Die in Deutschland und Großbritannien als Jazzsängerin und Komponistin tätige Miriam Ast veröffentlichte 2018 ihr Debütalbum „Secret Tales“. Für ihre aktuelle CD „Tales & Tongues“ erweckt sie europäische Volkslieder zu neuem Leben und wird dabei vom Jazzpianisten Daniel Prandl und dem Cellisten Jörg Brinkmann unterstützt. Inspiriert wurde Miriam Ast zu diesem Projekt von ihrem sechsjährigen Aufenthalt in London, wo sie einerseits die Offenheit und kulturelle Vielfalt einer Weltstadt erlebte, andrerseits aber genau diese Offenheit durch nationalistische Bewegungen und den Brexit bedroht sah. Mit dieser Sammlung von neu arrangierten Volksliedern aus verschiedensten Teilen Europas stellt sich die Musikerin aktiv diesen Bewegungen entgegen.
Allen Liedern gemeinsam sind zeitlose Themen wie Liebe, Trauer, Sehnsucht und Verlust, die meist in sehr bildhaften Metaphern erzählt werden. Diese Bilder greift Miriam mit ihren Musikern auch in den Arrangements auf. So schaffen etwa bei „Es waren zwei Königskinder“ Piano und Cello einen Klangteppich, in dem man das fließende tiefe Wasser zwischen den zwei Liebenden zu hören meint. Und im improvisierten Zwischenteil von „Zogen einst fünf wilde Schwäne“ mischen sich Freiheits- und Kampfeslust mit der Trauer der zurückbleibenden Liebsten.
Für jedes Lied hat Miriam Ast eine eigene Klangwelt geschaffen, die sich sowohl an der ursprünglichen Stimmung und Bedeutung orientiert als auch Raum für neue Melodien und Interpretationen lässt. Das bulgarische Volkslied „Pitat me, mamo“, fasziniert mit ungewohnten Rhythmen, im schwedischen „Jungfru Maria“ entfaltet sich die nordische Melancholie, und „Scarborough Fair“ bekommt eine eher düstere und unheimliche Atmosphäre.
Beim Jazz ist immer viel Raum für ausgedehnte Soli und Improvisationen, und auch das Miriam Ast Trio macht da keine Ausnahme. Allerdings improvisiert hier auch die Sängerin selbst und setzt dabei ihre Stimme wie ein Instrument ein, mit einer vokalen Klangsprache, die Stimmung und Ausdruck der Volklieder unterstützt. So wird in „Ich hab die Nacht geträumet“ die Bedrohung der seltsamen Traumbilder deutlich, und im ursprünglich rein instrumentalen Tanzlied „Gammel reinleder fra Sønndala“ übernimmt Miriams Stimme quasi die Rolle der melodieführenden Violine.
Mit einem sehr variationsreichen „Die Gedanken sind frei“ endet schließlich ein durchweg überzeugendes Album, das nicht nur für kulturelle Vielfalt steht, sondern auch deutlich macht, welch ein musikalischer Schatz uns mit unseren Volksliedern zur Verfügung steht. Dass sich diese nicht nur im Modern Jazz , sondern auch in anderen Stilrichtungen wunderbar neu interpretieren lassen, dürfen gerne noch mehr Künstler erkennen!