Odeville haben es wieder getan – und ihr sechstes Studioalbum „Jenseits der Stille“ ist genau, das Richtige, um nach den enthaltsamen Zeiten der Pandemie wieder zum Leben zu erwachen. Immer wieder kämpfte sich die Band in den letzten zwanzig Monaten durch private, persönliche und zuletzt vor allem soziale Tragik, ließ dieser schmerzlichen Energie freien Raum, reflektierte und absorbierte sie – und verwandelte sie letztlich in zwölf neue Songs (plus Zwischenspiel) mit einer Prise Romantik sowie zugleich wahnsinnig viel Groove, Druck und Melodie.
Los geht’s mit den treibenden Gitarren und dem nachdenklichen Text von „Monster“, das gleichzeitig auch der versteckte Titelsong des Albums ist. Ein wahres musikalisches Monster über Beziehungen und Freundschaft. „Der Tag wird kommen“ ist die nächste rockige Hymne, die ganz von Haukes variabler Stimme lebt, die zeitweise von einem jungen Chor unterstrichen wird. Der dritte Song „Strobo“ wandelt schließlich zielsicher zwischen aufreibendem Sprechgesang und einer punkigen Attitüde. Ein starker Start mit Anleihen an Selig und Jupiter Jones.
Danach wird es ruhiger und „48 Stunden verliebt“ erzählt zu melodischen Gitarren von Liebe und Nähe – wobei der Refrain „Essen Ficken Schlafen Repeat“ keine versteckten Wünsche offen lässt. „Untertage“ funktioniert als nachdenkliches Plädoyer an sich selbst und „Lila“ wird zum romantischen Lovesong, ohne sich in Floskeln zu verlieren.
Zwischen Pathos und Leidenschaft kommt aber auch die Sozialkritik nicht zu kurz. „Liebe Freiheit Sehnsucht Alles“ fasst in einem schnellen Indierocker alles zusammen, worum es im Leben geht, während „Stille“ als erzählende Ballade mit viel Melancholie die Entwicklung des kleinen Jungen mit Sheriffstern am Kostüm zum Nazi beschreibt und vor allem darauf eingeht, was dies für die Familie bedeutet. Kettcar lassen grüßen.
„Won’t Forget These Days“ ist fast schon blasphemisch, versieht es den wohl bekanntesten und wichtigsten Fury-Song doch mit einem deutschen Text. Aber Odeville machen das so gut, dass man den Song ganz neu entdecken und lieb gewinnen kann. Eine Meisterleistung!
Das letzte Triple widmet sich philosophischen Gedanken: „Oktober“ spricht von Hoffnung in kalten Zeiten, „Seifenblasentraumfabrik“ stellt das Luxusleben dem authentischen Dasein entgegen („Komm in meine Höhle wenn die Nacht anbricht“) und das fünfminütige „Welle“ bildet den sphärisch-rockenden Abschluss nach 47 Minuten eines durch und durch fantastischen Albums.
Der alternative Sound der Hamburger Band nimmt uns mit auf eine Reise in die Gegenwart. Es ist ein Statement zur Lage der Zeit, ohne es darauf anzulegen – und gerade deshalb umso kraftvoller.