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Philipp Poisel "Mein Amerika"

Unsere Wertung: 9 von 9 Punkten.

Philipp Poisel auf der Suche nach dem Sehnsuchtsort

Es war eine lange Sendepause, die Philipp Poisel seinen Fans zugemutet hat. Das letzte Studioalbum „Bis nach Toulouse“ erschien im August 2010. Im Popgeschäft sind das Welten – und der Herr Poisel war ja noch gar nicht ganz oben. Seine bisherigen Alben belegten gerade mal Platz 37 und Platz 8 in den deutschen Charts. Und doch ist der Ludwigsburger in diesen knapp sieben Jahr zum heimlichen deutschen Superstar mutiert. Nicht zuletzt wegen seines fulminanten Livealbums „Projekt Seerosenteich“, das ihn dann doch an die Chartspitze führte. Wie viele deutsche Songwriter haben sich seitdem von ihm inspirieren lassen. Man findet seinen Einfluss allerorten, sei es bei Andreas Bourani, Mark Forster, Marcel Brell oder Alexa Feser.

Philipp Poisel ist der Anti-Typ des deutschen Pop. So untypisch, dass es fast schon wieder Methode hat. Schüchtern, introvertiert, authentisch. Er lebt seine Lieder auf der Bühne. Die Ansagen zu den Seerosen-Konzerten sind in ihrer schönen Unbeholfenheit schon legendär. Und trotz aller filigranen Finesse hat er in den letzten Jahren große Konzerte vor Zehntausenden gegeben. Es hat funktioniert, denn er hat die Wohnzimmeratmosphäre einfach mit in die Arenen genommen. Auch symbolisch mit einem Teppich, der ihm ein Stück Heimat vermittelt.

Sicher hat es auch so lange gebraucht, Album Nummer 3 zu schreiben, weil Poisel nichts falsch machen wollte. Weil er wusste, dass die Musikwelt Großes von ihm erwartet. Daher reicht „Toulouse“ auch nicht mehr aus. Es muss schon Amerika sein. Am Freitag erscheint „Mein Amerika“. In einer Zeit, da die USA weltweit auf dem absteigenden Ast scheinen. Mutig, ein Album so zu nennen und den Sehnsuchtsort wieder zu entdecken. „Mein Amerika“ ist ein Liebeslied – nicht an das Land oder den Kontinent, sondern an das Unbekannte und Schöne in einem anderen Menschen.

Das Album ist durchzogen von feinen, dezenten Arrangements, wie wir sie aus den Seerosenteich-Sessions kennen. Von musikalischer Größe – und doch singt Philipp meist so vorsichtig und behutsam, als könne seine Stimme die Musik zerstören. „Wenn die Tage am dunkelsten sind“ vermittelt eine zugleich schwermütige wie optimistische Stimmung.

Doch es beginnt mit den lauten Stücken. „Erkläre mir die Liebe“ bietet eine hymnische Gitarre und intensive Vocals. Als Single erschien mir der Song etwas dürftig, doch zur bedeutungsschwangeren Eröffnung des Albums ist er ideal. Dann mein Anspieltipp „Roman“: ein Fünfminüter, der das Leben beschreibt und den Wunsch, nicht als Flugblatt im Wind zu verwehen, sondern als dickes Buch Spuren zu hinterlassen.

„Zum ersten Mal Nintendo“ versteckt im Hintergrund eine kleine Computermelodie und wirft einen nostalgisch verklärten Blick auf die persönliche Biographie, in der sich viele Zuhörer wiederfinden dürften. 55 Minuten sind nicht zu lang für dieses Album, das sich mit jedem Hören ein Stück weiter entfaltet. Titel, die mir zunächst belanglos erschienen, gewinnen plötzlich an Tiefe. „San Francisco Nights“ ist ein fröhlicher Popsong und doch so viel mehr im Zusammenspiel von Melancholie und Ausgelassenheit.

„Für immer gut“ und „Bis ans Ende der Hölle“ vermitteln tiefen Frieden und Selbstgenügsamkeit. Poisel nuschelt sich durch seine Texte und ich habe (auch akustisch) noch immer nicht verstanden, was „Ein Pferd im Ozean“ uns sagen soll. Doch es ist die Atmosphäre, auf die es ankommt. So wird selbst der Titelsong zum Film „Das kalte Herz“ nicht zum Lückenfüller sondern zu einer meisterhaften Märchenerzählung. Die volle Punktwertung für ein Album, das keineswegs perfekt, aber gerade deshalb so herzzerreißend schön ist.

Philipp Poisel - Mein Amerika
Philipp Poisel – Mein Amerika
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Letzte Aktualisierung am 2024-12-28 at 21:17 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API / Bezahlte ANZEIGE