugazi“ war das erste Marillion-Album mit Ian Mosley an Schlagzeug und Percussion, der Mick Pointer nach dem erfolgreichen Debütalbum „Script For A Jester’s Tear“ ersetzte. Weiterhin waren Fish, Steve Rothery, Pete Trewavas und Mark Kelly mit von der Partie.
Beide Sets werden mit 2021 komplett neu abgemischten Stereo-Versionen von Andy Bradfield und Avril Mackintosh eröffnet, die auch die Deluxe-Editionen von „Script For A Jester’s Tear“ und „Clutching At Straws“ neu abgemischt hatten. Außerdem enthalten sie ein Konzert aus dem Spectrum im kanadischen Montreal, aufgenommen im Jahr 1984. Die Performance beinhaltet mit „Jigsaw”, „Incubus”, „He Knows You Know”, „Chelsea Monday” u.v.m. Fan-Favoriten sowohl von „Fugazi“ als auch vom Debütalbum „Script For A Jester’s Tear“. Auch eine Performance der B-Seite „Charting The Single“ ist Teil der Setlist.
Die Blu-ray enthält 96k/24-Bit-Versionen sowohl des neuen Stereo-Remixes von „Fugazi“ als auch des Konzerts „Live at The Spectrum, Montreal, Canada“ und enthält eine 5.1-Surround-Sound-Version des neuen „Fugazi“ Stereo-Remixes von 2021.
Die Blu-ray bietet darüber hinaus in einer neuen Dokumentation mit dem Titel „The Performance Has Just Begun“ einen fesselnden Blick hinter die Geschichte von „Fugazi“, u.a. sprechen alle Bandmitglieder über die Entstehung des Albums. Aufschlussreich ist auch das daran anschließende Track-by-Track, in dem die Band sämtliche Songs des Albums kommentiert. Abgerundet wird die Deluxe Edition durch das Musikvideo von „Assassing“ sowohl mit dem Original- als auch dem Remix-Audio.
Tracklisting 4LP Boxset:
LP1: Fugazi (2021 Stereo Remix)
Side 1
1. Assassing (7:01)
2. Punch And Judy (3:22)
3. Jigsaw (6.49)
4. Emerald Lies (5:08)
Side 2
1. She Chameleon (6:53)
2. Incubus (8:30)
3. Fugazi (8:02)
LP2: Live at The Spectrum, Montreal, Canada, 20th June 1984 (Part 1)
Side 3
1. Assassing (7:28)
2. Punch And Judy (4:03)
3. Jigsaw (6.34)
Side 4
1. Script For A Jester’s Tear (9:00)
2. Chelsea Monday (8:15)
LP3: Live at The Spectrum, Montreal, Canada, 20th June 1984 (Part 2)
Side 5
1. Emerald Lies (5:21)
2. Cinderella Search (5:47)
3. Incubus (9.00)
Side 6
1. Charting the Single (7:02)
2. He Knows You Know (5:56)
LP4: Live at The Spectrum, Montreal, Canada, 20th June 1984 (Part 3)
Side 7
1. Fugazi (9:11)
2. Forgotten Sons (11:03)
Side 8
1. Garden Party (6.35)
2. Market Square Heroes (10:46)
3CD + Blu-ray
CD1: Stereo Album 2021 Remix
1. Assassing (7:01)
2. Punch And Judy (3:22)
3. Jigsaw (6.49)
4. Emerald Lies (5:08)
5. She Chameleon (6:53)
6. Incubus (8:30)
7. Fugazi (8:02)
CD2: Live at The Spectrum, Montreal, Canada, 20th June 1984 (Part 1)
1. Assassing (7:28)
2. Punch And Judy (4:03)
3. Jigsaw (6.34)
4. Script For A Jester’s Tear (9:00)
5. Chelsea Monday (8:15)
6. Emerald Lies (5:21)
7. Cinderella Search (5:47)
8. Incubus (9.00)
CD3: Live at The Spectrum, Montreal, Canada, 20th June 1984 (Part 2)
1. Charting the Single (7:02)
2. He Knows You Know (5:56)
3. Fugazi (9:11)
4. Forgotten Sons (11:03)
5. Garden Party (6.35)
6. Market Square Heroes (10:46)
Blu-ray
The Performance Has Just Begun – The Story of Fugazi
Assassing
Punch & Judy
Jigsaw
Script for a Jester’s Tear
Chelsea Monday
Emerald Lies
Cinderella Search
Incubus
Charting the Single
He Knows You Know
Fugazi
Forgotten Sons
Garden Party
Market Square Heroes
Extra Tracks 48/16 Stereo LPCM
Cinderella Search (Extended Single)
Assassing (Alternate Mix)
Three Boats Down From The Candy
Punch & Judy (Demo)
She Chameleon (Demo)
Emerald Lies (Demo)
Incubus (Demo)
Das letzte Studioalbum „F. E. A. R. (Fuck Everyone and Run)“ ist eines der stärksten Alben, die Marillion herausgebracht haben (HIER unsre Review). Es bescherte der britischen Progband die erste Nummer 10 in den deutschen Charts und den ersten Top 5 Titel in UK seit über dreißig Jahren. Das ist jetzt allerdings auch schon wieder fünf Jahre her. Der Abstand zwischen zwei Marillion CDs steigt an – zumindest wenn man die reinen Studioalben betrachtet. Aber Marillion haben schon lange ihr eigenes Vertriebs- und Marketingkonzept entwickelt. Sie gelten gar als Erfinder des Crowdfundings im Musikgeschäft, seit sie sich um die Jahrtausendwende das Album „Anoraknophobia“ von Fans vorfinanzieren ließen. Viele Livealben gibt es nur im bandeigenen Shop zu kaufen und die treuen Fans weltweit sind stets bestens informiert.
Das zwanzigste Studioalbum ist derzeit in Arbeit und wird vielleicht noch im diesem Jahr erscheinen. Die Zeit dazwischen nutzen Marillion, um ein ganz besonderes Projekt auf die Beine zu stellen: Für ihre Fan-Weekends im Jahr 2017 hatten sie sich ein Streichquartett namens „In Praise of Folly“ engagiert, das einige Bandklassiker mit Arrangements von Michael Hunter und Kevin Halporn auf einen neuen Level brachte. Die Idee erwies sich als so erfolgreich, dass 2019 ein Album „With Friends from the Orchestra“ erschien, zu dem man neben besagtem Quartett auch noch den Hornisten Sam Morris und Emma Halnan an der Querflöte hinzu zog. In großer Besetzung gab es neue Studioaufnahmen bekannter und weniger bekannter Stücke (HIER unsre Review). Bei den Fans kam die Idee gut an und es folgten einige Livekonzerte gemeinsam mit den klassischen Musikern.
Legendär ist inzwischen der Mitschnitt aus der Royal Albert Hall 2017 mit dem Titel „All One Tonight“ (HIER unsre Review). Dieser ist in seiner beeindruckenden Show mit unvergleichbarer Leidenschaft und Energie vermutlich nicht mehr zu toppen, doch „With Friends At St David’s“ fängt zumindest den Reiz einer kleineren Konzertlocation ein. Das Klassik-Ensemble ist prominent inmitten der Band platziert und hat oft die musikalische Ausrichtung in der Hand. Da sind keine Eitelkeiten bei Sänger Steve Hogarth und seinen Mitstreitern zu erkennen: Sie überlassen gerne den jungen Frauen die Zügel und fügen sich in das musikalische Geschehen. Erneut wartet die Band nicht nur mit einer visuellen und akustischen Glanzleistung auf, sondern zeigt auch, dass durch das Überqueren musikalischer Grenzen wunderbare Freundschaften entstehen können, die Genres überwinden.
Der Mitschnitt erscheint über earMUSIC als 2CD Digipak, 3LP Gatefold (180g), Ltd. Coloured 3LP (Violet transparent), 2DVD und 2Blu-ray. Schon der auditive Genuss ist überragend. Songs wie „The Sky Above The Rain“, die bisher nie zu meinen Favoriten zählten, werden mit ihren orchestralen Parts wunderschön neu interpretiert und leben dadurch sehr auf. Der Rockkracher „Zeperated Out“ bekommt eine ganz neue Dimension durch die energische Performance und das Stakkato. „Fantastic Place“ verbreitet eine unglaublich heimelige Atmosphäre. Der 16. November 2019 bot in Cardiff vielleicht nicht die beste Setlist (mir fehlen definitiv einige Must-Haves wie „Afraid of Sunlight“ und „Neverland“), aber die Liveaufnahme vermittelt die ganze Stärke dieser besonderen Konzertreihe. Zwei weitere Tracks im Bonus-Bereich haben noch Besonders zu bieten: „Man of a 1000 Faces“ stammt vom Konzert in Paris und wartet mit einem stimmgewaltigen Chor auf und „Estonia“ gibt als Promofilm Einblick in die Studioarbeit der Band mit den klassischen Musikern.
Im DVD-Format kommt dann auch die mehr als respektable Lightshow mit Videoprojektionen zur Geltung. Und auf Blu-ray erzählt die Dokumentation „Making Friends“ die ganze Geschichte dieser schönen Zusammenarbeit. Steve Hogarth sagt zur Tour und zum Album: “Das war vielleicht unsere Lieblings-Tour bisher. Sie bot uns die Gelegenheit, von Zeit zu Zeit innezuhalten und uns darin zu verlieren, wie sechs “klassische” Musiker die wundervollen Arrangements unseres Produzenten Mike zum Leben erwecken. Das hat wirklich eine andere emotionale Ebene und oft auch eine spielerische Freude an unserer Musik erzeugt.”
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Schon bei ihrem legendären Marillion-Weekend im Jahr 2017 waren die Fans der britischen Progband begeistert von der Zusammenarbeit mit dem belgischen Streichquartett In Praise of Folly. Deren orchestrale Einsprengsel in die bekannten Artrock-Arrangements kamen bei den Fans so gut an, dass im Anschluss einige Tourdaten mit den Streicherinnen folgten (der Konzertmitschnitt von de Royal Albert Hall in London gilt jetzt schon als legendär) und für 2019 gar eine komplette Tour mit Gästen aus der klassischen Musik geplant ist, wobei die Band und das Quartett noch um dem Hornisten Sam Morris sowie Emma Halnan an der Flöte ergänzt werden.
Da Marillion keine halben Sachen machen, hat man neun der Songs, die jetzt auf der Tour geboten werden, mit den Orchestermusikern im Studio aufgenommen. Für Fans und solche, die es werden wollen, ist es ein wundervolles Klangerlebnis. Die Arrangements wurden nicht so stark verändert, wie man vermuten sollte. Kelly, Rothery und Co. können ihre instrumentale Stärke weiterhin voll ausleben, doch Streicher, Horn- und Blechbläser verfeinern das Ganze mit einer sehr eleganten Note.
„Estonia“ wirkt ohnehin schon emotional, doch die Streicher klingen wie eine zusätzliche Umarmung in Richtung der Hinterbliebenen. „A Collection“ ist ein unentdecktes Juwel aus den vielen B-Seiten der Band. „Fantastic Place“ und „Beyond You“ gehören zu den Lieblingssongs vieler Fans und klingen hier noch getragener als im Original. Gerade diese Titel erfahren eine neue Tiefe.
Dass „This Strange Engine“, einer der Keyboard-Kracher schlechthin, ebenfalls für eine Neuaufnahme ausgewählt wurde, ist eine echte Überraschung. Die vielen gesampelten Elemente bleiben auch erhalten, doch vor allem die Streicher entfachen eine enorme Energie in den lauten Passagen dieses Longtracks. Das erklingt mit viel Schmackes.
„The Hollow Man“ und „Sky Above The Rain“ sind balladeske Standards. Ersterer lebt ohnehin von den Pianoparts, die auch den zweiten Song sehr schmücken. Piano und Streicher ergänzen sich hervorragend, während Hogarth stimmlich alles aus sich raus holt. Ein wundervolles Beispiel dafür, warum es gut war, dieses Album im Studio aufzunehmen.
Den Abschluss bilden das klimapolitisch absolut aktuelle, aber schon dreißig Jahre alte „Seasons End“ mit Rotherys prägnanten Gitarrenklängen, gefolgt vom Longtrack „Ocean Cloud“, der offiziell auch als B-Seite gilt aber aus dem Repertoire der Band nicht wegzudenken ist. Sehr sphärisch und erzählend – als Hommage an Don Allum, den ersten Menschen, der den Atlantik in beiden Richtungen per Ruderboot durchquerte – führt „Ocean Cloud“ durch die Tiefen dieses Abenteuers. Und das Orchester kann die dramatischen Szenen in Form eines Soundtracks noch stärker wirken lassen.
Man hätte noch viele Titel auf dieses Album packen können, doch einige Stücke wurden ja schon auf „All One Tonight – Live at the Royal Albert Hall“ veröffentlicht. Wer sich auf die kommenden Konzerte, beispielsweise in Essen, einstimmen will, liegt hier goldrichtig. Wer keine Karten mehr bekommen hat (die Auftritte sind seit Monaten ausverkauft) kann das Album entspannt zuhause genießen. Eigentlich sollte es nur auf der Homepage der Band zu erwerben sein, doch der große Zuspruch der Fans veranlasste EARmusic, die CD auch als Digipack und sogar auf Doppel-Vinyl im freien Verkauf anzubieten. Eine gute Entscheidung, passt es doch von seiner Atmosphäre hervorragend in die besinnliche Zeit des Jahresendes.
Schaut euch auch die Videos an. Es macht große Freude, die jungen Streicherinnen von In Praise of Folly (drei Violinen, ein Cello) in ihrem Element zu bewundern. Man sieht, wie sie die kunstvollen Songs verstanden haben und um ihre Spielfreude bereichern.
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Am 23.11.2018 waren Marillion in der Jahrhunderthalle Frankfurt zu Gast. Die Progressive Rocker sind momentan auf „Theatre Tour“ durch Europa und hatten in der Main-Metropole ihren ersten Gig. Ungewöhnlich war es ja schon: Marillion mit Sitzplätzen… Aber die Fans werden nicht jünger und zur aktuellen live-CD/DVD aus der Londoner Royal Albert Hall passen die halbwegs bequemen Stühle dann doch irgendwie. Das Streichorchester war leider nicht dabei. Allerdings haben die Briten schon ihre nächste UK- und Europatour für Ende 2019 angekündigt, auf der sie dann von einem kleinen Orchester-Ensemble begleitet werden. Man darf gespannt sein. Erst einmal galt es aber abzuwarten, wie die Setlist 2018 aussehen wird. Long- oder Shorttracks, noch viele Stücke vom aktuellen Album „F.E.A.R.“ – oder gar ganz alte Stücke?
Den Anfang machten um 20.30 Uhr Jennifer Rothery und Riccardo Romano im kongenialen Doppel. Der stolze Vater Steve Rothery kam sogar höchstpersönlich auf die Bühne, um das Duo anzukündigen. Allerdings führte das auch dazu, dass einige Anwesende, die schon vor 19 Uhr am Einlass gewartet hatten, den Konzertbeginn von Marillion vermuteten, als der Gitarrist auftrat. Umso größer war die Enttäuschung, dass es noch bis 21.30 Uhr dauern sollte. Die Vorgruppe war nicht angekündigt. Aber dafür konnten ja Jennifer und Riccardo nichts. Zunächst präsentierten sie Songs von Jennifer, die sie normalerweise unter dem Künstlernamen Sylf darbietet. Sphärische Balladen, die sie mit hoher Stimme sang und die von Riccardo filigran begleitet wurden. Danach gab es Stücke von Riccardos Rockoper „B612“, die die Geschichte des kleinen Prinzen erzählt. Insgesamt waren es 40 Minuten, die schnell vorbeigingen. Der Marillion-Bezug war ja immerhin gegeben – vor allem, da Riccardo auch in der Steve Rothery Band spielt.
Marillion starteten dann um 21.30 Uhr gleich mit einem Knaller. „The Leavers“ ist eine 5teilige Suite, die sich mit melancholischen Klängen den Menschen widmet, die immer wieder Abschied nehmen. Sie verbreitet düstere Stimmung, die aber durch den Abschnitt „One Tonight“ aufgelöst wird. Damit boten Marillion keinen Opener zum Auflockern, sondern ein atmosphärisches Stück Musik in 20 Minuten Länge, das schon alles auffuhr, was die Band zu bieten hat: Einen stimmlich bestens aufgelegten Sänger, den coolen Ian Mosley am Schlagwerk, Pete Trewavas als Anheizer am Bass und Steve Rothery (Gitarre) sowie Mark Kelly (Keyboards), die sich mit elegischen Soli abwechselten.
Danach galt es erst einmal zu verschnaufen und Sänger Steve Hogarth führte mit launigen Ansagen durch ein Programm einiger kurzer Songs, die Schlag auf Schlag fielen. Der Popsong „No One Can“ gehört nun sicher nicht zu meinen Favoriten und wurde auch nur mit Höflichkeitsapplaus bedacht. „Seasons End“ als Titelsong des ersten Albums nach der Trennung von Fish ist schon ein anderes Kaliber. Damals hatten die Fans erfreut gemerkt, dass das Kapitel Marillion noch nicht abgeschlossen ist. Und auch hier in Frankfurt wurde der Song frenetisch gefeiert. Gefolgt von „Beautiful“, das ebenfalls in den Pop-Bereich abdriftet, aber im Gegensatz zu „No One Can“ zeigte, dass dies auch ohne seichte Langeweile möglich ist. „Living in FEAR“ führte schließlich zurück zum aktuellen Album.
Die Show wurde anhand einer LCD-Leinwand im Hintergrund visuell untermalt. Die Bilder unterstrichen kunstvoll die Lyrics. Das funktionierte auch bei „Quartz“. Mir ist dieser Song aber allzu verkopft. Als Entschädigung gab es zum Glück mit „This Strange Engine“ einen weiteren Longtrack, in dem Hogarth weite Teile seiner Biographie in ein wundervolles musikalisches Gerüst einpasst. Es lief einiges schief bei diesem Song. Mark Kellys Keyboard-Programmierung wollte dem korrekten Ablauf nicht folgen – und als ein Roadie Hogarths Sampler einsammelte, riss er ihm gleich das komplette In-Ear-Monitoring runter. Egal – der Song war trotzdem eine Bank und der Jubel kannte keine Grenzen.
Im Zugabenblock gab es den dritten Longtrack: „El Dorado“. Ein Song, der sich (für Marillion ungewöhnlich politisch) mit der Situation des Vereinigten Königreichs auseinander setzt. Und es wurde wohlgemerkt lange vor dem Brexit geschrieben. Dabei startet es wie ein fröhliches Songwriterstück, bevor die ganze Härte der Realität auf den Hörer einprasselt. Bilder von Menschen, die an der Grenze ausharren, um wieder existieren zu können. Gewaltig und verstörend.
Erschöpfung machte sich allerdings noch nicht breit und die ausverkaufte Jahrhunderthalle verlangte frenetisch nach mehr. Das bekam sie zunächst mit dem Mitsing-Hit „Cover My Eyes“, gefolgt von einem wundervoll sphärischen und nicht enden wollenden „Neverland“, dem vierten Longtrack des Abends. Inzwischen war es 23.45 Uhr und ein fantastischer Konzertabend ging zu Ende. Die Setlist war äußerst spannend und bunt gemischt. Und (natürlich) war kein Song aus der Marillion-Zeit vor 1989 am Start. Fans der Band sind das so gewohnt und haben keine Probleme damit. Man stelle sich aber vor, wenn Größen wie Deep Purple, Saga oder Manfred Mann’s Earth Band plötzlich auf die Klassiker aus den 80ern verzichten würden. Der Aufschrei wäre kilometerweit hörbar. Marillion haben sich stetig weiter entwickelt – und ihre musikalische Größe konnten sie in Frankfurt mal wieder hervorragend unter Beweis stellen.
2016 haben Marillion mit „F.E.A.R.“ ein herausragendes Album raus gehauen. Vielleicht das Beste in ihrer Karriere mit Sänger Steve Hogarth, der bereits 1988 das Zepter von Altmeister Fish übernahm. Seitdem haben sich Marillion stetig weiter entwickelt und sind einerseits Garant für ganz speziellen und zum größten Teil fantastischen Progressive Rock („Brave“, „Afraid Of Sunlight“, „Marbles“), andererseits gehören sie aber auch zu den am meisten unterschätzten Band im Rock- und Popbereich überhaupt, da man sie wahlweise gern vorurteilsmäßig als schottische Metalband oder als 80er-Genesis-Klone abhandelt. Beides ist absoluter Blödsinn. Vielmehr sind sie Vorreiter in vielen Bereichen: Ihr melodischer Artrock der 90er Jahre hat Generationen von Publikumslieblingen wie Gazpacho, Radiohead, Muse oder Coldplay beeinflusst. Sie haben quasi das Crowdfunding erfunden, als sie sich eine Nordamerika-Tour und ein Studioalbum von ihren Fans vorfinanzieren ließen. Und sie sind ein Paradebeispiel für Fan-Nähe, seit sie im Zweijahresrhythmus einen kompletten Centerpark anmieten, um ihren Anhängern exklusive Konzertabende vom Feinsten zu bieten.
„F.E.A.R.“ ist das neunzehnte (!) Studioalbum der Band. Dass es zugleich als eines ihrer Besten gilt, ist auch ein Phänomen – werden doch die sonstigen Heroen der 80er meist an ihren ersten Werken gemessen. Marillion haben es nicht einmal nötig, überhaupt einen Song zu spielen, der älter als dreißig Jahre ist. Stellen wir uns das doch mal bei Deep Purple, Manfred Mann’s Earth Band oder Saga vor. Die Fans wissen, was auf sie zukommt. Und Rufe nach „Kayleigh“ oder gar „Grendel“ gibt es schon lange nicht mehr. Im Gegenteil: Man bejubelt, dass Marillion ihr aktuelles Album seit Erscheinen auf den meisten Konzerten quasi komplett spielen. So überzeugt sind sie von ihrer Musik. Und so erfolgreich läuft die sogenannte „Theatre Tour“, die das Quintett momentan hauptsächlich in Locations mit sitzendem Publikum führt.
In diesem Zuge spielten Marillion am 13. Oktober 2017 zum allerersten Mal in der Royal Albert Hall in London. Das Konzert war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft und das Publikum, welches aus verschiedenen Teilen der Welt angereist war, wurde mit einer herausragenden Marillion Show belohnt. In zwei Teilen präsentiert “All One Tonight – Live At The Royal Albert Hall” zunächst das komplette, von Fans und Kritikern gleichermaßen gefeierte Album „F.E.A.R.“ (die Abkürzung steht übrigens für „Fuck Everyone And Run“). In dem konzeptionell angelegten Album geht es um das Wegsehen und Davonlaufen. Auch darum, dass alles Übel der Welt aus Angst entsteht, während das Gute von der Liebe kommt. So enthält „F.E.A.R.“ fünf Songs, die sich in siebzehn Abschnitte gliedern. Steve Hogarth zieht alle Register seines stimmlichen Könnens. Er schwelgt, belehrt, jammert und wütet. Er windet sich durch alle Tonlagen – manchmal kurz vor der Hysterie. Ebenso stark agiert Gitarrengott Steve Rothery. Seine Soli sind das Salz in der Suppe, während Bass und Keyboards unentwegt Atmosphäre kreieren. „The New Kings“ behandelt die Macht der Banken, „El Dorado“ setzt sich mit der politischen Situation in Großbritannien auseinander, „The Leavers“ widmet sich mit melancholischen Pianoklängen den Menschen, die immer wieder Abschied nehmen.
Begleitet von einer beeindruckenden Lichtshow und Projektionen spielen Marillion ihren prägnanten und prägenden Zeitgeist mit unvergleichbarer Leidenschaft und Energie. Es ist ein Fest, dieses Livekonzert in der Kulisse des altehrwürdigen Londoner Konzertsaals zu erleben – wenn auch nur am heimischen Fernseher.
Die zweite Hälfte stellt „In Praise Of Folly and Guests“ vor, ein Streicherquartett mit Flöte und Französischem Horn, das dem Rest der Show mit einigen der beliebtesten Marillion Livesongs zusätzliche Tiefe und Emotionen verleiht. Da erklingen „Afraid Of Sunlight“, „Man Of A Thousand Faces“ und das epische „Neverland“ in ganz neuer Pracht. Der Mitschnitt entstand unter der Regie von Tim Sidwell und wurde aufgenommen und gemixt von Michael Hunter. Die Blu-ray erscheint mit exklusivem Bonus-Material wie z.B. der 35-minütigen Dokumentation „We Will Make A Show“. Wer hören und erleben will, was Marillion im Jahr 2018 tun und wie sie klingen, liegt hier goldrichtig – egal ob er CD, DVD oder Blu-ray wählt.
Wer sich live überzeugen will, hat Möglichkeiten:
23.11.2018 Frankfurt, Germany – Jahrhunderthalle
25.11.2018 Essen, Germany – Colosseum (Sold Out)
26.11.2018 Essen, Germany – Colosseum
28.11.2018 Berlin, Germany – Admiralspalast
29.11.2018 Erfurt, Germany – Alte Oper
01.12.2018 Bremen, Germany – Musical Theater
02.12.2018 Hamburg, Germany – Mehr Theater
04.12.2018 Stuttgart, Germany – Hegel Saal
05.12.2018 Vienna, Austria – Gasometer
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Vor 32 Jahren (am 17. Juni 1985) erschien mit „Misplaced Childhood“ das wichtigste Album der Progressive Rocker Marillion aus Aylesbury, das bis heute Kultstatus genießt. Für viele war und ist es die perfekte Verbindung aus Progressive Rock und Pop. Großen Anteil daran trägt die Hitsingle „Kayleigh“. Mit dem Erfolg hatte wohl keiner gerechnet. Überhaupt waren Marillion alles andere als Garanten für hohe Positionen in den Charts. „Garden Party“ hatte es gerade mal auf Platz 16 geschafft.
„Misplaced Childhood“ und „Kayleigh“ waren der Wendepunkt. Das großartige Konzept des Albums funktioniert bis heute: In gut 41 Minuten erzählt Sänger Fish eine autobiographische Geschichte vom Durchleben der Pubertät. Erste große Liebe, erste Enttäuschung, die Suche nach dem Platz im Leben. Die schottischen Wurzeln des Sängers werden ebenso thematisiert wie sein Freundeskreis, der Tod des Ersten aus ihrer Mitte – die Höhen und Tiefen eines Teenagerlebens. Die Gedankenreise kulminiert im Sprung zum Erwachsensein, gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass die Kindheit niemals aufhört, und dem Widerstand gegen gesellschaftliche Vorgaben.
Die musikalische Intensität des Albums, dessen Stücke ineinander übergehen und daher eine große Rock-Suite bilden, wirkt bis heute. Da waren vier großartige Instrumentalisten und ein formidabler Sänger zusammen und konnten sich voll ausleben. Man kann immer noch Neues entdecken – das ging auch der Band so, als sie für die BluRay-Dokumentation mit Produzent Chris Kimsey zusammen saßen und die Bänder im Abstand von über dreißig Jahren erneut abhörten.
Inzwischen ist viel passiert. Fish ist seit 29 Jahren nicht mehr Frontmann der Band und wurde durch Steve Hogarth ersetzt. Marillion lassen ihre Vergangenheit meist ruhen und konzentrieren sich auf aktuelle Werke. Hits wie „Kayleigh“ und „Lavender“ werden höchstens einmal auf Support-Touren, Festivals oder Fanclub-Events gespielt. Fish hingegen hält die Fahne der 80er weit nach oben und war erst kürzlich noch mit dem kompletten „Misplaced Childhood“-Album auf Tour.
Die Rechte an den 80er-Alben gingen mit dem Verkauf von Parlophone, das früher zum EMI Label gehörte, an Warner Music über. Für die Neuveröffentlichung hat man sich einiges einfallen lassen. Das Album erscheint als Hardcover im DVD-Format und enthält vier CDs und eine BluRay. Hinzu kommt ein 60seitiges, informatives Booklet mit den Songtexten und vielen Fotos (darunter auch eine sehr einträchtige, aktuelle Aufnahme der zeitweise zerstrittenen Bandmitglieder mit Chris Kimsey). Ein langer Text stammt vom Rockjournalisten Dave Everley und ist mit vielen Zitaten der Beteiligten unterlegt. Hinzu kommen zwei kurze Statements von Mark Wilkinson, der das Artwork des Albums verantwortet, und Robert Mead, der als Junge auf dem Cover verewigt wurde. Wunderschöne Aufmachung – viele Infos!
CD 1 enthält dann das remasterte Originalalbum. CD 2 und 3 liefern ein komplettes Konzert der „Misplaced Childhood“ Tour, das am 15. Oktober 1985 in Utrecht aufgenommen wurde, bisher unveröffentlicht ist und zugleich die erste offizielle Veröffentlichung eines Marillion-Konzerts aus dem Jahr 1985 darstellt. Das Mixing erfolgte durch Michael Hunter, die Tonqualität ist hervorragend – Fans werden begeistert sein. CD 4 widmet sich schließlich den B-Seiten („Freaks“ und „Lady Nina“), man findet alternative Mixe, Single-Versionen, Demos (zum Teil mit einer unfertigen Textfassung) und als besonderes Bonbon den Steve Wilson Remix von „Lady Nina“.
Und da wären wir auch schon bei Steven Wilson: Der Sänger, Multi-Instrumentalist, Toningenieur und Produzent ist der Tausendsassa des Progressive Rock, hat nach dem Ende von Porcupine Tree reihenweise weitere Projekte am Laufen und widmet sich seit Jahren dem Remastering von Alben alternder Prog- und Rock-Heroen wie Jethro Tull, Yes und Chicago. Dabei gilt er als Perfektionist und das Ergebnis ist meist überragend. Die BluRay enthält das von Steven Wilson remixte Original-Album im 5.1 Surround Sound und das Remaster 2017 in hochaufgelösten 96kHz 24 bit.
Eine 72minütige Doku zeigt Fish, Steve Rothery, Mark Kelly, Ian Mosley, Pete Trewavas und Chris Kimsey in trauter Runde im Tonstudio. Sie hören in das Album rein und erzählen Anekdoten und Erinnerungen aus der Entstehungszeit. Sehr entspannt sieht das aus – von Feindseligkeiten keine Spur. Stattdessen schwelgt man gemeinsam in Erinnerungen und es macht großen Spaß, dem zuzuhören. Allerdings muss man der englischen Sprache mächtig sein, da es keine Untertitel gibt. Abgerundet wird der Video-Teil durch die Promo Videos zu „Kayleigh“, „Lavender“, „Heart of Lothian“ und „Lady Nina“.
Muss man das Teil haben? Ein eindeutiges „Ja“. Es ist wunderschön aufgemacht und bietet alle Wertigkeit, die man von einer Deluxe Edition erwarten darf. Klar – es gab schon 1998 ein Remaster und die meisten Tracks der CD 4 sind seitdem bekannt. Genial sind aber das 85er Konzert und die Dokumentation. Ob der Wilson-Remix unbedingt nötig wäre, sei mal dahin gestellt. Für Sound-Enthusiasten ist es sicherlich eine Offenbarung. Dazu zähle ich mich aber nicht.
Hinzu kommt eine Vinyl-Version. Diese offeriert die neu gemasterte Version des Originalalbums und das gesamte Holland-Konzert. Auf 180-Gramm-Viynl gepresst, sind die vier LPs in einer 12×12-Zoll-Box mit aufklappbarem Deckel verpackt, dazu gehört ein 24-seitiges Booklet, das unter anderem das Replikat eines Tourprogramms und einen ausführlichen Text über das Album und seine Entstehung enthält.
Zwei wundervolle Pakete also, um ein einmaliges Album zu feiern. So wünscht man sich das und so darf es weitergehen. Man munkelt, dass für „Clutching At Straws“ und „Brave“ eine ähnliche Neuveröffentlichung bei Parlophone geplant ist.
Es war mal wieder an der Zeit für die große Gemeinde des Progressive Rock, auf den Felsen zu pilgern. Ein wichtiges Datum im Terminkalender weltweiter Fans, die sich von Melodic Rock, Artrock, Progmetal und ähnlichen Spielarten begeistern lassen. Wer hätte das gedacht, als am 28.7.2006 das Festival erstmals über die Bühne ging – damals noch eintägig und mit Altmeister Fish als Headliner. Inzwischen fand die „Night of the Prog“ bereits zum zwölften Mal statt, wurde auf drei Tage ausgedehnt und gilt als Open-Air-Heimstätte junger, innovativer Progbands ebenso wie als Spielwiese für die Veteranen des Genres. Veranstalter Win Völklein hat seit Jahren eine Händchen dafür, eine gesunde Mischung darzustellen und die aktuelle Szene ebenso abzubilden, wie mit vielen Heroen als Headliner ein nostalgisches Publikum anzulocken. In den Abendstunden stand auch diesmal die Nostalgie im Vordergrund: Es gab Titel von King Crimson, Genesis, Yes, Manfred Mann’s Earth Band und den unverwüstlichen Marillion.
Am Freitag konnte ich aus beruflichen Gründen leider noch nicht vor Ort sein, doch einige Anwesende schwärmten noch an den nächsten Tagen von der atmosphärischen Stimmung, die Crippled Black Phoenix schufen, und von dem neuen virtuosen Projekt „Shattered Fortress“, das Mike Portnoy ins Leben gerufen hat. So kam ich am Samstag gegen 17 Uhr auf das Gelände, das momentan kräftig umgebaut wird. Die alte Bühne mit ihrem Zeltdach-Flair ist einem stabilen Konstrukt gewichen, das bombastisch in die Höhe geht, während die Grundfläche der Bühne gleich geblieben ist. Auf jeden Fall sind die technischen Möglichkeiten besser geworden – wenn auch etwas vom ursprünglichen Charme fehlt. Der Eingangsbereich wurde nach oben verlegt, in den Zuschauerreihen ist aber alles gleich geblieben: die Liegeplätze unter den Bäumen, die oberen Terrassenplätze zum Aufstellen von Klappstühlen und die gewohnten Steinreihen, wo man sich mit Decken oder Sitzkissen einen Platz reservieren konnte – alles gemütlich und entspannt wie immer.
Ich traf pünktlich zur David Cross Band ein. Der ehemalige Violonist von King Crimson hat eine beeindruckende Band um sich versammelt und spart nicht mit der Verwendung von Instrumenten, die über das gewohnte Bild einer Rockband hinaus gehen. Es gab spannende Klänge von Geige, Querflöte und Saxofon. Zu Beginn spielte David Cross eigene Titel wie das ungewohnt harte „Sign Of The Crow“, ein sphärisch verspieltes „The Pool“ und das melodische „Rain Rain“. Spannende Stücke, die allesamt mit feinen Jazz-Anleihen versehen sind und fürs entspannte Zurücklehnen relativ ungeeignet waren. Das Publikum dankte es dem Briten mit riesigem Applaus und stehenden Ovationen zum Schluss, als es aus der Mottenkiste auch noch Songs von King Crimson im Repertoire gab. Für mich ein gelungener Einstieg in den Konzertabend.
Es folgte Ray Wilson, auf den ich mich persönlich sehr freute. Man wird ihm sicher nicht gerechnet, wenn man ihn auf sein One-Hit-Wonder „Inside“ reduziert oder auf seine kurze Zeit als Sänger von Genesis. Auch sein Solowerk ist absolut hörenswert. Davon gab es diesmal auf der Loreley allerdings wenig. Sein Konzertset stand unter dem Motto „Calling All Stations“. Das war das Genesis-Album, das Ray als Sänger mit einspielte. Es enthält keine Superhits der Band, ist aber ein durchaus solides Werk, das mehr Beachtung verdient hätte. Und es war eine Freude zu sehen, wie Ray durch die Kulisse aus mehreren tausend Fans zu Glanztaten angespornt wurde.
Er startete mit zwei Genesis-Klassikern und dem Solotitel „Take It Slow“, bevor er „Calling All Stations“ und den Progtitel „The Dividing Line“ vom gleichen Album zum Besten gab. Später wurden „There Must Be Some Other Way“, „Not About Us“ und „Congo“ eingestreut. Damit war das Mottowerk des Abends gut vertreten, wenn ich mir auch noch einige der sonst nie gespielten Stücke gewünscht hätte. Sei’s drum – stattdessen gab einen fulminanten Genesis-Set mit einem gefeierten „Carpet Crawlers“ und einem düsteren „Mama“, die zweifelsohne zu den Konzerthöhepunkten zählten. Auch das 90er-One-Hit-Wonder „Inside“ wurde gespielt und als Zugabe kam „Solsbury Hill“. Da war dann auch kein Halten mehr und der komplette Felsen feierte einen gut aufgelegten Ray Wilson ab, der in gut 100 Minuten einige progressive Highlights spielte. Dabei will ich auch „Makes Me Think Of Home“ nicht vergessen, dass als Titelstück seines aktuellen Albums gut in den Set passte.
Setlist Ray Wilson, 15.7.2017, Loreley – Night of the Prog
No Son of Mine (Genesis)
That’s All (Genesis)
Take It Slow
Calling All Stations (Genesis)
The Dividing Line (Genesis)
Home by the Sea (Genesis)
There Must Be Some Other Way (Genesis)
Makes Me Think of Home
Not About Us (Genesis)
Follow You Follow Me (Genesis)
The Carpet Crawlers (Genesis)
Congo (Genesis)
Inside (Stiltskin)
Mama (Genesis) Zugabe: Solsbury Hill (Peter Gabriel)
Nun wartete alles gespannt auf YES featuring Jon Anderson, Trevor Rabin und Rick Wakeman. Oft wird der Name der Band auch mit ARW abgekürzt, denn sie sind ja neben der eigentlichen Formation YES unterwegs, die unter anderem Howe, Downes und White in der Band hat. Wer sich nun legitim als „Original“ bezeichnen darf, sei also dahin gestellt. Auf jeden Fall war es ein besonderes Ereignis, YES mit dem stimmgewaltigen Anderson zu sehen. Und da es das einzige Deutschlandkonzert 2017 war, sind unendlich viele Fans zur Loreley gekommen, was die Reihen bis nach oben komplett füllte.
Die Show dauerte weit über zwei Stunden und Klassiker reihte sich an Klassiker. Der Beginn mit „Cinema“ war noch etwas holprig, doch man konnte von Beginn an erkennen, dass Jon Anderson stimmlich in Topform war. Das war die Hauptsache! Rick Wakeman erschien im langen weiten Umhang – stilgerecht, wie man es von dem Keyboard-Heroen nicht anders erwartet. Die 70er und 80er Jahre wurden ausgiebig zelebriert. Oft mit schönen, mehrstimmig arrangierten Passagen. Hier zeigte sich die Klasse der ganzen Band ebenso wie an den Instrumenten. Vor allem Lee Pomeroy am Bass stach glänzend heraus. „Long Distance Runaround“ wurde dem seligen Chris Squire gewidmet und Lee legte im Anschluss mit „The Fish“ ein Bass-Solo zu Squires Ehren hin, dass es manchen die Tränen in die Augen trieb. Das waren echte Gänsehaut-Momente.
Eine Lanze will ich an dieser Stelle auch für Trevor Rabin brechen. Er war ja nur kurzzeitig in den 80ern und Anfang der 90er bei der Band, hat aber auf Alben wie „90125“ und „Union“ deutliche Spuren hinterlassen. So glänzte er bei „Lift Me Up“ und „Changes“ auch an den Vocals. Zum Abschluss des regulären Sets gab es „Owner Of A Lonely Heart“ in einer ausgedehnten Version, die es weit weg von allen Pophit-Ambitionen führte. Und die Zugabe „Roundabout“ machte den Gig zu einer runden Sache. Hier ging nach Mitternacht jeder mit strahlenden Augen nach Hause (oder ins Zelt).
Setlist YES featuring ARW, 15.7.2017, Loreley – Night of the Prog
Cinema
Perpetual Change
Hold On
I’ve Seen All Good People
Drum Solo
Lift Me Up
And You and I
Rhythm of Love
Heart of the Sunrise
Changes
Long Distance Runaround
The Fish
Awaken
Owner of a Lonely Heart Zugabe: Roundabout
Am Sonntag war ich dann ab 16 Uhr pünktlich zu Gong am Start. Die 1968 gegründete Band besteht auch nach dem Tod der Band-Gründer Daevid Allen und Gilli Smyth fort. Es gibt sogar ein aktuelles Album, das den Flair alter Tage atmet. Live kam die Band auf jeden Fall ganz schön schräg und jazzig rüber. Nicht so ganz mein Fall, doch sie wurden von Teilen des Publikums durchaus abgefeiert. Gong sind eine spacige Prog-Legende und konnten diesem Status auf der Loreley gut gerecht werden. Durchaus ein Fall für Nostalgiker.
Die wurden dann ebenso von Chris Thompson bedient, seines Zeichens Ex-Leadsänger von Manfred Mann’s Earth Band, der er von 1975 bis Ende der 90er Jahre als Sänger vorstand. Auch danach gab es noch eine Zusammenarbeit mit Manfred Mann. Das Tischtuch scheint also nicht zerschnitten, wie man an den schönen Anekdoten erkennen konnte, die Chris aus seinen Bandzeiten erzählte. Das Programm auf der Loreley sollte sich den progressiven Zeiten der Earth Band in den 70er Jahren widmen. Dem wurde Chris voll und ganz gerecht und erfüllte den Auftrag mit Bravour. Schon der instrumentale Start, den er selbst an der Gitarre gestaltete, war ein Meisterstück.
Die Alben von 1973 bis 1976 standen im Fokus und das war ein musikalisches (und durchaus progressives) Fest. Titel wie „The Road To Babylon“, „Spirit In The Night“ und „Don’t Kill Carol“ bestimmten den Set. Bei „Martha’s Madman“ konnte ich erstmals den Refrain mitsingen und wirklich familiär wurde es schließlich im letzten Drittel des Konzerts. „Blinded By The Light“ – wundervoll im Duett mit Elisabeth Moberg – und „Davy’s On The Road Again“ hoben die letzten Zuschauer aus den Sitzen. Im Zugabenteil gab es ein herzerwärmendes „For You“, das Chris zu Beginn ganz allein vortrug, gefolgt vom Gassenhauer „Quinn, The Eskimo“.
Chris Thompson war gut aufgelegt und erzählte zu „Father of Day, Father of Night“ von seinem ersten Gig mit der Earth Band, als beim Reading Festival nur eine einzige kleine Wolke am Himmel war und genau zu diesem Song ihre Schleusen über dem Konzertgelände öffnete. Oder davon, wie Manfred Mann bei einem Test-Gig im Jahr 1975 zwanzig Leute bezahlte, die nach vorne stürmten und „Where is Mick Rogers?“ skandierten, dessen Nachfolge Thompson angetreten hatte. So öffnete Chris gut gelaunt das Feld für den Headliner Marillion. Und ich will auch nicht die restliche Band unerwähnt lassen, die sich um den Norweger Mads Eriksen gruppierte und die anspruchsvolle Songliste gekonnt über die Bühne brachte. Chapeau!
Marillion machten den Abschluss. Das war so nicht geplant, denn eigentlich waren Kansas Headliner für den Sonntag. Diese hatten ihre Europa-Tour aber kurzfristig abgesagt. Eigentlich aus fadenscheinigen Gründen: Anscheinend gibt es in den USA eine Reisewarnung für Europa wegen Terrorgefahr. Na dann. So durften wir uns auf Marillion freuen, die fast genau dreißig Jahre zuvor (nämlich am 17. Juli 1987) ihr legendäres Konzert mit Fish hier hatten, das zu den Live-Klassikern der Band zählt. Klar wäre das die Chance gewesen, ein paar Titel vom „Clutching At Straws“ Album zu spielen, um nostalgische Gefühle zu wecken. Doch weit gefehlt. So etwas machen Marillion höchstens mal auf ihren umjubelten Weekends. Sie sind die einzige Band, die in den 80ern einen Megaerfolg hatte und heute noch existiert, es dabei aber nicht nötig hat, Titel aus dieser Ära zu spielen.
Stattdessen gab es das Prog-Highlight des vergangenen Jahres, nämlich das aktuelle Album „Fuck Everyone and Run (F E A R)“ fast komplett! Und es war ein fantastisches Konzert, das mit dem epischen „The Invisible Man“ begann und im Anschluss direkt in das aktuelle Werk führte. Im Hintergrund lief auf LCD Leinwand eine Videoshow, die den Songs genau angepasst war und die Atmosphäre unterstützte. 135 Minuten Musik, aber nur neun Songs. So läuft das bei den bestens aufgelegten Briten, die gerade ihre Deutschland-Tour starten.
„Living in FEAR“ widmete Steve Hogarth Deutschland und dem, was wir für die Verzweifelten der Welt getan haben. Als einige ungläubig schauten und das Publikum nicht direkt in Jubel ausbrach, betonte er nochmal, wie ernst er diese Aussage meinte. „England hat einen scheiß für diese Menschen getan“. Überhaupt war es ein sehr politisches Konzert der Band. Denn neben den hochaktuellen Titeln über die Jagd nach Gold und Reichtum gab es auch noch den Longtrack „Gaza“, der sich mit harten Klängen dem Geschehen im Gaza-Streifen widmet, ohne dabei Stellung für eine der beiden Seiten zu beziehen. Hogarth sieht in seinen Texten die Menschen im Mittelpunkt.
„Easter“ als Mitsingnummer hätte nicht unbedingt sein müssen. Um so mehr freute ich mich über „Man Of A Thousand Faces“ im stimmungsvollen Gewand und über Hogarths autobiographische Zugabe „This Strange Engine“. Hier waren alle mit ihm und das Konzert, das abgesehen von „Easter“ ausschließlich Bandtitel aus den letzten zwanzig Jahren bereit hielt, wurde mit Beifallsstürmen umjubelt. Schade, dass Kansas nicht da waren – aber Marillion waren ein mehr als würdiger Ersatz.
Setlist MARILLION, 16.7.2017, Loreley – Night of the Prog
The Invisible Man
El Dorado: I. Long-Shadowed Sun
El Dorado: II. The Gold
El Dorado: III. Demolished Lives
El Dorado: IV. F E A R
El Dorado: V. The Grandchildren of Apes
Living in F E A R
The Leavers: I. Wake Up in Music
The Leavers: II. The Remainers
The Leavers: III. Vapour Trails in the Sky
The Leavers: IV. The Jumble of Days
The Leavers: V. One Tonight
Easter
The New Kings: I. Fuck Everyone and Run
The New Kings: II. Russia’s Locked Doors
The New Kings: III. A Scary Sky
The New Kings: IV. Why Is Nothing Ever True?
Man of a Thousand Faces
Gaza Zugabe: This Strange Engine
Es gilt mal wieder, Win Völklein ein Kompliment zu machen. Auch die zwölfte Auflage des NOTP Festivals war ein Fest! Das Line-Up war absolut stimmig, jeder konnte seine Heroen alter Tage wiederfinden oder Neues entdecken. So muss das sein. Auf dem Plateau der Loreley ändert sich einiges, doch für die dort stattfindenden Rockfestivals bleibt es eine Bank. Genügend Parkplätze und große Wiesen zum Campen. Die Freilichtbühne war mit ausreichend Verpflegungsständen, CD-Läden und Sanitäranlagen bestückt. So konnten sich Fans aller Altersgruppen gut versorgt fühlen. Der Termin für 2018 steht schon fest: NOTP startet dann vom 13. bis 15. Juli. Wer jetzt schon zuschlagen will, findet bis zu. 31.7. „Early Bird Tickets“ auf der Homepage des WIV Ticket Shop. Bands oder gar Headliner stehen noch nicht fest, doch das sollte kein Problem sein. Proggies werden ganz sicher gut bedient werden.
Es scheint sich zu bewahrheiten, dass Marillion in jedem Jahrzehnt ihres Bestehens ein ultimatives Album schreiben, das sie in neue Sphären ihres musikalischen Schaffens führt. In den 80ern war dies definitiv „Misplaced Childhood“. Das Werk mit dem Hit „Kayleigh“, das die Band quasi über Nacht weltberühmt machte. Der damalige Sänger Fish verarbeitete in dem Konzeptalbum seine Jugenderinnerungen und für viele ist es das Aushängeschild des Neoprog schlechthin.
In den 90ern folgte mit „Brave“ wiederum ein fulminantes Konzeptwerk. Der damals noch recht frische Frontmann Steve Hogarth war inspiriert von einem Radiobericht über ein Mädchen, das orientierungslos auf einer Brück aufgegriffen wurde, und spann daraus eine Geschichte über Verzweiflung und Suizid. Eine moderne Rockoper aus verschachtelten musikalischen Themen – komplex und virtuos.
2004 erschien das von Fans vorfinanzierte Album „Marbles“. Mit drei Longsongs und verbindenden Musikthemen. Zwar kein Konzeptwerk, aber es hatte durchaus thematische Verbindungen zwischen den Songs. Die Idee der Vorfinanzierung war nicht neu. Die hatten Marillion quasi erfunden, als drei Jahre zuvor beim Vorgängeralbum 12.000 Fans eine CD bezahlten von der sie noch keinen Ton gehört hatten. Somit schließt sich jetzt ein Kreis. Die Idee des Crowdfundings ist zum florierenden Geschäftsmodell geworden. Mit PledgeMusic nutzen Marillion diesmal ein bestehendes Portal, das es vielleicht ohne ihre 15 Jahre alte Idee nie gegeben hätte. Und das Ergebnis ist ein Album, das im aktuellen Jahrzehnt den Platz des Ausnahmewerks einnimmt.
Ein Konzeptalbum? Urteilt selbst: Es trägt den Titel „FEAR“, eine Abkürzung aus „Fuck Everyone And Run“. Es geht um das Wegsehen und Davonlaufen. Auch darum, dass alles Übel der Welt aus Angst entsteht, während das Gute von der Liebe kommt. So enthält „FEAR“ fünf Songs, die sich in siebzehn Abschnitte gliedern. Mit fast sieben Minuten ist „Living In Fear“ quasi der kürzeste Titel. „Tomorrow’s New Country“ wird zwar als eigenständiger Song geführt, gehört aber zum Longtrack „The Leavers“.
Man braucht einige Zeit, um sich in das Album hinein zu hören. Der freundliche Promoter hat es mir schon vor Wochen zugeschickt – und es verließ meinen Player seitdem nur für kurze Auszeiten. „FEAR“ bietet alles, was sich der Fan progressiver Rockmusik von Marillion wünscht. Steve Hogarth zieht alle Register seines stimmlichen Könnens. Er schwelgt, belehrt, jammert und wütet. Er windet sich durch alle Tonlagen – manchmal kurz vor der Hysterie. Ebenso stark agiert Gitarrengott Steve Rothery. Seine Soli sind das Salz in der Suppe, während Bass und Keyboards unentwegt Atmosphäre kreieren.
Man hatte in den letzten Jahren häufig das Gefühl, dass Bands wie Gazpacho oder Riverside Marillion den Rang ablaufen. Hier wird die Rangordnung wieder gerade gerückt. Marillion liefern schlicht ein Meisterwerk, das die Zeit überdauern wird. „The New Kings“ war als viertelstündiger Vorabtrack schon zu hören (unter anderem auf den aktuellen Livekonzerten) und handelt von der Macht der Banken, die sich als neue Weltherrscher aufspielen. Atmosphärischer Beginn, ein durch und durch rockiges Ende. Megasong!
Ebenso wie „El Dorado“, das sich (für Marillion ungewöhnlich politisch) mit der Situation des Vereinigten Königreichs auseinander setzt. Und es wurde wohlgemerkt lange vor dem Brexit geschrieben. Dabei startet es wie ein fröhliches Songwriterstück, bevor die ganze Härte der Realität auf den Hörer einprasselt. Bilder von Menschen, die an der Grenze ausharren, um wieder existieren zu können. Gewaltig und verstörend.
„The Leavers“ widmet sich mit melancholischen Pianoklängen den Menschen, die immer wieder Abschied nehmen. Es verbreitet düstere Stimmung, die aber durch den Abschnitt „One Tonight“ aufgelöst wird. Während „El Dorado“ und „The New Kings“ das Album mit eindringlichen Botschaften nach vorne treiben, ist „The Leavers“ so etwas wie das gefühlvolle Mittelstück zum Innehalten.
Neben diesen langen Tracks drohen die Einzelsongs „Living In Fear“ und „White Paper“ fast unterzugehen. Doch sie sind bei weitem keine Lückenfüller. Vielmehr kleine Inseln zum Atemholen. Und gerade „White Paper“ lässt großen Interpretationsspielraum, den Steve Hogarth bewusst nicht öffnet. Es bietet etwas Mystik neben all den handfesten Aussagen des Albums.
Mit einem Song wie „Gaza“ vom Vorgänger (inzwischen vier Jahre alt), war die Öffnung der Band in eine politische Richtung vorgezeichnet. Dieser Schritt ist jetzt endgültig vollzogen. Marillion haben erneut ein Album geschaffen, das als Gesamtkunstwerk funktioniert. Man wird kaum einzelne Fragmente heraus ziehen können, um vielleicht ins Radio oder auf die Spotify-Hitlist zu gelangen. „FEAR“ ist ein Album, das man gefälligst am Stück hören muss. Und es bietet puren Genuss von fünf leidenschaftlichen Musikern. Manchmal wirft man Marillion vor, dass sie keine echten Songs schreiben sondern so lange im Studio jammen, bis sich aus musikalischen Fragmenten etwas Brauchbares entwickelt. Was soll’s? Wenn das Ergebnis solch geniale Musik bietet, können sie noch lange damit weitermachen.
Es hat sich seit 2006 zu einer sehr schönen Tradition für Progfans aus ganz Europa entwickelt, im Juli (nur in einem Jahr war es September) zur Loreley zu pilgern, um dort einem Querschnitt der diesem Genre zugehörigen Bands zu lauschen. Auch ich bin in jedem Jahr bisher zumindest einen Tag anwesend gewesen, was sicherlich auch meine Verbundenheit zu diesem Festival ausdrückt. Der gemütliche und familiäre Charakter kann auch einen eigentlichen Festival-Muffel wie mich begeistern.
NotProg IX wird dabei sicherlich in die Annalen eingehen als das mit Abstand sonnigste und – insbesondere auch – heißeste Festival bisher. Zwar wurden oben auf dem Felsen nicht ganz die 36 Grad aus dem Rheintal erreicht, im relativ windgeschützten Kessel vor der Bühne fühlte man sich dennoch bisweilen wie ein Brathähnchen im Backofen. Sonnenschutzfaktor 30 sowie eine angemessene Kopfbedeckung waren an beiden Tagen Pflichtausstattung für die Besucher. Regelmäßiger Flüssigkeitsnachschub war ebenfalls vonnöten. Die Preise für Getränke (insbesondere Mineralwasser) waren zwar relativ hoch, aber man durfte auch kleinere Mengen mit aufs Gelände nehmen, sodass sich ein kleiner Spaziergang zum nahen Parkplatz während der Umbaupausen durchaus anbot.
Da meine Klimaanlage am Vortag (Bericht des Kollegen Andi hier) auf der Fahrt zur Loreley den Dienst verweigerte, verbrachte ich den Samstagmorgen zunächst damit, eine „dienstbereite“ Werkstatt zu finden, nur um dann mitgeteilt zu bekommen, dass es sich um ein Elektronikproblem handelt, das kurzfristig nicht zu beheben sei. Durch diesen Zwischenstopp konnte ich jedoch erst verspätet zum zweiten Tag anreisen, wodurch ich die ersten 3 Bands des Tages (Synaesthesia; A Liquid Landscape; Dream the Electric Sleep) leider verpasste.
Als ich das Festivalgelände betrat, hatten die Schweizer von Clepsydra (16:31 – 17:46 Uhr) gerade ihren Set begonnen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 1000-1200 Leute auf dem Festivalgelände. Einige hatten sich offensichtlich in den Schatten außerhalb des Geländes verkrochen. Vor etwa 20 Jahren spielten Clepsydra ein Konzert in einer Stadt im südwestdeutschen Raum, in der ich damals zu studieren gedachte. Auch damals war ich bereits ein Fan von Progressive Rock, sodass mich ein entsprechender Flyer, der auf dem Unigelände verteilt wurde, neugierig machte und ich beschloss, den entsprechenden Abend nach Vorlesungsende mit Livemusik ausklingen zu lassen. Zwei Dinge irritierten jedoch den jungen Musikfreund. Zum einen lag der Veranstaltungsort in unmittelbarer Nähe von rot beleuchteten Gebäuden, zum anderen war kurz vor Beginn praktisch niemand außer ihm selbst anwesend. Beide Dinge führten dazu, dass er kurzfristig beschloss, den Abend doch anderweitig zu verbringen. Einige Jahre später erfuhr ich dann, Clepsydra hätten sich aufgelöst. So war ich natürlich hocherfreut, dass ich an diesem Tag die Gelegenheit bekam, nachvollziehen zu können, was ich damals verpasst hatte.
2013 war es nämlich zur Wiedervereinigung der Band gekommen. Geboten wurden 75 Minuten 90er Jahre Neoprog in Reinkultur, wobei dies eindeutig positiv gemeint ist. Ähnlich wie die polnischen Kollegen von Collage, die am Vortag einen ähnlichen Festivalslot hatten, gelang es den Schweizern – trotz zahlreicher Parallelen zu anderen Genrevertretern – frisch und unverbraucht zu klingen. Orchestrale Keyboardpassagen und marillionesque Gitarrensoli erfreuten das Herz des Schreibers und vieler anderer Anwesende. Einige Besucher schienen (nur) wegen dieser Band gekommen zu sein und sangen jede Zeile voller Inbrunst mit. Im Gegensatz zu Long Distance Calling am Vortag funktionierte diese Musik auch bei gefühlten 60 Grad im prallen Sonnenschein. Ein gelungener Appetithappen für den Rest des Abends.
Brian Cummins (17:57 – 19:08 Uhr) hatte dann die zunächst scheinbar undankbare Aufgabe, als Ersatz für die kurzfristig wegen Erkrankung eines Bandmitglieds ausgefallenen Bigelf (die auch schon als Ersatz für die John Wesley Band gebucht worden waren) einzuspringen. Dabei bekam er nach eigener Aussage erst am Mittwochabend den Anruf des Veranstalters. Bekannt ist Cummins insbesondere als Sänger der Genesis-Tribute-Band Carpet Crawlers. Ich selbst hatte ihn zuvor mehrfach (u.a. beim NotProg Festival IV, 2009) als Sänger von Mick Pointers Marillion-Tribute-Projekt Script For A Jester’s Tour gesehen. Heute war er jedoch als Solo-Künstler zu sehen, der ein buntes Potpourri von (zumeist) Peter Gabriel Solo-Songs zum Besten gab. Wie immer fröhlich gestimmt, betrat er mit dem Satz „Hello, I’m Bigelf“ die Bühne und hatte die meisten Zuschauer schon auf seiner Seite. Der dargebotene Querschnitt aus Gabriels Karriere wurde ebenfalls dankbar angenommen. Dabei spielte er die Songs nicht einfach mit akustischer Gitarre, sondern untermalte sie mit allerhand Loops, die er mit Hilfe diverser Effektgeräte im Stile von 1-Mann-Drone-Künstlern übereinander schichtete. Dass er dabei bisweilen mehrere Versuche benötigte (- nach eigener Aussage spielte er dieses Programm zum ersten Mal seit einem Jahr live -), trug eher noch zum Charme der Performance bei. Das Ergebnis waren zum Teil überraschende und erfrischende Interpretationen, und er wagte sich sogar an das komplexe Meisterwerk „San Jacinto“. Das Publikum war jedenfalls vollauf begeistert, sodass Cummins‘ Schlusssatz „Loreley, you f***ing rock!“ nichts hinzugefügt werden muss.
Setlist Brian Cummins
Here Comes The Flood
Red Rain
Washing Of The Water
Intruder
Come Talk To Me
Carpet Crawlers (Genesis)
Games Without Frontiers
Mercy Street
San Jacinto
Solsbury Hill
Grendel (Marillion; nur die erste Strophe)
Biko
—–
In Your Eyes
Anathema (19:46 – 21:09 Uhr) spielten zum zweiten Mal (nach 2011) beim NotProg Festival und für mich persönlich war es das 15. Anathema-Konzert seit 2005. Dabei kann ich sowohl mit ihrer Doommetal-Phase zu Beginn der 90er Jahre – die die Band schon lange hinter sich gelassen hat – etwas anfangen, als auch mit ihrem massenkompatiblen (?) Alternative Rock, den sie seit spätestens „A Fine Day To Exit“ (2001) perfektioniert haben. Auffällig war, dass sich die Band neu formiert hat – und zwar ohne das Personal zu wechseln. Der bisherige Keyboarder Daniel Cardoso ist nunmehr Schlagzeuger, während der bisherige Drummer (Gründungsmitglied) John Douglas ein reduziertes (und leider auf der Loreley im Livemix untergegangenes) Percussion-Kit bedient. Die Keyboard-Parts werden von Gitarrist (und Sänger) Daniel Cavanagh übernommen, wobei ein Großteil der eher elektronischen Sounds auch „aus der Konserve“ eingespielt wurde. Trotzdem ist die Band nach wie vor eine tolle Liveband. Die Umstellung der Bandbesetzung ist vermutlich eine Folge der diesjährigen Nordamerika-Tour, für die John Douglas (aus mir nicht bekannten Gründen) kein Visum bekommen hatte, sodass Cardoso die Drums quasi zwangsweise übernehmen musste und Cavanagh an den Keyboards improvisierte.
Im Gepäck hatten sie ihr gerade erschienenes zehntes Album „Distant Satellites“, von dem sie auch drei Lieder spielten. Darunter befand sich der Track „Anathema“, den es bisher noch nicht gegeben hatte. Diesen widmete die Band Brian Cummins, den sie bereits als 16-jährige im Liverpool der späten 80er kennen lernten und den sie als guten alten Freund bezeichneten. Der Titelsong des neuen Albums „Distant Satellites“ gefiel mir live deutlich besser als auf CD, da ein Großteil der elektronischen Drums und Loops eben tatsächlich „live“ gespielt wurde. Wie bereits angedeutet, spielten Anathema fast ausschließlich Material aus ihren jüngsten (d.h. den letzten vier) Alben, nur der klassische Set-Closer „Fragile Dreams“ (von „Alternative 4“, 1998) verwies auf die Ursprünge der Band. Ich persönlich fand die Songauswahl dennoch sehr gelungen und eine Karte für das komplette Programm während ihrer Hallentournee im Oktober hängt bereits an meiner Pinnwand.
Setlist Anathema
Untouchable, Part 1
Untouchable, Part 2
Thin Air
The Lost Song, Part 3
Anathema
The Storm Before The Calm
A Simple Mistake
Closer
A Natural Disaster
Distant Satellites
Fragile Dreams
Und zum Abschluss der neunten Auflage des NotProg Festivals beehrten die Briten von Marillion (22:02 – 23:57 Uhr) zum (insgesamt) dritten Mal die Loreley. 1987 spielten sie bereits hier – noch mit dem Originalsänger Fish –, was auf einer sehr schönen Live-DVD dokumentiert wurde. 2010 folgte dann der erste Auftritt beim NotProg. Damals hatte ich mit einem Festival-Set gerechnet, d.h. einem eher hohen Anteil an poppigeren und kürzeren Songs, aber Marillion überraschten mich damals mit einem sehr anspruchsvollen (und progressiven) Programm. Dieses Jahr nun folgte der Festival-Set, der eher die Teilzeit-Fans im Publikum ansprach. Als „Veteran“ (etwa 25 Marillion-Konzerte seit 1987) musste ich somit ein paar „Begeisterungspausen“ einlegen, so u.a. bei den beiden Titeln des eher bescheidenen Albums „Holidays in Eden“ (1991).
Auch sonst gab es einige seichte/leichte Stücke wie z.B. „Beautiful“ und „You’re Gone“. Die anspruchsvollsten Stücke kamen interessanterweise von letzte Album „Sounds That Can’t Be Made“ (2012), insbesondere der Opener „Gaza“, der sicherlich das einzige Stück des Festivals mit derart aktuellem politischen Bezug war. Überraschenderweise fanden ebenfalls vier Stücke aus der Fish-Zeit (vor 1989) ihren Weg in die Setlist, darunter auch der einzige echte Hit der Band, „Kayleigh“ (1985). Bei diesem (und den vorhergehenden „Sugar Mice“ und „Cover My Eyes“) begab sich Sänger Steve Hogarth ins Publikum und ließ einige Besucher ins Mikrophon singen: Ein eher zweifelhaftes Vergnügen für alle anderen Zuhörer.
Als Zugabe wurde uns dann mit „Neverland“ (vom grandiosen „Marbles“-Album aus 2004) noch einmal Bombastrock vom Feinsten geboten: Ein Highlight des kompletten Festivals. Für mich war der Auftritt von Marillion insgesamt also ein eher zwiespältiges Vergnügen. Zugutehalten muss man der Band aber, dass sie eben auch ein komplett anderes Konzert als 2010 gespielt hat, ein Umstand, der bei anderen Bands völlig undenkbar wäre (aus dem Progbereich seinen an dieser Stelle z.B. Saga erwähnt). Das ist natürlich „progressiv“ im eigentlichen Sinn des Wortes.
Setlist Marillion
Gaza
Easter
Beautiful
Power
You’re Gone
Sugar Mice
Fantastic Place
Man Of A 1000 Faces
No One Can
Sounds That Can’t Be Made
Cover My Eyes
Kayleigh/
Lavender (w/ Blue Angel)/
Heart Of Lothian
—–
Neverland
Abschließend noch einige Worte zum Drumherum. Die Organisation lief trotz der klimatischen Bedingungen weitgehend reibungslos; das Personal war freundlich und zuvorkommend. Das Essensangebot war zwar nicht übermäßig vielfältig, aber sicherlich ausreichend. Die Preise lagen gefühlt etwas höher als in der Vergangenheit, aber waren durchaus noch angemessen. Der Sound war – mit einigen wenigen Ausnahmen – gut, vor allem bei den Headlinern der beiden Tage. Der Besucherzuspruch war ähnlich wie in den vorangegangenen Jahren, an beiden Tagen (gegen Ende) jeweils etwa 2500 Personen. Für die Jubiläumsausgabe des Festivals im Juli 2015 sind sogar 3 Tage vorgesehen. Ich werde sicherlich auch wieder dabei sein.