Es scheint sich zu bewahrheiten, dass Marillion in jedem Jahrzehnt ihres Bestehens ein ultimatives Album schreiben, das sie in neue Sphären ihres musikalischen Schaffens führt. In den 80ern war dies definitiv „Misplaced Childhood“. Das Werk mit dem Hit „Kayleigh“, das die Band quasi über Nacht weltberühmt machte. Der damalige Sänger Fish verarbeitete in dem Konzeptalbum seine Jugenderinnerungen und für viele ist es das Aushängeschild des Neoprog schlechthin.
In den 90ern folgte mit „Brave“ wiederum ein fulminantes Konzeptwerk. Der damals noch recht frische Frontmann Steve Hogarth war inspiriert von einem Radiobericht über ein Mädchen, das orientierungslos auf einer Brück aufgegriffen wurde, und spann daraus eine Geschichte über Verzweiflung und Suizid. Eine moderne Rockoper aus verschachtelten musikalischen Themen – komplex und virtuos.
2004 erschien das von Fans vorfinanzierte Album „Marbles“. Mit drei Longsongs und verbindenden Musikthemen. Zwar kein Konzeptwerk, aber es hatte durchaus thematische Verbindungen zwischen den Songs. Die Idee der Vorfinanzierung war nicht neu. Die hatten Marillion quasi erfunden, als drei Jahre zuvor beim Vorgängeralbum 12.000 Fans eine CD bezahlten von der sie noch keinen Ton gehört hatten. Somit schließt sich jetzt ein Kreis. Die Idee des Crowdfundings ist zum florierenden Geschäftsmodell geworden. Mit PledgeMusic nutzen Marillion diesmal ein bestehendes Portal, das es vielleicht ohne ihre 15 Jahre alte Idee nie gegeben hätte. Und das Ergebnis ist ein Album, das im aktuellen Jahrzehnt den Platz des Ausnahmewerks einnimmt.
Ein Konzeptalbum? Urteilt selbst: Es trägt den Titel „FEAR“, eine Abkürzung aus „Fuck Everyone And Run“. Es geht um das Wegsehen und Davonlaufen. Auch darum, dass alles Übel der Welt aus Angst entsteht, während das Gute von der Liebe kommt. So enthält „FEAR“ fünf Songs, die sich in siebzehn Abschnitte gliedern. Mit fast sieben Minuten ist „Living In Fear“ quasi der kürzeste Titel. „Tomorrow’s New Country“ wird zwar als eigenständiger Song geführt, gehört aber zum Longtrack „The Leavers“.
Man braucht einige Zeit, um sich in das Album hinein zu hören. Der freundliche Promoter hat es mir schon vor Wochen zugeschickt – und es verließ meinen Player seitdem nur für kurze Auszeiten. „FEAR“ bietet alles, was sich der Fan progressiver Rockmusik von Marillion wünscht. Steve Hogarth zieht alle Register seines stimmlichen Könnens. Er schwelgt, belehrt, jammert und wütet. Er windet sich durch alle Tonlagen – manchmal kurz vor der Hysterie. Ebenso stark agiert Gitarrengott Steve Rothery. Seine Soli sind das Salz in der Suppe, während Bass und Keyboards unentwegt Atmosphäre kreieren.
Man hatte in den letzten Jahren häufig das Gefühl, dass Bands wie Gazpacho oder Riverside Marillion den Rang ablaufen. Hier wird die Rangordnung wieder gerade gerückt. Marillion liefern schlicht ein Meisterwerk, das die Zeit überdauern wird. „The New Kings“ war als viertelstündiger Vorabtrack schon zu hören (unter anderem auf den aktuellen Livekonzerten) und handelt von der Macht der Banken, die sich als neue Weltherrscher aufspielen. Atmosphärischer Beginn, ein durch und durch rockiges Ende. Megasong!
Ebenso wie „El Dorado“, das sich (für Marillion ungewöhnlich politisch) mit der Situation des Vereinigten Königreichs auseinander setzt. Und es wurde wohlgemerkt lange vor dem Brexit geschrieben. Dabei startet es wie ein fröhliches Songwriterstück, bevor die ganze Härte der Realität auf den Hörer einprasselt. Bilder von Menschen, die an der Grenze ausharren, um wieder existieren zu können. Gewaltig und verstörend.
„The Leavers“ widmet sich mit melancholischen Pianoklängen den Menschen, die immer wieder Abschied nehmen. Es verbreitet düstere Stimmung, die aber durch den Abschnitt „One Tonight“ aufgelöst wird. Während „El Dorado“ und „The New Kings“ das Album mit eindringlichen Botschaften nach vorne treiben, ist „The Leavers“ so etwas wie das gefühlvolle Mittelstück zum Innehalten.
Neben diesen langen Tracks drohen die Einzelsongs „Living In Fear“ und „White Paper“ fast unterzugehen. Doch sie sind bei weitem keine Lückenfüller. Vielmehr kleine Inseln zum Atemholen. Und gerade „White Paper“ lässt großen Interpretationsspielraum, den Steve Hogarth bewusst nicht öffnet. Es bietet etwas Mystik neben all den handfesten Aussagen des Albums.
Mit einem Song wie „Gaza“ vom Vorgänger (inzwischen vier Jahre alt), war die Öffnung der Band in eine politische Richtung vorgezeichnet. Dieser Schritt ist jetzt endgültig vollzogen. Marillion haben erneut ein Album geschaffen, das als Gesamtkunstwerk funktioniert. Man wird kaum einzelne Fragmente heraus ziehen können, um vielleicht ins Radio oder auf die Spotify-Hitlist zu gelangen. „FEAR“ ist ein Album, das man gefälligst am Stück hören muss. Und es bietet puren Genuss von fünf leidenschaftlichen Musikern. Manchmal wirft man Marillion vor, dass sie keine echten Songs schreiben sondern so lange im Studio jammen, bis sich aus musikalischen Fragmenten etwas Brauchbares entwickelt. Was soll’s? Wenn das Ergebnis solch geniale Musik bietet, können sie noch lange damit weitermachen.
Es hat sich seit 2006 zu einer sehr schönen Tradition für Progfans aus ganz Europa entwickelt, im Juli (nur in einem Jahr war es September) zur Loreley zu pilgern, um dort einem Querschnitt der diesem Genre zugehörigen Bands zu lauschen. Auch ich bin in jedem Jahr bisher zumindest einen Tag anwesend gewesen, was sicherlich auch meine Verbundenheit zu diesem Festival ausdrückt. Der gemütliche und familiäre Charakter kann auch einen eigentlichen Festival-Muffel wie mich begeistern.
NotProg IX wird dabei sicherlich in die Annalen eingehen als das mit Abstand sonnigste und – insbesondere auch – heißeste Festival bisher. Zwar wurden oben auf dem Felsen nicht ganz die 36 Grad aus dem Rheintal erreicht, im relativ windgeschützten Kessel vor der Bühne fühlte man sich dennoch bisweilen wie ein Brathähnchen im Backofen. Sonnenschutzfaktor 30 sowie eine angemessene Kopfbedeckung waren an beiden Tagen Pflichtausstattung für die Besucher. Regelmäßiger Flüssigkeitsnachschub war ebenfalls vonnöten. Die Preise für Getränke (insbesondere Mineralwasser) waren zwar relativ hoch, aber man durfte auch kleinere Mengen mit aufs Gelände nehmen, sodass sich ein kleiner Spaziergang zum nahen Parkplatz während der Umbaupausen durchaus anbot.
Da meine Klimaanlage am Vortag (Bericht des Kollegen Andi hier) auf der Fahrt zur Loreley den Dienst verweigerte, verbrachte ich den Samstagmorgen zunächst damit, eine „dienstbereite“ Werkstatt zu finden, nur um dann mitgeteilt zu bekommen, dass es sich um ein Elektronikproblem handelt, das kurzfristig nicht zu beheben sei. Durch diesen Zwischenstopp konnte ich jedoch erst verspätet zum zweiten Tag anreisen, wodurch ich die ersten 3 Bands des Tages (Synaesthesia; A Liquid Landscape; Dream the Electric Sleep) leider verpasste.
Als ich das Festivalgelände betrat, hatten die Schweizer von Clepsydra (16:31 – 17:46 Uhr) gerade ihren Set begonnen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 1000-1200 Leute auf dem Festivalgelände. Einige hatten sich offensichtlich in den Schatten außerhalb des Geländes verkrochen. Vor etwa 20 Jahren spielten Clepsydra ein Konzert in einer Stadt im südwestdeutschen Raum, in der ich damals zu studieren gedachte. Auch damals war ich bereits ein Fan von Progressive Rock, sodass mich ein entsprechender Flyer, der auf dem Unigelände verteilt wurde, neugierig machte und ich beschloss, den entsprechenden Abend nach Vorlesungsende mit Livemusik ausklingen zu lassen. Zwei Dinge irritierten jedoch den jungen Musikfreund. Zum einen lag der Veranstaltungsort in unmittelbarer Nähe von rot beleuchteten Gebäuden, zum anderen war kurz vor Beginn praktisch niemand außer ihm selbst anwesend. Beide Dinge führten dazu, dass er kurzfristig beschloss, den Abend doch anderweitig zu verbringen. Einige Jahre später erfuhr ich dann, Clepsydra hätten sich aufgelöst. So war ich natürlich hocherfreut, dass ich an diesem Tag die Gelegenheit bekam, nachvollziehen zu können, was ich damals verpasst hatte.
2013 war es nämlich zur Wiedervereinigung der Band gekommen. Geboten wurden 75 Minuten 90er Jahre Neoprog in Reinkultur, wobei dies eindeutig positiv gemeint ist. Ähnlich wie die polnischen Kollegen von Collage, die am Vortag einen ähnlichen Festivalslot hatten, gelang es den Schweizern – trotz zahlreicher Parallelen zu anderen Genrevertretern – frisch und unverbraucht zu klingen. Orchestrale Keyboardpassagen und marillionesque Gitarrensoli erfreuten das Herz des Schreibers und vieler anderer Anwesende. Einige Besucher schienen (nur) wegen dieser Band gekommen zu sein und sangen jede Zeile voller Inbrunst mit. Im Gegensatz zu Long Distance Calling am Vortag funktionierte diese Musik auch bei gefühlten 60 Grad im prallen Sonnenschein. Ein gelungener Appetithappen für den Rest des Abends.
Brian Cummins (17:57 – 19:08 Uhr) hatte dann die zunächst scheinbar undankbare Aufgabe, als Ersatz für die kurzfristig wegen Erkrankung eines Bandmitglieds ausgefallenen Bigelf (die auch schon als Ersatz für die John Wesley Band gebucht worden waren) einzuspringen. Dabei bekam er nach eigener Aussage erst am Mittwochabend den Anruf des Veranstalters. Bekannt ist Cummins insbesondere als Sänger der Genesis-Tribute-Band Carpet Crawlers. Ich selbst hatte ihn zuvor mehrfach (u.a. beim NotProg Festival IV, 2009) als Sänger von Mick Pointers Marillion-Tribute-Projekt Script For A Jester’s Tour gesehen. Heute war er jedoch als Solo-Künstler zu sehen, der ein buntes Potpourri von (zumeist) Peter Gabriel Solo-Songs zum Besten gab. Wie immer fröhlich gestimmt, betrat er mit dem Satz „Hello, I’m Bigelf“ die Bühne und hatte die meisten Zuschauer schon auf seiner Seite. Der dargebotene Querschnitt aus Gabriels Karriere wurde ebenfalls dankbar angenommen. Dabei spielte er die Songs nicht einfach mit akustischer Gitarre, sondern untermalte sie mit allerhand Loops, die er mit Hilfe diverser Effektgeräte im Stile von 1-Mann-Drone-Künstlern übereinander schichtete. Dass er dabei bisweilen mehrere Versuche benötigte (- nach eigener Aussage spielte er dieses Programm zum ersten Mal seit einem Jahr live -), trug eher noch zum Charme der Performance bei. Das Ergebnis waren zum Teil überraschende und erfrischende Interpretationen, und er wagte sich sogar an das komplexe Meisterwerk „San Jacinto“. Das Publikum war jedenfalls vollauf begeistert, sodass Cummins‘ Schlusssatz „Loreley, you f***ing rock!“ nichts hinzugefügt werden muss.
Setlist Brian Cummins
Here Comes The Flood
Red Rain
Washing Of The Water
Intruder
Come Talk To Me
Carpet Crawlers (Genesis)
Games Without Frontiers
Mercy Street
San Jacinto
Solsbury Hill
Grendel (Marillion; nur die erste Strophe)
Biko
—–
In Your Eyes
Anathema (19:46 – 21:09 Uhr) spielten zum zweiten Mal (nach 2011) beim NotProg Festival und für mich persönlich war es das 15. Anathema-Konzert seit 2005. Dabei kann ich sowohl mit ihrer Doommetal-Phase zu Beginn der 90er Jahre – die die Band schon lange hinter sich gelassen hat – etwas anfangen, als auch mit ihrem massenkompatiblen (?) Alternative Rock, den sie seit spätestens „A Fine Day To Exit“ (2001) perfektioniert haben. Auffällig war, dass sich die Band neu formiert hat – und zwar ohne das Personal zu wechseln. Der bisherige Keyboarder Daniel Cardoso ist nunmehr Schlagzeuger, während der bisherige Drummer (Gründungsmitglied) John Douglas ein reduziertes (und leider auf der Loreley im Livemix untergegangenes) Percussion-Kit bedient. Die Keyboard-Parts werden von Gitarrist (und Sänger) Daniel Cavanagh übernommen, wobei ein Großteil der eher elektronischen Sounds auch „aus der Konserve“ eingespielt wurde. Trotzdem ist die Band nach wie vor eine tolle Liveband. Die Umstellung der Bandbesetzung ist vermutlich eine Folge der diesjährigen Nordamerika-Tour, für die John Douglas (aus mir nicht bekannten Gründen) kein Visum bekommen hatte, sodass Cardoso die Drums quasi zwangsweise übernehmen musste und Cavanagh an den Keyboards improvisierte.
Im Gepäck hatten sie ihr gerade erschienenes zehntes Album „Distant Satellites“, von dem sie auch drei Lieder spielten. Darunter befand sich der Track „Anathema“, den es bisher noch nicht gegeben hatte. Diesen widmete die Band Brian Cummins, den sie bereits als 16-jährige im Liverpool der späten 80er kennen lernten und den sie als guten alten Freund bezeichneten. Der Titelsong des neuen Albums „Distant Satellites“ gefiel mir live deutlich besser als auf CD, da ein Großteil der elektronischen Drums und Loops eben tatsächlich „live“ gespielt wurde. Wie bereits angedeutet, spielten Anathema fast ausschließlich Material aus ihren jüngsten (d.h. den letzten vier) Alben, nur der klassische Set-Closer „Fragile Dreams“ (von „Alternative 4“, 1998) verwies auf die Ursprünge der Band. Ich persönlich fand die Songauswahl dennoch sehr gelungen und eine Karte für das komplette Programm während ihrer Hallentournee im Oktober hängt bereits an meiner Pinnwand.
Setlist Anathema
Untouchable, Part 1
Untouchable, Part 2
Thin Air
The Lost Song, Part 3
Anathema
The Storm Before The Calm
A Simple Mistake
Closer
A Natural Disaster
Distant Satellites
Fragile Dreams
Und zum Abschluss der neunten Auflage des NotProg Festivals beehrten die Briten von Marillion (22:02 – 23:57 Uhr) zum (insgesamt) dritten Mal die Loreley. 1987 spielten sie bereits hier – noch mit dem Originalsänger Fish –, was auf einer sehr schönen Live-DVD dokumentiert wurde. 2010 folgte dann der erste Auftritt beim NotProg. Damals hatte ich mit einem Festival-Set gerechnet, d.h. einem eher hohen Anteil an poppigeren und kürzeren Songs, aber Marillion überraschten mich damals mit einem sehr anspruchsvollen (und progressiven) Programm. Dieses Jahr nun folgte der Festival-Set, der eher die Teilzeit-Fans im Publikum ansprach. Als „Veteran“ (etwa 25 Marillion-Konzerte seit 1987) musste ich somit ein paar „Begeisterungspausen“ einlegen, so u.a. bei den beiden Titeln des eher bescheidenen Albums „Holidays in Eden“ (1991).
Auch sonst gab es einige seichte/leichte Stücke wie z.B. „Beautiful“ und „You’re Gone“. Die anspruchsvollsten Stücke kamen interessanterweise von letzte Album „Sounds That Can’t Be Made“ (2012), insbesondere der Opener „Gaza“, der sicherlich das einzige Stück des Festivals mit derart aktuellem politischen Bezug war. Überraschenderweise fanden ebenfalls vier Stücke aus der Fish-Zeit (vor 1989) ihren Weg in die Setlist, darunter auch der einzige echte Hit der Band, „Kayleigh“ (1985). Bei diesem (und den vorhergehenden „Sugar Mice“ und „Cover My Eyes“) begab sich Sänger Steve Hogarth ins Publikum und ließ einige Besucher ins Mikrophon singen: Ein eher zweifelhaftes Vergnügen für alle anderen Zuhörer.
Als Zugabe wurde uns dann mit „Neverland“ (vom grandiosen „Marbles“-Album aus 2004) noch einmal Bombastrock vom Feinsten geboten: Ein Highlight des kompletten Festivals. Für mich war der Auftritt von Marillion insgesamt also ein eher zwiespältiges Vergnügen. Zugutehalten muss man der Band aber, dass sie eben auch ein komplett anderes Konzert als 2010 gespielt hat, ein Umstand, der bei anderen Bands völlig undenkbar wäre (aus dem Progbereich seinen an dieser Stelle z.B. Saga erwähnt). Das ist natürlich „progressiv“ im eigentlichen Sinn des Wortes.
Setlist Marillion
Gaza
Easter
Beautiful
Power
You’re Gone
Sugar Mice
Fantastic Place
Man Of A 1000 Faces
No One Can
Sounds That Can’t Be Made
Cover My Eyes
Kayleigh/
Lavender (w/ Blue Angel)/
Heart Of Lothian
—–
Neverland
Abschließend noch einige Worte zum Drumherum. Die Organisation lief trotz der klimatischen Bedingungen weitgehend reibungslos; das Personal war freundlich und zuvorkommend. Das Essensangebot war zwar nicht übermäßig vielfältig, aber sicherlich ausreichend. Die Preise lagen gefühlt etwas höher als in der Vergangenheit, aber waren durchaus noch angemessen. Der Sound war – mit einigen wenigen Ausnahmen – gut, vor allem bei den Headlinern der beiden Tage. Der Besucherzuspruch war ähnlich wie in den vorangegangenen Jahren, an beiden Tagen (gegen Ende) jeweils etwa 2500 Personen. Für die Jubiläumsausgabe des Festivals im Juli 2015 sind sogar 3 Tage vorgesehen. Ich werde sicherlich auch wieder dabei sein.
Die Erfolgsgeschichte eines großen Prog-Festivals auf der Loreley (heute gern als „heiliger Felsen des Prog“ bezeichnet), begann im Jahr 2006 und erfuhr bereits ihre neunte Auflage. WIV Entertainment haben es geschafft, das Event Jahr für Jahr mit angesagten Progbands der Vergangenheit und Gegenwart zu füllen. Hut ab dafür.
Eigentlich wollten meine Mitstreiter und ich noch einige Töne der polnischen Band Collage mit bekommen, als wir freitags anreisten, doch es hat leider nicht hingehauen. Wir erreichten den Felsen zur Pause vor dem Auftritt von Long Distance Calling. Die dem Postrock zugehörigen Progger stammen aus Münster und lieferten einen musikalisch harten, hauptsächlich instrumentalen Set mit ausufernden Solo-Passagen. Das Hinzukommen von Marsen Fischer hat also nicht dazu geführt, dass plötzlich in jedem Track gesungen wird. Stattdessen gibt es weiterhin eine effektgeladene Soundcollage mit sphärischen Elementen und immer wieder starken Gitarrenriffs, die dem Metalfreund vermutlich ein Schmunzeln entlockten, Long Distance Calling aber für die Begriffe des Progressive Rock zu einer der härtesten Bands des Festivals machten.
Setlist Long Distance Calling – Loreley, 18.07.2014 (danke an Karsten fürs Raushören)
Nucleus
Black Paper Planes
Ductus
Keyboard Air (unveröffentlicht) The Figrin D’an Boogie
I Know You, Stanley Milgram!
Invisible Giant
NH 0550 (von der neuen EP „Night Hawk“, die verkauft wurde, aber noch nicht offiziell erschienen ist)
Timebends
Arecibo (Long Distance Calling)
Metulsky Curse Revisited
Die Stimmung auf dem Felsen war zu dieser Zeit noch sehr träge. Die hochsommerlichen Temperaturen sorgten dafür, dass sich das Gros der Fans ein Schattenplätzchen an den Seiten des Amphitheaters suchte oder sich ganz nach oben unter die Bäume zurück zog. Der Konsum von Flüssigkeiten war enorm wichtig, trotzdem sah man nur wenig wirklich Betrunkene. Ein Zeichen dafür, dass es im Prog meist sehr gesittet zugeht. Zum Glück gab es genug Hartgesottene, die sich auch in den heißen Stunden vor der Bühne sammelten und Party machten.
Als es um 19.45 Uhr Zeit für IQ war, hatten sich die Steinstufen gut gefüllt und man hörte am Stimmengewirr, dass Fans aus ganz Europa und von noch weiter angereist waren. Viele Holländer und Briten waren auszumachen, wobei vor allem in England das Mitbringen eigener Klappstühle momentan groß in Mode zu sein scheint.
Musikalisch waren IQ ein erstes Highlight des Abends. Die Prog-Heroen der 80er haben auch heute nichts von ihrem einstigen Glanz verloren haben. Vor allem ist mit „The Road Of Bones“ im Jahr 2014 ein wahres Meisterwerk erschienen. Ein Konzeptwerk allererster Güte, das sich in die Liste hervorragender Alben der Truppe einreiht. Ich zähle noch immer „Ever“ und „Subterranea“ zu meinen Favoriten, aber eigentlich hat es in der Geschichte der Band kein wirklich schlechtes Album gegeben. Das will schon was heißen.
Was aber immer passiert: zunächst musste ich mich an die ungewöhnlich hohe, gepresst klingende Stimme von Peter Nicholls gewöhnen. Aber dann konnte ich die Spielfreude der Band richtig genießen. Vier neue Songs und damit fast das komplette Album „The Road Of Bones“ waren über den Set verteilt und mischten sich mit altbekannten Klassikern. Die düstere Atmosphäre des Konzeptwerks sollte mit einer visuellen Show im Hintergrund unterstrichen werden, was aber nicht funktionierte, da es dafür einfach zu hell war. Egal – die Musik sprach für sich.
An alten Stücken gab es das melodische „In The Darkest Hour“, „Frequency“ vom vorletzten Album und den umjubelten Klassiker „The Wake“. „Leap Of Faith“ aus dem Album „Ever“ markiert meinen persönlichen Einstieg in die IQ-Welt. Darum immer wieder gern gehört. Zum Abschluss erklang „The Seventh House“ aus dem Jahr 2000, was mich persönlich enttäuschte, da mein Lieblingsalbum „Subterranea“ somit unberücksichtigt blieb. Momentan ist von einer Verfilmung dieses musikalischen Konzepts die Rede. Bleibt also zu hoffen, dass das Album bald wieder einen höheren Stellenwert bekommt.
Setlist IQ – Loreley, 18.07.2014
From the Outside In
The Darkest Hour
The Road of Bones
Frequency
Without Walls
The Wake
Leap of Faith
Until the End
The Seventh House
Transatlantic waren neben Marillion sicher die am sehnsüchtigsten erwartete Band des Festivals. Wann sieht man sonst so viele Prog-Heroen in einer Band? Neal Morse, ehemals Sänger von Spock’s Beard, Roine Stolt, der die Flower Kings groß gemacht hat, Pete Trewavas, der als Bassist von Marillion natürlich unermüdlich im Einsatz war, und Mike Portnoy, der bis vor wenigen Jahren Dream Theater an den Drums in harte Sphären führte. Das ist das Stamm-Quartett von Transatlantic, zu dem sich noch Ted Leonard als Verstärkung gesellte, der früher bei Enchant sang und der jetzt Spock’s Beard vorsteht.
Ted war dann auch die Überraschung des Abends, den seine Vokal-Performance stand Neal und Roine in nichts nach. Sehr erfrischend, wenn er aus dem Hintergrund nach vorne kam. Allerdings dauerte es noch einige Zeit, bis Transatlantic bereit waren. Umbau und Soundcheck dauerten bis nach 22 Uhr und der erste Song „Into The Blue“ führte dann das Austesten des Zusammenspiels noch eine Zeit lang fort, was Portnoy in seiner darauf folgenden Begrüßung augenzwinkernd bemerkte.
Die Setlist war dann aber ein Fest. Entweder man vergöttert die Heroen, oder sie lassen einen kalt. Eine Hit-Zusammenstellung würde allein aufgrund der gigantischen Songlängen schon keinen Sinn machen. Nein – stattdessen erfreuten wir uns an den gesanglichen Fähigkeiten von Neal Morse, der wie ein Prediger auf der Kanzel hinter seinem Keyboard stand und die Massen erleuchtete. Und natürlich an der Creme de la Creme der Prog-Instrumentalisten, die sich (ich will es mal dezent ausdrücken) für kein Solo zu schade waren.
Portnoy war mal wieder der eigentliche Star – oder hielt sich zumindest dafür. Er lenkte und dirigierte hinterm Schlagzeug, während der obercoole Roine Stolt der Gitarre lässig wundervolle Töne entlockte und Pete Trewavas selig ins Publikum grinste, das ja auch am Freitag schon vor allem aus Marillion-Fans bestand, was den Gig für ihn zum Heimspiel machte. Zunächst gab es zwei Titel vom aktuellen Album „Kaleidoscope“. Dann folgte ein ellenlanges Medley aus dem dritten Album „Whirlwind“, das die Zuschauer von den Sitzplätzen riss. Und den Abschluss machte ein Hitreigen der ersten beiden CDs: „We All Need Some Light“, „All Of The Above“ und „Stranger In Your Soul“. Damit waren alle Favoriten in epischer Länge vertreten und zwei Stunden wie der Blitz vorbei.
Setlist Transatlantic – Loreley, 18.07.2014
Into the Blue
Shine
(Whirlwind Medley) Overture Rose Colored Glasses Evermore Is It Really Happening? Dancing With Eternal Glory
We All Need Some Light
Black as the Sky
All of the Above
Stranger in Your Soul
Den Samstag mit Anathema und Marillion konnte ich leider aus persönlichern Gründen und schweren Herzens nicht mit erleben. Darüber wird der Kollege Karsten Bier in Kürze berichten. Mein Fazit muss ich also schon früh ziehen:
WIV haben auch mit der neunten Auflage des Festivals das Mekka der Progszene belebt und dafür gesorgt, dass sich die Veranstaltung auf der Loreley weiter etabliert. Der Termin für das Jubiläumsfestival 2015 steht schon fest: Es wird vom 17. bis 19. Juli starten. Ich hoffe schon mal drauf, dass zum Zehnjährigen wieder Onkel Fish als Patron des Festivals mit am Start ist. Mir macht es immer wieder große Freude, den Weg zur Loreley anzutreten. Wann erlebt man schon so viele großartige Bands en bloc? Ihr werdet mich definitiv auch bei der zehnten Auflage in den Rängen finden – egal welche Progbands die Veranstalter an Land ziehen.
Am 3. November 2013 fand sich Fish zu seiner Show „The Moveable Feast“ im Theater Trier ein. Die Erwartungshaltung war hoch, denn Fish war in letzter Zeit nur akustisch unterwegs. Diese Reduzierung auf das Wesentliche hat Fish neue Kraft verliehen und gegenwärtig bringt er mit dem Album „A Feast Of Consequences“ wieder eine volle Band-Produktion auf die Bühne. Drei Stunden vor Showbeginn durften wir den sympathischen und äußerst gut gelaunten Schotten im Theater besuchen und er nahm sich über dreißig Minuten Zeit zur Beantwortung einiger Fragen.
Das ist heute dein erster Auftritt in Trier – der ältesten Stadt Deutschlands. Warst du schon mal hier?
Fish: Ja, denn mein erster Brieffreund kam aus Trier. Unser Lehrer sagte zu uns, wir müssten an einen deutschen Jungen schreiben. Er hieß Ulrich. Wir haben ihn hier besucht – es muss 1970 gewesen sein. Wir fuhren mit meinem Vater im Mercedes den ganzen Weg von Schottland bis nach Italien. Meine Mutter, meine Schwester und ich. Auf dem Rückweg machten wir Halt in Trier um die Familie meines Brieffreunds zu besuchen. Ein Jahr später hat er mich in Schottland besucht, aber der Kontakt ist bald abgebrochen. Wir waren zu verschieden. Auf jeden Fall war Trier der erste Kontakt, den ich zu Deutschland hatte. Heute Mittag habe ich mit meiner Freundin und ihrem Sohn die Porta Nigra besucht. Das ist sehr schön und interessant. Ich habe auch die Modelle im Museum gesehen und war erschrocken, wie viel im zweiten Weltkrieg zerstört worden ist. Und auch im ersten Weltkrieg – genau wie in Karlsruhe. Dort ist 1916 viel zerstört worden und Trier war vermutlich im gleichen Zielgebiet.
Vermutlich spielst du nicht oft vor einem sitzenden Publikum, speziell in einem Theater. Ist das etwas Besonderes? Magst du es?
Fish: Doch, ich spiele sehr oft vor einem sitzenden Publikum, allerdings selten in Deutschland. Es ist nicht so verschieden. Die Acoustic-Tour beispielsweise haben wir in solche Sälen und Kirchen gespielt. Es hängt nicht davon ab, ob das Publikum sitzt. Es hängt davon ab, wie man auf der Bühne agiert, wie man mit dem Publikum interagiert. Meistens stehen am Ende alle. Ich würde niemals sagen, dass ich nicht vor einem sitzenden Publikum spielen will. Es ist ein anderer Ansatz. Die Zuschauer konzentrieren sich mehr auf das Geschehen. Sie gehen nicht zwischendurch Bier holen und reden nicht so viel.
Das kommt dir momentan zugute, weil du viel mit Video-Einspielungen arbeitest.
Fish: Genau. Und gerade heute haben wir einen riesigen Bildschirm.
Kannst du uns etwas zum neuen Album sagen? Ich finde, dass „A Feast Of Consequences“ sehr pessimistisch ist. Es geht um die Zerstörung der Natur, das Ende der Liebe, den Ersten Weltkrieg.
Fish: Das kann ich nicht in wenigen Worten sagen. Es ist ein sehr komplexes Album.
Aber die „High Wood Suite“ ist schon herausragend, oder? In deinen Shows erzählst du viel zu diesem Thema.
Fish: Das wird im nächsten Jahr noch besser funktionieren, wenn die Leute sich mehr in das Album rein gehört haben. Wir haben einiges vor. Noch zwei besondere Gigs Ende des Jahres, dann Mexiko und im Frühjahr eine UK-Tour. Vielleicht ein paar Festivals im Sommer, damit wir die Menschen überzeugen, die normalerweise nicht meine Musik hören. Zum Beispiel spielten wir das „Sweden Rock Festival“ und danach gab es viele Anfragen für schwedische Shows. Wir wollen auch wieder nach Deutschland zurück kehren. Wir haben ein sehr engagiertes Promotion Team mit dem wir jetzt seit einem halben Jahr arbeiten. Wir müssen die Dinge am Laufen halten. Ich werde Zeit in Karlsruhe verbringen, nach Hamburg und Berlin fliegen, im Sommer Festivals spielen – um Werbung zu machen. Und Ende des nächsten Jahres kehrt die Tour nach Deutschland zurück. Ich will 20 Shows hier machen. Wir waren noch nicht in Berlin und in Hamburg. Dann gibt es noch Orte wie Saarbrücken und Ludwigshafen. Auch Bielefeld – und in Köln haben wir noch nicht gespielt. Das werden locker noch 20 Shows. Das neue Album ist so stark, dass wir viel Energie in die Tour stecken.
Ich finde auch, dass die Setlist sehr gewaltig ist. Das neue Material passt hervorragend zu den alten Songs aus den 80ern oder zu Solostücken wie „What Colour Is God“ und „Mr 1470“.
Fish: Ja, die Stücke passen thematisch sehr gut. Wenn du beispielsweise „What Colour Is God“ siehst – das passt sehr gut zu den Texten von „A Feast Of Consequences“. Wir haben die Illumination und die Weltkriegs-Thematik. Es geht nicht nur um den ersten Weltkrieg, es geht um die Menschen. Der Baum ist ein bedeutendes Bild. Die Bäume standen 1914 noch. Danach war alles weiß. Doch die Bäume sind zurück gekommen und heute sieht der Wald wieder aus wie zuvor. Die Natur hat weiter gemacht und der Mensch ist nur eine Plage auf diesem Planeten. Ich habe mir viele Gedanken gemacht über die Setlist und mich bewusst für Songs wie „He Knows You Know“ entschieden. Da ist eine Verbindung zu „Perfume River“. Unser Widerstand, die Realität zu akzeptieren.
Gibt es Pläne, ein Livealbum zu veröffentlichen?
Fish: Ja, sicherlich irgendwann. Im Moment sind die Pläne noch nicht konkret. Wir müssen noch viel touren. Was ich mir vorstellen könnte, wäre das Angebot von Downloads einzelner Shows.
Bei einem anderen deiner Alben, „Field Of Crows“, steht ebenfalls die Kriegs-Thematik im Mittelpunkt. Was ist die frühere Betrachtungsweise, was die heutige? Gibt es Gemeinsamkeiten?
Fish: Ich finde, „Field Of Crows“ hat nichts mit Krieg zu tun. „The Field“ geht leicht in diese Richtung, aber es ist eher ein persönlicher Song. Wir haben mit einem Konzept angefangen, das ist richtig. Dabei ging es um einen Scharfschützen, der am Ende auf Zivilisten schießt. Aber ich habe dann doch gemerkt, dass es zu kompliziert war. Ich hätte viel mehr Zeit gebraucht, um diese Idee zu verfolgen. Nächstes Jahr wird es einen Remix des Albums geben. Calum Malcolm hat das Album remastert. Das ist sehr gut. Wir werden uns nächstes Jahr darum bemühen, die alten Alben zu remastern und neu zu verpacken. Es ist gut, ein neues Album auf dem Markt zu haben, denn die Leute schauen dann auch wieder nach dem Backkatalog. Ich werde mindestens ein Jahr auf Tour sein und dann habe ich die Idee für eine neue Fishheads-Tour in 2015. Keine Ahnung, wann ich ein neues Album schreibe. Da kann noch viel passieren.
Wird Frank Usher dann zur Band zurück kehren?
Fish: Da gibt es momentan keine Pläne. Robin Boult ist ein fantastischer Gitarrist. Er hat den Gitarrensound auf positive Weise verändert. Nichts gegen Frank, aber Robin hat eine neue Dynamik zu uns gebracht. Wir brauchten diese Veränderung. Wir mussten uns regenerieren. Frank hat die Band schon mal vor „Sunsets On Empire“ verlassen, da er diesen Musikstil nicht mochte. Wir sind immer noch Freunde, aber jeder braucht mal eine Pause. Frank mag das akustische Ding. Vielleicht kommt er zurück, wenn wir wieder akustisch unterwegs sind, und Robin geht. Wer weiß? Wir sind ja keine echte Band. Ich engagiere Sessionmusiker und muss schauen, wer verfügbar ist. Ich kann nicht lange „bitte bitte“ sagen. Wenn jemand absagt, suche ich nach jemand anderem. Wir haben momentan brillante Musiker.
Robin und Steve Vantsis ergänzen sich sehr gut.
Fish: Ja, Robin passt super in die Band. Er mag die Musik sehr. In anderen Bands gibt es manchmal 45minütige Diskussion nach dem Gig, wer welchen Hook falsch gespielt hat. Wir wissen, wenn wir es versaut haben, und versuchen es beim nächsten Mal besser zu machen. Was ich bei Robin und auch bei Frank mag: Sie verändern ihre Soli jeden Abend. Als ich noch bei Marillion war, spielte Steve Rothery die Soli immer exakt gleich. Und ich glaube, er tut es heute noch. Robin spielt „Script“ ganz anders, denn Robin Boult ist Robin Boult. Ich will gar niemanden dazu bringen, Steve zu kopieren, denn Steve Rothery ist ein großartiger Gitarrist. Er ist brillant. Aber ich bevorzuge die Flexibilität von Robin. So ist das Leben. Es bedeutet nicht, dass man ein Album in jedem Detail covert. Wenn du das willst, kauf die verdammte CD und hör sie dir an.
Das ist die Art, wie es Steven Wilson macht. Er bringt seine Alben punktgenau und perfekt auf die Bühne.
Fish: Das ist der Grund, warum ich Porcupine Tree nicht mag. Es ist keine so tolle Band, oder?
Aber „Sunsets On Empire“ ist ein großartiges Album.
Fish: Damals war Steven Wilson noch um einiges jünger. Er ist ein liebenswerter Kerl und hat viele tolle Sachen gemacht. Aber das ist nicht mein Ding. Es ist kein Rock’n’Roll mehr sondern Computerarbeit. Egal, wechseln wir das Thema.
Okay. Deine Tour hat im Sommer angefangen – vor einigen Monaten. Jetzt ist der erste Teil fast vorbei. In wenigen Tagen gibt es den Abschluss in England. Gibt es Unterschiede zwischen den ersten Konzerten und den gegenwärtigen?
Fish: Natürlich. Wir sind sicherer in dem, was wir tun. Etwas müder, etwas verrückter. Unsere Herangehensweise an die Songs verändert sich. Wir entdecken sie jeden Abend neu. Zum Beispiel ändert sich die Dynamik von „Crucifix Corner“ ständig.
Gerade diesen Song fand ich in Landstuhl sehr stark, während ich in Duisburg zu Beginn der Tour nicht so beeindruckt war.
Fish: Du kannst nicht erwarten, dass jeder Song an jedem Abend gleich großartig ist. Es hängt auch immer von den Zuschauern ab. Wir waren gestern in Frankreich, in Nancy, und die Menge hat uns keine Energie gegeben. Am Tag zuvor waren wir in Zürich und hatten auf der rechten Seite zwanzig Italiener, die komplett ausgeflippt sind, während auf der linken Seite nichts los war. Es hängt von den Zuhörern ab. Sie geben uns Energie. In Landstuhl war ein gutes Publikum, aber wir bekamen nicht genügend Energie. Das lag vielleicht auch daran, dass unser Mann am Ton absolut krank war und wir ihn nach dem Gig ins Krankenhaus bringen mussten.
Und du warst ziemlich wütend, als du realisiert hattest, dass Leute die Show vom Balkon aus gefilmt haben.
Fish: Ja, ich war so angepisst. Da saß eine Frau, die hat den ganzen Abend nur in ihre verdammte Kamera geschaut. Was haben diese Leute daran, sich eine Live-Rockshow durch ein Objektiv anzuschauen? Wenn jemand mal einen Song mit filmt, das ist okay. Aber wenn jemand die ganze Zeit vor dir steht und seine Kamera auf dich richtet, das macht mich richtig wütend. Es ist doch eine Live-Performance. Warum kauft jemand ein Ticket, um mich zu filmen? Manchmal sitzen Leute fast auf der Bühne und filmen mich. Du musst es mal so sehen: Es ist eine Live-Situation. Ich treffe mal einen Ton nicht oder vergesse eine Textzeile. Das ist nicht schlimm, weil es live ist. Zwei Minuten später haben die Leute das wieder vergessen. Wenn es aber gefilmt wurde, ist es am nächsten Tag auf YouTube und wird wieder und wieder angeschaut. Wenn ich eine Liveaufnahme mache, habe ich die Qualitätskontrolle. „Script“ hat schwierige Passagen und vielleicht treffe ich mal einen Ton nicht. Das ist egal, denn die Leute vergessen es sofort wieder. Viermal klappt es super, dann beim fünften Mal vielleicht nicht.
Und gerade dieses fünfte Mal wird auf YouTube eingestellt und die Leute sagen, Fish kann „Script“ nicht mehr singen.
Fish: Genau das meine ich. Live macht man Fehler. So ist das Leben – es ist menschlich.
Das Internet hat heutzutage einen großen Einfluss aufs Musikgeschäft. Du verkaufst „A Feast Of Consequences“ nur online über deine Homepage. So wissen viele Menschen, die dir nicht regelmäßig folgen, gar nicht, dass es ein neues Fish-Album gibt.
Fish: Aber wie würden sie es sonst erfahren?
Du denkst also, die Zeit ist vorbei, dass Menschen in einen Laden gehen und die neue CD sehen?
Fish: Wo gibt es denn heute noch Einzelhandel? Das sind nur noch Shops, die online verkaufen. Ich bin schon so oft abgezockt worden. Von einer Firma, die meine Alben verkauft hat, obwohl sie gar nicht autorisiert war. Dann waren sie plötzlich auf amazon. Alle unabhängigen Einzelhändler verkaufen inzwischen über amazon. Warum soll ich die Sachen nicht in meinem eigenen Shop verkaufen?
Eine Sache fällt aber weg: Wer eines der früheren Alben gekauft hat, bekommt zum Beispiel eine Empfehlung für das neue.
Fish: Aber es bleibt zu wenig für mich übrig. Amazon verlangen 20-25 % und dann kommt noch die Steuer. Amazon sitzen in Luxemburg. Sie zahlen nicht viel Steuern. Warum soll ich nicht das Geld sparen und das Album selbst verkaufen? Dann verkaufe ich ja auch bei amazon, aber es läuft über meinen eigenen Shop. Ich kann mich nicht um die unabhängigen Plattenläden kümmern, ich muss mich um den unabhängigen Künstler kümmern. Sie scheren sich auch nur einen Dreck um mich. Wir brauchen die ganzen Großhändler nicht. Wer sich freut, ein Paket von amazon zu bekommen, freut sich auch über ein Paket vom Fishheads-Club. Ist doch ganz egal – es kommt trotzdem an deine Tür.
Ich mag vor allem die Idee der „Deluxe Edition“. Mark Wilkinson hat ein tolles Artwork abgeliefert und das ganze Buch ist wunderschön aufgemacht.
Fish: Gerade das gefällt mir, weil die Piraten es nicht kopieren können. Sie klauen die Musik, aber sie können nicht das ganze Artwork kopieren. Das ganze Musikgeschäft wird entwertet. Alle sammeln Downloads, Downloads… Das Musikgeschäft ist tot.
Für mich sind Downloads ein Sammeln von Musik, bei dem es auf die Masse ankommt, nicht auf die Qualität. Doch dann hört keiner mehr die Songs.
Fish: Genau. Da ist dieser Typ der 12.000 verdammte Songs auf seinem iPod hat. Das ist doch nur noch eine Jukebox. Das hat nichts mehr mit Musikhören zu tun. „A Feast Of Consequences“ funktioniert anders. Es ist ein altmodisches Album. Zwei Wochen nach Veröffentlichung wurden Download-Codes illegal verkauft. Die Justiz interessiert das nicht, aber ich muss einen teuren Anwalt bezahlen, der gegen diese Leute vorgeht.
Sowieso muss man „A Feast Of Consequences“ am Stück hören, um es genießen zu können.
Fish: Ganz genau. Es ist kein Album, das man Track für Track runterlädt. Und dann gibt es ja so viel schlechte Musik. Mein Produzent Calum Malcolm sagt, da kommt ein Sturm auf uns zu. Man muss die Juwelen finden. Keiner hat mehr die Zeit dazu, alles zu hören. Es ist heutzutage zu einfach, Musik zu machen. Man kauft die Software und legt los. Und später muss der Musikhörer sich durch so viel Schlechtes durchhören, um die wirklich guten Sachen zu finden. Ich bin raus aus dem Geschäft. Ich mache mein Ding und tue das Beste, um ein gutes Album aufzunehmen. Das alles ärgert mich, weil die Musik so entwertet wurde. Aber ich zahle 75.000 Pfund, um das Album zu produzieren. Dann ist es bezahlt und ich habe wieder Kosten, um es zu promoten. Es wird immer schwieriger, qualitativ gute Musik zu machen. Wie kann ein Musiker noch überleben? Und den Fotografen (Fish zeigt auf Emanuel) geht es doch genau so. Wie kann ein Fotograf noch überleben? Er setzt die Bilder ins Internet und jeder kopiert sie. So denkt die neue Generation: Alles ist kostenlos.
Eine letzte Frage noch: Wird es mal wieder eine Convention in Deutschland geben? Die letzte ist zwölf Jahre her.
Fish: Ich denke schon. Aber ich bin jetzt sieben Wochen unterwegs und das ist schon hart. Man will ja auch Qualität bieten. Und ich muss den richtigen Ort wählen, wo viele Fans hin kommen.
Danke für deine Zeit!
Fish: Ich danke auch. Genießt die Show heute Abend Es wird etwas ganz Besonderes – die Bühne ist riesig.
Unser herzlicher Dank gilt Daniel Sebastian von Sub SoundS und Dominik Dröse von Sounds Promotion für die Vermittlung des Interviews und für die gute Betreuung vor Ort! Alle Fotos stammen vom MHQ-Fotografen Emanuel Recktenwald.
Am 05.März 2013 gab es, genau wie auf dem Ticket deklariert, nur feinstes vom „Rind“: das Ohren-Futter war zu 100% sauberer ProgRock ohne jegliche unerwünschte (Mainstream)Zusätze. Neal Morse Band & The Flower Kings feat. Mike Portnoy incl. einem halbstündigen Transatlantic-Part standen auf dem Programm und bescherten dem sympathischen Kulturzentrum „Das Rind“ in Rüsselsheim einen bereits seit Wochen ausverkauften Abend.
The Flower Kings, Neal Morse und Transatlantic – wieso diese Kombination?
Der Ursprung findet sich im Jahr 2000, als Neal Morse (Spock’s Beard) zusammen mit dem Schlagzeuger Mike Portnoy (Dream Theater), mit dem Schweden Roine Stolt (Flower Kings) und dem Briten Pete Trewavas (Marillion) die Band Transatlantic gründet. Damit ist schon die Verbindung zwischen den Flower Kings und Transatlantic genannt, dazu kommt bei dieser Tour noch der Solo-Part von Neal Morse. Neal Morse stieg sowohl bei Spock’s Beard als auch bei Transatlantic im Jahr 2002 aus. Er sah sich durch Gott dazu berufen, einen anderen Weg einzuschlagen. Transatlantic löste sich daraufhin vorläufig auf. Morse spielte anschließend verschiedene Platten ein, unter anderem im Jahr 2003 eine Doppel-CD „Testimony“, die sich mit seinem Glauben an Gott beschäftigt. Transatlantic formierte sich dann einige Jahre später wieder und brachte 2009 das Album „The Whirlwind“ heraus, und auch Mike Portnoy und Neal Morse haben im Laufe der Jahre immer mal wieder an gemeinsamen Projekten gearbeitet. Dann ’spürte‘ Neal, dass es nun auch in Gottes Sinne sei, wieder mit den Bandkollegen Stolt und Portnoy zu arbeiten. Er nahm Kontakt zu ihnen auf und die aktuelle Tour wurde ins Leben gerufen.
Die Show
Am 05.03.2013 war es dann in Rüsselsheim soweit. Oft sieht man, dass vor der Tür noch die letzten Tickets angeboten werden – hier jedoch hing ein Schild „Keine Abendkasse – AUSVERKAUFT-“ an der Tür und die Fans standen mit Schildern mit der Aufschrift „SUCHE eine Karte!“ davor ….
Die Türen öffnen sich gegen 19.00 Uhr, und der Saal füllt sich zusehends. Es ging pünktlich um 20.00 Uhr mit den Flower Kings los, die unter anderem mit „Cosmic Lovers“, „Missing the Imperial“ und „The Truth will set you free“ das Publikum begeisterten. Nach gut 90 Minuten gingen sie von der Bühne und es kam eine kurze Umbaupause, bevor gegen 21.45 Uhr Neal Morse sein aktuelles Album (Momentum) vorstellte. Unter anderem wurden „Momentum“, „Weathering Sky“, „Author of confusion“ und „Thought Part 5“ mit einer mitreißenden Portion an Spielfreude geboten. Nach einer weiteren kurzen Pause startete Neal Morse dann den Transatlantic-Part des Abends mit einer wunderschönen und ruhigen Version von „Bridge Across Forever“ und es folgten weitere gute dreißig Minuten mit Transatlantic-Songs, bis dann zum Ende des dreieinhalbstündigen Musikmarathons nochmal alle Musiker zusammen die Bühne bevölkerten.
Es ist immer wieder ein toller Moment, wenn der Funke zwischen Band und Publikum überspringt. Wer das Glück hatte, ein Ticket zu ergattern, durfte ein wirklich knackiges Konzert erleben, für das sich auch durchaus eine längere Anreise gelohnt hat. Es gibt noch 2 weitere Konzerttermine von The Flower Kings / Neal Morse: am 06.03. NL Zoetermeer, Boerderij und am 07.03. UK London, The Electric Ballroom Wer keine Karte bekommen hat und noch eine Gelegenheit sucht, Neal Morse (ohne The Flower Kings) in Deutschland live zu erleben, für den sind vielleicht folgende Termine noch interessant: Am 16.3.2013 und am 17.3.2013 spielt Morse jeweils täglich zwei Konzerte in Kelsterbach Nähe Frankfurt bei freiem Eintritt im Gemeindezentrum der Petruskirche. Der Glaube an Gott hat in Neals Leben wie er selbst sagt seit einigen Jahren eine zentrale Rolle eingenommen und auch der Ort dieser Konzerte läßt es schon erahnen: diese Konzerte sind christlich inspiriert und ausgerichtet.