Der weinerlich-säuselnde Start mit „Jealous Days“ lässt aufhorchen. Eine klassische Pianomelodie, sanfte Streicher, experimentelle Sounds und eine Stimme, die unter die Haut geht. Nein – einfach zu konsumieren ist die Musik des Künstlerkollektivs THE STRING THEORY sicher nicht.
Das Berliner Ensemble bewegt sich seit 2007 in den Grenzbereichen von Komposition, Improvisation und sozialem Event und begeht jedes neue Projekt mit der kreativen Wucht eines internationalen Künstlerkollektivs. Nach fünf Tourneen in Europa und Nordamerika, fünf Alben und einer Grammy-Nominierung 2020 hat sich The String Theory mit seiner eigenwilligen Mischung aus klassischem Klangkörper und elektronischen Sounds nicht nur als innovatives eigenständiges Orchester, sondern auch als künstlerischer Partner für internationale Stars wie José González, Wildbirds & Peacedrums, Robot Koch und Anna von Hausswolff etabliert.
Das neue Album der Produzenten/ Komponisten PC Nackt und Ben Lauber wurde in den Optimist Studios, einem umfunktionierten ehemaligen Hangar am Flughafen LAX (Los Angeles International Airport), mit zwölf lokalen KünstlerInnen und insgesamt 60 MusikerInnen aufgenommen. Die neun Songs repräsentieren einen speziellen und innovativen Stilmix aus Pop, Jazz, Elektro und Klassik, welcher zusammen mit der illustren Zahl der hochrangigen Feature-Artists das Neo Classic Feld komplett neu bestellt.
Die schillernde Phalanx der teilnehmenden kalifornischen Künsterlnnen beginnt mit der Stilikone vöx, dem Exildeutschen Electro-Mastermind Robot Koch und dem Jazzpianisten Jens Kuross, geht weiter bei der LGBT Frontfigur Grayson, der Bitter Sweet-Sängerin Shana Halligan, dem Multimedia-Künstler Morgan Sorne, und landet bei Zaire Black, einem Spoken-Word-Protagonisten, dessen feingeistige Lyrics erstmalig in orchestralem Gewand zu hören sind.
Sehr eindringlich dominieren Zaires Worte den elektronischen Klangteppich und nehmen den Hörer mit eindringlicher Aussage mit. Zuvor hat Shana Halligan einen lasziven Jazzgesang zu orchestralen Streichern abgeliefert und auch Addie Hamilton bietet in „Hollywood Calling“ feinsten Jazz, aber mit dem nostalgischen Flair alter Filmsongs. Vielseitigkeit ist Trumpf bei diesem Album.
Robot Koch gibt den klassischen Bolero-Rhythmen eine hymnische Elektronik-Performance mit („RoBolero“) und vöx liefert auf „No One Believes A Ghost“ eine überaus zerbrechliche Gesangsdarbietung, deren Emotionalität sich stetig steigert. Als einziger Albumsong ohne Gäste bietet „Stars and Hypes“ das Produzentenduo in reiner Form, wobei der satirische Wild-West-Rhythmus mit dramatisch übersteigerten Klangelementen durchaus als Kritik am gegenwärtigen „America First“-Hype in den USA verstanden werden kann.
„Moon Landing“ bietet schließlich elektronische SF-Elemente zu einer leichtfüßigen Melodie von Grayson, bevor „Remember“ als sogenannte „Suite No. 1“ das Album mit chorischen Harmonie abschließt.
The String Theory überzeugen mal wieder mit ihrer musikalischen Bandbreite. Die Reise mit Elementen von Pop, Jazz, Klassik und Electronica ist nicht einfach zu genießen – die Arrangements sind oftmals verstörend. Doch das Gesamtergebnis wirkt als Klang-Kunstwerk. Man muss sich drauf einlassen.
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Andrew Roachford ist so etwas wie der Inbegriff für gelebte Musik. Bereits siebenjährig wurden ihm erste Klavier-Lektionen erteilt, mit 14 ging er mit seinem Onkel Bill, einem renommierten Jazz-Saxophonisten, auf Tournee. In den 90ern war er als R&B-Sänger weit über Großbritannien hinweg bekannt, glänzte zunächst als Mastermind der Band Roachford und später dann auch solo mit den Alben „Heart Of The Matter“ und „Word Of Mouth“, mit denen er aber nicht mehr an frühere Verkaufszahlen anknüpfen konnte. Damit teilt er das Schicksal vieler guter Sänger: tolle Stimme, in Ansätzen bekannter Name und dennoch kein kommerzieller Erfolg. Was fehlt, ist wohl der große Single-Hit. Roachford könnte viele Herzen erreichen, wenn man ihm denn die Chance dazu gäbe.
Er singt mit sanfter Stimme und lässt einige gekonnte Koloraturen einfließen. Verjazzter Pop, Soul und Blues mit funkigen Einlagen, dazu einige schöne Melodien. Es braucht nicht viel mehr als das, um zeitlose Popmusik zu schaffen. So entsteht ein gefühlvolles, ruhiges Album mit viel Seele, auf dem Roachford vor allem eines kann: Das Charisma seiner kraftvollen Stimme voll ausleben. Im Duett mit Beverly Knight („What We Had“) kann er besonders glänzen. Und vor allem die Balladen liegen ihm sehr gut, wenn er seine warmen Vocals wie in „Won’t Think Twice“ zum Einsatz bringt. Doch auch im Uptempo kann er mitreißen, wie „Love Remedy“ beweist.
“Twice In A Lifetime” ist ein Album, das vor Musikalität und Seele nur so zu vibrieren scheint. Das Werk eines Künstlers auf dem absoluten Höhepunkt seines Schaffens. Eines Musikers, der seine Kunst bis zur Perfektion vollendet hat. Mit anderen Worten: Ein Album, auf dessen Aufnahme sich Andrew Roachford MBE (der 2019 für seine außerordentlichen musikalischen Verdienste mit dem Most Excellent Order Of The British Empire – Abzeichen ausgezeichnet wurde) schon Jahrzehnte lang vorbereitet hat. Produziert wurden die Songs von Jimmy Hogarth, der sich durch seine Arbeit mit Paolo Nutini, Duffy und Amy Winehouse einen hervorragenden Namen gemacht hat. Als musikalische Verstärkung sind verschiedene Mitglieder aus Amy Winehouse‘ früherer Band zu hören
Die Tatsache, dass Roachford seit neun Jahren als Sänger von Mike & The Mechanics unterwegs ist, gabt seiner Popularität in Deutschland neuen Auftrieb. Das hat er sich redlich verdient. Und wer die Stimme erst einmal lieb gewonnen hat, kann sich auch am neuen Soloalbum des Briten ergötzen.
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Die kanadische Country-Rocksängerin Lindsay Ell hat schon einige mutige Entscheidungen in ihrer Karriere getroffen. Nach zwei bei kleineren Independent Labels veröffentlichten Alben schlug ihr Major-Debüt „The Project“ acht Jahre später voll ein und erreichte Spitzenplätze in den US-Indie und US-Country-Charts. Doch das war kein Grund, um sich auf dem Erfolg auszuruhen und in dieser Schiene fortzufahren. Schon mit Album Nummer 4 („The Continuum Project“) wagte sie ein Experiment und lieferte eine eigene Interpretation des kompletten Albums „Continuum“ von John Mayer. Das brachte ihr keine hohen Verkaufszahlen, aber die Bewunderung der Musikpresse. Zudem konnte man sich bei diesem Tribute ganz auf ihre fantastische Gitarrenarbeit und ihre wundervolle, starke Stimme konzentrieren.
Das neue Werk „heart theory“ ist der nächste mutige Schritt: Lidsay bekennt sich dazu, Überlebende eines sexuellen Missbrauchs zu sein, und verarbeitet diesen nach der Idee einer Trauma-Therapie. Dazu nutzt sie die sieben Phasen der Trauerbewältigung: Schock, Leugnung, Wut, Verhandeln, Depression, Austesten und Akzeptanz. Dieses Konzept verfolgt sie in sehr persönlichen, für sich selbst sprechenden Titeln wie „I Don’t Love You“, „Want Me Back“ und „Get Over You“.
„Wenn Musiktheorie die Wissenschaft der Musik ist, dann ist ‚heart theory‘ die Wissenschaft des Herzens“, erzählt die Künstlerin über ihr neues Album. „Ich hoffe, dieses Album kann ein Trost sein, wenn man ihn braucht, eine Bestätigung, wenn man sich wieder mal selbst daran erinnern muss, an sich zu glauben – oder einfach ein Blick auf das, was einen zu dem gemacht hat, was man heute ist“.
Beeindruckend sind die Ausdruckskraft und die Energie in ihrer Stimme. Man hört, dass Lindsay gestärkt aus der Situation heraus gegangen ist. Sie verkriecht sich nicht in Melancholie, sondern sie liefert kraftvolle Uptempo-Nummern, die ihr Selbstbewusstsein zeigen. Hinzu kommt die Altstimme, die bisweilen sehr tief und standfest wirkt. Lindsay hat an elf der zwölf Stücke mitgewirkt und ihre Persönlichkeit in das ganze Album gesteckt. Das spürt man.
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Alcatrazz – da war doch was? Aber das ist verdammt lange her… Die Hardrocker aus Los Angeles waren vor allem Mitte der 80er aktiv und hatten neben Sänger Graham Bonnet auch illustre Gitarristen wie Steve Vai und Yngwie Malmsteen im Gepäck. Drei solide Studioalben gab es damals, von denen das letzte 1986 erschien.
34 Jahre später – wir schreiben das Jahr 2020 – gibt es ein Lebenszeichen in Form des neuen Albums „Born Innocent“. Es ist der dritte Neustart innerhalb von 14 Jahren. In dieser Zeit gab es einige Besetzungswechsel, wobei der Vokalist die einzige Konstante über die Jahrzehnte darstellt. Aber mit Gary Shea und Jimmy Waldo sind auch zwei weitere Gründungsmitglieder mit dabei. So kann die Band getrost reinhauen.
Graham wird Ende des Jahres 73 Lenze alt. Er war nicht untätig über die lange Zeit – hat Soloalben veröffentlicht und in diversen Bands mitgewirkt. So erhält er sich seine kraftvolle Stimme. Das Alter ist zwar zu hören, aber er kann’s noch und prescht ordentlich nach vorne. Mit entsprechenden Höhen werden seine Shouter-Qualitäten immer noch deutlich.
Diverse Gastauftritte machen das Album zu einem echten Highlight. Auf dem Uptempo Opener und Titeltrack hört man Chris Impellitteri, der die Musik schrieb und alle Gitarren spielte. Bob Kulick ist auf „I Am The King“ an der Gitarre zu hören und der virtuose japanische Gitarren-Maestro Nozomu Wakai schrieb und spielte auf „Finn McCool“, eine Ode an Irische Krieger, alle Gitarrenparts.
Selbst Steve Vai war beteiligt und schrieb den Song „Dirty Like The City“. Hinzu kommt noch der Song „We Still Remember“ aus der Feder von D. Kendall Jones. Und Jeff Waters von ANNIHILATOR steuerte bei „Paper Flags“ ein für ihn typisches Solo bei – um genau zu sein, ist es das zweite in dem Song.
Alles in allem gibt es melodischen Hardrock alter Schule. So wie Rainbow und die Michael Schenker Group, bei denen Bonnet lange Zeit tätig war, das einst vorgemacht haben. Damit klingt „Born Innocent“ sehr oldschool, aber im Zuge der allgemeinen Retro-Welle bekommt man hier wenigstens unverkennbare Originale, die sich nach langer Pause mal wieder an ein neues Werk wagen. Das Ergebnis ist nicht innovativ und weltbewegend, aber doch genau so solide wie die Alben aus den 80ern.
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Freunde von YES erkennen schon nach wenigen Takten seinen Stil an der Gitarre: Steve Howe, der legendäre Gitarrist, veröffentlicht sein 14. Soloalbum – und das ganze neun Jahre nach „Time“. Nachdem sonst meist die instrumentalen Stücke überwogen, gibt es diesmal eine ausgewogene Mischung aus fünf Instrumentals und fünf Songs mit Vocals.
Steve Howe spielt elektrische, akustische sowie Steel-Gitarre, Keyboards, Percussion und Bassgitarre und singt fünf Songs, während Yes-Sänger Jon Davison für Gesangsharmonien sorgt und auf den Gesangsspuren die Bassgitarre spielt. Die Drums wurden von Dylan Howe eingespielt.
Nach vielen Jahren der Entstehung des Albums präsentiert „Love Is“ ein ausgefeiltes Hörerlebnis. Die Instrumentalstücke bieten unter anderem einen progressiven Rockgitarrenstil, dazu gibt es Lieder, die Geschichten über gelebtes und gerade erst begonnenes Leben erzählen. „Love Is A River“ ist der zentrale Song, der nicht nur den Albumtitel erklärt sondern auch den Bogen vom Folk zum Prog schlägt.
„Ich habe das Album `Love Is´ genannt, weil es auf die zentrale Idee anspielt, dass Liebe wichtig ist, aber auch die Liebe zum Universum und zur Ökologie der Welt sind sehr wichtig“, sagt Steve Howe. „Alexander Humboldt ging um die Welt und erkannte, dass wir den Planeten zerstören, aber das ist 200 Jahre her. Wir zerstören den Planeten immer noch, und ich nehme an, meine Lieder zeigen die Sehnsucht, die ich nach der Liebe zur Natur habe, und wie Schönheit, Kunst und Musik alle aus der Natur stammen. Es gibt einen Titel über diese Dinge: Liebe, Schönheit, Ökologie, Natur und wunderbare Menschen. `Love Is A River´ schien mir einfach ein sehr wichtiger Song zu sein, eine Art Quintessenz mit vielen Stimmungen. – Weitere Songs entstanden in der Zeit, in der ich in meinem Studio schrieb.“
Der Mix aus elektrischen und akustischen Gitarren mit eingestreuten Synthesizer-Parts dürfte dem geneigten YES-Fan gut gefallen. Und allein die Tatsache, wie hier von den Yes-Größen und ihren Gästen polyphon und harmonisch gesungen wird, ist eine Wucht. Daneben erzählt die Gitarre ihre eigene Geschichte – und das ist es, was Howe schon immer ausgemacht hat und was er zur Vollendung geführt hat. Ein starkes Alterswerk des 73jährigen Briten.
Lianne La Havas wurde 1989 in London geboren. Die britische Sängerin und Songwriterin mit jamaikanischen und griechischen Wurzeln veröffentlichte ihr Debüt „Is Your Love Big Enough?“ im Jahr 2012. Anfangs verspürte sie ein Unbehagen hinsichtlich ihrer Musik, die – ausgehend von der Farbe ihrer Haut – als Soul bezeichnet wurde. Heute definiert sie gekonnt ihre eigene Beziehung zur Bedeutung des Wortes Soul: „Ich habe immer gesagt, dass ich denke, jedes Genre kann soulvoll sein, solange du in der Musik deine Wahrheiten erzählst“, sagt sie. „Soul bedeutet für mich, eine authentische Reaktion auf ein authentisches Gefühl zu zeigen.“
Das neue Album ist – auf die natürlichste, unbekümmertste Weise – außerdem ein sexy Album. „Ich bin jetzt eine erwachsene Frau, daher bin ich weniger schüchtern und zaghaft, wenn es darum geht, bestimmte Dinge zu sagen“, so La Havas. „Und es gibt kein Falsch oder Richtig, wenn es dein eigenes Album ist, auch deshalb ließ ich es sehr zu.“
„Lianne La Havas“ ist als selbstbetiteltes Album ein Werk voll verblüffender Schönheit und Erkenntnis – erschaffen gänzlich zu ihren Bedingungen. Sie verbrachte viel Zeit damit, zwischen dem UK und den Vereinigten Staaten hin- und herzuziehen, um an ihrem Songwriting zu arbeiten und ihre eigene Identität zu erkunden.
Das Ergebnis ist voll von modernem Soul, verleugnet aber auch die karibischen Einflüsse nicht. In den langen Stücken, die häufig die 5-Minuten-Marke knacken, kann Lianne ihre wundervolle Stimme voll entfalten. „Green Papaya“ klingt sehr jazzig und verhalten. Aber auch eine rhythmische Nummer wie das Radiohead-Cover „Weird Fishes“ fügt sich perfekt in das Album ein, das durch die Soundmalerei „Out Of Your Mind“ als Zwischenspiel in zwei gleichberechtigte Teile gegliedert wird.
Das dritte Album der Britin klingt entspannt und retro. Sie trifft den Nerv der Zeit und wechselt gekonnt zwischen Melancholie und optimistischem Pop. Das Besondere sind ihre ausdrucksstarken Vocals, von denen man nicht genug bekommen kann. So bleibt am Ende nur eins: zurück auf den Anfang und „Play“.
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Die Pretenders sind eine lebende Legende. 2005 wurden sie in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Maßgeblichen Anteil daran hat Frontfrau Chrissie Hynde, die 2015 vom Rolling Stone-Magazine auf Rang 63 der 100 besten Songwriter aller Zeiten gesetzt wurde. Im Juni 2014 erschien mit „Stockholm“ ihr erstes von zwei Soloalben und ein Jahr später ihre Memoiren mit dem Titel „Reckless – My Life As a PretenderIn“. Seit 1978 hat die inzwischen 68-Jährige mit den Pretenders zehn zum Teil wegweisende Alben veröffentlicht. Mit dem von Fans und Kritikern hochgelobten „Alone“ feierten die Pretenders 2016 nach acht Jahren Pause eine Art Wiederauferstehung. Jetzt erscheint mit „Hate For Sale“ der Nachfolger. Es ist das erste Album, das mit dem Line-Up eingespielt wurde, das in den letzten 15 Jahren als Pretenders auf Tour war: Gründungsmitglied Martin Chambers am Schlagzeug, Bassist Nick Wilkinson, Gitarrist James Walbourne und natürlich Chrissie Hynde mit ihrer unverwechselbaren Rockröhre als Aushängeschild. Alle Songs stammen erstmals aus der gemeinsamen Feder von Hynde und Walbourne.
Insgesamt sind es deren zehn geworden. Dass diese zusammen nur auf eine Spielzeit von etwas mehr als 30 Minuten kommen, lässt schon darauf schließen, dass es auf „Hate For Sale“ größtenteils kurz und knackig zugeht. Die Stilpalette besteht dabei fast schon traditionell aus ein paar rockigen Songs, einigen Mid-Tempo-Stücken, radiotauglichen Tracks im klassischen Pretenders-Sound, ein oder zwei Balladen und natürlich einer Reggae-Nummer („Lightning Man“). Eröffnet wird „Hate For Sale“ vom Titelstück, das gleichzeitig die erste Single-Auskopplung ist, und zunächst hört man einen Verspieler. Danach rotzt sich die Band durch zweieinhalb Minuten feinsten Punk. Chrissie Hynde verneigt sich damit nach eigener Aussage vor The Damned. Ein bärenstarker Auftakt. Leider kann die Band dieses Niveau nicht über die gesamte Albumlänge halten.
Die übrigen Songs handeln grösstenteils von Chrissie Hyne’s ehemaligen Liebschaften. Dass es dabei auch mal sehr gefühlvoll zugegangen sein muss, beweisen das R&B-lastige „You Can’t Hurt A Fool“ und die vom Duke Quartet in Violinen ertränkte Schnulze „Crying In Public“. Dazwischen gibt es mit „The Buzz“ und „Maybe Love Is In NYC“ zwei eher unspektakuläre Mid-Tempo-Rocker. Gut sind die Pretenders immer dann, wenn sie mit Dreck um sich schmeißen wie in „Turf Accountant Daddy“ oder den alten kämpferischen Rock’n’Roll-Spirit wieder aufleben lassen („I Didn’t Know When To Stop“). Warum nicht mehr davon? Stattdessen lässt das Quartett mit dem stampfenden „Junkie Walk“ ein eher langweiliges Mitklatschstück folgen. Im darauffolgenden „Didn’t Want To Be This Lonely“ wird zwar weiter geklatscht, aber hier beweisen die Pretenders eindrucksvoll warum sie nach wie vor zu den grössten Rockbands dieses Planeten zählen. „Didn’t Want To Be This Lonely“ ist ein mitreißender Rocksong mit einer ebenso mitreißenden Gitarrenarbeit von James Walbourne, zu dem sich live sicherlich herrlich pogen lässt. Das mit Abstand beste Stück auf „Hate For Sale“.
Am Ende überwiegt das Licht den Schatten. Es ist toll, dass es die Pretenders nach 42 Jahren immer noch gibt und dass sie heute phasenweise so frisch und unverbraucht klingen, als hätten sie gestern erst angefangen. Man kann ihnen kaum verdenken, dass sie nach dieser langen Zeit auch mal die Routinekarte ausspielen. Am Schluss findet Chrissie Hynde einmal mehr die richtigen Worte: „Ich schickte ‚Hate For Sale‘ zu John McEnroe, einem Gitarristen den ich kenne. Er spielt außerdem Tennis und ist der größte Rockfan, den ich kenne. Er meinte: Wow, ich habe mir grade dein Album angehört. Oldschool, ich liebe es! Songs kurz und süß und Rock And Roll vom Feinsten.“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!
Das letzte Album von Symphony X ist jetzt auch schon fünf Jahre alt. Zeit genug also für Bassist Michael LePond, ein zwischen den Touraktivitäten ein drittes Album mit den Silent Assassins rauszuhausen. Die Heavy-Metal-Bass-Legende übernahm zudem auch das Einspielen der Rhythmus Gitarre, während Alan Tecchio einen fantastischen Job als Shouter macht.
„Alan Tecchio war von Anfang an bei mir und besitzt eine unglaubliche Reichweite und Kraft“, sagt der Gitarrenmeister. „Mit diesen Jungs zu jammen ist eine stressfreie Situation. Es gibt kein Ego, es gibt keinen Bullshit. Es ist nur die Liebe zu dieser Metal-Musik, die uns alle antreibt, und ich denke, das kann man auf ‚Whore Of Babylon‘ deutlich hören.“
Musikalisch sind sechs der zehn Songs ein hartes Metalbrett vom Feinsten. Ruhiger wird es mit der Rockballade „Night Of The Long Knive“ und dem gefühlvollen Champion, das von Sarah Teets an Flöte und Vocals verfeinert wird. Damit es nicht langweilig wird, bietet der Titeltrack passend zum historischen Hintergrund düstere orientalische Klangmuster, während „Avalon“ das Album mit folkigen Rhythmen aisklingen lässt.
Die Welt befindet sich im Wandel. Es geht LePond darum, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. „Whore Of Babylon“ greift thematisch geschichtliche Ereignisse auf, die musikalisch vom epischen Metal untermauert werden, so LePond:
„Ich wollte nie über heiße Girls und ähnliches schreiben. Als ich anfing, mehr über Geschichte zu lernen, wusste ich, dass die Verbindung von Geschichte mit Old-School-Crushing-Metal-Riffs großartig, episch und kraftvoll sein würde. Ich habe die ersten beiden Soloalben unter dieser Prämisse geschrieben, und dieses neue Album ist ein weiterer Schritt in Richtung dieses Modells. Vlad der Pfähler und Gräfin Bathory? Dies sind epische historische Geschichten! Nehmt die Geschichte der Hure von Babylon, die nach meiner Interpretation diese dämonische Frau war, die euch verführt, euch in die Hölle bringt und eure Seele nimmt. Das ist eine Geschichte, die perfekt zu dieser herrlichen Musik passt. All diese Geschichten tun es und ich hoffe, dass die Menschen dazu angeregt werden, mehr Informationen zu suchen und noch mehr über diese erstaunlichen Figuren zu lernen. Epische Geschichten passen zum epischen Metal.“
Das Ergebnis ist feines, klassisches Heavy-Metal-Album allererster Güte. Es ist vollgepackt mit vulkanisierenden Riffs, kraftvollem Gesang und Epik. So sollte für jeden Metaller etwas dabei sein, was sein Herz höher schlagen lässt. Dramatisch, hart, aber nicht ganz so düster wie das Grusel-Cover vermuten lässt.
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Ungefähr 46 Jahre nach seiner ursprünglichen Aufnahme veröffentlicht Neil Young eines seiner sagenumwobensten und meistbegehrten Alben überhaupt: „Homegrown“. Von den Fans oftmals als eines von Youngs mysteriösen, großen „verschollenen Alben“ bezeichnet, wurden die 12 Studio-Tracks am 19. Juni via Reprise Records auf allen Formaten veröffentlicht.
Neil Young beschreibt „Homegrown“ als “das eine, das entkam” und postete den folgenden Brief bei Neil Young Archives: „Ich bitte um Entschuldigung. Das Album Homegrown hätte bereits einige Jahre nach Harvest für euch da sein sollen. Es ist die traurige Seite einer Liebesbeziehung. Der angerichtete Schaden. Der Liebeskummer. Ich konnte es mir einfach nicht anhören. Ich wollte es hinter mir lassen. Also behielt ich es für mich, tief in den Kellergewölben, im obersten Regalfach, im Hinterstübchen meines Kopfes… aber ich hätte es teilen sollen. Es ist tatsächlich großartig, darum nahm ich es ja überhaupt auf. Das Leben schmerzt manchmal. Ihr wisst, was ich meine. Dies ist das eine, das entkam.“
Analog aufgenommen zwischen 1974 und Anfang 1975, wurde „Homegrown“ damals auf original stereo-analogen Mastertapes abgemischt. Diese ursprünglichen Mixe wurden von John Hanlon mit Liebe und Sorgfalt restauriert und von Chris Bellman bei Bernie Grundman Mastering gemastert. Damit ist „Homegrown“ ein komplett originales Album.
„Homegrown enthält eine Erzählung, mehrere akustische Solo-Songs, die bis zu dieser Veröffentlichung niemals veröffentlicht oder gehört wurden, und einige großartige Songs, die ich mit einer Band aus meinen Freunden spielte, darunter Ben Keith – Steel und Slide – Tim Drummond – Bass – und Stan Szelest – Piano. Wie dem auch sei, es wird euch 2020 zukommen, die erste Veröffentlichung aus unseren Archiven in diesem neuen Jahrzehnt. Folgt uns nach 2020, damit wir euch die Vergangenheit bringen können.“ – Neil Young
Das Album enthält zwölf Neil-Young-Songs, von denen sieben bisher unveröffentlicht sind – „Separate Ways”, „Try”, „Mexico”, „Kansas”, „We Don’t Smoke It No More”, „Vacancy” und „Florida” (eine etwas verstörende Spoken-Word-Erzählung). Außerdem darauf enthalten sind die allerersten Aufnahmen von „Homegrown” und „White Line”. „Little Wing”, „Love Is A Rose” und „Star Of Bethlehem”, von denen unterschiedliche Mixe auf späteren Alben von Neil Young erscheinen sollten.
Analog aufgenommen und von den originalen Mastertapes gemastert, ist dieses lang verschollene Album eine großartige Ergänzung zu Youngs unvergleichlichem Katalog. Es funktioniert auf unterschiedlichen Ebenen: Als homogenes und etwas weinerliches Konzeptalbum zum Thema Liebeskummer, als folkiges Singer/Songwriter-Werk der 70er, als Einblick in Neil Youngs Arbeitsweise und als respektable Ergänzung zu seinem Gesamtwerk. Respekt, dass er es all die Jahre aufbewahrt hat und nun zugänglich macht.
Es hätte das Jahr von Lamb of God werden sollen. Wenn eine Band sich nach zwanzig Jahren entscheidet, einem Album den Bandnamen zu geben, steht Großes ins Haus. Die Band aus Richmond, Virginia hat sich musikalisch gefunden – und sie sollte ursprünglich in 2020 die stärksten Festivals rocken. Ein Sommertraum, den Corona zunichte gemacht hat.
Aber zum Glück haben wir ja das Album. Und das hat es in sich – an Aggressivität, Groove und musikalischer Aussagekraft. Auf ihrem achten Studioalbum stellen die Hauptarchitekten der explosiven New Wave des amerikanischen Heavy Metal zehn Songs von unerbittlicher Macht zusammen, die jeden Aspekt dessen umfassen, was sie am besten können. Die Grammy-nominierten Titanen, die auf der ganzen Welt mit der gleichen Hingabe wie Slayer und Metallica geliebt werden, treten mit einem kompromisslosen neuen Testament in das neue Jahrzehnt ein.
Das erste Album der Band seit fast fünf Jahren ist eine kühne Erklärung ihrer Identität, von der belebenden dynamischen Hymne „Memento Mori“ bis zum halsbrecherischen „On the Hook“. Randy Blythe ist so wütend wie immer. Die Gitarristen Mark Morton und Willie Adler setzen Riffs in die Welt, als würden sie es nie wieder tun, und versprühen dem Album einen Berg aus Thrash, Groove, Shred und reduzierter Aggression gleichermaßen, was mehr denn je zeigt, warum jeder sie für ihre Vielseitigkeit lobt.
Das Album ist sehr politisch und greift den amerikanischen Präsidenten an: „Make America hate again and bleed the sheep to sleep.“ In „New Colossal Hate“ klagt man: „der Schmelztiegel schmilzt.“ Die Sucht-Epidemie ist ein weiteres Ziel des Zorns des Sängers. „Reality Bath“ wirft einen unerschütterlichen Blick auf Massenerschießungen. Es geht um reale Dinge, sehr aktuelle Themen. Und die stets nach vorne treibende Attitüde und Anklage nehmen jeden Hörer mit.
„Lamb of God“ ist ein sehr repräsentatives Album der Band. Das achte Studiowerk zeigt sie am Zenit ihres Schaffens. Ja, es war die richtige Entscheidung für den self-titel-Schritt. Und die Festivals werden hoffentlich im nächsten Jahr nachgeholt, wenn der Spuk vorbei ist.
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Was bringt einen Künstler dazu, ein bereits etabliertes Album ganz neu einzuspielen und in akustischer Form neu aufzulegen? Nicht etwa als Anhängsel zu einer „Deluxe Edition“ oder ähnlichen Marketingstrategien, sondern als ganz eigenständigen Release. Vielleicht, weil eine Geschichte, ein Konzept noch nicht zu Ende erzählt ist? Weil das neue Album als viertes Album einfach in eine konzeptionelle Reihe gehört?
So könnte ich mir das vorstellen beim neuen Werk von Max Giesinger. Das ursprüngliche Album erschien 2018 als Abschluss einer thematischen Trilogie: „Laufen lernen“ und „Der Junge, der rennt“ standen für die Anfänge seiner musikalischen Karriere. „Die Reise“ erzählte von den Ereignissen, die Max inzwischen in die erste Riege deutschsprachiger Songwriter geführt haben. Und nicht nur das. Es enthielt zudem viele nostalgische Elemente, die das Album rund machten und eine Standortbestimmung darstellten.
Zwei Jahre später also kein neues Album, sondern eine akustische Neuausrichtung. Die Texte sind gleich geblieben, doch ihre Bedeutung hat sich verändert. Und die Melodien gewinnen an Tiefe. Ich liebe es, wenn zu Beginn des ersten Stück „Bist du bereit“, die Worte „Die Reise beginnt“ unter Streicherklängen ertönen. Und weiter geht es im Takt: „Auf das was da noch kommt“ im Verbund mit Duettpartnerin Lotte, „Nie besser als jetzt“ versehen mit sanften Bläsern. Das sind zwei neue Titel, die schon lange im Radio rotieren. Gerade letzteren Titel kennt man inzwischen auch im Duett mit MoTrip als Corona-Version „Nie stärker als jetzt“.
Ab Track 4 geht „Die Reise“ weiter, aber mit veränderter Tracklist. Die melancholische Stimmung der Songs kommt noch viel stärker durch, vor allem wenn sie mit Pianoklängen begleitet werden oder die Instrumentierung in eine filigrane Percussion-Ausrichtung mit Bläsern oder sanften Gitarrenklängen geht.
Dass sich Max dem Thema des Reisens widmet, ist kein Zufall. Da singt jemand, der selbst bereits einen turbulenten Weg hinter sich hat und dabei mehr als einmal die Zweifel beiseite geschoben und den Sprung ins Unbekannte gewagt hat. Nach dem riesigen Erfolg seines zweiten Albums und Monaten des Unterwegsseins war im Frühjahr 2018 schließlich der Moment gekommen, in dem sich Max genau diesen Weg noch einmal bewusstmachte und zwar, indem er aus seinen Erlebnissen und Gedanken Songs kreierte.
Man kann Max in einer Situation begegnen, mit der die meisten Abschnitte seines musikalischen Weges begonnen haben und wahrscheinlich auch die meisten zukünftigen Abschnitte beginnen werden: mit einer Akustik-Gitarre in der Hand und einer Sammlung von Ideen, Melodien und Texten im Kopf. Es ist das Setting seiner musikalischen Wurzeln, der Grundlagen seines Songwritings. Und es ist auch das Setting seiner ersten Schritte als Musiker, also der Zeit, in der er als Straßenmusiker in Fußgängerzonen stand und sich auf unzähligen Hochzeiten, Wohnzimmerkonzerten, Grillabenden und Geburtstagsfeiern seine ersten Erfahrungen als Musiker machte.
Auch wenn sich solche Unplugged-Peformances in jedem einzelnen Max-Giesinger-Konzert wiederfinden: Es ist es nun das erste Mal, dass er ein ganzes Album neu arrangiert, die treibenden E-Gitarren durch Akustik-Gitarren ersetzt und die Keyboards und Synthesizer in Klavier und Streicher eintauscht. Das lässt nicht nur jeden einzelnen Song von „Die Reise“ noch näher, noch eindringlicher wirken. Es bietet auch den Raum für eine völlig neue Version von „Wenn sie tanzt“, das ursprünglich auf dem zweiten Giesinger-Album Platz fand.
Ich betrachte „Die Reise – Akustik“ als ganz eigenständiges Album, auch wenn man alle Titel schon kennt. Sie sind so anders arrangiert, dass man zwar die Originale noch wiederfindet, aber trotzdem den abgeklärteren Max erkennt, der sich mal wieder am Scheideweg befindet. „Nie besser als jetzt“ gibt dabei einen Ausblick in die Zukunft.
Vor zwei Jahren erschien parallel auch das Album „Liebe“ von Mark Forster – im Kampf der Deutschpop Giganten. Inzwischen hat sich erwiesen, dass Max Giesinger der nachhaltigere Songwriter ist. Die Stücke von „Die Reise“ funktionieren bis heute unglaublich gut. Das Album ist noch besser geworden, auch wenn das kaum möglich schien. Nur eins fehlt mir: Der abschließende Song „Wir waren hier“. Aber den kann man sich ja dazu denken.
Jason Mraz ist seit jeher ein Garant für Gute-Laune-Musik mit optimistischen Botschaften. Auch sein aktuelles Album „Look For The Good“ macht da keine Ausnahme. Allerdings war dem Songwriter beim Schreiben der Texte noch nicht bewusst, wie zeitgemäß die zentrale Aussage des Albums inzwischen ist. Durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie ist es gerade noch wichtiger geworden, das Gute in jedem Menschen, in jeder Situation zu suchen.
Ob das Album dabei helfen kann, muss wohl jeder für sich entscheiden, aber jedenfalls verbreitet es eine Menge positiver Energie. Zwischen dem ersten „Look For The Good“ des Openers und Titelsongs und den gleichlautenden letzten Zeilen des Abschlusstitels „Gratitude“ liegen knapp 60 Minuten entspannter Reggae, den Jason Mraz mit einer ganzen Riege befreundeter Musiker und Sänger zelebriert. Da wird mit „Make Love“ mal ganz allgemein die Liebe oder mit „My Kind“ die Menschlichkeit besungen. Mit Vogelgezwitscher und A-cappella-Gesang beginnt „Take The Music“, eine Hymne an die Kraft der Musik, und „Hearing Double“ wird seinem Titel absolut gerecht, da tatsächlich beinahe jedes Wort des Textes wiederholt wird, was einen interessanten Effekt erzeugt.
Neben den allgegenwärtigen Backgroundsängern lässt sich Jason Mraz bei zwei Titeln auch von stimmgewaltigen Rapperinnen unterstützen. Tiffany Haddish sorgt für die Einlage bei „You Do You“ und Sister Carol ist in „Time Out“ zu hören. Eine der schönsten Botschaften des Albums enthält meiner Meinung nach das ruhige „Wise Woman“, eine Liebeserklärung an eine außergewöhnliche Frau. Sehr überzeugend sind auch das Piano-Intro und das ruhige Ausklingen des abschließenden „Gratitude“ – hier hätte ich tatsächlich gut auch für den Rest des Songs auf den Reggae-Rhythmus verzichten können!
Doch der Reggae zieht sich konsequent durch das Album, allerdings wirklich in der Wohlfühl-Variante. Und so eignet sich „Look For The Good“ vielleicht nicht für wilde Partynächte (die diese Jahr ohnehin selten sein werden), aber sehr wohl für die lauen Sommerabende mit guten Freunden (die wir in diesem Jahr wahrscheinlich besonders zu schätzen wissen)!
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In Zeiten von Krisen sind Resilienzfaktoren wichtige Aspekte, um Menschen zu helfen. Es sind die erlernten und erworbenen Bewältigungsstrategien, die jeder in sich hat. Vermutlich entstand der Albumtitel „Resilience“ schon vor der Corona-Krise, doch er passt definitiv wie Faust aufs Auge.
„Für mich steht das Album für die Fähigkeit, trotz Rückschlägen schnell wieder aufzustehen und seinen Weg weiterzuverfolgen“, erläutert Sänger/´und Gitarrist Raffael „Schlo“ Trimmal den Titel des dritten Longplayers der österreichischen Metal Helden. Zusammen mit Drummer Boris Balogh stand er vor einem Scherbenhaufen: „Unmittelbar vor dem Songwriting mussten wir Bass und Gitarre neu besetzen und hatten keine Ahnung, wie schnell und gut uns das gelingen wird.“
Es gelang schnell und vor allem: Sehr gut. In Form von Andrés Cuenca an den sechs und Mauro Putzer an den vier Saiten fand man die nicht nur musikalisch perfekte Ergänzung des metallischen Kleeblatts: „Von der ersten gemeinsamen Probe an waren Andrés und Mauro wie jahrelange Freunde. Unfassbar, wie stark Musik Menschen verbinden kann“, zeigt sich Schlo euphorisch. „Die zwei haben sich auch sofort ins Songwriting eingebracht, vor allem Andrés hat dem Album einen ordentlichen Stempel aufgedrückt. Beide waren so eine immense Bereicherung, dass uns klar wurde: Wir werden stärker denn je aus dieser Krise gehen!“.
Das Album bietet zehn abwechslungsreiche, intensive Songs, die dem alten Bandmotto „Nothing But Pure Metal“ mehr als gerecht werden und gleichermaßen thrashig, melodisch, modern, brutal, eingängig, progressiv, messerscharf, ehrlich klingen – und dabei auch einiges zu sagen haben. Die 45 Minuten sind soundtechnisch hervorragend und druckvoll produziert. Der Opener „Dissociation“ führt mit seinen Riffs in eine spannende metallische Welt ohne elektronischen Schnickschnack. Die Geschwindigkeit der drei folgenden Songperlen ist durchaus beeindruckend, bevor es ab „Absorbing Energy“ ruhiger wird. Dass der Titeltrack zu Beginn einen sehr erzählenden Charakter hat, ist sicher eine mutige Entscheidung. Schnell nimmt er aber Fahrt auf und führt in die variantenreiche zweite Albumhälfte, die mit dem roboterhaft eingeleiteten „The Cube“ ausklingt.
Black Inhale sind definitiv gestärkt aus der Bandkrise hervorgegangen. Lasst uns hoffen, dass sie auch die kulturelle Krise des Jahres 2020 halbwegs unbeschadet überstehen.
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Zwei Monate ohne Livekonzerte… Langsam aber sicher meldet sich die Sucht bei den Konzertjunkies. Am Anfang konnte man sich ja noch mit den „Trostpflästerchen“ abfinden. Streamkonzerte auf Facebook und YouTube, täglich ein neuer Song von Gary Barlow im Duett mit einem bekannten Kollegen, gar abendfüllende Trio-Konzerte von Konstantin Wecker. Selbst Größen wie Andrew Lloyd Webber und Genesis streamen plötzlich kostenlos komplette Konzertfilme. Das reicht für ein paar Tage Livestimmung im heimischen Wohnzimmer. Aber es muss doch mehr geben.
Können Autokino-Konzerte eine Alternative sein für die Zeit der Krise? Ich war skeptisch, doch dann sah ich auf ARTE concert das Düsseldorfer Konzert von SIDO. Tatsächlich hat er es geschafft, die Zuschauer bei Stimmung zu halten und ein Feedback aus Hupen, Blinken und Autolichtern zu erhalten. Kann also funktionieren. Und tatsächlich sprießen allerorten die Autokinos aus der Erde. In meiner ländlichen Region gleich fünf im Radius von 80 Kilometern. Ganz traditionell mit modernem und klassischem Kinofilm-Programm, aber eben auch mit Livekonzerten regionaler und überregionaler Künstler.
Die Bestimmungen sind noch unterschiedlich. An manchen Orten darf gehupt werden, an anderen nicht (vermutlich davon abhängig, wie weit das Gelände vom Wohngebiet entfernt liegt). Hier darf das Fenster halb geöffnet werden – da muss es geschlossen bleiben. Hier ist der Toilettengang erlaubt – da gibt es nicht einmal eine Toilette. Auch andere Probleme tun sich auf: Der Ecomodus beim Auto schaltet nach 30 Minuten die Batterie ab. Eigentlich müsste man jetzt den Motor laufen lassen, doch oft ist das nicht erlaubt. Hmmm. Kleiner Tipp: batteriebetriebenes Kofferradio mitnehmen. Der Sound ist zwar nicht so opulent, aber ausreichend.
Denn – tadaaa – ich war gestern auf meinem ersten Autokino-Konzert. Ja – das erste Mal überhaupt in einem Autokino. Die Saarpfalz-Gemeinde Blieskastel hat ihr Bauernfestgelände mit Bühne und Leinwand ausgestattet. Und zu Gast war der ehemalige Bro’Sis Popstar und jetzige Schlagersänger Giovanni Zarrella. Es wurde Zeit! Noch sind keine echten Konzerterlebnisse möglich. Die Einschränkungen lassen das nicht zu. Aber die Streaming-Trostpflaster ist man auch langsam leid. Das Autokino kann ein Nikotinpflaster gegen die Konzertsucht sein. Ob es funktioniert?
Die Anreise und das Aufstellen der PKW waren absolut unproblematisch. Viele Ordner, gesittetes Miteinander, guter Blick zur Bühne. SUV und Kastenwagen müssen nach hinten. So hat jeder gute Sicht.
Pünktlich um 20 Uhr kam Sonnenschein Giovanni Zarrella auf die Bühne. Er amüsierte sich erst einmal darüber, dass viele Menschen tatsächlich gedacht hatten, er wäre gar nicht persönlich vor Ort sondern der Auftritt würde aus der Ferne gefilmt. Das war aber nicht der Fall. Er war leibhaftig da. Wie gerade von Florian Silbereisens Schlagerfest XXL hier auf die kleine Dorfbühne gefallen.
Das Programm bestand vor allem aus seinem „La vita è bella“. Denn wie sein einstiger Kollege Ross Anthony hat auch Giovanni musikalisch die Seite gewechselt. Auf seinem aktuellen Album gibt es bekannte Schlagerhits in italienischer Sprache. Diese präsentierte er live am Mikro, während die Musik vom Band kam. Das Geschehen wurde auf eine große LCD Leinwand übertragen, damit man auch bis in die letzten Autoreihen des gut gefüllten Geländes alles mitbekam.
Klar. Es ist seltsam, im Auto seine eigene Party zu feiern. Frau und Tochter waren mit dabei, so konnten wir es uns gemütlich machen. Mitsingen wurde von den Autoinsassen rechts und links wohlwollend bedacht, doch die echten Beifallsbekundungen gab es nur per Hupe. Da Muttertag war, forderte Zarrella als erstes ein Hupkonzert für alle Mamas. Das Feedback in Form rhythmischen Lärms freute ihn sichtlich.
Auch für den Sänger muss es komisch sein, vor einem großen Parkplatz aufzutreten. Doch er machte das Beste draus: Für die Interaktion des Publikums gab es immer neue Ideen. Winken mit Schals, Leuchtstäben, Plakaten und Regenschirmen durch das halb geöffnete Fenster. Mithupen ganzer Textzeilen und Refrains. Eine akkubetriebene Mini-Discokugel auf dem Autodach. Blinker, Lichthupe, Warnblinker.
Auch Giovanni war sichtlich angetan und zeigte sich ganz als sympathischer und witziger Moderator. Zwischen den Songs ging er auf Tuchfühlung, soweit die Sicherheitsbestimmungen das zuließen. Er hatte eine große Pizza auf der Bühne – und wie Guildo Horn seine Nussecken verteilte er Pizzastücke an die ersten Reihen. Natürlich nicht von Hand zu Hand, sondern man konnte mit gebührend Abstand etwas aus der Schachtel nehmen. Dann entschied er, dass keiner ohne Autogramm nach Hause gehen soll. Da die persönliche Autogrammstunde natürlich ausfallen musste, schrieb er kurzerhand (während eines Songs!) genügend Autogramme und verteilte diese im Anschluss an die Autos. Publikumsnähe trotz Abstand. Es funktionierte.
Die Schlager von Münchner Freiheit, Wolfgang Petry, Peter Maffay und Helene Fischer gewinnen deutlich, wenn man sie in italienischer Sprache interpretiert. In meinen Augen ist es eine coole und für einen Deutsch-Italiener sehr authentische Idee, so zu verfahren. DJ Ötzis „Ein Stern“ gehört zu den schwächeren Songs. Der Rest ist absolut akzeptabel. Außerdem baute Zarrella einige Italo-Klassiker ins 90minütige Programm ein und endete mit dem deutschen „Wundervoll“, das er im Jahr 2008 für seinen Sohn geschrieben hatte.
Giovanni hat mich als Sänger und Entertainer absolut überrascht. Er ist grundsympathisch und es gelang ihm, das Publikum in dieser surrealen Situation mitzureißen. Seinem Italo-Schlager-Album sollte man durchaus ein Ohr gönnen.
Ein begeistertes Publikum verabschiedete den Sänger mit einem Hupkonzert, während er als Zugabe seine Version von „Ohne dich“ zum zweiten Mal zum Besten gab – diesmal durch die Autoreihen wandernd. Um 21.30 Uhr war Schluss und die Abfahrt vom Gelände gestaltete sich etwas chaotisch, da hier keine Ordner eingriffen sondern jeder wild Richtung Ausfahrt fuhr. Das wäre das Einzige, an dem man noch arbeiten müsste. Und ich werde versuchen herauszufinden, wie man den vermaledeiten Ecomodus beim Peugeot ausschalten kann. Zum Glück hatte ich ja den kleinen Ghettoblaster dabei.
Ein Fazit? Gar nicht so schwierig. Irgendwie machen alle Beteiligten das Beste aus der Situation. Ja – man kann interagieren, obwohl es etwas kompliziert ist. Die Stimmung muss man sich selbst machen. Wer schon mit einem Murren zu solchen Konzerten fährt, wird das vermutlich nicht schaffen. Es war auf jeden Fall gut, nach zwei Monaten Abstinenz mal wieder ein echtes Konzerterlebnis zu haben. Diese Alternative wird also vermutlich funktionieren, so lange die Normalität nicht zurückkehrt. Ich liste mal ein paar Konzertbeispiele aus den Regionen Trier und Saarland auf. Gebt dem Konzept eine Chance:
21.5.2020 – Völkerball – Autokino Blieskastel
23.5.2020 – Les Brünettes – Drive & live Merzig
27.5.2020 – Hazel Brugger – Carpitol Trier
29.5.2020 – 257ers – Carpitol Trier
31.5.2020 – Heinz Rudolf Kunze – Autokino Blieskastel
84 Jahre wird Klaus Doldinger morgen alt. Der Jazzmusiker und Saxophonist hat eine Reihe zeitloser Titel geschrieben. Man denke nur an das „Tatort“-Thema, „Das Boot“ und „Die unendliche Geschichte“. 1971 hatte er bei Gründung der Band Passport immerhin Udo Lindenberg am Schlagzeug. Und das Lebenswerk scheint noch nicht beendet, wenn man seine Liveauftritte betrachtet.
Der in Berlin geborene und in Düsseldorf ausgebildete Komponist, Bandleader und Jazz-Connaisseur lebt seit Jahrzehnten in Icking nahe München. Inzwischen kann Doldinger auf mehr als 5000 Live-Konzerte, Tourneen durch 40 Länder, über 2000 selbstverfasste Kompositionen, mehr als 50 veröffentlichte Alben und Auftritte mit diversen Sinfonieorchestern zurückblicken. Für sein „Symphonic Project“-Album nahm er bekannte Stücke aus seinem Werk mit Passport und einem Sinfonieorchester auf.
Seine besonderen Verdienste für den Fortbestand und den Fortschritt der modernen Musik aus Deutschland sind längst mehrfach gewürdigt worden – vom Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, über die „Goldene Kamera“, zahllose Gold-Awards bis hin zum Adolf-Grimme-Preis. Schöne Anerkennungen seien das, sagt Klaus Doldinger, aber sie sind für ihn keinesfalls so wesentlich wie die Musik. Um mit bald 84 Jahren wieder aufzubrechen, um neue Anknüpfungspunkte für seine einzigartige Komponistenhandschrift zu finden, sei die energetische Standortbestimmung „Motherhood“ sinnvoll gewesen, erklärt er. Als Zuhörer muss man sich die Sinnfrage hingegen gar nicht stellen. Zuhören, genießen und erkennen zu können, warum Doldinger heute so klingt wie er klingt, ist ein Segen.
„Motherhood“ gab es Ende der 60er Jahre als Projektnamen. Damals erschienen zwei Alben unter diesem Titel und der Name stand für Jazz verknüpft mir Rock, Soul und Weltmusik. Neun dieser Titel hat Doldinger nun neu aufgenommen. Der zehnte („Soul Tiger“) steht ganz am Anfang der Scheibe und ist ein Original aus dem Jahr 1969. Dann folgt „Devil Don’t Get Me“ mit den Vocals des noch sehr frisch klingenden Udo Lindenberg aus dem Jahr 1970. Erst danach geht es komplett in die Gegenwart und Max Mutzke leiht „Song Of Dying“ seine wundervolle Stimme.
Hammond-Orgel, der Groove von „Soul Town“ und „Locomotive“, die Saxofon-Soli auf „Circus Polka“ – und ganz mittendrin „Turning Around“ mit Meister Doldinger selbst am Gesangsmikro. Das sind starke Songtitel und handfeste Überraschungen. Besonders andächtig lausche ich aber „Women’s Quarrel“ mit der fantastischen China Moses an den Vocals und dem Abschluss „Wade In The Water“ mit Joo Kraus an der Trompete.
„Motherhood“ bietet zehn zeitlose Klassiker, die Doldinger hier gekonnt in die Gegenwart holt. Egal ob man das Album als Remake oder Neudeutung ansieht: Es zeigt Klaus Doldinger in Topform.
Seit Wilhelmine im Herbst 2019 ihre Debüt-Single „Meine Liebe“ vorlegte, schlägt ihr nichts als Sympathie entgegen. Und das von Kritikern, Kollegen und Fans gleichermaßen. Sie war mit Benne und Lotte auf Tour und sollte gleich anschließend Selig auf deren Tour supporten, die ebenso wie ihre eigene Headlinertour aufgrund der Coronavirus-Situation verschoben werden musste – aber schon jetzt sind die Spätsommershows in Berlin, Essen und Dresden ausverkauft.
Ein komplettes Album gibt es noch nicht, aber „Komm wie du bist“ ist da, Wilhelmines Debüt-EP. Sie enthält fünf Songs, darunter die bisher veröffentlichten „Du“ und „Solange du dich bewegst“. Der Titelsong ist die neue Single und liefert ihr optimistisches Motto. Wie weiland Kurt Cobain singt Wilhelmine von Selbstakzeptanz und Ehrlichkeit. Etwas naiv klingt „Das Mädchen mit der Latzhose“, ist aber emotionaler Ausdruck der Liebe zu einer Frau wie „Meine Liebe“. Ausdrucksstark und weltoffen.
„Ich glaube, wenn man als Künstlerin nicht über die Dinge redet, die einen wirklich belasten oder bewegen oder beschäftigen oder berühren, dann schwimmt man auf der Oberfläche und macht sich unbewusst kleiner“, sagt Wilhelmine zu ihrem Ansatz, mit großer Offenheit Geschichten zu erzählen, die ihr wirklich so passiert sind. „In den letzten zwei, drei Jahren habe ich mich in dieser Hinsicht enorm weiterentwickelt. Ich habe wie mit einem Scheinwerfer in alle Richtungen geleuchtet und geschaut, was da wirklich hinter steckt.“
Die Arbeit an der EP wurde so zu einer intensiven Erfahrung: „Beim Schreiben der Texte habe ich in jeder Session aus einem anderen Grund geweint. Weil ich durch die Lieder an gewisse Stellen gekommen bin und es geschafft habe, ein bestimmtes Kapitel in einen Song zu packen und damit zu beleuchten.“
Von euphorisiert-befreiten Songs über Freiheit und Verliebtsein bis hin zu düster-traurigen Erfahrungen mit Sucht und Ressentiment deckt die EP ein breites emotionales und thematisches Spektrum ab. Die fünf Songs machen auf jeden Fall Lust auf mehr! Diese emotionale Achterbahnfahrt darf gerne eine ganze Albumlänge dauern.
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Die finnische Band Nightwish um den Keyboarder und Komponisten Tuomas Holopainen gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Symphonic Metal. Mit ihrem aktuellen Album „Human. :II: Nature.“ stellen Nightwish dies erneut eindrucksvoll unter Beweis und erweitern zudem wieder die Grenzen ihres Genres. Wie der Titel schon ahnen lässt, besteht das Werk aus zwei Teilen und wird auch als Doppelalbum veröffentlicht.
Eröffnet wird der erste Teil mit dem faszinierenden „Music“, mit dem quasi die Entwicklungsgeschichte der Musik dargestellt wird, von atmosphärischen Urklängen und erster Percussion über sakral anmutende Gesänge bis hin zur sich rhythmisch steigernden Rock-Hymne, mit der wir dann endgültig im Nightwish-Universum ankommen. Mit dem gewaltigen „Noise“ liefert die Band eine verstörende Betrachtung der ständigen akustischen und visuellen Ablenkungen, denen der moderne Mensch ausgesetzt ist – übrigens auch sehr beeindruckend im dazugehörigen Musikvideo umgesetzt.
Neben den allesamt ihre Instrument meisterhaft beherrschenden fünf Musikern der Band wird der Sound von Nightwish immer auch vom weiblichen Gesangspart geprägt. Diese Rolle füllt seit dem letzten Album die Niederländerin Floor Jansen stimmgewaltig und stilistisch äußerst vielseitig aus – neben den glasklaren Höhen beherrscht sie auch kraftvolle Rockpassagen. Ergänzt werden die Arrangements wie bereits bei einigen Vorgänger-Alben vom London Session Orchestra und zusätzlich sorgen The Metro Voices für Highlights.
Auch wenn sich die meisten Stücke ganz klar im Metal-Bereich bewegen, machen Nightwish immer wieder Abstecher zu anderen Genres, etwa stellenweise zum Folk in „How’s the Heart?“ oder im melodischen „Harvest“ – hier überzeugen akustische Instrumente und Harmoniegesang , bei dem auch die Männerstimmen der Band zur Geltung kommen. Und es sind oft gerade die kurzen ruhigen Passagen im Getöse mancher Songs, die besonders im Gedächtnis bleiben.
Stilistisch recht gravierend vom ersten Teil des Albums unterscheidet sich das auf der zweiten CD enthaltene instrumentale Werk „All The Works of Nature Which Adorn the World“, ein musikalisches Epos in 8 Sätzen, das eine Art Liebeserklärung an diese Welt darstellt. Hier dominiert nun ganz klar das Orchester, unterstützt von lautmalerischen chorischen Elementen und stellenweise untermalt von zitierten Passagen aus den Werken von Lord Byron und Carl Sagan. Man kann sich dieses Stück wunderbar als musikalische Umsetzung eines Naturfilmes vorstellen, und die Titel der einzelnen Sätze, wie „The Blue“, „The Green“,“ Aurorae“ oder „Quiet as the Snow“ lassen auch die passenden Bilder im Kopf entstehen.
Wer sich auf „Human. :II: Nature.“ einlässt, erlebt eine äußerst vielseitige musikalische Reise im thematischen Spannungsfeld zwischen Mensch und Natur und kann sich auf Gänsehautmomente und Überraschungseffekte freuen.
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Wer es wagt, „S.O.S.“ von ABBA als Hardrock-Ballade zu covern, dem sollte man Respekt zollen. Gotthard legen auf ihrem dreizehnten Album mit dem Titel „#13“ eine ordentliche, rifflastige Version des Pop-Klassikers vor, die sich gewaschen hat. Auch mutig: Die 13 im Titel, 13 Tracks auf dem Album, Freitag der 13. als VÖ-Datum und der Track „Bad News“ als Opener. Dass dies auch gerade der Tag sein sollte, an dem die Corona-Krise im Zentrum Europas erst so richtig an Fahrt gewann, ist eine Ironie des Schicksals.
„Bad News“, der Album-Opener, ist genau das, was eingefleischte Fans an der Band lieben: heißer, schnörkelloser Rock’n’Roll verpackt in feinstes Songwriting. Oder anders ausgedrückt: Gotthard von ihrer besten Seite. Auf „Bad News“ fällt Nic direkt mit dem Garagentor ins Haus: In Höchstform kündigt er den ersten Track an und lässt sich von wild gewordenen Power-Gitarren und schweißtreibendem Schlagzeug direkt in die Umlaufbahn katapultieren.
Der Spannungsbogen führt vom Power-Opener, schnellem Hard’n’Heavy Sound auf „Everytime I Die“ und hartem Rock mit orientalischen Elementen auf der ersten Single „Missteria“ über abgehangenen Bluesrock auf „Another Last Time“ bis hin zu Widescreen-Balladen wie „Sorry“, um die Palette in Form von „Rescue Me“, dem letzten Track des Albums, mit 70er Psychedelic-Sound abzurunden.
Gotthard bieten feinen Hardrock der alten Schule – und auch Album #13 ist ein solides Werk. Der seit 2011 nach dem tragischen Tod von Steve Lee agierende neue Fronter Nic Maeder macht auf seinem vierten Album einen fantastischen Job und steht dem beliebten Vorgänger in Nichts nach. Während man oft sagt, dass der Prophet in der Heimat nichts gilt, legen Gotthard in der Schweiz ein Nummer-1-Album nach dem anderen hin. Da wird sich auch #13 einreihen, da bin ich mir sicher. Was den Rest Europas angeht, sollte die Double-Headliner-Tour mit Magnum neue Hörerschichten erschließen. Sie wurde jetzt auf 2021 verschoben – es wird sicher ein Spektakel der Extraklasse.
Das Release-Konzert am 13. März wurde aus Corona-Gründen ohne Publikum gespielt. Unsere Empfehlung: Schaut es euch auf YouTube an – dieser kraftvolle und energische Gig ist absolut sehenswert:
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Die Verdienste der Boomtown Rats um die Musikgeschichte im allgemeinen und die ihres Heimatlandes Irland im speziellen sind unbestritten. Mit einer ganzen Reihe von Top 10-Hits und Platin-Auszeichnungen avancierte das Sextett um Frontmann Bob Geldof zu einer der größten Bands der späten 70er und 80er Jahre. Die Boomtown Rats waren die erste irische Formation, die mit „Rat Trap“ einen Nr.1-Hit in den britischen Singlecharts landen konnte, bevor sie sich mit „I Don’t Like Mondays“ quasi selbst unsterblich machten. Bis zu ihrer Auflösung 1986 veröffentlichte die Band sechs Alben. Für immer unvergessen bleibt natürlich auch das von Bob Geldof und Midge Ure organisierte Live Aid-Festival am 13.07.1985 als bis dahin größtes Rockkonzert aller Zeiten, das parallel im Londoner Wembley Stadion und im John F. Kennedy Stadium in Philadelphia stattfand. Nicht nur bei mir zuhause dürfte der Videorecorder während der mehr als 16-stündigen Fernsehübertragung heiß gelaufen sein. Danach wurde es abgesehen von einer kurzen Reunion 2013 still um die Boomtown Rats.
So schlug Mitte Januar die Nachricht wie eine Bombe ein, dass die Band nach 36 Jahren Pause ein neues Album veröffentlicht. Die Single „Trash Glam Baby“ war der erste Vorbote und wurde von Bob Geldof höchstpersönlich geschrieben. Produziert von Rats-Bassist Pete Briquette sind darauf die Original-Mitglieder Bob Geldof (Gesang), Pete Briquette (Bass), Simon Crowe (Drums) sowie Garry Roberts (Gitarre) zu hören, die von Alan Dunn am Klavier und Darren Beale an der Gitarre unterstützt werden. In dieser Formation entstand dann auch das Comeback-Album, das auf den schönen Namen „Citizens Of Boomtown“ hört. Parallel feiert die gleichnamige Boomtown Rats-Dokumentation von Billy McGrath im Rahmen des Dublin Filmfestivals Premiere und am selben Tag wie das Album wird über Faber Music das Buch „Tales Of Boomtown Glory“ mit Texten und Bob Geldofs gesammelten Erinnerungen erscheinen. Anschließend geht die Band auf UK-Tour, die am 26. März in Brighton startet und deren Finale für den 2. Mai in Newcastle vorgesehen ist. Sofern das Corona-Virus nicht noch zu einer Absage führt. Das nenne ich mal einen Rundumschlag.
Die bereits erwähnte Single „Trash Glam Baby“ ist gleichzeitig der Album-Opener und man fühlt sich sofort in die 80er Jahre zurückversetzt. Ein vielversprechender Auftakt, der Hoffnung auf eine ebenso würdevolle Rückkehr macht, wie sie zuletzt The Who vollzogen haben. Auch „Sweet Things“ ist erfreulich schön aus der Zeit gefallen und in etwa bei The Kinks gelandet. Mit „Monster Monkeys“ bewegen wir uns dann langsam auf die Gegenwart zu und finden uns ungefähr dort wieder, wo U2 mit „Pop“ ihre Metamorphose vollendeten, also Ende der 90er Jahre. Auch der straighte Rocker „She Said No“ macht Laune, bevor die hymnische (Klavier-)Ballade „Passing Through“ nach fünf von insgesamt zehn Songs den Wendepunkt markiert. Bis hierhin klingt das alles frisch, originell und spannend. Was dann folgt ist allerdings nur noch gruselig.
Das Gruseln geht mit der bluesigen Mitklatschnummer „Here’s A Postcard“ noch recht unspektakulär los. „K.I.S.S.“ ist eine Mischung aus Kinderlied und Karnevalsschlager und man fragt sich leise, welche Substanzen bei der Entstehung dieses Stückes wohl mit im Spiel gewesen sein mögen. Dass sie zu einer Bewusstseinstrübung geführt haben müssen, bestätigen die Boomtown Rats anschließend mit „Rock’N Roll Yé Yé“, dessen grenzdebiler Titel nur noch von Textzeilen wie „Yeah Yeah Rock’n’Roll“ oder „Come on, come on Rock’n’Roll“ übertroffen wird. Solche billigen Mitgröhlrefrains dürfen eigentlich nur Status Quo ungestraft unter das Kirmesvolk bringen. „Get A Grip“ ist mit seinen stampfenden und künstlichen Synthiesounds dann endgültig zum Weglaufen, doch wenn man glaubt es kann nicht mehr schlimmer kommen, dann kommt es noch schlimmer. Das einzig Gute am Closer „The Boomtown Rats“ ist, dass der Song das Album beendet. Mit dem (Achtung!) Dancefloor-Track will sich die Band vermutlich selbst feiern und macht sich dabei nur vollkommen lächerlich. Das geht auch als Selbstironie nicht mehr durch. Diese Art von nervtötenden Beats hört man permanent in den hippen Klamottenläden auf der Kölner Ehrenstraße und wundert sich dabei, wie die Verkäuferinnen diese Dauerbeschallung den ganzen Tag aushalten ohne durchzudrehen.
Am Ende bleibt nach dem Genuss von „Citizens Of Boomtown“ ein schaler Geschmack auf der Zunge hängen. Es ist ja bekanntlich nicht so, dass jedes Comeback automatisch dazu führt den einmal erworbenen Legendenstatus zu untermauern. Es gibt Bands, die wieder aus der Versenkung auftauchen, wo sie besser geblieben wären, nur um ihre eigenen Denkmäler in Schutt und Asche zu legen. Die Boomtown Rats pendeln sich da mit „Citizens Of Boomtown“ irgendwo in der Mitte ein. Im Fußball würde man sagen: Das Album hat zwei völlig verschiedene Halbzeiten. Oder um noch einmal in die seligen Vinyl-Zeiten aus der ersten Schaffensphase der Band zurückzukehren: A-Seite Top, B-Seite Flop. Die vergangenen 36 Jahre haben die alten Rebellenlieder der Boomtown Rats zu Klassikern geschliffen, die immer noch Gehör finden, weil sie relevant und zeitlos klingen. „Citizens Of Boomtown“ hat dem leider nichts hinzuzufügen.
Als die Geschwister Moya, Ciáran und Pól Brennan gemeinsam mit ihren beiden Onkeln 1970 die Band Clannad gründeten und im Pub ihres Vaters mit Popsongs und traditionellen irischen Liedern auftraten, da ahnten sie nicht, dass damit eine 50 Jahre andauernde erfolgreiche Karriere begann. Sie waren eine der ersten Musikgruppen, die traditionelle Elemente mit modernem Folk, Rock und New Age verbanden und sie kreierten so ihren eigenen unverwechselbaren Sound, der maßgeblich auch von der außergewöhnlichen Stimme Moya Brannans geprägt ist und von der Verwendung der irisch-gälischen Sprache in vielen ihrer Songs.
Mit der Anthologie „In A Lifetime“ blicken Clannad auf die 5 Jahrzehnte ihrer Karriere zurück. Auf zwei CDs sind 38 Titel von ihren insgesamt 16 Studioalben zu hören, beginnend mit den traditonellen Songs „Thíos Cois Na Trá Domh“, „Dúlamán“ und „The Last Rose Of Summer“ über ihre Hitsingle „Theme from Harrys Game“ bis hin zu „Vellum“ und „Brave Enough“ vom letzten Album „Nádúr“. Am Ende gibt es mit dem verträumten „A Celtic Dream“ und dem atmosphärischen „Who Knows (where the time goes)“ sogar noch zwei neue Titel.
Die meisten Songs sind in den Orginalversionen enthalten, einige Titel aus den 80ern aber auch in der remasterten Version von 2003, darunter beispielsweise das Duett „In A Lifetime“ mit U“-Frontmann Bono oder die Titelmusik „Robin (The Hooded Man)“ zur erfolgreichen britischen TV-Serie „Robin of Sherwood“. Deutlich zu hören ist in dieser Sammlung auch die musikalische Entwicklung von anfangs noch vielen Folk-Elementen und traditionellen Instrumenten hin zu zunehmend modernen und New Age- Einflüssen mit epischen Synthesizer-Klangteppichen. Dabei gefallen mir die frühen Songs persönlich noch besser, vielleicht aber auch, weil die ersten Clannad-Alben zum Soundtrack meiner Kindheit gehörten.
„In A Lifetime“ erscheint in verschiedenen Formaten und ist auch als Deluxe-Box mit über 100 Songs erhältlich. Außerdem startet im März die Abschiedstournee von Clannad, die sie auch in einige deutsche Großstädte führt – für Fans also die letzte Gelegenheit, diese Band noch einmal live zu erleben. Mit der Anthologie „In A Lifetime“ hat man aber auf jeden Fall eine bleibende Erinnerung an Clannads 50jährige musikalische Reise.