Beim diesjährigen Rock am Ring hatte ich mich samstags sehr auf den Gig von Heaven Shall Burn gefreut. Leider musste die Band aus Thüringen ihren Gig nach nur einem Song („Übermacht“) abbrechen, weil sich Sänger Marcus Bischoff wohl eine Halsverletzung zugezogenen hatte und keinen Ton mehr heraus bekam. Er war schon auf dem Weg ins Krankenhaus, als das Publikum ihn noch solidarisch feierte.
Als kleines Trostpflaster gibt es jetzt das neue Album „Heimat“ mit dem grandiosen Cover, das einen röhrenden Hirschen zeigt. Was mag sinnbildlich besser zu Mitteleuropa mit seinen tiefen Wäldern passen? Eine sehr gute Wahl, wie man es bei HSB für die Gestaltung ihrer Alben in Form großer Gemälde schon gewohnt ist.
Dem folgt auch die musikalische Ausrichtung. Mehr melodischer Death Metal als Metalcore, und dabei sehr martialisch und pathetisch. Solche kraftvollen Kriegsgesänge wie „Ad Arma“ und „War is the father of all“ ist man sonst eher von Sabaton gewohnt. Aber keine Sorge, Maik Weichert wird ziemlich deutlich, wenn es um die inhaltliche Bedeutung des Albums geht: „Heimat ist hier nicht wie bei Hetzern und Populisten der engstirnige Endpunkt, sondern der Ausgangspunkt der Betrachtungen und Perspektiven. Es geht auf dem Album um viele Heimaten verschiedenster Menschen und außerdem auch um die geistige Heimat, das was unser Denken und Handeln formt und bestimmt.“
„Heimat“ ist der Nachfolger des Nummer 1-Albums „Of Truth and Sacrifice“ von 2020. Auf dem neuen Werk beweisen Heaven Shall Burn einmal mehr, warum sie eine der relevantesten und erfolgreichsten Metal-Bands aus Deutschland sind. Und sie zeigen erneut Haltung und Gespür für die gesellschaftliche und politische Stimmung hier und anderswo.
Was alles in den letzten fünf Jahren passiert ist, lässt sich am Opener ablesen. „Ad Arma“ ist ein gewaltiges, gleichwohl wehmütiges Orchesterstück, in dem die ganze Düsternis der aktuellen Weltlage steckt. Die – durchaus mächtigen – „Waffen“ von Heaven Shall Burn sind indes weiterhin Worte, Riffs, Heavy Metal. „War Is The Father Of All“ ist etwa ein bombastischer Hymnus, ein unglaublich gewaltiges Stück, das unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs entstanden ist und von einem Chor begleitet wird, den der Dirigent Wilhelm Keitel aus ukrainischen Musiker*innen zusammengestellt hat.
Das Thema zieht sich durch das gesamte Album: Es war der griechische Philosoph Heraklit von Ephesos, der gesagt hat: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge und König aller.“ Das ist über 2500 Jahre her – und erfreut sich in diesen Tagen gegen jede Vernunft einer bedrückenden Renaissance. „Ich bin ja hinter dem Eisernen Vorhang in Ostdeutschland aufgewachsen“, sagt Weichert. „Für uns als friedliebende Menschen ist es eine harte Erkenntnis, dass der Kalte Krieg mit seinem Wettrüsten, den Atomwaffen auf beiden Seiten den Frieden offenbar mehr gesichert hat als sämtliche völkerrechtlichen Verträge. ›Wenn du mich angreifst, gibt’s auf die Fresse‹ – das scheint der menschlichen Natur mehr zu entsprechen als der Wunsch, Frieden auf Erden zu haben. Das ist eine ganz bittere Pille.“
Den Rahmen für diese philosophische Auseinandersetzung mit Krieg setzen drei Orchesterstücke. Neben dem eröffnenden „Ad Arma“ unterteilt „Imminence“ „Heimat“ gewissermaßen in eine A- und eine B-Seite, ehe „Inter Arma“ das Werk beschließt. Wiederum sind die Streicher hier von Wehmut getränkt, metaphorisch gesprochen ist der Krieg vorbei, der Pulverdampf vernebelt die Sicht, auf dem Schlachtfeld liegen die Gefallenen. Wo Ad Arma „zu den Waffen“ bedeutet, heißt Inter Arma „Unter Waffen“, bezeichnet also Krieg als das große Kontinuum der Menschheitsgeschichte.
Musikalisch sind die Orchesterstücke seltene Inseln der Ruhe, die meiste Zeit springen Heaven Shall Burn uns auf „Heimat“ mit brachialer Urgewalt mitten ins Gesicht. In Songs wie „My Revocation Of Compliance“, „Those Left Behind“ oder „Ten Days In May“ trifft von der GöteborgSchule inspirierter Metalcore auf harmonisch-düstere HSB-Signature-Riffs und -Breakdowns, auf Hardcore-Elemente und Blastbeats, gekrönt von den kompromisslosen Shoutings und Screamings von Marcus Bischoff sowie einer konsequenten, mit historischen und philosophischen Verweisen angereicherten politischen Haltung.
„Numbered Days“ wiederum ist ein Killswitch-Engaged-Cover. Von Beginn an waren Heaven Shall Burn riesige Fans der US-Metalcore-Band, der sie nun gemeinsam mit deren Shouter Jesse Leach und einer stürmischen Version des Songs vom Klassiker-Album „Alive or Just Breathing“ eine Referenz erweisen.
„Heimat“ strotzt vor Energie und Kreativität und klingt wie das Breakthrough-Album einer jungen Band, was nicht zuletzt daran liegt, dass Heaven Shall Burn zwar weiterhin eine große Freundschaft verbindet, aber alle Bandmitglieder parallel ihr eigenes Leben führen. Marcus hat weiterhin mit dem Krankenhaus zu tun, Chris ist in der Wirtschaft tätig, Eric ist Ergotherapeut und der Staatsrechtler und kreative Bandkopf Maik ist ein Hansdampf in allen Gassen. Der einzige ausschließlich im Musikbereich Beschäftigte ist Ali Dietz.
„Wir genießen aber gerade die kreative Energie, die sich aus dieser Konstellation ergibt“, sagt Maik. „Wir sind inzwischen in der glücklichen Position, dass wir selbst festlegen können, wann es ins Studio und wann auf Tour geht, niemand kann uns noch Deadlines setzen.“ Die schöpferische Kraft, die sich aus dieser komfortablem Ausgangslage ergibt, hört man „Heimat“ in jeder wild nach vorne preschenden Sekunde und jedem fein austarierten Detail an.











