Seit über 30 Jahren gilt Götz Widmann als das Enfant Terrible unter den deutschen Liedermachern. Zunächst war er Teil des Duos Joint Venture, doch nach dem Tod seines kongenialen Partners Martin Simon, der im Jahr 2000 verstarb, ist Widmann solo unterwegs. Album um Album sind seitdem entstanden, die er in unberechenbaren Songwriter-Konzerten an sein Publikum bringt. Das neuste Werk trägt den Titel „Blütenduft“ und ist wie stets ein chaotischer Rundumschlag mit einem bunten Blumenstrauß an Themen.
Widmann ist ein Liedermacher, der lieber den Mittelfinger als den Zeigefinger erhebt. Exemplare dieser Gattung sind ausgesprochen selten, was die Musik des Punks unter den Songpoeten zu einem so besonderen Erlebnis macht. Humorvoll, persönlich, provokativ – so vermittelt er seine Botschaften mit einfachen Mitteln.
Ehrlichkeit war ihm immer wichtiger als ein gepflegter Umgangston, und seine Wortwahl ist ein Albtraum für jeden Deutschlehrer. Trotzdem haben Götz Widmanns Songs ihre ganz eigene sprachliche Eleganz. Und bei aller Bosheit durchzieht sein mittlerweile zwanzig Alben umfassendes Gesamtwerk vor allem eine radikale Menschenliebe, ein niemals müde werdender Aufruf zum eigenständigen Denken, herzerwärmender Humor und am Ende doch auch ein lebensumarmender Tiefsinn, den man in unserer grenzdebilen Welt sonst fast nirgends mehr findet.
Fürs Schreiben von „Blütenduft“ hat sich Götz mit seiner Band auf die Kanaren zurückgezogen. Dort entstanden die Songs, die sich meist wie musikalisch erzählte Anekdoten anhören und im Textblatt auch als kleine Geschichten lesen lassen. „Krankenwagen“ erzählt von einer App, die den Protagonisten für geisteskrank erklärt und in eine Anstalt einweist. „Funke“ rekapituliert die Geschichte der Menschheit vom Einzeller bis zur Gegenwart mit derben Worten. In „Shiva“ geht es um Seelenwanderung und „Verkacken mit Verstand“ sowie „Trinkerdisneyland“ sind weitere Songs in seinem großen Repertoire übers Saufen.
Das Booklet ist mit passenden Karikaturen zu allen Songs illustriert und enthält zwischen den Lyrics gleich die Akkorde, damit der gewiefte Gitarrist zuhause mitspielen kann. Cooler Service. Ob laut, schnell und grölend („Party Time“) oder in bierseliger Melancholie verwoben („Leise“), trifft Götz immer den richtigen Ton, um die Atmosphäre zu beschreiben. Gesellschaftskritik findet sich ganz von allein zwischen den Zeilen, manchmal aber auch mit deutlichen Worten wie in „Grosskonzern“.
Zehn Songs in 48 Minuten bedeuten, dass sich der Liedermacher Zeit lässt für seine Geschichten. Vor allem das psychedelische „Shiva“ sticht da heraus. Trotzdem bleibt die Musik stets kurzweilig, da Götz viel zu erzählen hat und sich treffsicher auf seine Themen stürzt. Im neuen Jahr ist er mit dem neuen Programm auch wieder live zu erleben:
Blütenduft Tour
03.01.2025 Köln Gloria Theater
04.01.2025 Friedberg Café Kaktus
07.01.2025 Leipzig Moritzbastei
08.01.2025 Leipzig Moritzbastei
09.01.2025 Rostock MAU Club
10.01.2025 Berlin SO36
11.01.2025 Berlin SO36
17.01.2025 Hannover Faust
18.01.2025 Bremen Schlachthof
22.01.2025 Koblenz Café Hahn
23.01.2025 Nürnberg Hirsch
24.01.2025 München Backstage
25.01.2025 Stuttgart Club Cann
30.01.2025 Braunschweig Brunsviga
31.01.2025 Kiel Die Pumpe
01.02.2025 Hamburg Markthalle
06.02.2025 Fulda Kulturkeller
07.02.2025 Erfurt Museumskeller
08.02.2025 Erfurt Museumskeller
13.02.2025 Trier Mergener Hof
14.02.2025 Wermelskirchen AJZ Bahndamm
15.02.2025 Münster Sputnikhalle
23.05.2025 Weinheim Café Central
Selbst der große Chansonnier unter den deutschen Liedermachern wird nicht jünger. 72 Jahre hat der Berliner Klaus Hoffmann schon auf dem Buckel. Und wie ein guter Wein wird er von Jahr zu Jahr besser. Seit Jahrzehnten irgendwie auf dem schmalen Grat zwischen Geheimtipp und Star. Die Alben nie so ganz weit vorn in den Charts, aber immer im Auge der Medien. Er singt Lieder von Jacques Brel, spielt mit Wortwitz und seiner Berliner Schnauze. Doch seit einigen Jahren schon werden die Alben schwermütiger und sehnsuchtsvoller. Man nehme das melancholische „Aquamarin“ aus dem Jahr 2018 und die wundervolle Magie von „Septemberherz“ im Jahr 2020.
Auch das neue Album „Flügel“ bietet eine eigene musikalische Mixtur aus Pop, Jazz und akustischem Folk, gepaart mit feinen Streicherarrangements. Da findet sich eine Reihe von sanften Juwelen im Songwriting, mal mit akustischer Gitarre, mal am Piano begleitet. Die Texte folgen dem Puls der Zeit. „Neuer Morgen“ versprüht noch Optimismus und „Kinder“ baut auf die nachfolgende Generation, doch „Bin nicht Meer, bin nicht Strand“ liefert Erinnerungen an die Nachkriegszeit und einen verzweifelten Blick auf den Krieg in der Ukraine.
Für Hoffmannsche Verhältnisse ist es ein lautes Album. Laut auch in den Texten. Texte die sich, selbst wenn sie Unterschiedliches benennen, aufeinander beziehen, ergänzen und verstärken – wie Ying und Yang. „Kein Held“ liefert ein beschwingtes Arrangement zu bedrückenden lyrischen Zeilen. Der Protagonist weiß, was es heißt, fremdbestimmt in Konflikte geschickt zu werden, welche nicht die eigenen sind.
Da ist der Jüngere, 20-Jährige, der sich naiv und arrogant eine Welt erfand („Ich versuch’s“), und den dennoch oder gerade deshalb so viel mit dem fragenden und vertrauenden Älteren („Was machst Du mit dem Rest dieser Zeit“) eint. Einem Älteren, dem aller vergeblichen Sehnsucht zum Trotz, gerade deshalb die Hoffnung innewohnt („Im nächsten Sommer sehen wir uns wieder“). Und dennoch steht über allem der Klaus Hoffmann der Gegenwart. Hoffmann, der spürt, wenn eine zweite Singstimme der atmosphärischen Tiefe eines Liedes dienlich ist: Caroline von Brünken auf „Oh mein Gott ist weit“.
Hoffmann hatte sich immer stilistisch dem Chanson verschrieben. Auch hier stehen zwei Songs von Charles Aznavour und Michel Legrand Pate, denen er einen deutschen Text verliehen hat. So klingt er meist wie der Barpianist von nebenan. Doch es gibt auch südländische Klänge wie bei „Was dir dein Herz erzählt“. Und die Streicherarrangements in vielen Stücken klingen lieblich und durchdringend zugleich.
„Flügel“ wird im Promotext als 50. Album des Berliners beworben. Müde klingt er jedenfalls nicht. Vielmehr erweist Klaus Hoffmann sich als großer Geschichtenerzähler und feinsinniger Beobachter. Die Welt zeigt ihren verstörenden Charakter – seine Lieder aber tragen immer einen Hauch Zuversicht in sich. Bleibt zu hoffen, dass er Recht hat und uns noch lange mit solch schönen Alben beglückt.
Wie der Name schon sagt: Die RECLAM Reihe “100 Seiten” versucht auf 100 Seiten Phänomene der Populärkultur zu beschreiben. Das können auch Schlagwörter sein wie Depression, Demokratie oder die Ereignisse des 11. September, aber spannend wird es mit Figuren wie James Bond und den drei ???. Und dann sind da natürlich noch Bands und Künstler*innen, die im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. Aktuell erscheinen Bände zu den Ärzten, Reinhard Mey und Bruce Springsteen. Eine große Vielfalt wird also geboten.
Gerade zum nahenden 80. Geburtstag des großen Liedermachers Reinhard Mey gibt es recht viele Bücher, von denen gerade die beiden Kleinsten am stärksten herausstechen. Da ist zunächst der lyrische RECLAM-Band „Ich wollte wie Orpheus singen – Lieder und Chansons“, der einige der schönsten Liedtexte des Barden in der bekannten gelben Optik vereint (HIER unsre Rezension). Bereits dieser Band enthält ein umfangreiches Nachwort des Literaturwissenschaftlers Oliver Kobold, der ein echter Kenner der deutschen Liedermacherszene ist.
Nach diesem kleinen Vorgeschmack gibt es jetzt das komplette „100 Seiten“ Büchlein, das sich in gewohnt liebevoller Aufmachung der Person des Reinhard Mey anzunähern versucht. Und das Ergebnis ist wirklich großartig und wird dem Berliner Künstler absolut gerecht. Chronologisch geht es zunächst von den Anfängen auf Burg Waldeck hin zu ersten populären Erfolgen. Dabei erfahre auch ich noch viel Wissenswertes und Kurioses, beispielsweise dass „Gute Nacht, Freunde“ 1972 beim Vorentscheid zum „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ dabei war, wobei Reinhard es unter einem Pseudonym einreichte. Auch seine großen Erfolge als Frédéric Mey in Frankreich werden akkurat beleuchtet.
Mit viel Liebe zum Detail streift Kobold durch alle Alben des Meisters, beleuchtet einige Texte sehr detailliert und erzählt auch von den Livekonzerten. Besonders gut gefällt mir die inhaltliche Zuordnung von Songs in Themengruppen wie „Natur“, „Berlin“, „Berufe“ und „Tod“. Reinhard ist immer mitten im Leben unterwegs und so gibt es spannende Wiederholungen und Fortsetzungen in seinen musikalischen Ideen.
Bis hin zum herzlichen Epilog ist das Buch absolut lesenswert und ein gelungener Beitrag zum nahenden Geburtstag!
Wer etwas anderes als die musikalischen Biographien sucht, ist vielleicht mit dem Buch von André Boße zu „Die drei ???“ ganz gut dran. Natürlich geht es hier um die beliebten Kinderbücher und Hörspiele, die alles andere sind als ein vergänglicher Retrokult. Immerhin erscheinen noch stetig neue Geschichten um das Detektiv-Trio.
Es gibt einen nostalgischen Abriss zum amerikanischen Original. Viel wichtiger ist aber die Umsetzung und Fortführung der Buchreihe im deutschsprachigen Raum, die dann zu den erfolgreichen Hörspiel-Kassetten (und mittlerweile CDs) führte. Wer hat nicht „Die drei ???“ regelmäßig zum Einschlafen genutzt? Die Geschichten sind kinderfreundlich und trotzdem recht spannend. Und viele der Hintergründe, Vorgaben sowie Ideen beleuchtet Boße sehr unterhaltsam und mit bestem Hintergrundwissen.
Die Frage, warum diese Serie zum Kult werden konnte, der die Sprecher des Hörspiels zu regelrechten Stars der Szene machte, wird nicht abschließend, aber zumindest annähernd beantwortet. Und die nostalgischen Momente, die allein das Artwork und das Layout der Serie bis heute bei mir und vielen anderen bewirken, zeigen den großen Effekt der Serie. Es funktioniert bei Kindern, Teenagern, Erwachsenen und sogar Senioren – bis heute.
Konstantin Wecker ist auch mit 75 Jahren immer noch der nimmermüde Mahner, Erzähler und Kritiker, der am Puls der Zeit lebt und sich bewusst ins politische Geschehen einmischt. Manchmal muss man ihm fast eine hellseherische Ader zuschreiben. So gab es 2019 das orchestrale Livealbum „Weltenbrand“ mit authentischen Aussagen gegen jede Kriegstreiberei – und mitten in den Wirren von Corona das lichtblickende Werk „Utopia“. Beide allerdings schon lange geplant, bevor der Zeitgeist sie so aktuell werden ließ.
Im Dezember 2019, kurz vor Beginn der Pandemie, konnte ich mit Konstantin über das geplante Album „Utopia“ sprechen: „Da werde ich die Grundidee dieses Weltenbrands weiterführen und sagen, wir dürfen nie die Utopie der herrschaftsfreien und liebevollen Gesellschaft aufgeben. Wenn wir nicht einmal die Utopie in uns tragen, dann sind wir rettungslos verloren. Dann haben die Angepassten, die uns immer als naiv, verrückt und als Spinner bezeichnen, gewonnen. Dann überrollen uns das Kapital und die Wettbewerbsgesellschaft. Das darf nicht sein. Aber ich bin guter Dinge. Die nächste weltweite Revolution muss eine weibliche sein, da bin ich mir ganz sicher. Es ist gar nicht anders möglich.“
So ist „Utopia“ eines der vielseitigsten Werke von Konstantin Wecker. Weil es starke Songs enthält, gleichzeitig aber auch rührende Lese-Texte, die Weckers poetische Ader zeigen. Weil es im neuen Liederzyklus tatsächlich um eine Utopie geht. Um ein menschenwürdiges Leben ohne Herrschaft und Gehorsam, einen schwärmerischen Blick auf eine liebevolle Gesellschaft. Das spiegelt sich auch in den Livekonzerten, die absolut berührend waren – auch (oder gerade weil) sie nicht unbedingt die altbekannten Gassenhauer des Liedermachers enthielten.
Der Livemitschnitt (als Doppelalbum bei Sturm und Klang) ist sehr textlastig. Aber stört das? Auf keinen Fall! Wenn ein Musiker etwas zu sagen hat, dann ist es Konstantin Wecker. Denn noch immer ist für den bedingungslosen Pazifisten viel zu viel menschliche Kälte, Hass und Gewalt auf dieser Welt. Das mag schwierig sein, wenn die ganze westliche Welt den Verteidigungskrieg der Ukraine unterstützt – doch Wecker verbiegt sich auch hier nicht. Er will bedingungslos Pazifist sein und bleiben.
Um ihn zu verstehen, helfen Texte wie „Meine poetische Welt“, „Die Tugend des Ungehorsams“ und „Meine musikalische Welt“. Er behandelt Mikis Theodorakis ebenso wie Bertolt Brecht und Franz Schubert. Er dichtet „Was mich wütend macht“ und singt „Schäm dich Europa“. Und ganz verträumt endet der Set mit der wundervoll-melancholischen Ansage „Jeder Augenblick ist ewig“.
Es gibt zwölf der neu komponierten Lieder, die der Münchner mit beliebten Klassikern wie „Genug ist nicht genug“, „Revoluzzer“ oder „Was ich an Dir mag“ vereint. Begleitet wird er auf seiner Reise von dem Pianisten Jo Barnikel, der Cellistin Fany Kammerlander und den Perkussionisten Daniel Higler und Jürgen Spitschka.
Für sie alle ist die Zeit längst reif, um gemeinsam mit dem Publikum und den Hörern nach Utopien zu suchen, sie zu wagen und zu handeln. Was wäre die Alternative angesichts der möglichen Vernichtung des gesamten Planeten? Die Antworten findet man in der täglichen Berichterstattung über Kriege, Gewaltausbrüche und Naturzerstörungen.
Mit „Utopia live“ setzt Konstantin Wecker nun mit Melodien und Versen ein poetisches Zeichen gegen den realen Irrsinn und fordert eine im wahrsten Sinn des Wortes zufriedene Welt. Es ist ein wohltuender Aufruf und ein Angebot, nicht den Mut zu verlieren und die eigene Angst und Ohnmacht zu überwinden. Konstantin macht Mut, seinen eigenen Weg zu gehen und eigene Ansichten zu vertreten – und er geht wie immer mit bestem Beispiel voran. Großartig in jeder Hinsicht!
Seine Lieder prägten ganze Generationen und werden immer wieder in den Kitas, Schulen und Wohnzimmern dieses Landes gesungen. Im Mai wurde Rolf Zuckowski 75 Jahre alt und veröffentlichte zu diesem Anlass seine Autobiographie „Ein bisschen Mut, ein bisschen Glück“, mit der er aktuell auf Leserreise ist (HIER unsre Rezension zu Buch und aktueller CD). Am 31. 08.2022 machte der Künstler mit seiner musikalischen Lesung Station im Kloster Machern in Bernkastel-Kues.
Dass Rolf Zuckowski mit Bernkastel-Kues und vor allem mit Hermann Lewen, dem langjährigen Intendanten der „Mosel Festwochen“ (heute: „Mosel Musikfestival“), eine besondere Freundschaft verbindet, wird bereits bei der Begrüßung durch den Bürgermeister deutlich. Lewen ermöglichte dem Kinderliedermacher vor fast 40 Jahren erstmal Auftritte an mehreren Tagen hintereinander in der Mosellandhalle und organisierte 1988 mit ihm das große Familienfestival „Tage voller Glücksminuten“ im Kurpark.
Den Abend eröffnet Zuckowski mit „Du brauchst ein Lied“, aus dem er das Zitat „Ein bisschen Mut, ein bisschen Glück“ als Titel für seine Autobiographie entnommen hat. Und auch wenn er danach die Gitarre wieder zur Seite stellt und tatsächlich erstmal aus seinem Buch vorliest, bleibt es doch sehr musikalisch. Denn immer wieder stimmt er Lieder an – ob aus Kindheitserinnerungen, Jugendzeiten oder seine eigenen Kompositionen – und animiert das Publikum zum Mitsingen. Auf einer Leinwand werden passende Bilder oder auch mal Filmmaterial gezeigt. So lässt uns Zuckowski an seinen ersten Erfolgen mit der Schulband „The Beathovens“ teilhaben, oder an den Grand-Prix-Auftritten der Schweizer Gruppe „Peter, Sue & Marc“, für die er damals als Komponist tätig war.
Tatsächlich gelesen wird eher wenig – Zuckowski erzählt viel lieber frei aus seinem Leben, greift immer wieder zur Gitarre und springt auch mal im geplanten Ablauf hin und her. Sein persönlicher Bezug zur Region spielt an diesem Abend eine große Rolle. So holt er Hermann Lewen auf die Bühne, um sich mit ihm an die ersten gemeinsam geplanten Konzerte zu erinnern und zeigt auch Film- und Tonmaterial von seinem letzten großen Auftritt in der Region mit dem Kinderchor „Über Brücken“ und der großartigen Julia Reidenbach in der Arena Trier. Aber natürlich dürfen auch weitere Meilensteine seiner Karriere nicht fehlen, wie „Rolfs Vogelhochzeit“ oder die Zusammenarbeit mit Peter Maffay bei „Tabaluga“ – hier lässt Zuckowski das Publikum sehr stimmungsvoll „Nessaja“ singen. Und am Ende des Abends gibt es auch noch „In der Weihnachtsbäckerei“.
Rolf Zuckowski überzeugt hier nicht nur als immer noch toller Musiker, sondern als sehr sympathischer und bodenständiger Mensch, dessen Lebensgeschichte man gerne lauscht. Bereits vor dem Auftritt, in der Pause und danach nimmt er sich Zeit, sein Buch zu signieren, mit den Menschen zu sprechen und Fotos zu machen. Und so gehen nach diesem Abend wohl alle Beteiligten erfüllt und zufrieden nach Hause.
Eltern-Playlist:
Rolfs Tochter Anuschka Zuckowski hat eine Elternplaylist zusammengestellt, in der sie die Vielfalt des Elternseins zum Ausdruck bringt, aber auch Lieder voller Trost und Hoffnung in unruhigen Zeiten aufnimmt, die für Familien von Bedeutung sein können. Auf diese Playlist hat Rolf während seiner Lesung mehrfach hingewiesen.
Eröffnet wird die Playlist „Willkommen im Leben – Der Eltern-Soundtrack“ mit einer ganz besonderen Single, einem Lied, das die Tochter Rolf Zuckowskis ihrem Vater zum 75. Geburtstag schenkte und ihm am Telefon vorspielte: „Zum Leben geboren“. Rolf Zuckowski war von der Neuaufnahme seines Liedes von 1983 überrascht und tief berührt. Das Original entstand in bewegten und verunsichernden Zeiten (u.a. Nato-Doppelbeschluss) vor der Geburt von Anuschkas jüngerem Bruder Andreas. In heute wiederum sehr bewegten Zeiten bekommt das Lied in seiner Neufassung neue Aktualität.
„Willkommen im Leben – Der Eltern-Soundtrack“ ist ab sofort auf vielen Streamingplattformen zu finden: HIER. Und ebenso ist die neue Single „Zum Leben geboren“ auf allen Plattformen erhältlich.
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Vergangenen Donnerstag wurde Hannes Wader 80 Jahre alt. Und es gibt nicht etwa eine „Best of“ zu seinem runden Geburtstag oder eine weitere Liveplatte, sondern tatsächlich ein neues Studioalbum, das den Titel „Noch hier – was ich noch singen wollte“ trägt. Seit seinem Abschied vom Tourneeleben ist es ruhiger geworden um den großen Liedermacher. Umso schöner, jetzt nach sieben Jahren ein neues Studiowerk genießen zu dürfen, das brillant aufgenommen und von Günter Pauler feinfühlig arrangiert wurde.
Schon die beiden gesprochenen Hölderlin-Gedichte „Die Nacht“ und „An die Parzen“, die das Album einrahmen, sind ein starkes Statement. Es klingt sehr heimelig, die vertraute und sonore Stimme zu hören. Und dazwischen finden sich 16 Tracks, die alles zu bieten haben, was man sich von Hannes wünscht: Neu vertonte Volkslieder, französische Chansons, sowie ganz neue Lieder aus seiner Feder.
Das Volkslied „Es dunkelt schon in der Heide“ wird mit akustischen Gitarrenklängen interpretiert und „In stiller Nacht“ von Johannes Brahms kommt mit wundervollem Harfenspiel. Für das von Streichern untermalte „Les temps des cerises“ hat er sich den alten Freund und Mitstreiter Reinhard Mey mit an Bord geholt. Einzigartig, wenn die beiden zusammen singen. Das ist für mich der bewegendste Moment des Albums. Das Liebeslied „Plaisir d’amour“ entführt mit Akkordeon-Klängen ebenfalls in die Welt der Chansons.
Gerade die Eigenkompositionen sind sehr persönlich. „Es ist vorbei“ behandelt seine jüngst zerbrochene Ehe mit schonungsloser Offenheit. „Klaas der Storch“ erzählt von einem alten Vogel und man fragt sich, ob dieser nicht sinnbildlich für den 80jährigen Hannes steht. Der innere Monolog „Vorm Bahnhof“ führt von Karl Marx bis zum Smartphone und schlägt damit einen weiten Bogen, während „Schlimme Träume“ den Weg in die Tiefen des Unterbewusstseins geht. Jedenfalls hat Hannes Wader es nicht verlernt, seine Zuhörer mit philosophischen Ideen zu beglücken und mit auf den Weg zu nehmen.
Am Ende des Albums singt Hannes Wader seine Vertonung des berührenden Gedichts „Noch hier“, das ihm einst sein Freund Manfred Hausin zum Geburtstag schenkte und das hier zum Titeltrack avanciert. Darin heißt es: „Die Feinde, die Freunde / sind alle weit, / nur ich bin noch hier / und lasse mir Zeit.“ Gut so! Auch wenn Hannes nicht mehr von Bühne zu Bühne tingelt, muss seine Stimme doch lange noch nicht verstummen.
Neben dem Arena Open Air Sommer in Trier und den Picknick Konzerten im saarländischen Losheim am See haben Popp Concerts noch einen dritten Schauplatz für diesen seltsamen Konzertsommer 2021 eröffnet: vom 6. bis 14. August findet im Brunnenhof direkt neben der altehrwürdigen Porta Nigra ein Festival mit Singer/Songwriter Acoustic-Shows statt. Den Anfang machte gestern Sarah Lesch. Tim Vantol, Matze Rossi und Marthonmann werden folgen.
Das Ambiente ist einfach wundervoll: Eine große Bühne, Sitzplätze mit kleinen Tischen, der Brunnenhof umgeben von den Mauern des Stadtmuseums Simeonstift. Man sitzt inmitten der Touristenmetropole, aber abgeschottet in einem beschaulichen, atmosphärisch einzigartigen Bereich. Das Ambiente für das Konzert einer Liedermacherin könnte nicht besser sein.
Sarah Lesch, die aus Altenburg stammt und inzwischen in Leipzig lebt, eröffnete gleich zu Beginn, dass sie ihr drittes Album „Da Draussen“ (2017) zum größten Teil in Trier geschrieben hat, wo es sie damals der Liebe wegen hin verschlug. Man kann es sich trefflich vorstellen, wie sie das Feeling des Hauptmarkts aufsaugt, nur jedes neunte Wort versteht und – wie sie selbst sagt – sich vor lauter Genießen gar nichts von den historischen Gebäuden anschaut. So geht es vermutlich allen, die sich längere Zeit in der ältesten Stadt Deutschlands aufhalten.
Die Instrumentierung für das Konzert sieht meist Sarah an Ukulele, Gitarre oder Banjo mit zwei Mitstreitern unter anderem am Kontrabass und einer Backgroundsängerin vor. Der Sound schwankt zwischen Indiefolk, Balladen und großer Liedermacherkunst. Vor allem in der zweiten Konzerthälfte gibt es auch tanzbare Songs.
Sarah beginnt mit einer Lust auf Leichtigkeit. Sie spielt Stücke vom neuen Album „Triggerwarnung“, das am 19. November erscheinen wird und bereits HIER vorbestellt werden kann. Das erste Lied handelt vom Gefühl, sich treiben zu lassen, und „Ich trag dich nach Haus“ erzählt mit getragener Melancholie vom Corona-Sommer 2020.
Besonders wichtig sind Sarah aber die Lieder von starken Frauen, wie in „Die Löwin“, das sie für alle weiblichen Vorbilder in ihrem Leben singt. „Licht“ gibt Einblick in ihr Seelenleben während der konzertlosen Zeit und zeigt die Freude, endlich wieder Lieder singen zu können „weil jemand zuhört“. Und das ältere Stück „Der rosa Elefant“ handelt von einem Phänomen, das viele kennen: den unausgesprochenen Dingen im Leben.
Dieser energische Kabarett-Song führt zu neuen, durchaus schwierigen Inhalten. In „Schweigende Schwestern“ erzählt Sarah ihre eigene Geschichte und geht dabei in die Tiefe ihrer Gedanken und Gefühle. Es geht um Sexismus und Missbrauch, um Feminismus, Wertschätzung und Respekt. Das machte die Zuschauer betroffen und brachte ihnen zugleich die Songwriterin und ihren Lebensweg sehr nahe. Danach gab es eine Pause zum Durchatmen für Band und Publikum.
Liedermacher erzählen wahre Geschichten – so das Credo von Sarah Lesch. Die Kunst, durch reine Erzählungsgabe und die Überzeugungskraft ihrer vielseitigen Sing- und Sprechstimme bedingungslos zu fesseln, ohne bisweilen überhaupt einen Refrain zu benötigen, hat sie der deutschsprachigen Liedermachertradition entnommen. Im neuen Stück „Die Geschichte von Marsha P. Johnson“ erzählt sie die Story einer beeindruckenden Frau, einer schwarzen Dragqueen, die im Sommer 92 nach einem Leben voller unerschütterlicher Liebe und ohne Kompromisse tot aus dem Hudson River gefischt wurde.
Sarah bohrte in den gesellschaftlichen Wunden. Wer entscheidet? Der weiße heterosexuelle Mann? In „Drunter machen wir’s nicht“ (ebenfalls vom kommenden Album) setzt sie ein Gegengewicht und ruft zum Kampf auf. Die Anwesenden gaben stehende Ovationen und sollten gleich stehen bleiben, denn ab sofort wurde getanzt. Mit zwei Zugaben ging das Konzert nach zwei gehaltvollen Stunden zu Ende. Es gab vor allem Songs von „Triggerwarnung“ und das zu Recht. Bleibt zu hoffen, dass es ihr endgültiger Durchbruch wird und sie bald wieder in Trier zu Gast ist.
Arjon Capel lässt sich Zeit für seine Songs. Allein das macht ihn schon sehr sympathisch. Der Liedermacher aus Holland legt mit „Neue Wege“ sein zweites Album vor, das bei Konstantin Weckers Label „Sturm und Drang“ erscheint. Da Wecker seine Künstler stets sehr sorgfältig auswählt, kann allein das schon als Qualitätsmerkmal gelten. Und dann sind da Arjons Fähigkeiten als Sänger und Songwriter. Sehr authentisch, bisweilen sehr heimelig. Wenn ein Holländer mit leichtem Akzent in deutscher Sprache singt, wird man zwangsläufig an Herman van Veen erinnert. Das ist auch hier der Fall.
Der zündende Funke kam bei Arjon, der in München lebt, recht spät: Es war der Tod seiner Mutter vor sieben Jahren, der ihn zur künstlerischen Laufbahn führte. Sie hatte ihm eine Anzahl selbst geschriebener Gedichte hinterlassen, die Capel im Debüt „InneHalten“ vertonte. Damit war der Bann gebrochen und die Berufung gefunden. Das zweite Werk umfasst acht neue, selbst verfasste Stücke in 44 Minuten Albumlänge.
Inhaltlich ist es ein wahres Panoptikum von scharfsinnigen Beobachtungen des Alltags („Trau Dich aufzustehen“, „Was ist Zeit?“, „Tattoo“) und ein facettenreiches Kaleidoskop eines harmonischen Familienlebens („Genießen“, „Deine Liebe die ich spüre“). Die Texte sind nachdenklich und zeitgemäß. Vor allem der letzte Song „Zusammenhalt“ nimmt uns mit auf den Weg ins neue Jahr: „Die Straßen sind leer / Alle getroffen, wie von einem Speer / Nichts ist wie früher, die Stimmung gedrückt / Niemand mehr berühren, wir gehen gebückt […] Abstand halten, so heißt das Gebot / Weil sonst vielleicht mehr Ansteckung droht.“ Auch wenn manche Zeilen etwas platt klingen, so sind sie doch sehr berührend – und nicht etwa ein Aufruf zur Resignation, sondern zur Gelassenheit.
Nach 33 Jahren als Projektleiter in der Elektrotechnik hat Arjon Capel (bürgerlich: Johannes Diederik) seine Berufung gefunden und konzentriert sich ganz auf die Musik. Es ist nicht alles melancholisch, was er schreibt. „Montgolfière“ klingt wundervoll beschwingt und „Mit der richtigen Sicht“ kommt mit sehr rockigen Riffs daher. Im selbstironischen „Tattoo“ sind selbst groovige Reggae-Rhythmen zu finden.
Ein schönes Album mit Herz und Verstand!
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A-cappella-Musik ist grundsätzlich ziemlich familientauglich – unsere Kinder zumindest haben uns begeistert auf viele Konzerte begleitet und entsprechende CDs haben so manche langweilige Autofahrt verkürzt. Mit ihrem aktuellen Album „Kinderkram“ wenden sich die Jungs von Maybebop – inzwischen alle auch Familienväter – nun erstmals ganz gezielt an ihre jüngsten Fans und präsentieren 14 kinderzimmertaugliche Songs zum Tanzen, Lachen und Träumen.
Dabei sind hauptsächlich die Texte auf das neue Zielpublikum zugeschnitten. Musikalisch bewegen sich Maybebop zum Glück auf ihrem gewohnt hohen Niveau, lassen sich bei den vielseitigen Arrangements aber auch mal von Kindergesang unterstützen. Mit dem Opener „Tanz alles, was du hast“, bringen die Sänger ordentlich Schwung in die Bude, bevor sie sich mit „Wir sind Maybebop“ ihren Hörern vorstellen und gleichzeitig die verschiedenen Stimmlagen erklären. „Gut für die Hyäne“ überzeugt mit Wortwitz und einer starken Botschaft, „Bundeskanzler*in“ macht deutlich, dass auch Kinder schon genau wissen, wie man die Welt zum Besseren verändern kann, und „Glaub an dich“ ist ein wunderbares Mutmachlied. Der Ärger mit dem „Wackelzahn“ wird ebenso besungen, wie die sich im Dialog mit ihren Kindern entwickelnde endlose Wunschliste in „Ich wünsch mir ganz schön viel“. Ein vorlauter Kakadu sorgt für „Stress im Urwald“, und „Puppenmama“ ist ein gerapptes Plädoyer für dem völlig sinnfreien Spaß am Klang bestimmter Wörter.
Passend zu den witzigen Karton-Kostümen auf dem Cover hat jeder der vier Maybebopper auch einen ganz eigenen Song. Bass Christoph ist als „Bagger“ der coolste auf der Baustelle und Tenor Lukas vertreibt in „Alles macht Bäm“ als Superheld sämtliche Schurken mit seinen Comic-Geräuschen. Bariton Oliver beschreibt im Sound der Neuen Deutschen Welle als „Roboter“ den leider viel zu durchprogrammierten Alltag mancher Kinder, und Countertenor Jan schwebt als „Flieger“ am Ende des Tages in einem traumhaft schönen Arrangement nochmal über die ganze Kinderkram-Welt.
Wenn zum Abschluss die letzten Töne des witzigen Schlaflieds „Schäfchen zählen“ verklingen, geht eine tolle und unterhaltsame musikalische Reise zu Ende, die bestimmt der ganzen Familie Spaß macht. Und wer vom „Kinderkram“ noch nicht genug hat, findet im Booklet jede Menge kleine Rätsel, Spiele und Ausmalbilder. Da kann man sich die Zeit im momentanen Lockdown ganz gut vertreiben – und sich nebenher darauf freuen, Maybebop mit den neuen Liedern hoffentlich irgendwann wieder live zu erleben!
Eine Ode an den Herbst hat Klaus Hoffmann da mit „Septemberherz“ verfasst. Und mit Schrecken muss man feststellen, dass auch der ewig junge Berliner langsam aber sicher auf die 70 zugeht und wie seine großen Liedermacher-Kollegen in den Herbst des Lebens eintritt.
Und was ist es für ein schönes, berührendes, melancholisches Album, das uns der Chansonier da beschert. Berlin, Charlottenburg, Westend – hier entstanden die ersten Lieder, liegen des Sängers Wurzeln, hierher kommt er oft und kehrt nun sogar mit neuen Liedern zurück. In der Wilmersdorfer Straße in Holger Schwarks A-Trane Studio nahm er 15 wunderbare Chansons mit den Musikern Hawo Bleich (Keyboard, Klavier und Streicherarrangement), Micha Brandt und Jo Gehlmann (Gitarren), Stephan Genze (Drums) auf. Aus der Schweiz spielte Peter Keiser seinen Bass dazu, die Bläser kamen von den Kick Horns aus London. Erstmalig arrangierte Conrad Oleak die Streicher einiger Lieder.
Auch das neue Album bietet eine eigene musikalische Mixtur aus Pop, Jazz und akustischem Folk. Nachzuhören in dem jazzig-relaxten Titelsong, einem Lied, das ganz wundervoll die musikalische Stimmung von Hoffmanns deutscher Version des Michel Legrand Klassikers „Windmills of your Mind“ (aus dem Film „The Thomas Crown Affair“) aufnimmt: „Wie sich Flügel dreh’n im Wind“.
Seine Haltung hat der Sänger seit seinem ersten Album nach außen getragen. Daher ist es nicht außergewöhnlich, wenn Hoffmanns Werben für Menschlichkeit und gegen Ausgrenzung sich auch auf dem aktuellen Album wiederfindet und sich in wohltuend, hoffnungsvollen Liedern wie „Ich glaube“, „Was sie trugen“ und „Basta“ widerspiegelt. Gemeinsam mit seiner Tochter singt er das wundervolle Duett „Asi est la vida“.
Die Liebe zu Berlin ist immer ein Thema („Ich kenne dich“) – nicht umsonst erhielt der Liedermacher vor einem Jahr den Verdienstorden des Landes Berlin für sein Engagement für die Stadt. Aber auch der frankophile Einschlag spielt eine große Rolle im Lebenswerk. Ohne Corona wäre Hoffmann zurzeit mit einem Programm aus Songs des Belgiers Jacques Brel unterwegs. Für das tröstlich-melancholische „Und ich weiß nicht, ob’s vorbei ist“ textete Hoffmann die Brel-esquen Zeilen „Ich könnte heute sterben, doch ich liebe noch so sehr. Und im Kopf schneit’s kleine Scherben und das Leben wiegt so schwer“.
„Septemberherz“ ist ein magisches Album voller kleiner und großer Impulse, wehmütig und pathetisch. Gitarre, Piano oder orchestrale Arrangements – Klaus Hoffmann gibt seinen Texten den Raum, den sie brauchen, und erreicht direkt das Herz seiner Hörer, egal ob es im Mai, im September oder im November verhaftet ist.
Deutsche Liedermacher, die eine differenzierte Meinung haben und diese auch lautstark kundtun, braucht das Land heute so sehr wie schon lange nicht mehr. Es gibt derzeit etwas zu sagen für den Pop- und Politpoeten, und zwar nicht zu knapp. „Der Wahrheit die Ehre“ sind 14 Songs voller Elegie, Empathie, Energie und voller politischer und persönlicher Verantwortung für die Welt und die eigene direkte „Um“-Welt. Ein Alben voller Hymnen mit Songs, die wahr und wahrhaftig sind und Misstände aufdecken.
Wehmütig, einfühlsam und energisch wendet sich der Liedermacher aus NRW an seine Zuhörer und Fans. Und seine Songs zeigen mal wieder, dass er ein Schreiber vom alten Schlag ist. Einer, der keinem hinterher rennt, sondern der sich seine eigenen Gedanken zum Zeitgeschehen macht. Es sind Hymnen mit einer klaren Friedensbotschaft wie „Mit welchem Recht“ oder „Die Zeit ist reif“, und das großartige „Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort“. Ein Song, der sich (erst nach der Thüringen Wahl 2019 entstanden) gleich einen der prominentesten Plätze auf dem Album gegriffen hat. Den Schluss. Dabei macht es von Anfang bis Ende richtig Spaß die aktuellen Kunze Wahrheiten zu hören.
Kunze reiht sich nicht ein in die Massen derer, die einfach mal wieder „dagegen“ sind, sondern Kunze gibt spannende, sprachlich raffinierte und inhaltlich glasklare Antworten. „Pervers“ ist so ein Titel mit einer Antwort. Musikalisch in bester Van Morrisson und Stones Tradition. Inhaltlich krass und eindeutig, die „Verdrehungen“ in unserer Gesellschaft auf den Punkt gebracht. „Es gibt Leute, die alle Menschen, die phantasievoll, bunt und offen leben wollen als pervers und krank und degeneriert bezeichnen und dabei gar nicht merken, dass sie es selber sind. – Ja gut, dann sind wir also ‚pervers‘ im allervernünftigsten Sinn! Und das genießen wir bis zur Neige“, sagt Kunze über diesen „pervers-klugen“ Song.
Balladen wie „Völlig verzweifelt vor Glück“ oder „Wenn du ohne Liebe bist“ lassen kurz durchatmen, lassen musikalisch einen Hauch „80er-Jahre-Elektroromantik“ aufflackern und stellen die Ängste des ewig nörgelnden Künstlers und die Einsamkeit in unseren Großstädten in den Fokus.
Nicht nur textlich, auch musikalisch ist „Der Wahrheit die Ehre“ eines der spannendsten und abwechslungsreichsten Kunze Alben der letzten Jahrzehnte. Britischer 80er Jahre Rock trifft auf das Jahr 2020. Die musikalische und politische Rebellion der frühen „U2“ treffen auf moderne Coldplay Klangmuster. „Der Wahrheit die Ehre“ betont die härteren Seiten des Heinz Rudolf Kunze. Jahrelang klang Kunze nicht so erdig, rockig und eingängig.
Unendlich viele Alben hat der inzwischen 64jährige sein Anfang der 80er Jahre veröffentlicht. Die Leute kennen „Dein ist mein ganzes Herzd“, doch seine Fans wissen, dass ihr HRK vielmehr drauf hat und ein Repertoire von 500 Liedern voller musikalischer und vor allem textlicher Perlen sein eigen nennt. Das aktuelle Album ist frisch und erfrischend – aktuell am Puls der Zeit. Die Brille brennt noch!
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Es gibt feste Regeln, wenn man ein Konzert von Götz Widmann in Trier besucht: Er steht mit Gitarre auf der Bühne. Die Zuschauer sitzen (ohne Stühle) auf dem Boden der Location. Das war im ExHaus immer so, das in den vergangen Jahren Veranstaltungsort der denkwürdigen Widmann-Konzerte war, und das ist in der TUFA so, die leider als Ausweichstätte herhalten muss, so lange das ExHaus renoviert wird.
Vom Ambiente her passte das Jugendzentrum ExHaus zwar besser zu der derben Kost, die Götz seinen vor allem jugendlichen und jung gebliebenen Zuschauern präsentiert, doch auch in der TUFA kam das studentische Liedermacher-Flair gut rüber und der Funke sprang schnell über.
Götz ist das Enfant Terrible unter den deutschen Liedermachern und hat seinem Ruf mal wieder alle Ehre gemacht. „Tohuwabohu“ heißt das aktuelle Album und der Name ist Programm. Die neuen Song sind ein chaotischer Rundumschlag von Babydinosauriern über die altbekannten Themen wie „Hanf und Hopfen“ sowie nachhaltigen Alkoholismus bis hin zu einem Liebeslied an Europa.
Unberechenbar wie immer schüttelte er mit einer frappierenden Leichtigkeit und derben Worten eine Sensation nach der anderen aus dem Ärmel. Politisierend, schimpfend, schreiend, frustriert – und stets mit einem rauen, tiefen, versoffenen Gesang, wie er dies seit zwanzig Jahren zelebriert und schon vorher in Duoform bei Joint Venture bis zur Ekstase ausgelebt hat.
Götz Widmann war in der Tufa Trier in Bestform. Mit „Schwanger“ brachte er die Leute nicht nur kurz zum Lachen, es gab auch eine kichernde Damen-Fraktion, die überhaupt nicht mehr zu bremsen war. Die Pointen saßen wie KO-Schläge und er sprach den Anwesenden aus dem Herzen. Beispielsweise wenn er skandierte „Beim Fußball hass ich Holland wie die Pest“ oder seinen Klassiker „Zöllner vom Vollzug abhalten auf der A4“ zum Besten gab.
Treffsicher wie immer kam er genau mit dem richtigen Statement zur richtigen Zeit um die Ecke. Der Trost für alle Anwesenden: 140 Millionen Samenzellen haben sich auf den Weg gemacht, und ihr habt es geschafft – ein Saal voller Sieger. Macht Sinn, wenn man es so überlegt, denn die Chance, dabei zu sein, ist wie ein 6er im Lotto.
Nach einer Stunde gab es eine Pause, die Götz nutzte, um am Bühnenrand CDs zu verkaufen. Für 20 Minuten angekündigt hat sie gut 45 Minuten gedauert. Das war dann doch sehr lange und ein kleiner Wermutstropfen für das ansonsten sehr gute Konzert. Okay – er wollte allen Anstehenden gerecht werden und seine Autogramme hinterlassen, aber keiner wäre böse gewesen, wenn er irgendwann gesagt hätte: Nach dem Konzert geht’s weiter.
Im zweiten Teil wurden die Songs noch verruchter und auch persönlicher. Klassiker aus seiner Solokarriere und von Joint Venture („Scheiß auf deine Ex“) und die schaurige Ballade vom „sitzend pinkeln“. Götz hat ein großes böses Maul und niemand ist vor ihm sicher, doch er kann auch große Emotionen, z.B. wenn er Anekdoten vom früheren Tourleben in der Nähe von Heidelberg erzählt und seiner Lieblingskneipe „Maria“ ein Trauerlied widmet.
Es war ein anstrengendes Konzert ob der langen Pause und dem gezwungenen Ungemütlich-auf-dem-Boden-sitzen, doch es war es allemal wert, den umtriebigen Liedermacher in Trier zu erleben. Bis zum nächsten Mal!
Am 30. Dezember gastierte Konstantin Wecker mit seiner bewährten Band und der Bayerischen Philharmonie in der Halle 45 in Mainz. 90 Minuten vor Konzertbeginn konnte unser Redakteur Andreas Weist ein Interview mit dem 72jährigen Liedermacher führen. Sein Fazit: Ein sehr sympathischer, überaus gesprächiger Mensch, der sich trotz der späten Stunde vor dem Konzert sehr viel Zeit nahm, aus seinem Leben erzählte, die orchestrale Seite seiner Musik beleuchtete und auch politische Themen nicht aussparte.
Heute ist das letzte Konzert der „Weltenbrand“ Tour. Wie war es für dich mit großem Orchester auf der Bühne?
Der absolute Traum. Es war sicherlich das Schönste, was ich jemals gemacht habe, weil alle Lieder so klingen, wie ich sie mir beim Komponieren gedacht habe. Es gibt auch einige Stücke von mir, die eher rockiger sind. Die haben wir halt nicht mit dabei. Obwohl auch hier durch unseren wunderbaren E-Gitarristen, den Severin Trogbacher, den ich für ein Genie halte, durchaus rockige Klänge mit rein kommen.
Die orchestrale Seite ist nicht neu für dich?
Nein. Ich bin nun mal ein Musiker, der aus der Klassik kommt. Und meine Ziehväter sind – im Gegensatz zu meinen geschätzten Kollegen – klassische Komponisten. Bei Hannes Wader ist es englischer Folk, bei Reinhard Mey französischer Chanson, bei mir Franz Schubert.
Jetzt kommt diese klassische Seite so richtig durch?
Das war schon immer so. Ich kann mich noch erinnern, als ich in den 60er Jahren ein Cello mit auf die Bühne brachte. Da musste ich mir unglaubliche Sachen sagen lassen: Das kann man doch nicht machen, mit so einem bourgeoisen Instrument. Aber eine Gitarre ist nicht bourgeois?
Fany Kammerlander am Cello ist eine große Bereicherung für deine Konzerte, oder?
Ja, Fany ist eine große Bereicherung. Aber ein Cello war immer bei mir mit dabei. In den 60ern war es Hildi Hadlich, die ist jetzt in Rente. Und in den 80ern war ich mit einem Kammerorchester unterwegs. Das hatte einen Schlagwerker, weil ich damals Schlagzeugern misstraut habe. Auch zu Recht, weil die meinen Text kaputt geschlagen haben. Schlagwerk ist feiner. Jetzt kenne ich auch Schlagzeuger, die sensibel spielen können, aber das war früher nicht so der Fall. Damals war ich schon in Italien und hatte ein Studio dort. Es kamen immer Musiker zu Besuch. Wenn ein Oboist da war, habe ich was für Oboe geschrieben. Oder für Klarinette, Trompete – es war ein kleines Kammerorchester. Das war damals sehr mutig, denn zu dieser Zeit kam der Punk als neue Musikrichtung auf und das Publikum kam nicht wegen meiner Musik, sondern trotz meiner Musik.
Foto: Thomas Karsten
Hast du deine Arrangements damals selbst geschrieben?
Ja, das habe ich alles selbst gemacht. Für Kammerorchester habe ich in vielen Varianten selbst geschrieben. Bis in die 90er habe ich auch einen Großteil meiner Filmmusiken selbst arrangiert. Bei „Schtonk!“ allerdings nicht mehr. An großes Orchester habe ich mich nicht ran getraut. Da fehlte mir die Erfahrung. Man muss selbst in einem großen Orchester gespielt oder es dirigiert haben.
Und jetzt? Die neuen Arrangements?
Jetzt hat es der Jo Barnikel gemacht. Er kennt mich seit 25 Jahren und weiß, wie ich ticke. Er hat das wahnsinnig feinfühlig gemacht und er hat, was ich ihm hoch anrechne, keine persönliche Eitelkeit. Es gibt Arrangeure, die wollen unbedingt ihren eigenen Stil durchsetzen, aber das wäre bei meinen Liedern einfach falsch, denn die haben schon ihren eigenen Stil. Der Jo weiß, wie ich empfinde, und hat sich auch gut angehört, was ich früher alles geschrieben habe. Interessanterweise sagte mal ein Pianist zu mir, dass er genau merkt, dass ich beim Komponieren eigentlich orchestral denke und nicht pianistisch. Und so ist es auch. Ich bin groß geworden mit Verdi, Puccini und Mozart. Mein Vater war Opernsänger. Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich nur klassische Musik gehört – doch dann kam Janis Joplin. Sie hat mir eine andere Richtung gezeigt.
Du hast auf deinen Konzerten schon Aufnahmen vorgespielt von dir und deinem Vater. Das fand ich sehr berührend.
Ja, das war „La Traviata“. Ein Wunder, dass es das noch gibt. Meine Mama hat die Aufnahme aufbewahrt. Es war 1959 und eines der ersten Tonbandgeräte, die man als Privatmann kaufen konnte: ein SAJA – das werde ich nie vergessen. Vorher hatte nur der Rundfunk solche Geräte. Meine Mama hatte diese alten Bänder aufgehoben und wir haben sie irgendwann digitalisiert. Davon gibt es noch viel mehr.
War es schwer für dich, bestimmte Titel für die „Weltenbrand“ Tour auszuwählen? Du gehst ja einige Jahrzehnte weit zurück.
Ja, aber auch nein. Ich habe einfach viele Lieder, die von Haus aus orchestral gedacht waren. Und dann habe ich auch einige dabei, die ich allein am Klavier spiele, zum Beispiel „An meine Kinder“.
Foto: Thomas Karsten
Warum hast du den Titel „Weltenbrand“ gewählt, der doch sehr politisch ist?
Weil ich unbedingt auf die Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg hinweisen wollte. Der Titel erinnert daran. Ich habe mich mein Leben lang intensiv mit der Räterepublik beschäftigt. Davon werde ich auch im Konzert heute sprechen. Was war das für eine blühende Zeit in der Weimarer Republik mit großartigen demokratischen Ideen wie dem Frauenwahlrecht und wie schnell ist das kaputt gegangen. Dabei ist das Lied „Weltenbrand“ eher ein philosophisch-lyrisches. Aber der Titel ist deutlich. Irgendwie war mir von Anfang an klar, dass ich das Programm so nennen will.
Und wie geht es im neuen Jahr weiter?
Das nächste Programm heißt „Utopia“. Da werde ich die Grundidee dieses Weltenbrands weiterführen und sagen, wir dürfen nie die Utopie der herrschaftsfreien und liebevollen Gesellschaft aufgeben. Wenn wir nicht einmal die Utopie in uns tragen, dann sind wir rettungslos verloren. Dann haben die Angepassten, die uns immer als naiv, verrückt und als Spinner bezeichnen, gewonnen. Dann überrollen uns das Kapital und die Wettbewerbsgesellschaft. Das darf nicht sein. Aber ich bin guter Dinge. Die nächste weltweite Revolution muss eine weibliche sein, da bin ich mir ganz sicher. Es ist gar nicht anders möglich. Selbst in der Türkei gibt es einen Aufstand der Frauen gegen Erdogan. Was meinst du, wie den das ärgert? Davor hat er am meisten Angst. Genauso ist es in Südamerika. Auch „Fridays for Future“ ist von Frauen gemacht. Nicht nur wegen Greta. Die meisten Aktivisten sind Mädchen. Eine herrschaftsfreie Welt ist ohne wirkliche Gleichberechtigung nicht möglich. Das fehlt uns auch hier. Es ist besser als im Iran, aber es ist noch keine Gleichberechtigung. Eine Politikerin der Grünen sagte mir mal, wenn sie in der Politik aufsteigen wolle, müsse sie männliche Machtstrukturen ausüben, was sie aber nicht will. Das ist die Gefahr. Das Patriarchat ist fünf- oder zehntausend Jahre alt. Wenn eine Frau sich wie ein Mann aufführt, wie Marine Le Pen, dann haben wir auch keine weibliche Politik.
Wie stehst du denn zu Angela Merkel? Bist du versöhnt mit ihr aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik?
Ich war mit ihr nie politisch einer Meinung, aber spätestens seit „Merkel muss weg“ war ich auf ihrer Seite. Sie hat zwei herausragende Eigenschaften, die mir sehr imponieren: Sie ist nicht eitel und sie ist nicht korrupt. Ich halte sie für eine wirklich unbestechliche Person – im Gegensatz zu unserem Herrn Scheuer, dem die Autoindustrie aus den Ohren rausschaut. Auch wenn ich anderer Meinung bin, habe ich schon eine Achtung vor Frau Merkel.
Foto: Roland Pohl
Wird es zum neuen Programm auch ein Lied mit dem Titel „Utopia“ geben?
Vielleicht – das weiß ich noch nicht. Ich muss ja bei den Liedtexten immer warten, bis sie mir passieren. Ich kann sie nicht erzwingen. Das konnte ich noch nie. Ein paar neue Stücke habe ich geschrieben und ich werde noch einige Vertonungen von Mühsam, Kästner und Mascha Kaléko machen, also von den verbrannten Dichtern. Und ich werde zwei Schauspielerinnen dabei haben, die auch Texte sprechen.
Vielen Dank, Konstantin! Eine letzte Frage hätte ich noch: Meine Frau meinte, ich soll unbedingt nach der bunten Kette fragen, weil es da doch sicher eine Geschichte zu gibt.
Natürlich. Das kommt aus der Kultur des Friedens, der ich sehr verbunden bin. Da war ja früher auch Mikis Theodorakis dabei und viele tolle Leute. Mit denen war ich kurz vorm Irakkrieg in Bagdad. Wir haben diese Kette entworfen und verkauft. Der Erlös ging an Kinder dort. Wir haben Kindern geholfen, die mit 7 oder 8 Jahren in Bagdad arbeiten mussten. Wir halfen, damit sie in die Schule gehen konnten. Ich hatte auch ein Patenkind dort, Amir, aber dann kam der Krieg und der Kontakt ist abgebrochen. Ich weiß nicht, ob er noch lebt. Diese Friedenskette hat die „PACE“-Farben und dient jetzt anderen wohltätigen Zwecken.
Ganz lieben Dank für das Interview und deine Zeit. Gleich ist Einlass. Ich wünsche dir und uns ein tolles letztes „Weltenbrand“ Konzert.
Es war wundervoll, so ausgiebig und intensiv mit Konstantin sprechen zu können. Wir waren direkt beim „Du“ und ich bewundere seine Offenheit in den angesprochenen Themen. Mein Dank geht an den Tourleiter Peter Ledebur für die perfekte Betreuung vor Ort, an Mark Dehler von Netinfect für die Vermittlung des Interviews und natürlich an den lieben Konstantin, der den Abschluss der „Weltenbrand“-Tour zu etwas ganz Besonderem gemacht hat. Wir freuen uns auf „Utopia“ und die nächsten Weisheiten des unermüdlichen „Kämpfers für eine herrschaftsfreie Welt“. PACE!