„Glitzerschwein“ heißt das neue Album von Fortuna Ehrenfeld und auf dem Cover findet sich eine stilisierte altmodische Discokugel. Dabei ist die Musik gar nicht so elektronisch, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte. Es wird viel mehr geboten – von Pianoballaden über melancholische Duette und Soundcollagen bis hin zu starken Beats und Rap. Das Bandprojekt um Martin Bechler, Elin Bell und Jannis Knüpfer ist mal wieder eine Wucht. Und ihr neues Album wundervoll atmosphärisch in unterschiedliche Richtungen.
„Um Aufbruch, Erneuerung und das Einstampfen längst überholter gesellschaftlicher Konditionen“ geht es nach den Worten der Band im neuen Album. Die Musik der Indiepop-Truppe aus Köln ist genauso skurril wie das Auftreten des Frontmanns und die verklausulierten Texte. Man bietet assoziative Lyrics, Wortspielereien und bildgewaltige Vergleiche. Dabei singt Bechler meist genauso lakonisch und melancholisch, wie man es dem verträumten Mann im Pyjama zutraut, während Elin oft einen melodischen Kontrapunkt setzt.
Das Album startet mit der dramatischen Pianoballade „An der Ecke bellt ein Hund“. Da geht es um die Verlorenheit einer durchlebten Nacht in den frühen Morgenstunden. Ein geniales Porträt gleich zu Beginn. Es folgt der abrupte Übergang in fetzigen Elektrobeat und den skurrilen Text von „Leck mich am Arsch, Amore Mio!“. So lieben Fans diese Band. Unverblümte Worte mit einem Sinngehalt, der sich erst nach wiederholtem Lesen oder Hören erschließt.
„Als unsere Gegenwart Science-Fiction war“ ist das erste melancholische Duett zwischen Martins rauchiger Stimme und dem klaren Gesang von Elin. Inhaltlich ist der Song nicht so gehaltvoll, wie man vermutet hätte. Da locken Fortuna Ehrenfeld ihre Fans gern in die Irre. Aber macht nix. Flockig geht es weiter mit „Wir propagieren den Exzess“ im NDW-Stil und mit schöner Orchester-Einlage.
Danach werden wieder musikalische Bilder gezeichnet: Das Piano nimmt uns mit auf „Straßen lang wie Segeltau“ und dazu passend beschreibt „Autobahn“ als Soundcollage mit Textschnippseln die Eintönigkeit einer langen Fahrt. „We Need to go Maraca“ funktioniert als chaotisches instrumentales Zwischenspiel mit Samples, bevor „Queen of F*cking Everything“ den melancholischen Beat zurückbringt.
Ein Aufruf zum Tun findet sich vor allem in der Kombi von zwei Songs: „Revolution No. 9“ ist ein chilliger Rap mit Gedanken an John Lennon, krassen Klangelementen und genialen Worthülsen, dem sich später das Mantra „Wir müssen uns bewegen“ entgegen stellt. Neben diesen spacigen und philosophischen Texten gibt es noch zwei versöhnliche Stücke am Schluss: „Auf’m Park-and-Ride von Golgotha“ wirkt als sanftes Duett zu Glockenklängen, hat aber frappierend harte Textzeilen. Im Gegenzug ist „Tragically Hip“ ganz am Ende dann doch ein echter Lovesong, der fast ohne Ironie auskommt.
Fortuna Ehrenfeld haben hier (mal wieder) ein grandioses Werk vorgelegt, das man nicht auf einzelne Stücke reduzieren darf, sondern am Stück hören muss. 42 Minuten beantworten die Fragen der Menschheit – oder werfen ganz neue auf.
Festivals 2023:
13.09.2023 – Glow Up Cologne, Philarmonie Köln
06.10.2023 – Liedermacher Tage, Bergneustadt
Clubs 2023:
28.09.2023 – Lido, Berlin
29.09.2023 – Kupfersaal, Leizpig
30.09.2023 – Beatpol, Dresden
12.10.2023 – TOWER Musikclub, Bremen
13.10.2023 – Knust, Hamburg
14.10.2023 – Musikzentrum, Hannover
15.10.2023 – Gloria, Köln
19.10.2023 – Z-Bau, Nürnberg
20.10.2023 – clubCANN, Stuttgart
21.10.2023 – Ampere, München
22.10.2023 – Brotfabrik, Frankfurt am Main
29.10.2023 – Gloria, Köln