Von Lea bis Powerwolf – Open Airs am E-Werk Saarbrücken
Eine Reihe von fünf Open-Air-Veranstaltungen belebte im Juli das Gelände hinter dem E-Werk Saarbrücken. Im Prinzip ein idealer Veranstaltungsort, geschützt zwischen diversen Hallen und einer höher gelegenen Straße sowie umgeben von allerlei Parkmöglichkeiten. Dass der Schotterplatz sich am Samstagabend in ein Pfützenparadies verwandelte, ist dem gewittrigen Dauerregen des Abends geschuldet. Schade, aber wenn dieses Wacken-Wetter nicht zum Metalabend passte, zu wem dann sonst?
In der Vorwoche gaben sich Johannes Oerding und die Fanta 4 ein Stelldichein, am Freitag waren Scooter zu Gast. Über eine mangelnde Bandbreite an beteiligten Künstlern braucht man sich nicht zu beklagen. Höchstens über die bis dahin vorherrschende Männerdominanz. Aber dem konnte man am Wochenende Abhilfe schaffen, beginnend mit der Hardrock- und Metalbraut DORO, die am Samstag das Publikum begeisterte.
Zwar setzte pünktlich zu Doros Erscheinen auf der Bühne der erste Platzregen ein, ansonsten aber war ihr Auftritt perfekt. Und das nicht nur für Nostalgiker. Visuell prangte sie als leichtbekleidete Schönheit im Bühnenhintergrund. Das ist vielleicht aufgrund ihres nahenden Rentenalters etwas übertrieben, aber auch im gesetzteren Alter ist Doro sowohl optisch als auch stimmlich immer noch das Sinnbild der deutschen Metalqueen. Diesen Titel hat sie sich über Jahrzehnte hart erarbeitet und kann ihn bis heute erfolgreich verteidigen.
Es gab viele Stücke aus der Warlock-Ära, beispielsweise „I Rule The Ruins“, „Earthshaker Rock“ und „Burning The Witches“. Aufgrund dieser Songauswahl und der Power in der Performance wurde Doro von Beginn an abgefeiert. „Blood, Sweat and Rock ’n’ Roll“ hieß die Devise. Besondere Stimmung kam auf, als die deutschsprachigen Klassiker „Für immer“ und „All We Are“ erklangen. Da kam auch endlich die Sonne wieder raus und mit Regenbogen über der Bühne wurde der Mitsingpart zum generationenübergreifenden Gemeinschaftserlebnis. Kein Wunder, dass nach dem Priest-Cover „Breaking The Law“ auch noch die zusammenschweißende Hymne „All For Metal“ geschmettert wurde. Alles in allem ein Metalkonzert alten Kalibers. Hymnisch und durchdringend bis zum Schluss.
Man hätte meinen können, dass Saltatio Mortis es danach schwer haben würde, fiel ihr Mittelalter-Rock doch etwas aus der Reihe, was diesen Metalabend anging. Doch die Band um Jörg Roth (Alea der Bescheidene) stammt aus Karlsruhe und hatte somit in Saarbrücken fast schon ein Heimspiel. Gute Idee, sie direkt vor die Lokalmatadoren von Powerwolf zu platzieren. Es gab ein martialisches Intro im Scooter-Style und mit „Alive Now“ startete die Show im Metalsound, ergänzt um Leier und Dudelsack. Mit dieser Kombi konnten Saltatio Mortis perfekt glänzen.
Musikalisch gab es immer auch akustische Elemente, so dass der Folk nicht zu kurz kam. Die Balance zwischen Rock und Metal war stets gegeben. Man sang über „Loki“ und fragte „Wo sind die Clowns?“. Dazu durfte das Publikum mit den Protagonisten „Ich schwöre, ich bin ein Taugenichts“ skandieren. Die Setlist war mehr als grandios und ein Traditional wie „Drunken Sailer“ setzte das i-Tüpfelchen drauf. So bringt man eine Arena zum Mitgrölen.
Der Frontmann sprang zum Stagediving ins Publikum und ganz metalcore-like erzeugte man zum Electric Callboy-Cover „Hypa Hypa“ einen respektablen Circle Pit. Bei „Für immer jung“ ließ man einen Großteil der Zuschauer ihre Liebsten auf den Schultern tragen und zum Abschluss gab’s den „Spielmannsschwur“. Am Ende wurde die Band von einem lautstarken Chor standesgemäß abgefeiert. Fazit: alles richtig gemacht!
Aber natürlich sollte Powerwolf den Höhepunkt des Abends bilden. Nicht nur was den Härtegrad angeht – als Lokalmatadoren mussten sie auch zeigen, wer hier das Heimrecht hat. Gekonnt zelebrierte das Quintett seine Messe des Metal. Vor kurzem habe ich Ghost in der Rockhal gesehen und Parallelen sind hier nicht von der Hand zu weisen. Ist ja auch kein Problem, wenn die Qualität stimmt.
Ein gregorianisches Intro und Mönche mit Fackeln eröffneten das Szenario. Von „Faster Than The Flame“ bis „Werewolves Of Armenia“ ging es dann durch die Bandgeschichte. Lateinische Textzeilen durchmischten die Songs, es gab eine gewaltige Pyroshow und die Maskierung der Mitstreiter um Attila Dorn tat ihr Übriges dazu. Den Segen gab es aber nicht nur von der Bühne, sondern leider auch in Form nicht enden wollender Regengüsse vom Himmel. Die Zuschauer*innen ließen sich aber davon nicht entmutigen, sondern feierten um so ausgelassener mit. Die „Army Of The Night“ und die wilden Wölfe ließen in ihrer Performance nicht nach, schließlich war man – wie passend – „Sainted By The Storm“. Ein grandioser Abschluss für den Samstag.
Sonntags sollte es dann um Klassen ruhiger zugehen. Zum weiblich getragenen Line-Up hatten sich vor allem Frauen mit ihren mitgeschleppten Männern und massenweise Kinder eingefunden. Im Lauf des Abends wurden Hunderte Kids auf den Schulter getragen, um vielleicht das erste Konzert ihres Lebens zu erleben. Der Glanz in den Augen berührte auch die anderen Anwesenden.
Bevor aber Lea ihren Part ablieferte, war als Support Lina Maly am Zug. Mit ihren gerade mal 26 Jahren ist die Liedermacherin aus Elmshorn schon eine feste Größe in der Szene intelligenter deutschsprachiger Popmusik. Ihren halbstündigen Set spielte sie mit reduzierter Band, vergaß aber nicht, Werbung für den 28.10.2023 zu machen, wo sie dann in einem Headliner-Konzert mit kompletter Band im nahen Saarburg zu Gast sein wird. Linas melancholische Songs passten stilistisch perfekt zur Musik von Lea und waren somit die perfekte Einstimmung.
Dann aber – um 20.30 Uhr – kam der große Moment. Die Bühne war zunächst noch hinter einem Vorhang versteckt und LEA startete allein im Vordergrund mit dem passenden „Sommer“. Schon der zweite Song war „Treppenhaus“ und zum fallenden Vorhang sangen Kinderstimmen tausendfach begeistert den Refrain mit. So läuft ein grandioser Auftakt zu einer fantastischen Show.
Ich will nicht verhehlen, dass Lea in meinen Augen die perfekte Singer/Songwriterin aus deutschen Landen ist und meiner Meinung nach mit „Bülowstrasse“ ganz aktuell das beste und gefühlvollste Deutschpop-Album seit Andreas Bourani („Hey“) abgeliefert hat. Sie legt eine unglaubliche Fülle an Emotionen in ihre Lyrics und ihre Stimme. Manchen mag das gar zu viel werden, doch ich persönlich – und damit bin ich nicht allein – kann mich an ihren authentischen Songs einfach nicht satt hören. Zudem hat sie es gewagt, in einer Zeit, da Musik meist nur noch in Einzelsongs per Stream gehört wird, ein Konzeptalbum über Jugendliche in Berlin abzuliefern. Es macht immer wieder Spaß, dieses Album am Stück zu hören, doch Songs wie „Pass auf mich auf“ funktionieren auch als für sich stehende Songs.
Gemeinsam mit Lina Maly hat Lea für dieses Album auch den Song „Nieselregen“ geschrieben, den beide nun zusammen performten. „Drei Uhr Nachts“ brachte auch ohne Mark Forster die Zuschauer*innen komplett zum Ausrasten. Ein Stück mit enorm viel Groove. Nach „Küsse wie Gift“ gab es ein Drum-Duell auf der Bühne, das Lea nutzt, um durch die Zuschauer einen Platz neben dem FOH zu erreichen, wo sie ganz auf Tuchfühlung gehen konnte. Hier erzählte sie vom ersten Gig in Saarbrücken, wo 2016 ganze vier Menschen erschienen sind.
Nach dem großen Bandsound von der Bühne, zelebrierte Lea nun viele melancholische Stücke zu sanften Pianoklängen oder akustischer Gitarre. Mit viel Emotion gab es „Sommersprossen“ vom aktuellen Album. „Mutprobe“ wurde gleich zweimal geboten, zunächst im Duett mit Zuschauerin Lena, die sich diesen Song aus dem Publikum gewünscht hatte, und dann nochmal komplett mit Band. Als weitere neue Songs gab es „Fuchs“ in einer wunderschönen Pianoversion und auch „Aperol im Glas“ funktionierte zunächst als Ballade, bevor es mit rockigem Beat auf der Bühne in die zweite Hälfte ging.
„In Flammen“ wurde zur elektronischen und fast schon psychedelischen Performance. So zeigte Lea, dass es nicht immer melancholische Balladen sein müssen. „Beifahrersitz“ wurde ganz akustisch zur Gitarre vorgetragen, es gab ein Medley aus Hits wie“Leiser“ und „Zu dir“. „Schwarz“ nahm das Publikum mit eindringlichen Worten mit, dann erklang „110“ und zum Abschluss des regulären Sets die Hymne „Okay“ mit der wichtigen Botschaft an die junge Generation, dass jeder so okay ist, wie er ist. In einer Influencer-Glitzerwelt besonders wichtig.
Die Gitarrenballade „Wenn du mich lässt“ und das kuriose „Liebeslied“, das es bisher noch auf kein Lea-Album geschafft hat aber live immer gern gespielt wird, beendeten nach 110 Minuten ein wundervolles Konzert. Lea hat mal wieder bewiesen, warum sie an der Spitze deutschsprachiger Songwriterinnen steht. Ihre Texte strotzen vor Melancholie und Poesie und für ihre Fans ist das genau richtig. Die Kids bewundern Lea wie eine große Schwester – und auch das erwachsene Publikum nimmt sie an einem solchen Abend mit auf die emotionale Reise. Der Abschluss der „Open Airs am E-Werk“ an diesem lauen Sommerabend war einfach perfekt. Bleibt zu hoffen, dass es 2024 ebenso genial weitergeht.
Setlist – LEA, 16.7.2023, Open Air am E-Werk Saarbrücken
Sommer
Treppenhaus
Pass auf mich auf
Pessimist
Drei Uhr Nachts
Eigentlich
Küsse wie Gift
Elefant
Mutprobe (Refrain)
Sommersprossen
Mutprobe
Fuchs
Aperol im Glas
7 Stunden
In Flammen
Beifahrersitz
Immer wenn wir uns sehn
Leiser / Zu dir / Wohin willst du (Medley)
Schwarz
110
Okay
Wenn Du mich lässt
Ein Liebeslied