„Früher war jede Show 20 Kilometer von Ibbenbüren entfernt schon ein absolutes Highlight für uns. Es wurden Schnittchen vorbereitet und dann ging die Reise los“ – zwischen dieser Aussage von Ingo Donot und dem besagten „früher“ liegen mittlerweile 30 Jahre. Und in denen ist unglaublich viel passiert. Aus einer Scheune in Ibbenbüren ging es hinaus in die weite Welt, Konzerte als Headliner oder im Vorprogramm von namhaften Bands in etlichen Ländern folgten. Mit ihrem handgemachten Punkrock, einer klaren Haltung und ihrer bodenständig grundsympathischen Art gewinnt diese Band seit 30 Jahren Fans. Und auch musikalisch geht es seit 1994 eigentlich nur bergauf. Die Entscheidung, 2015 deutschsprachig weiterzumachen, hat den Donots nicht geschadet, im Gegenteil.
Was die Band aber vor allen Dingen ausmacht, ist ihre unglaubliche Live-Präsenz. Eben dies zeigte das Quintett beim ausverkauften Birthday Slam, der zuvor schon in diverse andere Städte führte. Während der Mittwoch im Sonic Ballroom als kleine, schwitzige Clubshow aufwärmte, gab es am Donnerstag dann das große Konzerterlebnis im Kölner Palladium.
Es lässt sich kaum besser zusammenfassen als damit, dass die Band – wie immer – schlichtweg abgeliefert hat. Die größten Hits (wie „So Long“, „Stop the Clocks“, „Whatever Happened to the 80s”) wechselten sich mit diversen aktuelleren Songs ab. Und ebenfalls „wie immer“ kam auch der Spaß nicht zu kurz. Die Ibbenbürer sind bekannt für spontane Ideen und setzen diese auch fast immer um. Man erinnere sich nur an den kurzfristigen zusätzlichen „Überraschungs-Auftritt“ bei Rock am Ring 2024. In Köln nun, wo Sänger Ingo mehrere Jahre lebte, setzen die Donots ganz auf die Spontanität der Stadt: „Gemeinsam“ wurde ein kurzer Song kreiert, schließlich „singen die Kölner doch ohnehin immer alles mit“. Lyrics gefälligst? „Sag mal Köln geht’s euch gut?“ – „Nein Donots, uns geht’s besser“ – „Ist das der beste Tag im Jahr?“ – „Na klar, na klar“. Paar Mal wiederholen, zack, Hit. „Funktioniert in jeder Geschwindigkeit und in jedem Genre“, freute sich Ingo und probierte gleich eine Metal- und Reggae-Version aus. Fazit: Klappt – und ganz Köln singt mit.
Während andere Bands ihre Fans irgendwann auffordern, sich hinzusetzen und passend zum Breakdown aufzuspringen –setzen sich Donots-Fans von selbst und „rudern“ gemeinsam zu „Stop the Clocks“. Weitere Donots-Schnapsidee gefälligst? Bei den Birthday-Slams wurde ein großer Beamer aufgebaut. Was also läge ferner, als die große Leinwand zu nutzen, um Mario Kart zu spielen? Die Idee sollte schon in Wiesbaden umgesetzt werden, „aber das Bluetooth-Signal war nicht stark genug“. Dass Ingo sich an irgendeinem Zeitpunkt ins Publikum bewegt, ist nicht ungewöhnlich, dass er dabei auf der Suche nach Gegner*innen bei Mario Kart ist, ist es schon eher. Ganz funktioniert hat es dann allerdings auch in Köln nicht, dem Spaß hat es keinen Abbruch getan.
Noch dazu hatten die Donots hervorragende Gäste mit dabei. Mit Heisskalt – just wiedervereint, um Bassistin Lola verstärkt und einem neuen Album in den Startlöchern (Release-Konzerte am 24. Januar in Sindelfingen und am 25. Januar in Köln) – und den Pop-Punkern von Itchy wurden die Fans schon vor dem Mainact ordentlich aufgewärmt.
Rundum für Fans wie Bands sicherlich ein hervorragender Birthday-Slam, der Lust auf mehr macht. Für die Donots ist jedenfalls noch lange nicht Schluss. Schon jetzt gibt es erste Infos über die geplanten Festival-Shows 2025. Unter anderem treten sie am 21. Juni in Trier beim Porta Hoch Drei direkt vor dem Wahrzeichen der Stadt auf.
Erst vor wenigen Tagen hat die Berliner Punkrock-Band Milliarden ihr viertes Studioalbum „Lotto“ veröffentlicht; letztes Jahr wurde zehnjähriges Bandjubiläum gefeiert. Was bei Ben Hartmann (Gesang, Gitarre) und Johannes Aue (Piano) gleich bleibt: Die Songs sind immer etwas kantig, der Gesang erinnert immer etwas an Rio Reiser, die Lyrics teils sehr deutliche Aussagen, teils ist es eine Aneinanderreihung, die wohl vor allem Menschen verstehen, die dabei gewesen sind.
Tut dem ganzen aber keinen Abbruch, denn Milliarden live zu erleben ist schon ein Brett, auch wenn das neue Album vielleicht noch ein bisschen Zeit zum Reifen benötigt. In der Kantine Köln jedenfalls ist die Stimmung ausgelassen – zumindest bei den älteren Songs.
Abgesehen von „Betrüger“ startet der Gig mit vier neuen Songs, richtig los geht die Party daher erst ab „Katy Perry“. Für die nächsten Lieder wird vor und auf der Bühne getanzt, geschwitzt und gemoshed. Kurze Verschnaufpause dann zwischen „Deine Musik“, „Ach Andi Ach“ und dem ruhigeren „Himmelblick“, bis es dann wieder Vollgas heißt bis zum Ende des 16-stückigen Hauptsets.
Drei Songs gibt’s als Zugabe, bevor es wieder hinausgeht in die Novembernacht. Tatsächlich wirkt „Lotto“ ruhiger als die vorherigen, der große Ausbruch bleibt häufig aus, der Ohrwurmcharakter präsentiert sich nicht ganz so stark. Oder wie einer der Zuschauer meint: „Langweiliger geworden seid ihr mit ‚Lotto’“, nachdem Hartmann kurz einiges zum Hintergrund berichtete.
Neben Lobeshymnen und seligen Erinnerungen an vorangegangen Kölner Konzertabende kommt bei Milliarden auch ein gewisser politisch-gesellschaftskritischer Kommentar nicht zu kurz. Ben Hartmann stellt dabei unter anderem fest, dass er keinem seine eigene Meinung aufdrücken wolle, und bei allen Menschen, egal welcher Auffassung, eine gewisse „Diskursbreite“ sucht. „Dann lächele ich gern jeden an, gehe auf ihn zu, versuche ihn zu verstehen, wie er mich zu verstehen sucht.“
Doch in letzter Zeit werde dies immer schwieriger, immer häufiger funktioniere es überhaupt nicht mehr. „Was bleibt ist Ohnmacht und ich bemerkte: Inzwischen lächele ich nicht mehr bei jedem, sondern schaue oft auch einfach weg.“ Damit dürfte der Musiker vielfach auf Zustimmung stoßen. Zumindest für die fast zwei Stunden Konzertdauer konnte aber zumindest teilweise ein Teil der aktuellen Sorgen und Ängste draußen bleiben.
Vorband war der kurzfristig eingesprungene Kölner Musiker AF, ebenfalls deutschsprachig unterwegs und nicht ganz so rotzig wie Milliarden, dennoch eine gute Wahl als Einstimmung für den restlichen Abend.
Setlist MILLIARDEN
1. Das erste Mal
2. Sag nie die Wahrheit
3. Betrüger
4. Mantel
5. Psychose
6. Katy Perry
7. Wenn ich an dich denke
8. Rosemarie
9. Wir haben es versucht
10. Im Bett verhungern
11. Milliardär
12. Deine Musik
13. Ach Andi Ach
14. Himmelblick
15. Fürcht’dich nicht
16. Freiheit ist ne Hure
17. Oh Chérie
18. Kokain und Himbeereis
19. Berlin
Zugabe
20. Schall und Rauch
21. Halt mich fest
22. Sternenflimmern
Club-Shows haben immer wieder etwas Besonderes. Die Künstler*innen sind näher, das Erleben ist intensiver, die Fans (oft) etwas herzlicher und familiärer. Umso schöner, im Düsseldorfer Haus der Jugend eine Band begrüßen zu dürfen, die mit einer Mischung aus Alternative Indie, Post Hardcore und Post Rock schon seit 2016 von sich reden macht: Kind Kaputt.
Den Anfang jedoch macht die Female Fronted Punkrock-Band Burn Juniper. Die Combo gibt es erst seit 2023, doch die Live-Präsenz ist deutlich zu spüren. Den Raum verlassen haben zumindest die wenigsten, was Sängerin Jasmin augenzwinkernd in einer der Ansagen feststellt. Es wird ein solides Set geliefert, die Kopfnicker sind auf ihrer Seite, auch wenn größere Interaktion ausbleibt – das wird allerdings in erster Linie an der Unbekanntheit der Band liegen.
In der Umbaupause wird aus der während Burn Juniper doch recht gut gefüllt wirkenden Bühne – mit Verstärkern, Kabeln und Boxen – eine recht spartanische Angelegenheit. Statt das Schlagzeug mittig im Hintergrund zu platzieren, nimmt Drummer Mathis Kerscher in der rechten Bühnenhälfte Platz; mit Blickrichtung zu seinen beiden Kollegen. Johannes Prautzsch (Gesang, Gitarre) und Konstantin Cajkin (Gitarre) treten mit schlankem Equipment auf – das aber einiges in sich bereithält. Sänger Johannes spielt schließlich Bass und Gitarre auf einem Instrument. Wie genau das geht, verriet er 2023 in einem Interview mit Bass & Gitarre (https://www.gitarrebass.de/stories/kind-kaputt-im-interview/)
In dichten Nebelschwaden verschwindend startet das Trio mit dem ersten Song „Glücklich sein“. Direkt von der ersten Silbe an zeigt sich das Publikum textstark – und wird es auch für den Rest des Abends bleiben. Das zeigt sich besonders deutlich bei „Gründe“: Kurz vor dem Refrain stoppt die Band kurz – und das Publikum übernimmt einfach lautstark den Gesang. Man sieht den Musikern förmlich an, wie die Kinnlade runterklappt; damit hatten sie nicht gerechnet. Doch die positive Überraschung zaubert nur ein noch dickeres Grinsen auf die Gesichter der Drei. Kurz zuvor durften sie verkünden, dass sie erstmals in der Bandgeschichte eine Headliner-Show im Vorverkauf ausverkauft haben.
Das Publikum dankt es mit einer großen Sause vor der Bühne, inklusive Moshpit und allem, was dazugehört. Kind Kaputt kann man musikalisch wie thematisch ohne großes Zögern mit Bands wie Heisskalt, Sperling oder Fjørt in eine Schublade werfen, wenngleich etwas poppiger. Tiefgehende, melancholische Texte mit einem Funken Hoffnung treffen dabei auf atmosphärisch dichte Klänge. Für „Leichter“ wird die Akustik-Gitarre inklusive Mundharmonika ausgepackt, um „mal was Neues auszuprobieren“. Höhepunkt des Abends ist sicherlich „Wasser“, vorletzter Song im Set, bei dem die von Johannes per Handbewegung erwünschte Wall of Death den kompletten Raum vereinnahmt – ein runder Abschluss für einen emotionsgeladenen Abend.
Setlist KIND KAPUTT am 8.11.24 im Haus der Jugend, Düsseldorf
1. Glücklich sein
2. Bleiben
3. Gegen Dich
4. Gründe
5. Anfang & Ende
6. Schwertschlucken
7. Nadel
8. Schuld
9. Stolpern
10. Leichter(Acoustic)
11. Wartezimmer
12. Wir bleiben hier stehen
13. Vergessen
14. Alles erreichen
Eines vorweg: Dieser Text kann nicht neutral geschrieben werden. Seit 2010 begleitet mich Frank Turner mit seiner Musik und seither ist kaum ein Jahr vergangen, in dem ich nicht auf ein, zwei oder mehr Konzerten von ihm war. Dafür bin ich teils auch weit gefahren, unter anderem war ich 2017 in Nancy, 2019 in London und 2022 bei seinem eigenen Festival „Lost Evenings“ in Berlin – mit vier Frank-Turner-Konzerten hintereinander.
Auch heute noch reißt mich der Brite bei seinen Live-Shows vom Hocker und entsprechend hat er in Köln am vergangenen Sonntag das komplette Palladium zum Beben gebracht. Ja, das ist ein generischer Satz, ja, ich habe mich gerade als Fan-Girl geoutet. Aber: Ich bin auch auf vielen Konzerten und nur sehr selten erlebe ich es, dass bis in die letzte Reihe hinein lauthals mitgesungen, gehüpft und getanzt wird und die Leute einfach eine richtig gute Zeit haben. Und damit meine ich nicht nur ein paar Fans, sondern wirklich die meisten.
Das mag an den zwei Regeln liegen, die es auf Frank Turner-Konzerten gibt: „Rule Number 1: If you know the lyrics, please sing along“. „Rule Number 2: Take care of each other and don’t be a dickhead“. Es funktioniert. Eigentlich immer. Ab und an gibt es trotzdem ein paar “dickheads”, aber Turner hat auch schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass er das Publikum durchaus im Blick hat und in Notfällen interveniert. In Köln war das glücklicherweise nicht notwendig.
Dieses Konzert jedenfalls war Nummer 2958 auf Turners Liste und auch wenn er eigentlich keinen Anlass benötigt, um auf Tour zu gehen, stand diese doch im Zeichen seines aktuell erschienenen, zehnten Albums „Undefeated“. Konzert-Müdigkeit merkt man ihm und der Live-Band „The Sleeping Souls“ (die übrigens auch abseits von Turner unter diesem Namen aktiv ist) überhaupt nicht an. Die Ansagen wirken von Herzen, die Anekdoten, obwohl schon x-Mal erzählt und gehört, nicht abgedroschen.
Dabei gönnt Frank Turner über weite Strecken der Show weder sich, dem Publikum noch der Band eine Pause. Oft geht ein Song in den nächsten über, manchmal wird mit oben angesprochenen Ansagen eine kurze Verschnaufpause eingelegt. Traditionell gibt es etwa zur Hälfte eine kurze Solo-Einlage mit einigen ruhigeren Songs, bevor alle wieder Vollgas geben – bis zum Ende.
Neben neueren Songs (die von vielen noch verinnerlicht werden müssen, so mein Eindruck) wie „No Thank You for the Music“ oder „Ceasefire“ (insgesamt sieben „Undefeated“-Songs) kann Turner aus einer langen Liste an Werken wählen. Klassiker durften dabei nicht fehlen, etwa „Photosynthesis“, „I Still Believe“ oder „If I Ever Stray“, aber auch seltener gespielte Songs wie „Redemption“. Insgesamt beinhaltete die Setlist 25 Songs.
Es ist nun nicht so, als wäre ein Turner-Konzert eine Tüte voller Überraschungen. Meist weiß man, was einen erwartet und vielleicht ist genau das etwas, was auch nach so vielen Jahren immer noch ein wohlig-warmes Gefühl vermittelt: Das Wissen, mindestens anderthalb bis zwei Stunden energiegeladene Musik von einem Typ mit Gitarre zu bekommen, der eigentlich immer auf Tour ist. Mit Songs, die von banalen Sing-Alongs hin zu Lebensweisheiten reichen und die so sowohl ein dickes Grinsen ins Gesicht zaubern können, als auch die ein oder andere Träne hervorrufen mögen. Nächstes Jahr im Februar ist Konzert Nummer 3000 in London im Alexandra Palace geplant, die Show ist schon längst ausverkauft. Zwischendurch geht es für Frank Turner nach Vietnam, Mexiko, durch Europa und nach Australien. 2025 im Sommer wird er noch auf einigen Festivals, auch in Deutschland, spielen, aktuell kommen verschiedene Bestätigungen rein (Vainstream, Deichbrand). Es lohnt sich, diesen Mann, auch nach 20 Jahren Frank Turner (solo), weiter im Auge zu behalten.
Als Support war die britische Folk-Punk-Band Skinny Lister mit dabei – ebenfalls seit 2009 schon unterwegs und live immer ein Erlebnis wert. Einziges Manko: Ist man nicht allzu sehr mit dem Oeuvre der Band vertraut, können die Songs rasch etwas austauschbar klingen. Als Vorbereitung am Sonntagabend war es trotzdem eine gute Wahl.
Ivo Martin war am 6. September 2023 auf „Weit Weg Tour“ im YUCA Köln. Das ausverkaufte Songwriter-Konzert erreichte viele junge Mädels im Publikum, die textsicher mitsangen. Ivo spielte auch eine Reihe unveröffentlichter Songs. Seht hier unsere Konzertfotos.
Am zweiten Augustwochenende fand die 23. Ausgabe des saarländischen Festivals statt. Neben Dauergästen wie Donots und Frank Turner beehrten auch Electric Callboy, Tokio Hotel, Sido und Peter Fox die Sauwasen bei Püttlingen.
Gefühlt das halbe Saarland inklusive des Umlandes findet sich Anfang August auf den Wiesen rund um den kleinen Ort Köllerbach in der Nähe von Püttlingen ein. Das mag ein wenig übertrieben sein, aber auch 2023 kamen rund 25.000 Menschen zu dem mittlerweile 23. Rocco del Schlacko. Drei Tage lang – von Donnerstag bis Samstag – wird hier auf dem Campingplatz und vor den Bühnen gefeiert. So viel sei vorab schon gesagt: Die Begeisterung für das saarländische Festival scheint auch weiterhin anzuhalten. Die ersten 5000 Tickets für 2024 waren innerhalb kurzer Zeit direkt nach dem Ende des Festivals schon ausverkauft, obwohl noch keine Band für die kommende Ausgabe feststehen.
Allgemein sprechen die Veranstalter von einem gelungenen Festival und auch Polizei und Rettungsdienst hatten überschaubar viel zu tun. Lediglich ein Zwischenfall am Freitag führte zu schwereren Verletzungen: Zwei Männer wurden nach einer Gaskartuschenexplosion auf dem Campingplatz mit Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert.
Abseits dessen steht bei Festivals die Stimmung im Vordergrund. Die Saarländer wissen offenbar zu feiern, denn sowohl während der Konzerte als auch auf dem Zeltplatz war diese ausgelassen. Die Veranstalter setzen dabei seit jeher auf einen ausgewählten Musikmix. Dabei muss sich das Rocco del Schlacko schon seit vielen Jahren nicht hinter anderen Festivals verstecken, denn auch große Namen lassen sich hier blicken.
Von Metal über Rock und Pop bis hin zu Hip-Hop ist so ziemlich alles vertreten und über den Zeitplan hinweg ebenfalls ordentlich durchmischt. Da folgte dann am Donnerstag auf die Punkrock-Veteranen von Zebrahead harter Metalcore von While She Sleeps aus UK. Das mündete in eine ausgelassene Party der Metal-Trance-Core Combo Electric Callboy aus Castrop-Rauxel. Die Band wird derzeit als eine der angesagtesten Livebands gefeiert, mit ausverkauften Tourneen in Europa sowie demnächst in den USA und Australien. Die Show bietet aber auch alles, was man sich wünschen kann: tanzbare Ohrwurm-Songs mit Mitsing-Charakter, Pyrotechnik und Konfettiregen gepaart mit sympathischen Musikern, die das Publikum voll in der Tasche haben. Kontrastreicher ging der Festivaldonnerstag dann mit Marteria zu Ende, der von vielen Fans ebenfalls ausgiebig und bis kurz vor Mitternacht gefeiert wurde. Wer danach immer noch nicht genug hatte, konnte auf der Ponyhof-Bühne mit Deine Cousine und Me First & the Gimme Gimmes bis tief in die Nacht weiter tanzen.
Das Wetter spielte sowohl am Freitag als auch am Donnerstag ordentlich mit, das Thermometer kletterte insbesondere freitags auf bis zu 30 Grad. Entsprechend staubig war dann auch die Angelegenheit vor den Bühnen: Mit Van Holzen, Rikas und Fjørt hatten drei Bands aus Deutschland zunächst das Vergnügen, auf der Hauptbühne zu spielen und die ersten Gäste zum Tanzen aufzufordern. Ordentlich füllte sich dann der Raum spätestens zum Auftritt von Frank Turner & The Sleeping Souls. Der Brite unterstrich erneut seine Live-Qualitäten und überzeugte das anwesende Publikum mit einer Mischung aus Folk-Punk-Rock, eine gute Stunde lang ausgelassen mit ihm zu feiern und zu tanzen. Dabei handelte es sich nicht um Turners ersten Auftritt beim Rocco del Schlacko, vielmehr ist er ein gern gesehener Gast. Den Gig nutzte er unter anderem, um seine Deutschkenntnisse zu erproben, was ihm sicherlich einige Sympathiepunkte zusätzlich einbrachte. Danach ging es mit Sido und Deutsch-Rap weiter – dabei mag sich das Publikum etwas verändert haben, der Stimmung tat es jedoch keinen Abbruch.
Nach Sidos Set folgte deutschsprachiger Punk-Rock: Die Broilers aus Düsseldorf hatten den Weg ins Saarland gefunden. Die Band spielt jährlich viele Konzerte vor großem Publikum, etliche sind ausverkauft und auch das Rocco del Schlacko feierte ausgelassen mit. The Subways (ebenfalls Dauergäste beim Rocco) und die Hip-Hop-Band 01099 beschlossen den Freitag dann auf dem Ponyhof.
Schon am Vorabend wurde über die Leinwände davor gewarnt, die Zelte und Pavillons entsprechend zu sichern, da für die Nacht Regen und stärkerer Wind angekündigt war. Tatsächlich kam es vor allem auf den Parkplätzen zu schwierigeren Situationen: Der Regen hatte die Erde in jede Menge Schlamm und Matsch verwandelt, viele Fahrzeuge hatten dadurch Probleme, wieder wegzukommen. Für viele war das aber erstmal ein Zukunftsproblem, schließlich stand der letzte Festival-Tag noch bevor. Glück im Unglück: Auf den Campingplätzen hielt sich der Schlamm ebenso wie auf dem Festivalgelände selbst in überschaubarem Ausmaß. Dreckig wurde man zwar, aber Einschränkungen gab es durch den immer wieder tagsüber vereinzelt fallenden Regengüsse keine.
Daher wurde am Samstag fleißig weitergefeiert: Mit Blond und Schmyt sowie einem Highlight aus den frühen 2000er Jahren, Tokio Hotel. Kreischalarm war da immer noch angesagt. Dabei spielte die Band zwar zum Abschluss auch den größten Hit „Durch den Monsun“, legte beim Set jedoch den Fokus auf die neueren, poppig-elektronischeren Lieder. Es folgten: Die Donots als Co-Headliner und mit dem inzwischen neunten Auftritt beim Rocco del Schlacko. Die Band aus Ibbenbüren bezeichnet das saarländische Festival schon als Wohnzimmer und überzeugte auf voller Linie. Die Fans feierten die Band und gaben kurz vor Ende des Wochenendes nochmal alles. Auch alte Bekannte tauchten dabei auf. Der „Erdbeermann“ war schon 2015 einmal auf die Bühne gebeten worden und hatte jetzt sein Comeback. Gemeinsam mit Frontmann Ingo ließ er sich auf einem Sofa durch die Menge tragen und entblößte unter seinem Kostüm nach dem außergewöhnlichen Crowdsurfing mit einem „FCK AfD“-Shirt eine politische Message, der sich auch die Donots sowie das Publikum anschlossen.
Ein Wiedersehen mit den Donots dürfte nach dem Gig jedenfalls auch auf dem Rocco del Schlacko sehr wahrscheinlich sein. Der letzte Headliner war dann Peter Fox, der in diesem Jahr sein Comeback feierte. Auf der Bühne tat er das mitsamt einer ganzen Wagenladung an Fans, die dort mittanzen durften. Über „Goldene Tickets“ wurden noch weitere Menschen aus dem Publikum im Laufe des Sets mit dazugeholt – Musikstars zum Anfassen also.
Allgemein lässt sich festhalten: Das Saarland bietet mit dem Rocco del Schlacko ein familiäres Festival, bei dem – passend zum kleinsten Bundesland und zumindest ein wenig zum Klischee – gefühlt jeder jeden kennt und sei es über drei Ecken. Gefeiert wird gemeinsam und da ist es dann auch egal ob die Sonne brennt oder der Regen die Sauwasen in Matsch verwandelt.
Die Ausgabe für 2024 ist schon datiert: Das nächste ROCCO DEL SCHLACKO steigt vom 8. bis 10. August 2024. HIER findet ihr Tickets!
Das Rocco del Schlacko Festival 2023 in Püttlingen / Saarland. Seht hier unsere Fotos vom Samstag – Tokio Hotel, Donots und Peter Fox. Fotos: Julia Nemesheimer.
Das Rocco del Schlacko Festival 2023 in Püttlingen / Saarland. Seht hier unsere Fotos vom Freitag – Fjørt, Frank Turner & The Sleeping Souls, SIDO und Broilers. Fotos: Julia Nemesheimer.
Das Rocco del Schlacko Festival 2023 in Püttlingen / Saarland. Seht hier unsere Fotos vom Donnerstag – While She Sleeps, Electric Callboy und Marteria. Fotos: Julia Nemesheimer.
Das ausverkaufte Palladium feierte am Dienstag Casper, der im Rahmen seiner „Alles war schön und nichts tat weh“-Tour auch in Köln vorbeischaute. Rund anderthalb Stunden lieferte der Rapper live wie gewohnt eine mitreißende Show.
Das Bühnenbild ist in diesem Jahr gesetzt: Ein großer Baum steht links auf der Bühne, direkt am Bühnenrand sind viele Kunstblumen arrangiert. Casper alias Benjamin Griffey springt noch immer voller Energie von einer Seite zu anderen, während er einen Hit nach dem nächsten und zwischendurch den ein oder anderen seltener live gespielten Song auspackt. Rechts hat er eine ganze Band dabei – zu den klassischen Drums, E-Gitarre, Bass und Keyboard gesellen sich Streichinstrumente, Backgroundsängerinnen. Musikalisch war es ein Fest – gerade weil damit alles live war.
Mit seinem fünften Album hat sich der Rapper Zeit gelassen, setzt wieder auf viele Kooperationen mit anderen Musikerinnen und Musikern und trifft mit seiner Musik mal wieder den Nerv der Zeit. Dabei hält sich Casper weniger mit ausschweifenden Ansprachen zwischen den Songs auf, er lässt lieber seine Musik sprechen und blendet passend dazu gegebenenfalls kurze, prägnante Messages zu den jeweiligen Songs ein.
Nach dem Stück TNT, bei dem Gast Tua mit auf der Bühne steht, werden auf der Leinwand Depressionen thematisiert. „Niemand ist alleine“ und „Hier findest Du Hilfe“ inklusive einiger Internetadressen von Hilfsangeboten und Fakten zur Krankheit werden eingeblendet.
In „Billie Jo“ rappt Casper über Kriegseinsätze und Posttraumatische Belastungsstörungen – mit dramatischem Ende. „War will never be the answer“ steht währenddessen auf der Leinwand.
Die Fans feiern Casper auch dafür, vor allem aber wegen seiner Musik. Bis in die letzten Reihen und auch auf der Empore sind alle in Bewegung, textsicher singt ein Großteil der Anwesenden mit. Als Gast ist auch Drangsal dabei. „Keine Angst“ und „Lilablau“ performt der Sänger gemeinsam mit Casper – sehr zur Freude vieler Fans. Beide gestalteten gemeinsam bis Ende 2021 den Podcast „Mit Verachtung“.
Die Show hat aber offenbar Spuren hinterlassen. Das folgende Konzert in Hannover musste krankheitsbedingt abgesagt werden. Casper kündigte per Instagram allerdings bereits zwei exklusive Konzerte in Hannover im Mai 2023 an. Ob die restlichen Konzerte in diesem Jahr stattfinden können, wird sich noch zeigen. Es folgen noch: Berlin am 16. Dezember (für das es auch noch Karten gibt), sowie das „Zurück Zuhause Festival“ 2022 in Caspers Heimat Bielefeld am 17. und 18. Dezember – für letzteres gibt es ebenfalls noch Tickets.
Setlist:
Alles war schön und nichts tat weh
Im Ascheregen
Alles endet (aber nie die Musik)
Mieses Leben/Wolken
Adrenalin
Sirenen
Das bisschen Regen (Die Vergessenen Pt.4)
Euphoria (gekürzte Version)
Keine Angst (mit Drangsal)
Supernova
Jambalaya
Lilablau (mit Drangsal)
20 qm
TNT (mit Tua)
Lass es Rosen für mich regnen (gekürzte Version)
Blut sehen (Die Vergessenen Pt. 2)
Auf und davon
XOXO
Billie Jo
Michael X
Hinterland