Textlich ist es ein gewohnt düsteres Album, das uns die Schwedin Anna Ternheim da liefert und das sich intensiv mit ihren Gedanken auseinandersetzt. Musikalisch aber hat es einige helle und erhellende Momente zu bieten.
Mit ihrem siebten Album geht Anna einen großen Schritt in Richtung poppiger Melodien. Die folkige Ausrichtung der Anfangstage ist weniger geworden. Das finde ich mutig von der 41jährigen Songwriterin und es wird vermutlich nicht jedem Fan gefallen. Ich muss gestehen, dass ich zunächst auch mit gänzlich anderer Erwartungshaltung an die CD gegangen bin.
Sie selbst sagt dazu: „Ich wusste, dass ich eine sehr reduzierte Platte machen wollte, die Akustiktournee im Jahr 2017 hatte mich dazu inspiriert. Einige Song wuchsen dennoch mit einem größeren Arrangement und brauchten mehr Dynamik. Auch wollte ich die Westküste Amerikas in meinen musikalischen Kosmos bringen und nahm große Teile der Platte in Los Angeles auf. Am Ende klingt es dann aber doch wieder nach einem düsteren Schwedischen See. Im Studio gingen wir sehr intuitiv vor, Song für Song und versuchten, bei jedem Lied schönst möglich den Kern zu zeigen. Ihn so wundervoll wie möglich klingen zu lassen. Der Titel des Albums kam mir während der Aufnahmen in LA. Er beschreibt am besten das Grundgefühl des Albums, der Sehnsucht für Vergangenes, für das was kommt und die Sachen, die dich morgens motiviert aufstehen lassen.“
Wir bekommen einen Einblick in verflossene Liebschaften und Annas emotionales Befinden. Diesmal verstärkt mit elektronischen Momenten, aber vielleicht gerade deshalb sehr verträumt und atmosphärisch. Schaut euch das Video zu „This Is The One“ an und ihr versteht, was ich meine. Geblieben ist ihre wundervolle Stimme – und diese nimmt den Hörer mit in die innere Welt.
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Auf seinem neuen Album „Starkregen“ widmet Rainhard Fendrich sich akribisch dem „zwischenmenschlichen Klimawandel“ unserer Zeit und den damit verbundenen Folgen. 13 Titel fasst das Album – geprägt von Inhalt und Haltung. Dabei hat Rainhard Fendrich seine humoristische Ader längst nicht an den Zeitgeist verloren. Tatsächlich ist der Albumtitel auch einem übermotivierten spanischen Übersetzungsprogramm geschuldet, das den Namen „Rainhard“ in „Starkregen“ umwandelte…
Titel wie der Opener „Burn Out“ sind fast schon therapeutisch angelegt. Dabei geht es ganz sicher nicht um den umtriebigen Österreicher selbst, sondern um das gesellschaftliche Ausgebranntsein – gepaart mit Mutlosigkeit, die den Populisten das Feld überlässt. In diese Kerbe schlägt auch „Social Media Zombie“, ein Song im typischen humoristischen Stil des Songwriters. Und „Ich steh‘ gern im Stau“ kann fast schon die Lösung zu sein, wenn der Protagonist endlich die Gelegenheit hat, inne zu halten und nachzudenken.
Inmitten der kritischen Zeitdiagnose, besticht „Starkregen“ aber auch durch seine emotionalen Balladen. „Nur die Liebe“ sowie das retrospektive „Mein Leben“ werden ohne Zweifel ein Lichtermeer entfachen, wenn Rainhard Fendrich 2020 auf große Tour geht. Autobiographische Erinnerungen werden wach bei „Rock’n Roll Band“. Und „Abendrot“ beschäftigt sich mit dem Tod und vor allem dem Verlust beider Elternteile im Abstand von zwei Jahren. Ein Song, der sehr zu Herzen geht.
Das inzwischen 18. Studioalbum von Rainhard Fendrich ist ein neues starkes Werk in bester Liedermacher-Tradition. Im nächsten Jahr wird der Gute 65 Jahre alt. Doch Kollegen wie Reinhard Mey und Herman van Veen machen ja vor, dass man dann noch lange nicht aufhören muss. Ich hoffe, dass Fendrich uns noch lange als kritischer Beobachter erhalten bleiben wird und der Starkregen weiter auf die FPÖ einprasselt.
Ob John Watts solo unterwegs ist oder als Band mit den alten Mitstreitern von Fischer-Z: Er ist auch nach 42 Jahren immer noch für eine Überraschung gut! Während das letzte Werk „Building Bridges“ sehr rockig angelegt war, wird Watts in „Swimming In Thunderstorms“ wieder zum altbekannten Geschichtenerzähler. Er greift aktuelle gesellschaftliche Themen auf und steckt sie in ein spannendes, bisweilen fantastisches musikalisches Gewand.
John bleibt so profiliert, politisch, belesen und trotzig wie immer. „Ich denke Leben ist Bewegung. Ich möchte einfach immer in Bewegung sein und weiter wachsen. Am Ende bist Du immer nur so gut wie dein letztes Projekt. Das ist was mich antreibt“.
Im Opener „Big Wide World“ geht es um einen Veteranen, der zum Säufer geworden ist und sich seine Jugend zurück wünscht. Der melodische Rock und die Poesie, die in dem Song stecken, machen ihn zum musikalischen Gegenpol der traurigen Geschichte. Das funktioniert auch bei „Stamp It Out“, das die Geschichte um Fake News und deren Verbreitung mit einlullenden Pianoklängen unterlegt. „The Islamic American“ beschäftigt sich mit der Flüchtlingsthematik und klingt viel optimistischer, als das Thema vermuten lässt.
Wie in alten Zeiten verbinden Fischer-Z Elemente von Folk, Punk und New Wave zu einem schönen Gesamtbild. Auch weltmusikalische Elemente sind (wenn auch reduziert) weiterhin vorhanden, beispielsweise in „Stolen“ und „Prime“.
John Watts wird in Kürze 65 Jahre alt. Seine charismatische Stimme hat nicht an Ausdruckskraft verloren. Er kann energisch nach vorne preschen und sich dezent zurücknehmen. „Swimming In Thunderstorms“ ist ein weiteres sehr abwechslungsreiches Album und begeistert mich durch die Bank.
Die Kulturfabrik im luxemburgischen Esch/Alzette ist immer wieder für wundervolle Progressive Rock Abende gut. Ein schönes Ambiente und eine Halle mit guter Akustik, die auch mit einigen hundert Besuchern gut gefüllt wirkt, sprechen für sich.
Am Mittwoch zogen gleich zwei Vorzeigebands des Genres das Publikum nach Esch. Den Anfang machten iamthemorning aus St. Petersburg (Russland) mit der hervorragenden Sängerin Marjana Semkina.
Getragen von dem aktuellen Album „The Bell“ gab es (nach den Worten von Marjana) einen sehr stimmungsvollen Set mit „songs about pain and death and dead people“. Man durfte also viel Traurigkeit und Melancholie erwarten.
Ganz so düster war es dann aber doch nicht. Die Vokalistin bestach durch eine sehr variable Stimme, von hoch und sanft bis hin zu tiefen und vor allem sehr energischen Klängen. Traumwandlerisch und barfuß beherrschte sie das Geschehen auf der Bühne und war 45 Minuten lang äußerst präsent.
Der Set war durch die Begleitung mit Cello und Piano sehr klassisch angelegt, hatte aber auch verjazzte Passagen. Hinzu kam ein formidabler Percussionist, der seine Instrumente sehr variantenreich spielte.
Alles in allem waren iamthemorning viel mehr als ein „support act“. Wundervoll, was sie hier zu bieten hatten – belohnt mit viel Applaus von einem begeisterten Publikum. Das aktuelle Album ist wärmstens zu empfehlen.
Nach diesem stimmungsvollen Set ging es um 21:15 mit dem Hauptact los.
Nach der sehr erfolgreichen Wasteland-Tour im Laufe des Jahres haben die Polen um Mariusz Duda noch eine „German Edition“ als Zugabe mit acht Terminen raus gehauen, wobei die Kulturfabrik in Esch-sur-Alzette nicht so wirklich in die „German Edition“ passte.
Ein Großteil des Programms fiel auf Stücke des siebten Studioalbums „Wasteland“. Doch auch ältere Stücke wie das wundervoll tränendrückende „Lost“ und die Kracher „Panic Room“, „Out Of Myself“ sowie das vom Publikum immer wieder gerne geschmetterte „Left Out“ wurden präsentiert.
Riverside gastierten zum zweiten Mal im kleinen Ländchen nach ihrem 2007er Supportact für Dream Theater. Mariusz Duda nahm dies zum Anlass mit dem aufgedrückten Label der „Progressive Metal“-Band zu hadern und zu brechen. Um die Progjünger nicht zu verprellen, werden die ganzen Ausführungen hier nicht wiedergegeben.
Als Quintessenz stellte der charismatische und zum Scherzen aufgelegten Sänger fest: „Die Menschen auf der Straße und auch meine Tochter sagen, Progressive Rock ist für alte Menschen. Der Unterschied von Riverside zu Progressive Rock Bands ist, dass man sich mit Riverside jünger fühlt.“ Das war dann auch das Startzeichen für das Publikum, dem Geburtstagskind (Mariusz Duda) ein Ständchen zu singen, wobei eine kleine Gruppe anwesender Landsleute ein besonderes polnisches Geburtstagslied anstimmte.
Die Band zeigte sich mal wieder voller Spielfreude, viel Kontakt zum Publikum (Michal war in Flirtlaune, Mariusz hatte vor dem Konzert Sprechperlen gefuttert) und zur Überraschung vieler wurde auf der Bühne gescherzt, improvisiert und gejammed. Mit jeder Tour nehmen die Livequalitäten des Vierers zu und es bleibt zu hoffen, dass sie noch lange weiter machen und hervorragende Studioalben für zukünftige Touren produzieren werden.
Lange war es ruhig um Jeanette Biedermann – doch dann kam „Sing meinen Song 2019“ und ihre Musik war plötzlich wieder in aller Munde. Zehn Jahre nach „Undress To The Beat“ veröffentlicht sie nun das deutschsprachige Album „DNA“ und tut es damit Sarah Connor gleich, die auch durch SMS einen Schub Richtung Muttersprache bekam.
Okay – bei Jeanette war das schon länger der Fall. Immerhin war sie über sieben Jahre Teil der Band Ewig – und der Bandname sagt schon aus, dass es auch hier in deutscher Sprache zur Sache ging.
Den Übergang zum nächsten Soloalbum nach langer Pause beschreibt sie so: „Ich habe mir geradezu das Herz aus der Brust gerissen, um ein ganz ehrliches und offenes Album zu schreiben. Die Musik von Ewig hatte einen eher melancholischen, introvertierteren und nachdenklicheren Sound. Dieser Sound entsprach auch ein bisschen meinem Gefühl in dieser Zeit, eher zurückgezogen und verletzlich. Auf meinem neuen Album wird es nun allerdings auch wieder die lauten Töne hören und die positive Outgoing-Energie geben, die einen nicht unwesentlichen Teil meiner Persönlichkeit ausmachen. Man wird auch die Lebenserfahrung hören, die ich inzwischen habe.“
„DNA“ ist ein sehr reifes Album geworden. Und Jeanettes Stimme hat stark dazu gewonnen nach den poppigen Ausschweifungen früherer Jahrzehnte. Songs wie „Wie ein offenes Buch“ sind sehr authentisch und autobiographisch. Hinzu kommt ihre Stimme, die inzwischen viel rockiger klingt und kaum noch den Dance-Allüren der Anfangszeit folgt.
„Große Freiheit“ und „Deine Geschichte“ sind sehr gefühlvoll eingesungen. Jeanette beherrscht auch die melancholischen Töne und es ist schön, wie sie ihrer Mutter ein Denkmal setzt. „In den 90ern“ spricht mir aus der Seele und „Dumme Gedanken“ kann als Uptempo-Nummer auf Anhieb begeistern.
Jeanette Biedermann ist das Kunststück geglückt, sich ein drittes Mal neu zu erfinden. Die Staffel „Sing meinen Song“ hat ihr Übriges dazu beigetragen. Schön, dass es dieses Format gibt.
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Skáld ist ein Projekt des französischen Musikers und Produzenten Christophe Voisin-Boisvinet, der sich mit vier Sängern zusammengetan hat, um die altnordische Tradition der Skalden wiederzubeleben. Diese verbreiteten im frühzeitlichen Skandinavien als Poeten und Geschichtenerzähler die nordischen Götter- und Heldensagen, die uns heute noch in der Edda überliefert sind. Diese Sammlung von Erzählungen dient auch den Musikern von Skáld als Quelle für die Texte ihres Debütalbums „Vikings Chant“.
Der erste Track „Enn Átti Loki Fleiri Börn“ ist eher ein kurzes gesprochenes Intro über sphärischen Harfenklängen. Danach geht es mit „Rún“ zwar getragen, aber kraftvoll weiter. Die Stimme von Sängerin Justine Galmiche entfaltet sich hier über einem drängenden Rhythmus und den tiefen begleitenden Harmonien ihrer Sängerkollegen. Dazu kommen verschiedenste Instrumente, darunter auch heute eher unbekannte wie Lyra oder Fujara.
Stilistisch ähneln sich die Stücke und schaffen mit ihrer Kombination von rhythmischer Begleitung, vielen Wiederholungen und der sich immer wieder wie schwebend darüber erhebenden Frauenstimme eine ganz besondere Atmosphäre, die einen schnell in seinen Bann zieht. In Verbindung mit den stimmungsvollen Bildern aus dem Booklet, die die Sänger und Musiker in passender Gewandung zeigen, fühlt man sich tatsächlich in eine andere Zeit versetzt.
Ganz ohne Instrumente kommt „Ec Man Iötna“ aus, für mich einer der eindringlichsten Stücke des Albums. Einen besonderen Reiz hat aber auch „Ódinn“ mit seinem unregelmäßigen Takt und den beinahe übermenschlich schnell gesungenen Strophen. Etwas schwerfällig wirkt dagegen die sehr langsame Ballade „Ginnunga“. Der offiziell letzte Titel “Jóga“ fällt mit seinem englischen Text etwas aus dem Rahmen – ein Blick ins Booklet verrät allerdings, dass es sich hier um ein Cover eines Songs von Björk handelt. Im Booklet finden sich auch die altnordischen Lyrics zu den übrigen Stücke, leider aber keine Übersetzung. Aus Titeln wie“ Ó Vallhalla“ oder „Yggdrasi“l können in der nordischen Mythologie Bewanderte zwar Rückschlüsse auf den Inhalt ziehen, aber zumindest kurze Erläuterungen zu den einzelnen Songs wären hilfreich gewesen. Wer eine Geschichte erzählt bekommt, will diese schließlich auch gerne verstehen!
Insgesamt kann dieses Debüt aber durchaus überzeugen und wird in der entsprechenden Fanszene wohl auch hierzulande begeisterte Anhänger finden. Die deutsche Veröffentlichung von „Vikings Chant“ enthält außerdem zusätzlich fünf Bonustracks – Spaß machen hier vor allem die spannenden Coverversionen „Seven Nations Army, „Riders On The Storm“ und „High Hopes“!
Nach 40 Jahren Silly lohnt es sich, in Dekaden zu denken. Zumal in diesem Zeitraum zehn reguläre Studioalben veröffentlicht wurden. Kein Wunder, dass die Band ihrer Retrospektive die „Zehn“ als Titel gibt. Schließlich ist mit dem Ausstieg von Anna Loos im vergangenen Dezember mal wieder eine Ära zu Ende gegangen.
Gegründet wurde die Band im Jahr 1978 als Familie Silly. Dies weil die DDR Behörden den Bandnamen Silly aufgrund staatlicher Anglizismen-Feindlichkeit zunächst nicht zuließen. Bis zu ihrem Tod 1996 stand die geniale Tamara Danz als Frontfrau vorn und die Wiedervereinigung bringt es mit sich, dass man diesen Zeitraum in „vor“ und „nach“ der Wende einteilen muss.
Vor dem überraschenden Einstieg von Anna Loos gab es dann die „ruhige“ Dekade mit Soloprojekten einzelner Bandmitglieder und ohne neues Album. Die Schauspielerin und Sängerin aus Brandenburg konnte Tamara in vielen Augen nicht ganz ersetzen, aber sie führte Silly zu einem neuen Höhenflug.
Die aktuelle Doppel-CD enthält das Beste aus vierzig Jahren Silly in mehr als zwei Stunden Länge. Eine wunderschöne Rückschau, die alle Bandphasen berücksichtigt. Viele Songs wurden remastered und erfahren eine klangliche Aufwertung. „Tanzt keiner Boogie“ und „Der letzte Kunde“ sind ebenso vertreten wie die aktuellen Hits mit Anna.
Wer die Band in ihrer ganzen Komplexität verstehen will, liegt mit dieser Compilation goldrichtig. Silly werden übrigens weiter bestehen – mit Anna R. (Rosenstolz) sowie Julia Neigel am Mikro – und gehen ab November auf große Jubiläumstour.
Schon seit 15 Jahren ist der „KiKA TanzAlarm“ eines der beliebtesten Musikformate im deutschen Kinderfernsehen, das bereits Generationen von Kindern in Bewegung gebracht hat. Am 5. August 2019 feierte nun der „TanzAlarm Club“ im Kinderkanal von ARD und ZDF Premiere – mit vielen Songs mit Kultcharakter, musikalischen Contests und noch mehr beeindruckenden Dance Moves. Die neuen TanzAlarm-Kids Hannah, Käthe, Larissa und Luna, alle 13 bzw. 14 Jahre jung, führen vor Publikum souverän durch die 25-minütige Show und empfangen prominente Gäste, die sie zu Talk und Spielen einladen.
Der Castingshow-Gewinner Prince Damien, Tausendsassa Bürger Lars Dietrich, Kindermusik-Comedian Tom Lehel oder die jungen Kindermusik-Stars herrH und Nilsen sind nur einige der Stargäste, die im neuen „TanzAlarm Club“ ihr Rhythmusgefühl unter Beweis stellen. Ihre Songs finden sich (ebenso wie einige eigens für den TanzAlarm produzierte Stücke) auf diesem ersten Sampler.
Okay – die Zielgruppe sind Kids und Teens. Man darf also als Erwachsener von diesem bisweilen recht hektischen Musikmix genervt sein. Hauptsache es gefällt den zukünftigen kleinen Dance-Stars. Und für die ist es definitiv ein Album zum Mitgehen und Davongrooven.
Seit 28 Jahren schon hält Michelle die Fahne des deutschen Schlagers hoch. Ihr Fankreis ist immer noch groß – das zeigte sie im Frühjahr beim großen Schlagerfest in der Arena Trier und gestern in der (zwar kleineren aber stimmungsmäßig besseren) Europahalle. Präsentiert wurde das aktuelle Album „Tabu“, das schon im vergangenen Jahr erschienen ist. „Der Albumtitel passt perfekt zu dem, was ich heute bin und schon immer war. In den Augen anderer habe ich von Anfang an vermeintliche Tabus gebrochen. Für mich ist dieser Begriff nur ein anderes Wort für Ehrlichkeit, für Aufrichtigkeit.“ Mit diesen Worten leitete sie das Konzert ein und es ging gleich in die Vollen.
Eine große Leinwand und vier Tänzer beherrschten gemeinsam mit der Sängerin das Bühnenbild. Die Liveband war zu Beginn noch komplett im Hintergrund versteckt und sollte auch fast den ganzen Abend ein Schattendasein fristen – meist hinter den schwenkbaren Leinwänden. Bereits beim zweiten Song („Tabu“) wurde aus dem Sitzkonzert ein Stehkonzert. Kinder stürmten auf die Plätze vor der Bühne und Michelle lud gleich alle Zuschauer ein, nach vorne zu kommen, was eine kleine Völkerwanderung auslöste. Grenzwertig war das schon bei den gestaffelten Sitzplatzpreisen. Und es dauerte auch nicht lange, bis eine betagte Dame aus der dritten Reihe sich massiv wegen der Sichtbehinderung beschwerte. Letztlich stieg sie selbst auf ihren Stuhl – man konnte sehen: Es gibt für alles eine Lösung.
Die bestens gelaunte Künstlerin präsentierte sowohl geliebte Klassiker ihrer musikalischen Karriere, als auch neue Songs aus ihrem aktuellen Album. Michelle ließ den Zuschauern dabei keinen Moment Zeit, daran zu zweifeln, dass sie ein Powerpaket voller Lebensfreude und Leidenschaft ist. Auch die Tanztruppe hatte sichtlich Spaß und Michelle machte viele sportlichen Einlagen artistisch mit.
Das Töchterchen Mia wurde per Videobotschaft eingespielt und Michelle widmete ihr das Lied „Kleine Prinzessin“. Dazu lud sie kurzerhand alle Kinder aus dem Saal ein, zu ihr auf die Bühne zu kommen und den Song ganz nah mit ihr zu erleben. Den Titel „Hallo Tanja“ widmete Michelle ihrem „alter ego“ Tanja Gisela Hewer, so heißt die Sängerin nämlich mit bürgerlichem Namen, und beschrieb die zwei Seiten ihrer Persönlichkeit. Ein sehr nachdenkliches und ehrliches Lied. Zu „Traumtänzerball“ gab es eine Tanzeinlage zwischen Swing und Charleston – auch recht spannend im Schlagermetier.
Nach einer Stunde Konzertlänge gab es 25 Minuten Pause. Songs, wie „Ich tanz dich einfach weg“ und „In 80 Küssen um die Welt“ ließen das Publikum im Anschluss direkt wieder mitgehen. Nachdenklich und autobiographisch wurde es mit „Die Flügel meiner Ma“. Michelle sparte das Thema Tod nicht aus und lieferte dazu eine Pianoballade ohne jeglichen Schnickschnack, bei der man die stimmliche Stärke der Sängerin deutlich miterleben durfte. Für ältere Stücke wie „Erste Sehnsucht“ wurden akustische Arrangements in trauter Musikerrunde geschaffen.
Ein Highlight für manche Anwesende war sicher der Heiratsantrag, den der Zuschauer Kai für „seine Susi“ als Überraschung von der Bühne aus machen durfte. Zur allgemeinen Freude rief sie ein enthusiastisches „Ja“ in die Menge. Da das Konzert bereits zur schlagerfreundlichen Uhrzeit (18.00) gestartet war, stieg ab 20 Uhr die Mitsingdichte des Repertoires deutlich an. Es gab „Idiot“ aus der Zuschauermenge und für „Er hat dich nicht verdient“ wurde als Duettpartner Michelles Ex Matthias Reim per Video eingespielt. Das Publikum stimmte mit „Oh wie ist das schön“ seinen eigenen Chor an, bevor sich der Abend mit „Wenn ich was gelernt hab“ und „Paris“ dem Ende zuneigte.
Nach mehreren Kostümwechseln, zweieinhalb Stunden Show voller Energie, aber auch mit nachdenklichen und romantischen Momenten, bedankten sich eine sichtlich gerührte Künstlerin und ihre Band beim Publikum. Symbolisch schminkte Michelle sich noch auf der Bühne ab, um als letzten Song für ihre Fans „Es gibt dich“ zu singen.
Die ganze Welt ist voller Besserwisser. Und eigentlich gehört auch Till Burgwächter dazu. Der Journalist aus Gifhorn, der unter seinem bürgerlichen Namen auch für den „Metal Hammer“ schreibt, hat in den letzten Monaten gleich zwei Lektüren auf den Markt geworfen, die sich für das kurze Reinlesen zwischendurch eignen.
Im Juni erschien „Voll die Blamage“. Ein Buch, das recht hämisch von Blamagen und Peinlichkeiten berichtet. Es geht um diverse Fettnäpfchen, in die Promis und Privatmenschen, Politiker und Sportler, Ganoven und Künstler gerne mal voller Elan hinein treten – ob bewusst oder unbewusst, aus Dummheit, Bosheit oder Tollpatschigkeit.
Ich muss sagen, dass die Kapitel sich zwar unterhaltsam lesen, aber nicht immer meinen Sinn für Humor treffen. Zudem ist Tills Gedankenfluss oft doch zu konfus. Aber Schadenfreude ist bekanntlich die schönste Freude und so macht man sich ans Kopfschütteln und Fremdschämen – in der Hoffnung, dass sich solcherlei Kuriositäten stets in gebührender Entfernung vom eigenen Lebensweg abspielen.
Viel besser gefiel mir da die Lektüre von „Unter Besserwissern“. Hier geht es allgemein um bestimmte Personengruppen, die uns das Leben schwer machen: Eltern, Lehrer, Vorgesetzte, Partner, Kollegen und Bekannte. Ein Auszug:
„Egal ob in der fiktiven Welt oder im echten Leben, der Grad der Besserwisserei reicht bei den verschiedenen Delinquenten von leichter Klugscheißerei bis hin zum absoluten Größenwahn. Die erste Gruppe nervt, die letzte ist der ernsthaften Überzeugung, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein, und ist damit gefährlich. Unter diesen Leuten findet man nicht selten Diktatoren und andere Politiker, die mit ihren Entscheidungen ganze Weltreiche ins Wanken bringen oder der Meinung sind, als arbeitsloser Postkartenmaler mit einem kleinen mitteleuropäischen Land die Weltherrschaft erringen zu können, auch wenn ganze Kontinente dagegen stehen. Den Preis dafür zahlen die, die dem Besserwisser geglaubt haben. ›Der wird schon wissen, was er da macht‹, ist ein häufig gehörter Satz in diesem Zusammenhang. Diese Allesglauber sind das genaue Gegenteil von Klugscheißern; treffen beide zusammen, ist die Katastrophe vorprogrammiert. Irgendwer wird im April 1986 im Reaktor von Tschernobyl gestanden und gesagt haben, das wird schon gut gehen. Und ein paar andere standen daneben und haben genickt. Und zwar so lange, bis ihnen die Schädel vom Hals kullerten.“
Im Prinzip liefert Burgwächter einen (zumindest halbwegs) ernst gemeinten Ratgeber, wie man bestimmte Nervereien vermeidet. Egal ob Ärzte, Hausmeister, mit dem Flugzeug um die Welt reisende Umweltaktivisten oder irgendwelche Klugscheißer aus dem Werbefernsehen – sie alle bekommen, was sie verdienen: eine Idee um die Ohren geklatscht, wie man ihnen aus dem Weg gehen kann.
Zum Abschluss eines jeden Kapitels gibt es einen Lösungsweg, der deutlich macht, wie man sich effektiv gegen bestimmte Gattungen wehrt. Denn nur ein ungehörter Besserwisser ist ein guter Besserwisser. Ein vergnügliches Lesevergnügen für zwischendurch.
Das letzte Konzert des Holländers, das ich in Trier gesehen habe, war vor sechs Jahren in der atmosphärischen Reichsabteikirche St. Maximin. Da kann die Europahalle mit ihrem 70er-Jahre-Flair natürlich nicht mithalten. Trotzdem schaffte es der inzwischen 74jährige Singer, Songwriter, Violinist, Clown und Schriftsteller ohne Weiteres, schon mit wenigen Songs – ja alleine damit, über die Bühne zu tänzeln – sein Publikum in der ausverkauften Halle zu begeistern.
Das aktuelle Programm heißt (nach dem im Februar erschienenen aktuellen Album) „Neue Saiten“. Und es sind wahrlich viele Seiten und Saiten, die uns der Altmeister zeigt. Da sind zum Beispiel die musikalischen Saiten von Gitarre, Violine, Kontrabass, Harfe und Piano, die uns in wechselnder Besetzung nahe gebracht werden. Und es ist der gute Herman als Sänger, im Violinen-Duell, als Pianist, als Schauspieler (im ewigen Clinch mit seinem Bassisten), als Pantomime und nicht zu vergessen als Vorleser, an dessen Lippen das Publikum hängt.
Unsere junge Kollegin Hannah Kröll hat vor sieben Monaten einen wunderschönen Artikel zum Auftritt in Siegburg geschrieben, bei dem Herman schon das aktuelle Programm zum Besten gab. Das hat sie in so persönliche und lebendige Worte gepackt, dass ich dem gar nichts hinzufügen mag. Daher hier der Link zu ihrem Konzertbericht:
Meine eigenen Highlights will ich aber auch nicht verschweigen. Es sind die Momente, in denen der Holländer vom Tod erzählt, ohne dass dies die Zuschauer traurig stimmt. Denn er führt stets eine große Portion Trost mit sich. Es sind die Momente, in denen Herman Geschichten vorliest. Kleine Anekdoten, in denen er aus seinem Leben erzählt – von Familie, Persönlichkeiten und Begegnungen. Fast schade, wenn er den sonoren Erzählfluss mal wieder durch ein Lied unterbricht.
Definitiv lohnt sich die Investition in das „Programmheft“ für 7 Euro. Hier nämlich finden sich viele der Lebensweisheiten zum Nachlesen. Van Veen erzählt rührend von seinem ehemailigen Pianisten Erik van der Wurff, der in allen Tourstädten die Wege besser fand als der Taxichauffeur. „Das TomTom hätte man ErikErik nennen müssen.“ Oder vom Kreuz mit den Ärzten: „Wenn die Blumen im Wartezimmer deines Hausarztes tot sind, ist es Zeit, den Arzt zu wechseln“. Auch die homosexuelle Tochter muss als Aufhänger herhalten, um zu Toleranz und Friedfertigkeit aufzurufen.
Der Schriftsteller liest zudem aus seinem aktuellen Buch „Solange es leicht ist“, erschienen bei Droemer Kanur. Auch diese Auszüge sprechen dafür, dass diese Lektüre sich lohnen dürfte.
Aber zurück zum Konzert: Glänzend, wenn Herman in Socken über die Bühne tänzelt und im nächsten Moment den gebrechlichen Alten gibt. Er ist immer für eine Überraschung gut – egal ob er den langen Schuhlöffel als Pseudo-Trompete nutzt oder ein fröhliches „Tutti Frutti“ anstimmt. Nach 60 Minuten gab es eine Pause.
Im zweiten Teil überließ er die Bühne für lange Zeit seinen Instrumentalisten, die ja auch hervorragende Sänger sind. Edith Leerkes ist ohnehin eine Koryphäe und bestach mit Gitarre und Vocals. Jannemien Cnossen gab die hervorragende Einlage „Your Kisses“. Wieke Garcia (Percussion und Harfe) machte die Bühne mit stimmlichen Lautmalereien lebendig und Kees Dijkstra feierte ein rockiges Bass-Solo.
So nahm der Abend seinen Lauf und spätestens mit Van Veens überzeugender Opernparodie war die Stimmung im Publikum auf dem Siedepunkt. Pünktlich um 22.30 Uhr verabschiedete sich die orchestrale Truppe. es gab nur eine winzige Zugabe, aber das Publikum ließ nicht locker. Durch „Herman“- und „Edith“-Rufe holte man die Akteure zurück, als der Saal schon halb geleert war. Die abschließende Zugabe „Mein Freund und ich“ beschloss einen fantastischen Abend. Hoffen wir, dass Herman van Veen auch mit 76 oder 77 Jahren nach Trier zurück kehrt und dem Bühnenleben noch lange erhalten bleibt.
Carl Carlton ist ein Name, der immer wieder auftaucht, wenn auch meist nicht auf einem Albumcover. Vielmehr ist der Ostfriese fester Bestandteil der Bands von Udo Lindenberg, Peter Maffay, Wolfgang Niedecken und Westernhagen. Und das will was heißen, wenn diese Größen ihre Tourneen rund um die Verfügbarkeit von Carl Carlton planen.
Dieser Ausnahmegitarrist heißt bürgerlich Karl Walter Ahlerich Buskohl, wuchs auf einem Bauernhof auf und verließ mit 17 Jahren die ostfriesische Heimat Richtung Holland. Mit Bertram Engel und Pascal Kravetz gründete er die Band New Legend, später veröffentlichte er als Carl Carlton & the Songdogs vier Alben. Er arbeitete über lange Jahre mit Robert Palmer zusammen – bis zu dessen Abschlusswerk „Drive“, das für einen Grammy nominiert wurde.
In der vorliegenden Retrospektive wird seine Solozeit mit den Songdogs (2001-2008) behandelt. Zur wechselnden Besetzung gehörten unter anderem Musikergrößen wie Eric Burdon, Robert Palmer, Drummer Levon Helm und Organist Garth Hudson von The Band, Steely Dans Donald Fagen, Rolling Stones-Saxofonist Bobby Keys, Slide-Gitarren-Innovator Sonny Landreth, Moses Mo und Wyzard von Mother’s Finest, Faces-/Stones-Keyboarder Ian McLagan, der 5. Beatle Klaus Voormann, Blues-Genius Keb‘ Mo‘, Soul-Man Xavier Naidoo oder der Multi-Instrumentalist Larry Campbell.
Musikalisch geht es um authentischen und soliden Rock’n’Roll. Erdige Musik mit Einflüssen der großen Bands. „Flowers On The Wall“ kennt man aus dem Fernsehen, doch auch die übrigen Titel starten voll durch. Carlton bietet eine bunte Mischung, auch gerne mal im Reggae-Sound („Love, Understanding & Respect“ und mit Folk-Einflüssen („He Gave The Names“)
Zur aktuellen Band zählen neben den Mother’s Finest-Musikern Moses Mo (Gitarre) und Wyzard (Bass) noch Schlagzeuger Bertram Engel und Keyboarder Pascal Kravetz. Im Herbst 2019 gehen Carl Carlton & The Songdogs in dieser originalen Kernbesetzung auf Tournee – 20 Jahre nach ihrer Gründung und zehn Jahre nach ihrer letzten Tournee. „Reunion On Revolution Avenue“ lautet das Motto der 23 Konzerte in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Denn, wie Carl Carlton selbst sagt: „Wozu wäre all das gut, wenn wir unsere Musik nicht auf die Bühne bringen und mit unserem Publikum zusammen zelebrieren würden? Das Publikum ist genauso wichtig wie die Band und die Songs“.
Das auf 500 Stück limitierte und nummerierte Box-Set enthält insgesamt vier Vinyl-LPs im 180 Gramm-Format mit 35 Songs und individuell gestalteten LP-Covern. Das umfangreiche, mit unveröffentlichen Fotos ausgestattete Booklet offeriert neben verschiedenen Vorworten Carl Carltons persönliche und bisher unveröffentlichten Einblicke in die Entstehung aller Songs, die zudem von Fred Kevorkian in New York vollständig neu re-mastered wurden. Die auch separat erscheinende Doppel-CD sowie die ebenfalls einzeln veröffentlichte 7″-Vinyl-Single mit dem Amnesty International-Jubliäums-Song „Toast To Freedom“ und einem Cover des Buffalo Springfield-Hits „For What It’s Worth“ auf der B-Seite werden auch in diesem Set enthalten sein.
Auch auf ihrem fünften Album gelingt es Lindsey Stirling, sich wieder einmal selbst zu erfinden. Ziemlich schwierig, wenn man ein solches instrumentales Alleinstellungsmerkmal hat. Die E-Violine ist ihr Markenzeichen. Und dazu kommt die Show, die sie als junge Stargeigerin exorbitant zu vermarkten weiß. Ob es dabei auch Gesangseinlagen auf ihren Alben haben muss, bleibt dahingestellt. Es ist die Musik die zählt. Zunächst war Lindsey Puristin. Später kamen vermehr Vocals hinzu – von ihr selbst oder starken Gastsängerinnen. Mit dem neuen Werk rudert sie wieder ein Stück zurück und beschränkt sich auf zwei Features.
In hohem Maße von der Anime-Kunst inspiriert, erschuf Stirling ein albumübergreifendes Konzept rund um die Figur Artemis, die in der griechischen Mythologie als Göttin des Mondes gilt. Stirling erzählt die Geschichte der außergewöhnlichen Heldin, die den uns allen nur zu gut bekannten Kampf zwischen Licht und Schatten repräsentiert und zieht dabei Parallelen zu ihrem eigenen Leben, musste sie doch vor kurzem erst selbst in einer schmerzvollen dunklen Phase den Mut dazu aufbringen, sich wieder dem Licht zuzuwenden.
„Artemis“ bietet 13 Stücke im unverkennbaren Violine-meets-Elektro-Sound. An allen Songs hat Lindsey mitgeschrieben und bietet ein homogen gehaltenes Konzeptalbum, das eine musikalische Geschichte erzählt. Trotz der dramaturgisch zum Teil düsteren und stets emotionalen Geschichte herrscht eine optimistische Grundstimmung. Bestechend ist das schnelle Violinenspiel. Den Gesang würde ich persönlich nicht vermissen, auch wenn Amy Lee und Elle King einen gute Job machen.
Zur Zeit ist Lindsey auf großer Konzerttour und kann ihren Emotionen freien Lauf lassen – mit einem fantastischen Album im Hintergrund.
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Mit seiner Sendung „Sing meinen Song“ hat es Xavier Naidoo 2014 geschafft, vor allem für zwei Sänger einen großen Popularitätsschub auszulösen: Zum einen für Gregor Meyle, der danach in aller Munde war, aber noch mehr für Andreas Gabalier, der inzwischen die größten Stadien füllt. Das Image als Volksrock’n’Roller hat Gabalier zum Markenzeichen errhoben.
Musikalisch bietet er mit Rockmusik durchsetzte volkstümliche Weisen, wie wir das schon von den Zillertaler Schürzenjägern gekannt haben. Andreas Gabalier macht sein Ding aber noch eine Spur größer, hymnischer – und er verzichtet auf Anbiederungen. Dass er dabei nicht immer politisch korrekt ist, stößt manchen sauer auf. Ich würde ihn aber nicht in die populistische Ecke stecken, da er vieles mit einem Augenzwinkern tut. Vor allem mit Titeln wie „Hulapalu“ nimmt er sich genial gut auf die Schippe.
Andreas Gabalier hat viele Facetten. Er bietet ein breites Spektrum zwischen Humor und Nachdenklichkeit, lauten und leisen Tönen. Mal Macho, dann wieder Emo. „I sing a Liad für di“ funktioniert jederzeit als Ohrwurm und „Amoi seg‘ ma uns wieder“ kann vor allem mit dem autobiographischen Hintergrund zu Tränen rühren.
Das vorliegende Best-of-Album fasst die Karriere des Österreichers gekonnt in 20 Songs zusammen. „Verdammt lang her“ heißt der Opener – wenn auch zehn Jahre eine wirklich überschaubare Zeit sind. Sechs Alben sind in der Dekade entstanden, fast alle auf Nummer 1 in Österreich, die letzten beiden auch in Deutschland.
Neben der Standard CD wurde noch ein Package veröffentlicht, das auf einer DVD alle bisherigen Musikvideos beinhaltet. Als Schmankerl obendrein bereitet Electrola noch die ultimative Fanbox auf, Gabalier a la carte: alle bisher veröffentlichten Tonträger mit einem exklusiven Fotobuch.
Diese am 13.09.2019 erschienene Best-of ist nicht nur eine Rückschau. Sie schlägt den Bogen von „Da komm ich her“ bis heute, wohin es ein Andreas Gabalier geschafft hat.
Der schwedische Progressive Rocker Nad Sylvan, bürgerlich Hugh Erik Stewart, ist der breiten Musikwelt vor allem durch seine Tätigkeit in Steve Hacketts „Genesis revisited“ Projekt bekannt. Dort besticht er mit seiner Ausnahmestimme, die vor allem den alten Stücken der Kultband gut steht. Nad verfügt über eine enorme Ausdruckskraft und kann in unterschiedlichen Stimmlagen bestehen.
Auch solo ist der Gute äußerst aktiv und veröffentlichte zuletzt im Zweijahresrhythmus seine Alben bei InsideOut. Da waren schon einige Songperlen zu finden, vor allem auf dem 2017er Release „The Bride Said No“.
Das neue Werk „The Regal Bastard“ allerdings finde ich etwas enttäuschend. Das Album klingt ziemlich trist und man findet keine neuen Ideen. „I Am The Sea“ bietet in über sieben Minuten Länge einen sehr poppigen Start. Mit dem Aloha-Song „Oahu“ kann ich gar nichts anfangen. Danach wird es etwas besser: Vor allem der lange Titeltrack und das starke „Whoas (Always Been With You)“ wissen zu überzeugen.
Dann noch „Leave Me On These Waters“ mit Steve Hackett-Einschlag. Davon würde man sich mehr anhören.
Nad Sylvan hat eine Hammer-Stimme und er kann den 70er-Retro-Touch in seinen Vocals nicht verleugnen. Daher ist auch „The Regal Bastard“ kein wirklich schlechtes Album. Es sind halt die Songwriter-Qualitäten der alten Genesis-Recken, die ihm fehlen. Das sollte man ihm aber nicht zum Vorwurf machen. Das neue Album ist ein solides Solowerk des 60jährigen. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
Natasha Bedingfield eroberte Anfang des Jahrtausends mit Ohrwürmern wie „Unwritten“ oder „Soulmate“ die Charts. In den letzten Jahren hat man wenig von der britischen Sängerin und Songwriterin gehört, jetzt aber meldet sie sich mit ihrem vierten Studioalbum „Roll With Me“ zurück.
Den größten Wiedererkennungswert hat Natashas Stimme, die sich ihre Einzigartigkeit und Flexibilität bewahrt hat und die sich immer noch erstaunlich jugendlich anhört. Musikalisch ist die Songwriterin weitgehend der bewährten Mischung aus modernem Pop und R’n’B treu geblieben, wagt aber auch Ausflüge in andere Genres. Sehr erfrischend ist etwa der fröhliche Reggae-Titel „King of the World“. Für „Everybody Come Together“ hat sich Natasha die Rapperin Angel Haze ins Studio eingeladen, und „Can´t Let Go“ sowie „Sweet Nothing“ haben einen netten Retro-Touch.
Neben vielen tanzbaren Up-Tempo-Nummern gibt es auch ein paar Balladen, wie das wehmütige „Where We Going Now“ , das kraftvolle „I Feel You“ oder das soulige „Wishful Thinking“ – für mich einer der überzeugendsten Titel des Albums, auch weil Natasha hier so großartig mit ihrer Stimme spielt.
So eingängig wie ihre Hits sind die Songs des neuen Albums nicht, und beim ersten Hören bleibt kaum etwas im Ohr hängen. Man sollte „Roll With Me“ aber durchaus eine zweite Chance geben, denn viele Titel entfalten dann ihr Potential und überzeugen bei jedem Durchgang mehr. Klare Abzüge in der B-Note gibt es allerdings für das Booklet, das diesen Namen eigentlich gar nicht verdient. Eine Doppelseite mit den obligatorischen Infos zu den einzelnen Songs in mikroskopisch kleiner Schrift – da bietet die CD quasi keinen Mehrwert gegenüber einem reinen Download. Schade!
Anlass für unsere Review ist der Neu-Release des Ärzte-Kultalbums „Debil“ im Vinylformat. Der erste echte Longplayer des Punk-Trios aus Berlin, damals noch mit Sahnie am Bass, erschien erstmals im Jahr 1984 und wurde drei Jahre später indiziert. Erst 2004 gab es eine Wiederveröffentlichung, nachdem die Indizierung aufgehoben worden war.
Bereits im September 1982 spielten die Ärzte ihr erstes Konzert im „Besetzereck“, einem besetzten Haus in Berlin SO 36. Nach der Mini-LP „Uns geht’s prima“ sollte die Band für CBS zunächst eine EP aufnehmen, es wurde jedoch direkt ein komplettes Album. Innerhalb von nur acht Tagen hatten Bela B. (Dirk Felsenheimer), Farin Urlaub (Jan Vetter) und Sahnie (Hans Runge) die 13 Songs der LP im Studio eingespielt. Der Sound war laut, rau, frisch und unkonventionell, die Texte spontan, lustig, auch mal derb und stellenweise „aus Versehen“ tiefsinnig.
„Debil“ enthält Klassiker wie „Mädchen“ oder „Zu spät“, den heutigen Fanfavoriten „Roter Minirock“ und zahlreiche weitere zeitlose Songperlen. Und natürlich auch „Claudia hat ´nen Schäferhund“ und „Schlaflied“. Wegen dieser beiden Songs wurde das Album „Debil“ von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften mit der Begründung, die Lieder seien „sozialethisch desorientierend“, indiziert. Erst im November 2004 erfolgte die Aufhebung der Indizierung, weil den Liedern nun in einer Neubewertung eine „satirische Form“ attestiert wurde.
Am 13. September 2019 wurde das Album „Debil“ auf Vinyl (180 Gramm/schwarz) mit dem Originalcover und Downloadcode neu aufgelegt. Weitere Vinylausgaben in chronologischer Reihenfolge sind in Vorbereitung.
Was bleibt zu sagen? Natürlich muss man das Album als Fan der besten Band der Welt im Regal haben. Bademeister „Paul“, der Evergreen „Zu spät“, die auch nach 35 Jahren kultigen Index-Songs und natürlich Perlen wie „Mädchen“ und „Roter Minirock“… all das funktioniert heute wie am ersten Tag.
Thomas Thielen, der unter dem Kürzestkürzel t Ungooglebare, war zum ersten Mal beim Night of the Prog 2019 – nicht verwunderlich, ist t doch zum ersten Mal überhaupt auf Tour. Der Auftritt kann wohl als erfolgreich bezeichnet werden: Die Fan-Community des NOTP wählte ihn zum „Best New Act“ des Festivals, was nach 20 Jahren und 8 Alben vielleicht ein bisschen hinkt, aber den Künstler „unbändig freute“, wie er sagte. Wie t das ganze Drumrum selbst erlebt hat, lest ihr hier:
Vorneweg: Ich glaube, unser Auftritt war echt cool. Die Leute waren begeistert, meine Stimme war nach 3 Wochen Sinusitis trotzdem perfekt da (klassische Ausbildung hat Sinn, das merke ich live immer wieder!), die Band in Topform, das Publikum trotz unseres sehr melancholischen Sets voll dabei, teilweise pathetisch mitsingend, teilweise mucksmäuschenstill zuhörend.
Aber wer denkt, dass damit schon das Entscheidende berichtet wäre, war noch nie Musiker bei einem riesigen Festival. Die Musik ist natürlich zentral – aber viel krasser ist, eigentlich immer, das Drumherum. So auch bei uns.
Ich bin im Studio Perfektionist, legendary so, und dementsprechend ist auch t eine zwanghafte Live-Band. Dieser typische Rock N Roll passiert eher anderen. Beispiel? Da wir keine Ahnung hatten, wie gut das Monitoring vor Ort sein würde, hatten wir folglich unser eigenes System dabei, inklusive Tom Ronney als Tech, der es bediente und uns half, nix kaputt zu machen. Schließlich war das alles von Crystal Palace nur geliehen (Danke, Frank, Jens, Tom, Nils!), und wir… Naja, wir sind besser im Hören als im Einstellen. Wobei auch das nicht immer stimmt: Dominik an den Keyboards zB spielte einen großartigen Gig – ich hörte sehr ausgefallene, aber geschmackvolle, neue Linien in seinen Parts und war begeistert, dass er ausgerechnet bei diesem riesigen Gig so pointiert innovativ arbeitet!
Dom nicht. Sein Kopfhörer wurde wohl irgendwie vom Stagefunk beeinflusst und hatte längere Komplett-Aussetzer. Da unsere Ohrhörer ca 90% der Außengeräusche dämpfen, flogen die Keys also für ungefähr ein Drittel des Gig blind: Dominik erahnte anhand der Tasten, was er da spielte, aber seine Ohren hatten Pause. Dass seine Keyboards trotz Blindfluges in den Songs ohne Bruchlandung ankamen, ist nur für Leute erstaunlich, die Dominik nicht kennen. Ich vorne ahnte jedenfalls nichts und war selig.
Bei mir war mein Wirelesssystem für die Gitarre eine miese Idee. Erstens war die Chance, große Wege zu beschreiten, gar nicht so recht da, wie ich mir das vorgestellt hatte: mein Mikrofonständer hat ja auch auf großen Bühnen keine Flugvorrichtung, und irgendwas war immer zu singen oder am Pedalboard zu switchen. Und zweitens kam auch im Sender (2.4 Ghz? Nie wieder!) bei jedem Funkverkehr backstage ein Knistern in den Ton – so dass ich auf Kabel umstieg, sobald es ging. Lesson learned: Kabel sind bei Festivals die bessere Idee.
Aber sonst? Bühne geht eben immer. Ich habe nur Musiker, die besser sind als ich – was soll passieren? Naja… Also… Es passieren schon Dinge… Schauen wir ein bisschen zur Seite: Vor t spielte Tim Bowness, den ich vor allem von no-man sehr schätze („Together we re stranger“ ist ein riesiges Album!), und mit ihm am Bass kam John Jowitt, einer meiner großen Helden aus der Jugendzeit. Ich war ein bisschen nervös, muss ich zugeben, Tim und John zu treffen, ein bisschen Ehrfurcht und ein bisschen dümmliches Kichern wären backstage bestimmt im Spiel gewesen…
Aber es kam ein bisschen anders. Wie gesagt, t ist eine zwanghafte Band. Wir waren also schon um 10 vor Ort (Stagetime 16.30 Uhr) und um 11 war das komplette Setup fertig aufgebaut hinter der Bühne. Kann ja keiner ahnen, dass alles reibungslos klappt. Um 11.03 hörte das Reibungslose dann auch auf: Da klingelte dann mein Telefon Sturm. Ich hatte von ganz IQ, von John Jowitt, von Graham, Tims Stage Manager, und scheinbar allen, die sonst noch mit GEP oder Konsorten zu tun hatten, Nachrichten erhalten. Wtf?
Nun, John hatte am Abend zuvor mit IQ gespielt, als Aushilfe für den indisponierten Tim Esau, und anscheinend waren da alte Gewohnheiten wieder lebendig geworden: John hatte seinen kompletten Kram auf den IQ-Truck geladen, und als er nun aufwachte, fiel ihm auf, dass ihm für Tim Bowness‘ Auftritt irgendwas fehlte, genauer gesagt: Bass und Amp, Kabel und Tuner. Ach so, und: eine Hose. „Thomas, you don t happen to have a spare 5string?“ – Wir hatten. Und einen Amp. Und ein Kabel. Und einen Tuner, genauer gesagt: Graham lieh meinen immer wieder kurz aus (Clip, Thomann, 3,90 Euro) und lief auf die Bühne, um alles zu stimmen, was Saiten hatte und gerade nicht gebraucht wurde.
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Gerade für mich als Studionerd war die Organisation des zu erwartenden Chaos eines solchen Molochs beeindruckend. Wir erhielten Pässe, Essensmarken, Parkkarte, Parkplatz und… die Garderobe neben Nick Mason. Ich bin damit sozusagen fast Rockstar, finde ich, nur eben um eine Garderobe verfehlt, aber wir einigten uns in der Band drauf: Das gilt!
Auch die anderen Musiker waren phantastisch: Als Tim und John ankamen, waren die beiden einfach nur nette Jungs, Lazuli und t (lies: die Band) verstanden sich wieder mal grandios (und das lag nicht nur am, sagen wir, Zigarettenrauch, der so angenehm duftete), kurzum: das Miteinander mit Veranstalter und anderen Bands hinter der Bühne hätte nicht harmonischer sein können. Keine Missgunst, keine Arroganz, kein Schw…Vergleich – einfach nur pure Freude am Event. So saßen denn auch FORS und OVERHEAD und t stundenlang in wechselnder Besetzung in der Sonne und sinnierten über das Universum, die Musik und den ganzen Rest, und es ergaben sich Freundschaften und Verabredungen en masse.
Ich persönlich fand, auch vor dem Hintergrund, dass Backstage alles andere als Star-Feeling herrschte und ich die Proggies im Publikum online teilweise mehr als 1 Jahrzehnt kannte, die Idee, dass ich Autogramme im Signing Tent geben sollte, etwas absurd. Zwar hatte mich Tim Bowness mit einem netten „Ah, t, great albums“ begrüßt und mir ein ewiges Grinsen auf den Mund gezaubert, aber Autogramme? Ich wollte mir schon, zur Sicherheit, ein großes Schild umhängen („Ich war eben auf der Bühne und kann fehlerfrei schreiben!“), damit Leute auf die Idee kommen konnten, ich sei irgendwie dazu der Richtige.
Ich kam mir jedenfalls ziemlich blöd dabei vor. Unfug, wie sich rausstellte, denn tatsächlich hatte ich eine gute Stunde zu tun, bis alles unterschrieben und alle Selfies gemacht waren. „zu tun“ ist da natürlich fehlleitend: Ich habe es unendlich genossen, all die Menschen, die ich oft online schon lange „kannte“, persönlich zu treffen. Und es ergaben sich so viele nette Gespräche, dass ich erst 2 Stunden später wieder zurück im Backstagebereich ankam, um mit der Band das versprochene Kaltgetränk einzunehmen. In meinem Fall übrigens Pfefferminztee (ja, kalt, ach nach 2h)…
Überhaupt, die Menschen bei NOTP… was die t Konzerte bisher für mich so begeisternd machte, war die Bereitschaft des Publikums, unserem sehr melancholisch geprägten Set zuzuhören. Dass die Loreley da keine Ausnahme machte, das überraschte mich, ehrlich gesagt, ein bisschen. Aber es war von der Bühne aus ein unglaubliches Bild: All diese Menschen, und kaum einer redet rein oder holt mal schnell Bier, obwohl wir gerade in strahlender Hitze über die Atmosphären der Nacht sinnierten. Eine riesige Wertschätzung für die Musik selbst scheint das Festival zu umgeben, und das ist open air nicht die Regel, meiner Erfahrung nach. Für mich war das Verhalten des Publikums – ehrlich! – der Höhepunkt an einem sowieso grandiosen Tag.
Die Vorbereitungen im Backstagebereich waren durchwegs von großer Ruhe, zynisch-spitzem Humor und phantastischer Übersicht von „Büffel“, dem Chef hinter der Bühne, geprägt (ja, so stellte er sich vor). Ts Verkabelung ist absurd kompliziert, ich erspare euch Details, erwähne nur kurz, dass über Midi alle time Codes synchronisiert werden. Also: wir reden von mehreren Trilliarden Kabeln, die alle munter durcheinander verlaufen, von synthie zu laptop zu kemper zu basspedal zu Gesangseffektgerät und zurück zu Synthie… . Die haben wir natürlich minutiös beschriftet und vorbereitet – aber in 10 Minuten auf der Bühne bereit zu sein, das ist schon eine Herausforderung.
Dank Büffels Hilfe brauchten wir 7. Hinter der Bühne waren alle Instrumente und Kabel bereits gecheckt, auf rollenden Podesten aufgebaut und ausparkfertig platziert worden. Die größte Problematik bestand eigentlich nur darin, dass ich Dominiks Reisekoffer, der 2 Minuten vor Takeoff aus mir unerfindlichen Gründen offen vor den Keys auf dem Riser lag, noch schnell aus dem Weg räumen musste. Hätte andererseits dem Bühnenbild vielleicht aber auch ein bisschen Beckett gegeben!
Auf der Bühne war ich selbst mit zitternden Händen und hochkompliziertem Setup in 2 Minuten bereit. Soundcheck ist eh für Feiglinge… Also los ging s. Und wie gesagt: Ich glaube, es hat sogar ganz gut funktioniert.
Für uns, t und Band, war das jedenfalls eine grandiose Sache. NOTP als MUSIKER? Jederzeit.
Epilog: Was für die tolle Organisation und das großartige Miteinander in Winfried Völkleins Wohnzimmer, also oben auf dem Felsen, gilt, ist in Hotelzimmern oft ein bisschen anders. Als Musiker ist das aber nicht unwichtig, vor allem als Sänger: Ich hatte auf der Loreley mehr als 3 Oktaven zu besingen, und da sind guter Schlaf und präzise Vorbereitung zentral. Das wird ein bisschen schwierig, wenn man nachts ankommt und die Zimmer beziehen will, aber nicht finden kann… Wir hatten, genauer gesagt, 102, 201, 202 und 48. Auf die Nachfrage von Tour Managerin Tini, die mittags schon die Schlüssel abgeholt hatte, wurde uns gesagt, dass alle Zimmer im Haupthaus des Hotels seien, nicht etwa in den nahen Gästehäusern. Da standen wir dann, um 1 Uhr nachts, völlig erledigt, und suchten… 48 gab es scheinbar nicht, das Erdgeschoss ging von 1 bis 21. Im ersten Stock fanden wir 102 bis 122, der zweite Stock begann mit 201, 202, 203… Also liefen wir doch rüber zu den anderen Häusern, kamen dort aber nicht rein und irrten durch die Straßen, hoffend, dass in der Herberge doch noch Platz sein würde. Inzwischen kamen schon Pläne auf, die mit Rückbänken zu tun hatten – da fanden wir doch noch die 48. Natürlich dort, wo sie hingehört: Zwischen 212 und 214. Wir Trottel.
Danke, lieber Thomas, für diesen Bericht! Nähere Infos zu t und seinen Veröffentlichungen findet ihr HIER: www.t-homeland.de / Ach ja: NIGHT OF THE PROG 2020 steigt vom 17. bis 19. Juli 2020. Infos und Tickets gibt’s HIER: www.nightoftheprogfestival.com
Das Thema Krebs kann sehr beängstigend sein – vor allem, wenn die Krankheit Kinder trifft. Sonja Marschall, die selbst erst dieses Jahr ihr Abitur gemacht hat, begegnete dem Thema, als eines ihrer Babysitter-Kinder erkrankte. Dabei musste sie feststellen, dass es kein wissenschaftlich fundiertes Kinderbuch über Krebserkrankungen gab, und beschloss, selbst eines zu schreiben.
„Lotte und die Chemo-Männchen“ erzählt die Geschichte der kleinen Lotte, die eines Abends seltsame blaue Flecken auf ihren Beinen entdeckt. Mama fährt am nächsten Tag mit ihr zum Kinderarzt und der findet in ihrem Blut etwas, was da nicht hingehört und schickt sie ins Krankenhaus. Hier müssen noch einige Untersuchungen gemacht werden, aber dann ist klar, dass Lotte Blutkrebs hat. Um die Krebszellen – die schwarzen Bausteine, wie sie im Buch genannt werden – wieder verschwinden zu lassen, braucht Lotte die Hilfe der Chemo-Männchen, die wie Bauarbeiter in ihrem Körper aufräumen.
Einfühlsam, für jüngere Kinder gut verständlich und von Sonja Kurzbach anschaulich illustriert wird hier die Krankheit Krebs erklärt und wie man sie behandeln kann. Dabei wird nichts verniedlicht und beschönigt; auch die unangenehmen Seiten der Behandlung werden beschrieben und die Belastungen für die anderen Familienmitglieder. Es wird auch nicht verschwiegen, dass Krebs oft ein tödliche Krankheit ist: Bei Marc, den Lotte im Krankenhaus kennenlernt, sind die schwarzen Bausteine so stark, das die Chemo-Männchen nichts mehr ausrichten können und er sterben muss. Für Lotte aber geht die Geschichte gut aus – sie kann am Ende mit ihrer Familie und ihren Freunden feiern, dass sie wieder gesund ist.
Der jungen Autorin ist mit „Lotte und die Chemo-Männchen“ ein wirklich beeindruckendes Kinderbuch gelungen, das eine große Hilfe sein kann, wenn Kinder und ihre Angehörigen und Freunde mit der Krankheit Krebs konfrontiert werden.
Die Pixies sind eine Legende. Da gibt es wohl keine zwei Meinungen. In den 80er Jahren gehörten sie zu den einflussreichsten und innovativsten Vertretern des Indierock und produzierten vier genreprägende Alben am Stück. Zwischen 1993 und 2003 gönnte sich die Band eine Pause und es dauerte geschlagene weitere elf Jahre bis 2014 mit „Indie Cindy“ ihr erstes Studioalbum seit mehr als zwei Dekaden erschien. Ein Album, das nicht mehr war als eine Mogelpackung und ihren Kultstatus stark ins Wanken brachte (hier findet ihr unser Review). 2016 veröffentlichte das Quartett um Mastermind Black Francis ein weiteres Album namens „Head Carrier“, das ich mir vor lauter Enttäuschung gar nicht erst anhörte. So verspürte ich bei der Ankündigung von „Beneath The Eyrie“ neben leiser Vorfreude auch Angst. Würde ihr siebtes Studioalbum uns wieder miteinander versöhnen? Begleitet wurde die Veröffentlichung von einer 12-teiligen Podcast-Serie mit dem Titel „It’s A Pixies Podcast“ und drei gewohnt skurrilen Videos zu den Vorab-Singles „On Graveyard Hill“, „Catfish Kate“ und „St. Nazaire“.
Auf „Beneath The Eyrie“ gibt es zwölf neue Songs zu hören und was soll ich sagen? Einer genialer als der andere. Produzent Tom Dalgety hat grossartige Arbeit geleistet und die Pixies der 80er Jahre ins Hier und Jetzt katapultiert. Dabei hat er sie ganz nebenbei noch einer Frischzellenkur unterzogen, die „Beneath The Eyrie“ zu einem der besten Alben dieses Jahres macht. Ach was sage ich? Zu einem der besten Alben aller Zeiten. Der Opener „In The Arms Of Mrs. Mark Of Cain“ beginnt mit einem Klopfen, in das die Gitarre und ein dramatisches Tremolo einfallen. Ein ebenso spannender wie rockiger Einstieg. Was folgt ist eine vertonte Sammlung von Erwachsenenmärchen über Hexen, Daniel Boone, namenlose Sonderlinge und andere Außenseiter.
Da gibt es Anleihen im New Wave („On Graveyard Hill“), wunderbar dreckige, dahin gerotzte Alternative-Nummern („Ready For Love“) und natürlich jede Menge Indierock vom Allerfeinsten („Silver Bullet“ oder „Long Rider“). „This Is My Fate“ begeitet uns auf unserem nächtlichen Weg von der Kneipe nach Hause und taumelt vollkommen betrunken aber fröhlich neben uns her. In „St. Nazaire“ reiten wir mit einem völlig ausgeflippten Black Francis – an dessen Gesang man sich immer wieder neu gewöhnen muss – und einem durchdrehenden Pferd einmal quer durch den Wilden Westen in der Kulisse eines frühen Tarantino-Films. Einfach göttlich!
Zwischendurch gönnt uns die Band kurze Verschnaufpausen, etwa mit dem lieblichen „Bird Of Prey“, in dem Francis mehr spricht als singt, dem mitreißenden Sing-A-Long „Catfish Kate“ oder der liebevollen Ode „Daniel Boone“. Als Ausklang der Reise durch den schrägen Pixies-Kosmos werfen sie uns dann noch den beschwingten Country-Abklatsch „Death Horizon“ zu, den wir gekonnt auffangen, vorsichtig zu den anderen elf Albumperlen legen und dann mit „In The Arms Of Mrs. Mark Of Cain“ wieder von vorne anfangen.
Und selbst wenn wir mal genug von dem Album haben sollten (was ich nicht glaube), bleibt „Beneath The Eyrie“ in unserem Unterbewußtsein hängen, ein wenig verstörend und kopfkinohaft, aber auch vertraut und vor allem überirdisch gut. Das sind die Pixies wie wir sie kennen und lieben. In meiner Welt haben sie sich damit ihr Denkmal wieder aufgebaut. Nein, sie haben es sogar vergoldet. Für dieses fulminante Comeback kann es nur die Höchstwertung geben. Parallel zur Albumveröffentlichung werden die Pixies auf einer ausgedehnten Tour zu erleben sein, die sie nach mehr als zwei Jahren auch wieder nach Deutschland führt. Hier die Termine: