Seit Jahrzehnten gehören The Pineapple Thief zur Speerspitze des melodischen Artrocks. Und in steter Regelmäßigkeit von zwei Jahren veröffentlichen die britischen Progressive Rocker ein Meisterwerk nach dem anderen. Daran ändert auch die Pandemie nichts. Kürzlich erschien ihr neues Album „Versions of Truth“ – im Zeitalter von Fake News und Verschwörungstheorien ein Titel, der den Nerv der Zeit trifft. Es ist ein Album, das das Chaos und den Konflikt des Lebens im 21. Jahrhundert widerspiegelt. Daraus resultiert eine Unschärfe zwischen dem Wirklichen und dem Wahrgenommenen, zwischen Sinn und Absicht. Der Titel sagt alles: Dies ist der Soundtrack für eine postfaktische Welt – eine Welt nach der Wahrheit.
Wie auf Bruce Soords letztjährigem Soloalbum bekommen wir atmosphärische Musik und epische Momente zu hören. Die ruhigen Songs dominieren das komplette Album – nur selten wird es mal lauter – und Bruce‘ Stimme schwebt bisweilen durch die Sphären. Die Songs kombinieren weitläufige Klanglandschaften mit nachdenklichen Refrains, vorgetragen von emotionalen Vocals.
Der Titeltrack als Opener klingt sehr nach den Soundeskapaden von Peter Gabriel und auch stimmlich sind Ähnlichkeiten nicht von der Hand zu weisen. „Versions of Truth“ gehört zu den dunkleren Stücken des Albums und wirkt sehr vertrackt. Danach wird es deutlich unaufgeregter. Ein filigraner Rhythmusaufbau zieht sich durch das komplette Album. So sind die meisten Stücke sehr eingängig und gehen für Progressive Rock-Tracks ungewöhnlich schnell ins Ohr. Das ist aber kein Nachteil.
Mit über 7 Minuten ist „Our Mire“ der Song, der den im Prog so beliebten Longtracks noch am nächsten kommt. Alles andere bewegt sich im normalen Rahmen von 3-4 Minuten. So erzählt das Album Geschichten vom Aufleben und Zerbrechen von Beziehungen – voller Melancholie und ohne sich in hektischen Ausbrüchen zu verlieren.
Längst haben The Pineapple Thief es geschafft, einen eigenen Sound aus rockigen Gitarren und spacigen Synthies zu kreieren. Maßgeblich für den Sound ist außerdem die vielseitige Stimme Soords, die ich am liebsten mag, wenn sie die ruhigen Töne anschlägt. „Versions of Truth“ ist ein weiteres Meisterwerk, an dem Freunde von Gazpacho, Blackfield und Anathema ihre Freude haben werden.