Bertram Engel – ein Name, den vermutlich jeder schon mal gehört hat, der auf einem Konzert von Udo Lindenberg oder Peter Maffay war. Als Bertram Paßmann wurde der Schlagzeuger vor 66 Jahren in Burgsteinfurt (NRW) geboren und hat die Musikhochschule Münster besucht. Schlagzeug war sein Hauptfach, doch er hätte wohl selbst nicht gedacht, dass dieses Instrument ihn irgendwann in die Annalen der Musikgeschichte katapultieren würde.
Noch während Bertram mit seinem Bruder Thomas als Gebrüder Engel erste Erfolge feierte, wurde er schon von Udo Lindenberg für das legendäre Panikorchester rekrutiert. Kein Zufall, denn auch Steffi Stephan – Mitbegründer und musikalischer Direktor des Panikorchesters – hat bei den Gebrüdern mitgewirkt. So wurden Verbindungen geknüpft und Bertram konnte schon als Jungspund ist Showgeschäft der Legenden einsteigen.
Später wurde er dann zudem von Peter Maffay engagiert, für den er bis heute trommelt, singt, schreibt und produziert. Doch der Weg dahin war echter Rock ’n‘ Roll, wie Bertram in seiner Biografie „Mit alten Männern spiel‘ ich nicht“ erzählt. Da geht es um schöne Anekdoten und erstaunliche Eskapaden, die wie eine historische Abhandlung über die deutsche Musikszene der letzten fünf Jahrzehnte wirken.
Gnadenlos ehrlich erzählt er weitestgehend chronologisch von seinem Weg, der ihn auch mit internationalen Künstlern wie Bruce Springsteen, Robert Palmer, Joe Cocker und Eric Burdon zusammen führte. Schonungslos ehrlich erfahren wir Geschichten von Alkohol und Drogen, Verträgen und Entscheidungen, Frauen und Sex – ein spannender Einblick hinter die Kulissen des Geschäfts.
Die rund 300 Buchseiten vergehen wie im Flug. Einige Seiten mit Farbfotos, eine Chronologie der Ereignisse und ein Personenregister runden dieses gelungene Buch ab, das sich damit auch als Nachschlagewerk eignet. Sehr empfehlenswert für Freunde guter deutscher Rockmusik.
Nach Ende der Nachmittagsvorstellung, die mit den tanzfreudigen Flogging Molly begonnen und mit einem glamourösen Yungblud geendet hatte, durfte man sich auf einen denkwürdigen Abend mit Limp Bizkit, Rise Against, Giant Rooks, Foo Fighters und Apache 207 freuen.
Wenn man nach dem korrekten ROCK AM RING Feeling fragt, dann sind es Momente wie diese: Fred Durst von Limp Bizkit singt „Behind Blue Eyes“ und die Welt bleibt für einen Moment stehen. Gleichzeitig ging ein sonniger Tag zu Ende, wie erschöner nicht hätte sein können. Der Gig stand für Limp Bizkit übrigens stark im Zeichen von Coverversionen. Man startete mit „Thieves“ von Ministry, dann gab es den genannten Ausnahmesong, der im Original von The Who stammt – und die Band machte einen Ausflug in den Pop von George Michael. Als die Rhythmen von „Faith“ erklangen, hielt die Menge das zunächst für einen Scherz, aber tatsächlich wurde zunächst „Careless Whisper“ komplett gespielt, das dann in ein frenetisch bejubeltes „Faith“ mündete. Das war durchaus passend für die Festivalstimmung. Aber natürlich gab es auch genügend eigene Songs. „Hot Dog“ musste zunächst aufgrund technischer Probleme abgebrochen werden, startete dann aber nochmal reibungslos durch. Von „Livin‘ It Up“ über „Nookie“ ging es bis zum Abschluss „Break Stuff“. Die Band um den Sänger mit grauem Lockenkopf und Gitarrist Wes Borland mit der obligatorischen Maske hat zum Ende hin den Härtegrad ordentlich hochgefahren.
Damit war der Boden bereitet für Rise Against und ihre melodischen Punkhymnen. Für eine Band, die soziale und politische Missstände stets anprangerte und sich dabei nie den Mund verbieten ließ, gibt es momentan unglaublich viel Stoff. Härtere und softere Töne boten eine ordentliche Mischung, die alle Qualitäten der Band von Punk über Hardcore-Ansätze bis hin zu fast schon melodischen Klängen zu bieten hat. Frontmann Tim McIlrath war nicht unbedingt in Bestform, aber das tat der Stimmung keinen Abbruch. Das Publikum feierte ihn enthusiastisch.
Etwas zeitversetzt hatten es sich Giant Rooks auf der Mandora Stage gemütlich gemacht. Die 2014 in Hamm gegründete Band hat sich einer Mischung aus Artrock, Pop und Indie verschrieben. Bis zum Debütalbum hatte man sich sechs Jahre Zeit gelassen, aber dann konnten sie richtig durchstarten. Spätestens seit der Kollaboration mit AnnenMayKantereit für die Neufassung von Suzanne Vegas „Tom’s Diner“ sind sie in aller Munde – und klar gab es diesen Track auch ausgiebig beim RAR-Konzert. Spannend, dass es nicht nur hymnische Indie-Elemente gibt, sondern die fünf um Frederik Rabe auch mal verträumt a cappella ins mehrstimmige Schwelgen geraten.
Zurück bei der Utopia Stage herrschte gespannte Erwartung auf die Foo Fighters. Immerhin gehört Dave Grohl seit Jahrzehnten zu den größten Rockstars unserer Zeit – sei es mit Scream, Nirvana oder jetzt den sensationellen FF. Diese hatten schwere Zeiten durchzumachen, als nach Corona auch noch Schlagzeuger Taylor Hawkins tragisch ums Leben kam. Viele Beobachter meinten gar, dass die Band nicht mehr auf die Beine kommt – doch auf ihrer aktuellen Tour beweisen sie das Gegenteil. Mit Josh Freese wurde ein grandioser neuer Schlagzeuger gefunden und just auf den Tag zum Auftritt bei ROCK AM RING ist das neue Album „But Here We Are“ erschienen. Nicht nur vom Albumtitel eine selbstbewusste Standortbestimmung.
Startend mit „All My Life“ gab es zu „No Son Of Mine“ ein Gitarrenriff aus Black Sabbaths „Paranoid“, das auch den letzten anwesenden Rockfan aufrüttelte. Zunächst schien es, als sei Dave nicht in Erzähllaune. Er ließ lieber die Instrumente sprechen, wobei Freese als Hans-Dampf-in-allen-Gassen eine krassen Job hinlegte. Manchmal konnte man meinen, alle anderen Instrumente seien nur schmückendes Beiwerk. Sowas habe ich höchstens mal bei Dream Theater erlebt. Dabei will ich die Leistung der gesamten Band gar nicht schmälern. Es war eine Show wie vom anderen Stern und man hatte die Menge fest im Griff.
Zu „Times Like These“ wurde Dave gesprächiger und gab es eine lange emotionale Ansage, die die Geschehnisse der heutigen Zeit thematisierte, aber auch den Bogen zu Band schlug. Was für ein Bild, als es auf der Bühne dunkel wurde und man ein Handylichtermeer bis nach hinten zum Riesenrad sehen durfte. In diesen Momenten wurde die Größe des Geländes mal wieder bewusst. Die Bandpräsentation während „The Sky Is A Neighborhood“ war ein Happening, bei dem vor allem die Vielzahl von Bands des Schlagzeugers (u.a. Devo, Nine Inch Nails) ein Thema war. Emotional wurde es, als Dave „My Hero“ zunächst solo mit Publikum startete und dann in den Bandsound überging. Zu „Shame Shame“ kam seine Tochter Violet auf die Bühne und beide lieferten ein fantastisches Duett, das ausgiebig bejubelt wurde. Und „Aurora“ – wundervoll – wurde dem verstorbenen Taylor gewidmet. So kreierte man in zwei Stunden Konzertlänge die bisher größten Momente des Festivals.
Danach waren die meisten gesättigt und strebten zum Zeltplatz, doch man hatte die Rechnung ohne Apache 207 gemacht. Der Rapper aus Ludwigshafen hatte groß aufgefahren und die Bühne zur Heimat von „Apache Oil“ gemacht, sprich: eine komplette Tankstelle inklusive Späti und Mercedes aufgebaut. Der Start mit „In The Air Tonight“ zeigte die Bedeutung des Abends für Apache, der sichtlich überwältigt war. Gleich zu Beginn gab es ein Feuerwerk und fette Pyro. Songs wie „Brot nach Hause“ und „Fame“ erzählten von seiner Biografie – und das Publikum war standhaft textsicher. Das zu den Maulereien, dass solche Musik nicht an den Ring passt. Als der Konfettiregen auf die Zuschauer*innen niederging, fühlte sich jeder hier zuhause.
Die Musik kam von einem DJ, doch es gab auch echte Gitarrensoli und Schlagzeug. „Rhythm Is A Dancer“ erklang vom Band und zu „My Heart Will Go On“ ging es stilecht mit einem riesigen Boot durch die Menge. Zwischenhalt war auf einer drehenden Bühne, wo Apache mit seinen Mitstreitern einen kleinen Akustik-Set zum Besten gab. Der Beweis, dass er durchaus handgemachte Musik zu bieten hat. Bis ganz zum Schluss mussten alle warten, die sich auf seinen Überhit „Komet“ gefreut hatten. Es war weit nach 2 Uhr, als die Lichter erloschen. Apache 207 hatte hier definitiv einen persönlichen Sieg errungen, die Atmosphäre des Rockfestivals förmlich aufgesogen und sich zu eigen gemacht. Rap ist immer für eine Überraschung gut!
Und es ist natürlich nicht nur die Reeperbahn. Jährlich Ende September wird Hamburg seit vielen Jahren zur Musikhauptstadt der Welt. Das merke ich allein schon durch die Frequenz an Promoter*innen, die mir Auftritte ihrer Acts ans Herz legen oder ganz allgemein darauf hinweisen, dass sie in Hamburg zu finden sein werden. Kein Wunder, denn das Reeperbahn Festival ist nicht nur das vermutlich größte Clubfestival der Welt (diesmal mit 40.000 Besuchern und über 400 Konzerten in unzähligen Locations) sondern auch Dreh- und Angelpunkt der Musikindustrie mit einer großen Menge an Fachbesucher*innen, die das Event als große Messe wahrnehmen und neben den Events auch an Vorträgen sowie Diskussionen verschiedenster Art teilnehmen. Das alles in einer Branche, die es so nötig hat wie nie.
Das Reeperbahn Festival hat sogar in den Jahren stattgefunden, als alles still gelegen hat. Klar musste man in den letzten beiden Jahren die Besucherzahl zurückfahren. Das ausgeklügelte Hygienekonzept war aber vorbildlich, wurde europaweit viel beachtet und später auch kopiert. Jetzt ist wieder Normalität eingekehrt. Und das Renommee des Festivals sorgte im Jahr 2022 vier Tage lang dafür, dass die Clubs nicht – wie so oft im Moment – mit gähnender Leere glänzten sondern aus allen Nähten platzten.
Okay. Das konnte auch mal nervig sein, wenn die Schlange zu lang war, um noch mit guten Chancen zum gewünschten Konzert eingelassen zu werden. Doch die Menschen waren gelassen. Man blieb entspannt und stillte seinen Konzerthunger am Ende einfach da, wo noch Platz war. Notfalls open air auf dem Heiliggeistfeld oder dem Spielbudenplatz, wobei letzterer sogar dem Publikum ohne Bändchen offen stand, also den Menschen, die einfach ein wenig Festivalluft atmen wollten. Auf jeden Fall ein feiner Zug der Veranstalter!
Zum Programm und den Highlights:
Die größten Überraschungen gab es gleich zu Beginn. Ich nenne mal Kraftklub, die als Überraschungsgäste des Festivals dezent die komplette Reeperbahn mit ihrer Bühne blockiert haben und dann auch drastisch eskaliert sind. Gastauftritte von Casper und Bill Kaulitz inklusive.
Vorher hatte schon das „Opening“ im Stage Operettenhaus für Furore gesorgt, als plötzlich Udo Lindenberg, der frisch gebackenen Ehrenbürger der Hansestadt, auf der Bühne stand. Den hatte nämlich Jan Delay bei seinem Opening-Auftritt kurzerhand im Schlepptau. Überhaupt war das Opening ein Megaevent mit Momenten zum Jubeln, zum Träumen und zum Innehalten. Abgesehen von den oben genannten Herren war die Eröffnung dabei übrigens fest in Frauenhand. Somit setzte das RBF durchaus ein Zeichen, war doch in den letzten Monaten viel Kritik an männerlastigen Events wie „Rock am Ring“ laut geworden. In Hamburg hatte man fast das Gefühl, Carolin Kebekus hätte das Booking übernommen – so viele weibliche Acts waren zu finden.
Die Frauenpower startete mit der wundervollen Ellie Goulding, die neben ihren Songs auch eine bewegende Rede zum Zustand der (Musik)Welt hielt. Natürlich konnte man den Ukraine-Krieg nicht verschweigen. So trat die Rapperin Alyona Alyona auf, die 2019 den ANCHOR Award gewonnen hatte und leitete über zu einer bewegenden Rede von Natalia Klitschko, die in ihrer Keynote von den Auswirkungen des Krieges auf die Kultur berichtete, aber auch von der Stärke, die ein unterdrücktes Land im kulturellen Austausch gewinnt. Es folgten Performances von Zoe Wees, dem Cast des Musicals „Hamilton“, das in Kürze ebenda im Operettenhaus starten wird, und von besagtem fulminantem Duo Jan & Udo.
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Gerade aus dem Veranstaltungssaal getreten, konnte man dann Kraftklub mitten auf der extra gesperrten Reeperbahn entdecken. Was für eine Show, die allen Menschen rundum sagte: „Wir sind hier. Das Festival ist gestartet.“ Da passte ein Song wie „Ich kann nicht singen“ natürlich wie die Faust aufs Auge. Nicht schön, aber selten, war die Devise. Oder besser: Authentisch, rau und bodenständig. Zu „Wenn du mich küsst“ erschien plötzlich Casper als Feature-Gast auf der Bühne und später gab sich auch Bill Kaulitz von Tokio Hotel die Ehre, der ein Teil der ANCHOR-Jury 2022 war.
Jetzt konnte das Festival richtig losgehen und Highlight reihte sich an Highlight.
Da wäre ClockClock, definitiv die Band der Stunde. Mit „Brooklyn“ (einem Feature bei Glockenbach) und seinem Megahit „Sorry“ sprengt der Pfälzer Bojan Kalajdzic momentan jede Radioplaylist. Im glanzvollen Spiegelzelt zeigte er zudem eine große Nähe zum Publikum und legte einen absolut sympathischen Set hin.
Anaïs, deutsche Nachwuchskünstlerin mit belgischen Wurzeln, stellte den Mojo Club auf den Kopf. Sie traf in Klang und Text einen emotionalen Nerv, den andere oft genug verfehlen. Eine echte Powerfrau mit betörender Präsenz.
Der britische Rapper Loyle Carner gab schließlich das offizielle Eröffnungskonzert des Festivals im STAGE Operettenhaus vor 1.200 Zuschauern. Neben den Konzerten in der Elbphilharmonie sicher das größte Einzel-Event des Festivals.
Zum Abkühlen gab es dann mittwochs noch Charles Watson im Bahnhof Pauli. Solche Clubkonzerte sind das Salz in der Festivalsuppe. Dieser Mann der leisen Töne war ganz allein mit Gitarre auf der Bühne und lieferte einen melancholischen Abschluss des Mittwochs.
Tags drauf gaben sich die Schweden von Mando Diao im Saturn, dem großen CD-Laden am Hauptbahnhof. die Ehre und lieferten einen kleinen Acoustic Gig zu zweit. Auch wenn Gustaf Norén nicht mehr dabei ist, macht Björn Dixgård doch einen klasse Job am Mikro. Seine tiefe Stimme ging durch Mark und Bein. Es gab neue Stücke wie „Stop The Train“ und zum krönenden Abschluss den Superhit „Dance With Somebody“ in einer genial reduzierten Version.
Sebastian Madsen ist ja neuerdings solo unterwegs und veröffentlicht in Kürze sein Debüt. Gebucht wurde er als Ersatz für einen ausgefallen Act erst zwei Tage zuvor. Um so besser war seine Performance. Multiinstrumentalistin Anne de Wolff begleitete ihn und seine Band. Es gab Songs wie „Sei du selbst“, das normalerweise von Drangsal gefeatured wird, und „Baby, ich liebe dich“ in einer schönen Version für Klavier und Violine.
Annie Chops ist mir schon 2021 äußerst positiv aufgefallen. Und diesmal legte sie noch einen Zahn zu! Open Air auf der Spielbude verzauberte sie ihr Publikum mit einer fulminanten One-Woman-Show. Gitarre und Loop Station waren am Start – dazu eine mitreißende Performance. Annie ist leidenschaftliche Straßenmusikerin. Und so machte sie halt die Bühne zu ihrer Straße und brachte die Reeperbahn zum Tanzen. Von Soul bis Hip Hop war alles dabei und es gab erstmals zwei deutschsprachige Stücke: „Eins durch zwei“ und „Verlieben zählt nicht“. Stand ihr gut!
Danach feierten KLAN im Bahnhof Pauli einen ordentlichen Abriss mit fettem Sound. Stimmung, Spaß und gute Laune vor vollem Haus. Stefan und Michael Heinrich haben es vom Kirchenchor über das Straßenmusikerdasein bis zum profilierten Musikerduo geschafft und man muss sie im Auge behalten. Das Duo ist gekommen, um zu bleiben.
Zu nächtlicher Stunde ging es in die St. Michaelis Kirche, den berühmten „Hamburger Michel“. Dort spielte die Band HUNDREDS mit dem Ensemble Berlin Strings. Die Atmosphäre in diesen heiligen Hallen ist ohnehin immer ganz besonders. Die Akteure erzeugten einen wundervollen Sound zwischen atmosphärischem Elektropop und knallharten Techno Beats. Das hat der ehrwürdige Michel vermutlich noch nicht oft erlebt.
Auch freitags gab es nach einigen kleineren Konzerten wieder ein Highlight im Michel: Manuel Bittorf aka Betterov hatte sich eine illustre Schar von Gästen eingeladen. Neben einem klassischen Ensemble gab es an den Vocals auch Novaa, Paula Hartmann, Fil Bo Riva und den sensationellen Olli Schulz. Vor allem die gefühlvollen Momente schlugen voll durch. Olli Schulz stimmte extra für Manuels Papa, der großer Springsteen-Fan ist, „No Surrender“ an. Und zum Schluss traf er mit „Als Musik noch richtig groß war“ den Nerv aller Anwesenden.
Dann ging es zu dem ersten von zwei Konzerten in die Elbphilharmonie. Was für ein Haus, was für eine Kulisse, was für ein Sound! Die britische Soul und R&B Künstlerin Joy Crookes, die gerne mal mit Amy Winehouse verglichen wird, legte einen gefühlvollen Set hin und war stets in gutem Kontakt zum Publikum, das durchweg an ihren Lippen hing. Sie trat selbstbewusst, aber gar nicht divenhaft mit großer Band auf, konnte aber ganz zum Schluss allein am Piano die meisten Herzen für sich gewinnen.
Tags drauf waren es die belgischen Klangkünstler Warhaus, die die Elbphilharmonie beseelten. Maarten Devoldere hat mit seiner rauchigen Stimme, die stets ein wenig an Nick Cave erinnert, früher schon der Band Balthazar vorgestanden. Jetzt gab er dem Bandprojekt Warhaus ein Gesicht, das mit endlosen Klangcollagen und verspielten Instrumentalpassagen überzeugte. Zum Ende hin gab es per Loop-Verstärkung ein Soundgemälde epischen Ausmaßes, bei dem Künstler und Publikum nur die Luft anhalten konnten, bevor riesiger Jubel losbrach.
Damit ging für mich ein phänomenales Festival zu Ende. Ich will aber nicht die Berliner Künstlerin Wilhelmine unerwähnt lasen, die zuvor im Club „Uebel und gefährlich“ ein einstündiges Konzert gab. Ihre anfängliche Unsicherheit überspielte sie mit viel Energie und war mega sympathisch. Songs wie „Komm wie du bist“, „Meine Liebe“ und „Das Mädchen mit der Latzhose“ zeugten von Popmusik, die etwas sagen möchte. Durch authentische Ansagen gelang ihr das mit Bravour.
Das Reeperbahn Festival lebt von seiner Vielfalt. Ironischer Schlager, Pop, Soul, Indie auf der einen Seite, Alternative Rock, Rap und Metal auf der anderen. Für jeden ist etwas dabei und Überraschungen gibt es viele. Vermutlich kann sich jeder Besucher seine eigene Geschichte von Highlights und Neuentdeckungen spinnen – und das ist gut so. Das Herz der Musikwelt schlägt jeden September für vier Tage in Hamburg. Vom 20.09.2023 bis 23.09.2023 ist es wieder soweit. „Early Bird Tickets sind“ bereits erhältlich!
Im Sommer waren Deine Cousine mit Fury in the Slaughterhouse on Tour. Was für ein Support! Selten nimmt eine Vorband die wartende Menge so mit, wie das Frontfrau Ina Bredehorn gelang. Mit wildem Punkrock war sie durchgehend in Bewegung, nutzte die komplette Bühne und den Laufsteg für einen wilden Tanz, um ihre Botschaft auf den Weg zu bringen: Für Feminismus und Diversität – gegen alle Arschlöcher dieser Welt.
Ebenso dynamisch und kraftvoll erklingt ihr zweites Album „Ich bleib nicht hier“. Das sind 39 rockige Minuten aus einem Guss. Im Jahr 2018 hat Ina noch mit Udo Lindenberg „Du knallst in mein Leben“ fürs „MTV unplugged“ geschmettert. Schon damals in ihrer Energie kaum zu bremsen – und so sprach der Titel des Debüts „Attacke“ vor drei Jahren natürlich Bände.
Und warum sollte sich diese Angriffshaltung ändern? Der Titelsong im Jahr 2022 bietet authentische Aussagen voller Weltschmerz mit melodischer Melancholie. Doch drumherum gibt es wilden Punk und puren Rock’n’Roll.
Der Opener „Irgendwo da draussen“ sendet einen Weckruf in die Welt. „Küsschen links, Küsschen rechts“ nimmt die High-Society-Sippe auf die Schippe und weist falsche Freunde in ihre Schranken. Logisch, dass Ina da kein Blatt vor den Mund nimmt.
Auch Punk kann Lovesongs schreiben. „Bang, Bang (Mein Herz schlägt krass für dich)“ verbindet lauten Sound und große Gefühle. Mit Hau-Drauf-Sound geht es aber in „Träume findet man im Dreck“ auf die Suche nach dem eigenen Weg. Im Gegenzug kommt „Bring mich nach Hause“ fast schon melancholisch rüber.
„369“ ist ein tanzwütiger Feiersong, dem die Ballade „Kaputtgeliebt“ folgt. Dazu passt „Ein bisschen mehr Liebe“ zunächst am Piano mit eindringlichem Text und dann mit starken Gitarren in Richtung Refrain.
Das Album hat keinerlei musikalische Berührungsängste und wandelt gekonnt zwischen Punk, Rock und soften Momenten. Dabei kann der Wechsel abrupt innerhalb eines Songs folgen. Das Ergebnis ist ein starkes und vielseitiges Album mit Tiefgang in den Lyrics. So dynamisch wie die unaufhaltsame Frontfrau.
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Im Video zur neuen Single von DEINE COUSINE treffen Welten aufeinander: Der international renommierte Werbe- und Modefotograf Wolfgang Zac aus Österreich sowie Claudia Delphin drehten das Musikvideo für „Bielefeld, Paris oder Madrid“, der dritten Single aus dem am 09.09. erscheinenden Album „Ich bleib nicht hier“.
Der wilde Punkrock-Song trifft auf ein Video im Stil eines High Class Mode-Shootings, in dem Ina Bredehorn zahlreiche sündhaft teure Outfits auf ihre Bühnentauglichkeit testet. „Einige Outfits kosten mehr als mein Kleiderschrank“, so Ina Bredehorn. Es ist das erstes Musikvideo von Wolfgang Zac und Claudia Delphin, die in L.A. leben und arbeiten, doch als Fans von DEINE COUSINE mussten sie nicht lange überredet werden. Vereint die drei doch, dass in ihrer Arbeit immer die nötige Portion Rock’n‘Roll stecken muss und ganz getreu dem Albumtitel immer neue Grenzen ausgetestet werden müssen.
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Die Konten sind geplündert und der Fluchtwagen gepackt. DEINE COUSINE hat schon vor Jahren alle sicheren Brücken hinter sich abgebrochen, um dich tanzend, grölend und springender Weise mit auf einen unvergesslichen Sommer-Roadtrip mitzunehmen.
Mit durchgedrücktem Gaspedal geht es ab zum Eiffelturm, um die französische Hauptstadt von oben mit Bier zu begießen. Nach Vegas für eine stürmische Hochzeit, die dann genauso stürmisch wieder geschieden wird. Für eine letzte Nacht noch nach Venedig und schlaflos durch den Karneval tanzen, bevor sich das Meer die Stadt zurückholt.
Und an jeden verdammten Ort, an den es uns führt: am Vatikan, dem Turm von Pisa oder dem Roten Platz werden unsere Namen an die Wand gesprüht, damit jeder weiß, wir waren da und wir waren am Leben. Nicht immer im Gleichgewicht, aber mit der Zuversicht, dass diese Momente unsere Existenz einzigartig machen werden.
Und selbst wenn die Reise nur der Weg ist, um herauszufinden, dass es Zuhause doch am schönsten ist, der Weg ist das Ziel und dieser Song ist für jeden, der immer schon einfach seine Sachen packen wollte, um einfach mal abzuhauen, dem Burnout zu entkommen und zu sehen, wie schön dieses Leben?!
Das zweite Album von DEINE COUSINE erscheint am 09.09. über Inas eigenes Label Attacke Records und heißt „Ich bleib nicht hier“. Bisher wurden bereits die Singles „Bang Bang (Mein Herz schlägt krass für dich)“ und „Träume findet man im Dreck“ ausgekoppelt. Diesen Sommer ist DEINE COUSINE noch auf zahlreichen Festivals und als Support von Die Toten Hosen und Fury In The Slaughterhouse zu sehen, bevor es im September auf eigene große Headline-Tour geht.
84 Jahre wird Klaus Doldinger morgen alt. Der Jazzmusiker und Saxophonist hat eine Reihe zeitloser Titel geschrieben. Man denke nur an das „Tatort“-Thema, „Das Boot“ und „Die unendliche Geschichte“. 1971 hatte er bei Gründung der Band Passport immerhin Udo Lindenberg am Schlagzeug. Und das Lebenswerk scheint noch nicht beendet, wenn man seine Liveauftritte betrachtet.
Der in Berlin geborene und in Düsseldorf ausgebildete Komponist, Bandleader und Jazz-Connaisseur lebt seit Jahrzehnten in Icking nahe München. Inzwischen kann Doldinger auf mehr als 5000 Live-Konzerte, Tourneen durch 40 Länder, über 2000 selbstverfasste Kompositionen, mehr als 50 veröffentlichte Alben und Auftritte mit diversen Sinfonieorchestern zurückblicken. Für sein „Symphonic Project“-Album nahm er bekannte Stücke aus seinem Werk mit Passport und einem Sinfonieorchester auf.
Seine besonderen Verdienste für den Fortbestand und den Fortschritt der modernen Musik aus Deutschland sind längst mehrfach gewürdigt worden – vom Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, über die „Goldene Kamera“, zahllose Gold-Awards bis hin zum Adolf-Grimme-Preis. Schöne Anerkennungen seien das, sagt Klaus Doldinger, aber sie sind für ihn keinesfalls so wesentlich wie die Musik. Um mit bald 84 Jahren wieder aufzubrechen, um neue Anknüpfungspunkte für seine einzigartige Komponistenhandschrift zu finden, sei die energetische Standortbestimmung „Motherhood“ sinnvoll gewesen, erklärt er. Als Zuhörer muss man sich die Sinnfrage hingegen gar nicht stellen. Zuhören, genießen und erkennen zu können, warum Doldinger heute so klingt wie er klingt, ist ein Segen.
„Motherhood“ gab es Ende der 60er Jahre als Projektnamen. Damals erschienen zwei Alben unter diesem Titel und der Name stand für Jazz verknüpft mir Rock, Soul und Weltmusik. Neun dieser Titel hat Doldinger nun neu aufgenommen. Der zehnte („Soul Tiger“) steht ganz am Anfang der Scheibe und ist ein Original aus dem Jahr 1969. Dann folgt „Devil Don’t Get Me“ mit den Vocals des noch sehr frisch klingenden Udo Lindenberg aus dem Jahr 1970. Erst danach geht es komplett in die Gegenwart und Max Mutzke leiht „Song Of Dying“ seine wundervolle Stimme.
Hammond-Orgel, der Groove von „Soul Town“ und „Locomotive“, die Saxofon-Soli auf „Circus Polka“ – und ganz mittendrin „Turning Around“ mit Meister Doldinger selbst am Gesangsmikro. Das sind starke Songtitel und handfeste Überraschungen. Besonders andächtig lausche ich aber „Women’s Quarrel“ mit der fantastischen China Moses an den Vocals und dem Abschluss „Wade In The Water“ mit Joo Kraus an der Trompete.
„Motherhood“ bietet zehn zeitlose Klassiker, die Doldinger hier gekonnt in die Gegenwart holt. Egal ob man das Album als Remake oder Neudeutung ansieht: Es zeigt Klaus Doldinger in Topform.
Ist doch stark, wenn man mit 73 Jahren erleben darf, wie man selbst als Legende und Ikone der deutschsprachigen Rockmusik gefeiert wird. Wenn man das eigene Biopic noch im Kino erleben und den roten Teppich durchwandern darf. Oft gibt es solche Streifen ja erst nach dem Tod des Protagonisten – doch Udo mit seiner kultigen Lebensgeschichte hat halt den Absprung von Drogen und Alkohol geschafft und sich selbst ein gesundes Leben im Alter beschert. Das soll belohnt werden!
Das neue Jahrtausend hat viel gesehen: Zwei starke (Nummer 1-)Alben, großartige und energiegeladene Livealben, gleich zwei „MTV unplugged“ – Udo Lindenberg ist halt „Stark wie zwei“ und „Stärker als die Zeit“. Auch das Musical „Hinterm Horizont“ war überaus erfolgreich und beleuchtete einen kurzen Abschnitt aus Lindenbergs Karriere. Biografien gibt es ja schon unzählige und alle sind in sich lesenswert. Was aber noch fehlte, war ein Biopic über die Anfänge des Künstlers. Udos „Bohemian Rhapsody“ heißt „Mach dein Ding“ und kommt am 16. Januar 2020 in die Kinos.
Die Geschichte handelt von seiner Kindheit in der westfälischen Provinz bis zu seinem Durchbruch im Hamburg der 70er Jahre. Ausnahmetalent und Shooting-Star Jan Bülow brilliert in der Rolle des jungen Udo Lindenberg. Zu dem hochkarätigen Cast zählen außerdem Detlev Buck, Max von der Groeben, Charly Hübner, Julia Jentsch und viele mehr. Der Titelsong „Niemals dran gezweifelt“, der für den Film entstanden ist, unterstreicht die packende Geschichte von Udo Lindenberg und ist Teil des Soundtracks zum Film, der am 10. Januar erscheint.
Neben dem Soundtrack gibt es (natürlich) auch ein Buch zum Film. Und das ist sehr gelungen, denn es verbindet die Biografie mit Bildern des Films. Will heißen: In erster Linie wird die frühe Geschichte von Udo erzählt. Seine Familie spielt eine große Rolle, die ersten Erfahrungen als Schlagzeuger, die Mitglieder des Panikorchesters, aber auch große Förderer wie Klaus Doldinger und die WG-Kollegen im Hamburger Künstlerhaus, Otto Waalkes und Marius-Müller Westernhagen. Kaum zu glauben, wo Udo überall seine Finger drin hatte, bis er dann 1973 mit seiner ersten großen Tournee den Durchbruch schaffte.
Diese Story wird reich bebildert mit Originalfotos und mit kurzen Texten erzählt. Hinzu kommen Szenenfotos aus dem Kinofilm, die Realität und Fiktion wundervoll durchmischen. Das Buch beinhaltet viele weitere O-Töne und Anekdoten von alten Freunden und Weggefährten, unter anderem Inga Rumpf, Tine Acke, Steffi Stephan, Klaus Doldinger und Benjamin von Stuckrad-Barre. Außerdem enthalten sind zahlreiche Zeichnungen und Abbildungen aus den Jahrzehnten und Udos Lebenswelt, sowie Notenblätter und andere Kleinode für echte Udo-Fans. Es ist vielleicht kein Standardwerk über Udos Karriere – da gibt es bessere – aber es ist die perfekte Vor- und Nachbereitung zum Biopic!
Die Autoren:
Frank Bartsch, Jahrgang 1970, Wahlberliner, ist Lindenberg-Fan seit 1977. Nach einer Karriere als Bänker und Vertriebsleiter, leitet er seit 2012 das umfangreiche Archiv von Udo Lindenberg.
Peter Feierabend, Herausgeber, Autor und früherer Musiker, traf Udo Lindenberg vor diesem Buchprojekt bereits zweimal per Zufall: 1976 auf der Bühne tanzend im Kuppelsaal Hannover und 1996 über gemeinsame Bekannte im Hotel Atlantik in Hamburg.
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Carl Carlton ist ein Name, der immer wieder auftaucht, wenn auch meist nicht auf einem Albumcover. Vielmehr ist der Ostfriese fester Bestandteil der Bands von Udo Lindenberg, Peter Maffay, Wolfgang Niedecken und Westernhagen. Und das will was heißen, wenn diese Größen ihre Tourneen rund um die Verfügbarkeit von Carl Carlton planen.
Dieser Ausnahmegitarrist heißt bürgerlich Karl Walter Ahlerich Buskohl, wuchs auf einem Bauernhof auf und verließ mit 17 Jahren die ostfriesische Heimat Richtung Holland. Mit Bertram Engel und Pascal Kravetz gründete er die Band New Legend, später veröffentlichte er als Carl Carlton & the Songdogs vier Alben. Er arbeitete über lange Jahre mit Robert Palmer zusammen – bis zu dessen Abschlusswerk „Drive“, das für einen Grammy nominiert wurde.
In der vorliegenden Retrospektive wird seine Solozeit mit den Songdogs (2001-2008) behandelt. Zur wechselnden Besetzung gehörten unter anderem Musikergrößen wie Eric Burdon, Robert Palmer, Drummer Levon Helm und Organist Garth Hudson von The Band, Steely Dans Donald Fagen, Rolling Stones-Saxofonist Bobby Keys, Slide-Gitarren-Innovator Sonny Landreth, Moses Mo und Wyzard von Mother’s Finest, Faces-/Stones-Keyboarder Ian McLagan, der 5. Beatle Klaus Voormann, Blues-Genius Keb‘ Mo‘, Soul-Man Xavier Naidoo oder der Multi-Instrumentalist Larry Campbell.
Musikalisch geht es um authentischen und soliden Rock’n’Roll. Erdige Musik mit Einflüssen der großen Bands. „Flowers On The Wall“ kennt man aus dem Fernsehen, doch auch die übrigen Titel starten voll durch. Carlton bietet eine bunte Mischung, auch gerne mal im Reggae-Sound („Love, Understanding & Respect“ und mit Folk-Einflüssen („He Gave The Names“)
Zur aktuellen Band zählen neben den Mother’s Finest-Musikern Moses Mo (Gitarre) und Wyzard (Bass) noch Schlagzeuger Bertram Engel und Keyboarder Pascal Kravetz. Im Herbst 2019 gehen Carl Carlton & The Songdogs in dieser originalen Kernbesetzung auf Tournee – 20 Jahre nach ihrer Gründung und zehn Jahre nach ihrer letzten Tournee. „Reunion On Revolution Avenue“ lautet das Motto der 23 Konzerte in Deutschland, Österreich und den Niederlanden. Denn, wie Carl Carlton selbst sagt: „Wozu wäre all das gut, wenn wir unsere Musik nicht auf die Bühne bringen und mit unserem Publikum zusammen zelebrieren würden? Das Publikum ist genauso wichtig wie die Band und die Songs“.
Das auf 500 Stück limitierte und nummerierte Box-Set enthält insgesamt vier Vinyl-LPs im 180 Gramm-Format mit 35 Songs und individuell gestalteten LP-Covern. Das umfangreiche, mit unveröffentlichen Fotos ausgestattete Booklet offeriert neben verschiedenen Vorworten Carl Carltons persönliche und bisher unveröffentlichten Einblicke in die Entstehung aller Songs, die zudem von Fred Kevorkian in New York vollständig neu re-mastered wurden. Die auch separat erscheinende Doppel-CD sowie die ebenfalls einzeln veröffentlichte 7″-Vinyl-Single mit dem Amnesty International-Jubliäums-Song „Toast To Freedom“ und einem Cover des Buffalo Springfield-Hits „For What It’s Worth“ auf der B-Seite werden auch in diesem Set enthalten sein.
Die Reihe „The Story Behind…“ erscheint bereits seit 2016 und aktuell liegt mir die vierte Ausgabe zur Review vor, die am 29.10.2018 erschienen ist. Das Konzept ist denkbar einfach: Autor Thomas Steinberg nimmt sich bekannte Hits der Musikgeschichte vor und erzählt die Geschichte, die ihnen zugrunde liegt.
Für Volume 4 wurden die 70er Jahre als Thema gewählt. Da passt es auch hervorragend, dass Udo Lindenberg das Vorwort des gut 200seitigen Bands schrieb. Auch Herausgeber Stephan Fennel steuert ein Essay bei, das den Glam-Rock der Seventies behandelt.
In erster Linie ist das Buch eine gelungene Bestandsaufnahme wichtiger Songs, die den Sound der 70er ausmachten. Da ist natürlich Lindenbergs „Andrea Doria“ – und die Heroen des Jahrzehnts kommen mit ihren wichtigsten Titeln zu Wort. Ich nenne nur Deep Purples „Child In Time“, Springsteens „Born To Run“ und Pink Floyds „Comfortably Numb“.
Autor Thomas Steinberg ist Jahrgang 1962 und kann seine profunden Kenntnisse und vor allem seine Liebe zu diesem Jahrzehnt nicht verleugnen. Der bekannte Radiomoderator begann 1978 als Journalist in diversen Tageszeitungen und Musikmagazinen. Die meisten Storys hat er aus den vielen Hintergrund-Interviews erfahren, die er im Verlauf seiner Karriere geführt hat.
Steinbergs lockerer und flüssiger Schreibstil macht das Buch zum Genuss. Anfangs blätterte ich nach den Songs, die mich besonders interessierten. Doch mit der Zeit macht es durchaus Freude, das Buch im Gesamten zu lesen und auch die übrigen Geschichten zu entdecken.
Zum Reinhören verweist das Buch übrigens auf eine Spotify-Playlist. Man muss mit der Zeit gehen!
Natürlich sind die Samstage und vor allem die Samstagabende sehr verklärt, wenn man nostalgisch in die Vergangenheit schaut. Wie war das noch? Mit dem Papa Auto waschen? Gesetzt. Dann Sportschau, danach in die Badewanne – und zum Schluss im Schlafanzug auf die Couch. Wer war der absolute Held? Thomas Gottschalk mit „Wetten, dass…?“, aber auch Joachim Fuchsberger war hoch im Kurs, Kulenkampff und natürlich „Verstehen Sie Spaß?“ mit Paola und Kurt Felix. Wenn keine große Show angesagt war, dann halt ein Winnetou-Film. oder das Ohnsorg-Theater. Dieser Abend war für die Familie heilig.
Ob diese Erinnerungen aber für einen dicken Wälzer ausreichen, der sich ganz den Helden dieser Zeit widmet? Und ob! Das beweist Tim Pröse mit vorliegendem Buch. Der Journalist und Autor schrieb für die Münchner Abendzeitung und das Magazin Focus. In vielen Begegnungen mit einigen der oben genannten Stars konnte er ihnen Geschichten und Anekdoten entlocken, die sich nun auf unterhaltsame Art in dieser Sammlung wiederfinden.
Pröse trifft Thomas Gottschalk, Christiane Hörbiger, Hape Kerkeling, Konstantin Wecker, Jan Fedder, Alfred Biolek und lässt Legenden wie Udo Jürgens, Loriot, Hans-Joachim Kulenkampff, Harald Juhnke, Günter Strack und andere noch einmal für uns aufleben. Mit Udo Lindenberg fuhr er auf dessen „Rockliner“, Barbara Schöneberger erlaubte ihm als bisher einzigem Journalisten wirklich private Einblicke, Götz George und Pierre Brice gaben ihm ihre letzten Interviews.
Das Buch besteht aus kleinen Geschichten, in denen Pröse – durchaus emotional angehaucht – seine persönliche Beziehung zu den Protagonisten erzählt, kleine Geschichten und Anekdoten sowie viele O-Töne einfließen lässt. Das ist flüssig lesbar und durch den roten Faden des Samstagabend-Themas hangelt man sich vergnügt von Kapitel zu Kapitel. Es sind schöne Porträts, die eine Zeit nostalgisch wieder aufleben lassen, die schon so lange vergangen scheint und in unseren Herzen doch noch so präsent ist. Wundervoll!
Er hat’s schon wieder getan! Udo Lindenberg gönnt sich und seinen Fans ein zweites „MTV unplugged“. Teil 1 erschien unter dem Titel „Live aus dem Hotel Atlantic“ im Jahr 2011 und hielt sich ganze 117 Wochen in den deutschen Charts – ein Rekord auch für den Panikrocker mit seinen unzähligen Veröffentlichungen. Vor allem die Neuauflage von „Cello“ im Duett mit Clueso sorgte für Dauer-Airplay im Radio.
Sieben Jahre später heißt die Fortsetzung „Live vom Atlantik“. Der Kapitän der deutschen Musikszene ist wieder in See gestochen und holt eine ganze Reihe alter und neuer Freunde mit auf die Reise. Der Release erscheint in verschiedenen Formaten – ob DVD, BluRay, CD oder Vinyl. Mir liegt zur Review die sogenannte „Zweimaster-Edition“ auf zwei CDs vor. Mitgeschnitten wurde das Konzert (wie auch die erste unplugged-Version) im Hamburger Kampnagel. Drei Abende waren es vom 4. bis 6. Juli 2018. Eine Auswahl von 27 Songs wurde hier zusammengestellt.
Tja. Wo soll man anfangen? Udo ist in Topform, wie stets im neuen Jahrtausend. Die großen Krisen der 90er Jahre sind längst vergessen. Und wer irgendwie auf die Idee kommen sollte, Teil 2 müsse naturgemäß ohne die großen Hits auskommen, irrt gewaltig. Der Deutschrock-Barde hat noch einiges in petto. Vielleicht nicht immer sofort zum Mitsingen für Otto Normalhörer, doch die Songs aus alten und jüngeren Tagen gehen so schnell ins Ohr, dass dies kein Problem ist.
„Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klau’n“ ist ein wundervoll melancholischer Start. Dann folgt „Hoch im Norden“ – mit dem passenden nordischen Duettpartner Jan Delay, Lindenbergs Spezi seit vielen Jahren. „Du knallst in mein Leben“ ist der erste große Hit zum Abfeiern und Nathalie Dorra verfeinert den Titel „Meine erste Liebe“.
Von Andreas Bourani erwartet die Musiklandschaft schon seit Jahren Neues. Udo hat ihn für den „Radio Song“ an Bord. 1976 erstmals erschienen – jetzt aber wieder ganz weit vorne. Die nächsten vier Songs gefallen mir ganz besonders: „Kleiner Junge“ aus dem Jahr 1983 gibt es jetzt zusammen mit Reggae-Freund Gentleman. Dann schmettert die Kindertruppe Kids on Stage, die schon häufiger mit Udo unterwegs war, „Wir ziehen in den Frieden“, Klaus Doldingers „Tatort“-Melodie erklingt und Maria Furtwängler singt „Bist du vom KGB“.
Mit Udo und Alice Cooper stehen zwei alte Herren auf der Bühne, die ihre Alkoholsucht im letzten Jahrtausend erfolgreich überwunden haben um danach wieder kräftig durchzustarten. Die neue Version von „No More Mr. Nice Guy“ ist zwar überraschend brav geraten, wurde aber von Udo mit „So’n Ruf musste dir verdienen“ stellenweise solide eingedeutscht. Marteria verpasst „Bananenrepublik“ eine Verjüngungskur. Und mit Angus und Julia Stone sorgt ein australisches Geschwisterpaar für ordentlich Pep bei „Durch die schweren Zeiten“.
Zum Ende hin bekommt das legendäre Panikorchester genügend Raum, um einige Titel wie „Rock’n’Roller“ und „Good Bye Jonny“ stilgerecht zu begleiten. Und mit Jean-Jacques Kravetz endet das zweite unplugged-Album ganz hymnisch und zukunftsorientiert: „Sternenreise“ ist definitiv eines der Highlights.
Der Rundumschlag durch Udos Karriere wirkt umfassend und spürbar zeitlos, vor allem in den filigranen akustischen Arrangements. Hier kann man so manche Perle wiederentdecken. Den optischen Eindruck kenne ich nur von den inzwischen veröffentlichten Videos – es scheint aber eine sehr entspannte Atmosphäre gewesen zu sein. Muss man noch erwähnen, dass das Digipack mit dem Artwork aus Udos Likör-Feder wieder wundervoll gelungen ist? Lindenberg hat sich mit inzwischen 72 Jahre ein weiteres Mal neu erfunden. Wie ein alternder Staatsmann, der sich mit jungen Weggefährten umgibt und seine Karriere Revue passieren lässt. Aber müde wird er nicht. 2019 steht eine fulminante Tour ins Haus – und das nächste Studioalbum ist vermutlich auch längst in der Mache. Weiter geht’s.
Besondere Künstler erfordern besondere Maßnahmen. Uns allen war vermutlich klar, dass es bei Udo Lindenberg noch einiges zu entdecken gilt. Wenn man seine eigenen Aussagen hört, gab es doch einige dunkle Jahre vor allem zum Ende der 80er und in den 90ern. Zum Glück hat er die Kurve wieder gekriegt und wurde im neuen Jahrtausend auch im Blick der Öffentlichkeit zu dem Ausnahmekünstler, der er eigentlich immer war. Und noch mehr: „Stark wie zwei“ und „Stärker als die Zeit“ waren die ersten Nummer-1-Alben seiner langen Karriere. Und mit dem Livealbum „MTV unplugged“ schlug er in die gleiche Kerbe.
Nun folgt im Dezember 2018 die Fortsetzung und Udo gehört zu den wenigen Musikern, denen die Ehre eines zweiten „MTV unplugged“ zuteil wird – und das in so kurzem Abstand zum ersten. Vorher aber arbeitet das Polydor-Label seine 15 Jahre mit Udo Lindenberg in einem grandiosen Boxset auf. Es ist wirklich eine große Freude, dieses Teil in Händen zu halten.
Die ersten (nicht chartrelevanten) Alben von Udo erschienen 1971 und 1972. Im Jahr 1973 ging es dann mit „Alles klar auf der Andrea Doria“ und dem gleichnamigen Hit – den man wohl noch als Rockschlager bezeichnen muss – in die Vollen. Er hatte sich von der englischsprachigen Musik des ersten Albums hin zum ersten echten Deutschrocker entwickelt und damit Pionierarbeit für Künstler wie Westernhagen und Grönemeyer geleistet.
Der Labelwechsel zu Polydor stand 1983 an und prompt wurde sein Album „Odyssee“ mit dem geschichtsträchtigen „Sonderzug nach Pankow“ zum bis dato größten kommerziellen Erfolg. Außerdem bot das Album den All-time-Favourite „Du knallst in mein Leben“.
Die Beschäftigung mit dem kalten Krieg, mit der DDR und Moskau wurde für Udo in vielen Punkten zum beherrschenden Thema, das ihm großes Medieninteresse entgegen brachte. „Götterhämmerung“ ist fast schon ein Konzeptalbum für diese Zeit und enthält mit „Sie brauchen keinen Führer“ einen weiteren Klassiker. 1985 erschienen zwei Alben, wobei „Radio Eriwahn“ hauptsächlich aus Liveaufnahmen aus Russland besteht.
Die Musik enthielt inzwischen viele elektronische Momente, sprang aber nie komplett auf den NDW-Zug auf. Stattdessen versuchte Udo sich an Experimenten wie „Phönix“ mit Vertonungen von Gedichten des großen Bert Brecht. Oder „Hermine“ zu Ehren seiner Mutter, das aus Chansons aus den Jahren 1929 bis 1988 besteht. Filigrane und ernsthafte Kunst wurde da geboten – und parallel gab es weitere Hits wie „Ich lieb‘ dich überhaupt nicht mehr“ und „Die Klavierlehrerin“.
1989 erlitt Udo einen Herzinfarkt, die Mauer fiel und mit „Bunte Republik Deutschland“ erschien ein Album, das zumindest im Titel den Zeitgeist perfekt einfing. Es gab Udo einen starken Schub, dass die Menschen in Ostdeutschland seine Alben endlich legal erwerben konnten. Mit den neuen Werken in den 90ern konnte er aber nicht an alte Erfolge anknüpfen. Vielleicht lag es daran, dass er bisweilen zwischen traditioneller Rockmusik und ambitionierten Projekten wechselte.
„Panik-Panther“ und „Kosmos“ enthielten respektable Rocktitel ohne Anbiederung an den Massengeschmack. Das Album „Gustav“ brachte zum größten Teil selbstgeschriebene Songs im Stil der 50er Jahre zu Ehren seines Vaters. „Benjamin“ war ein Konzeptalbum, das die Geschichte eines jungen Boxers erzählte. Und mit „Belcanto“ konnte Udo endlich wieder groß aufleuchten, als er 1997 mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg alte Hits und neue Songs im Chanson-Stil der 20er Jahre interpretierte.
„Zeitmaschine“ beendete schließlich die 15jährige Zusammenarbeit zwischen Udo und Polydor. Alle 17 Studioalben dieser Zeit gibt es nun in remasterter Version im Boxset „Das Vermächtnis der Nachtigall (1983-1998)“. Und hinzu kommen einige Extras, zu denen ich mich später noch auslasse.
Zunächst einmal zur Aufmachung: Das Boxset ist ein dickes Buch im LP-Format und steckt in einem stabilen Schuber. Man muss sich also keine Sorgen mache, dass dem guten Stück etwas zustößt. Die CDs stecken in stabilen Einstecktaschen. Man bekommt also keine Booklets oder Cover mitgeliefert, sondern nur die puren Silberlinge. Alle Informationen ergeben sich aber aus den 68 Seiten des Buches. Mit einem Vorwort von Udo himself, Liner Notes des Journalisten Michael Fuchs-Gamböck und einer Weltchronik, die Daten der Weltgeschichte zu Udos Gesamtwerk in Bezug setzt. Jedes Album wird detailliert betrachtet. Hinzu kommen viele Fotos und Abdrucke von Konzertkarten. Am Ende werden die Tracklisten der Alben abgedruckt. Als Posterbeilage kann man sich das Cover von „Sündenknall“ auseinanderfalten.
Das 96er Album „Und ewig rauscht die Linde“ wurde als einziges komplett neu abgemischt. Es war Udos Rückkehr zum knallharten Rock ohne elektronische Einsprengsel und ohne filigrane Ambitionen. Dieser erdige Sound kommt jetzt noch besser durch als beim Original.
Und vier besondere Scheiben enthält das Set, die man auch als knallharter Fan der ersten Stunde nicht unbedingt im Regal hat: Ende der 80er Jahre hatte Udo erneut zwei Alben in englischer Sprache aufgenommen. „I Don’t Know Who I Should Belong To“ mit Titeln wie „Horizon” und Jonny Boxer” erschien bisher nur im Vinyl-Format und war kaum noch erhältlich. Die englische Ausgabe von „CasaNova“, eine 1:1-Übertragung des gleichnamigen Albums aus dem Jahr 1988, blieb sogar bis heute gänzlich unveröffentlicht, was vermutlich eine direkte Auswirkung des Mauerfalls und der neuen Popularität Udos im deutschsprachigen Raum war. Jetzt wird dieses Kleinod der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Die Raritäten-CD „Das Vermächtnis der Nachtigall“ enthält Maxi-Versionen und Remixe bekannter Titel. Nichts wirklich Weltbewegendes, aber einige Perlen wie die lange Version von „Airport“ (mit sieben Minuten Spieldauer) und eine schmissige Rockversion von „Ich schwöre“. Die 44minütige Bonus-DVD bietet zwölf Musikvideos aus dieser Ära.
Das Boxset ist eine gelungene Hommage an die mittlere Epoche einer ganz großen Karriere. Es macht unendlichen Spaß, das Teil in Händen zu halten, durch das Buch zu schmökern und einzelne Scheiben im CD-Player aufzulegen. Die Aufmachung ist grandios und wer einen etablierten Udo-Fan im Freundes- oder Verwandtenkreis hat, der sich ein solches Teil vielleicht niemals selbst kaufen würde, kann diesem zu Weihnachten sicher Freudentränen in die Augen treiben.
Udo Lindenberg war schon in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Legende – und im neuen Jahrtausend tat er alles, um diesen Status zu festigen und weiter zu mehren. Mitte der 70er Jahre führte Udo den Rock’n’Roll in den deutschen Sprachraum ein. Dafür musste er sich viel Häme gefallen lassen, aber er hat sich durchgesetzt. 50 Jahre später ist er immer noch da und größer denn je. Die Alben der Neuzeit sind die bestverkauften in seiner Karriere. Auf „Stark wie zwei“ hat er so viele Klassiker geschaffen, dass seine Livekonzerte auch ohne alte Hits funktionieren würden. Für Tourneen bucht er nur die größten Stadien – und zugleich bleibt Zeit und Raum für ein zweites (!) „MTV unplugged“ innerhalb relativ kurzer Zeit.
Die Biographie „Udo“ erzählt die ganze Geschichte, die Abstürze und die Triumphe, die Niederlagen und Siege. Basierend auf Udo Lindenbergs Erinnerungen, auf Berichten von Wegbegleitern und Mitgliedern des Panikorchesters, aufgeschrieben vom Spiegel-Journalisten Thomas Hüetlin. Wir hören von der berühmten Hamburger WG mit Westernhagen und Otto Waalkes. Wir erleben hautnah die historischen Kabbeleien mit Erich Honecker. Wir erfahren auch von Tina Acke – seiner Gefährtin seit den 90er Jahren – aber das nur am Rande.
Das Buch beginnt in der heutigen Zeit und reist dann zurück nach Gronau. Es gibt viel philosophisches Gedankengut über die Entstehung mancher Songs und wir können auch die Liedtexte mitlesen – schön eingepasst in die entsprechenden biographischen Textstellen („Mädchen aus Ostberlin“). So entsteht ein wunderschönes Gesamtbild des Künstlers, der uns schon viele Jahrzehnte begleitet, sicherlich auch seine Tiefpunkte hatte, aber immer wie ein Stehaufmännchen zurück kam. „Thomas Hüetlin hat mein Leben aufgeschrieben wie einen langen Song von mir. Meine definitive Biographie. Mein Ding“, so sagt der Meister selbst zum Buch.
Was mich zeitweise etwas nervt, sind der flapsige Tonfall und die kurzen Sätze. Das passt zwar zu Udo, es stört aber bisweilen den Lesefluss. Wer sich darauf einlassen kann, hat ein starkes, authentisches Buch, das uns den wahren Udo zeigt. Für Fans unverzichtbar (denn selbst der Die-hard-Panikfreund kann hier noch Neues erfahren) und für Freunde deutschsprachiger Rockmusik ein fantastischer Lesegenuss mit vielen Hintergrundinfos wie Diskographie und Personenregister.
Ulla Meinecke war und ist über die Jahrzehnte ihrer Karriere stets eine Persönlichkeit, die sich nie dem Zeitgeist angepasst hat. Eigentlich müsste sie eine ganz große Nummer sein. Eine Liedermacherin in einer Liga mit Reinhard Mey oder Klaus Hoffmann. Qualitativ ist sie das auch – ohne Frage. Sie war eine der ersten Vertreterinnen ernsthafter deutschsprachiger Popmusik, wurde von Udo Lindenberg entdeckt (1976 arbeitete sie als dessen Assistentin und nahm mit seiner Hilfe ihr erstes Album auf) und schrieb 1983 mit Edo Zanki zusammen ihren ersten Hit „Die Tänzerin“. Einen Song, der in seiner atmosphärischen und stimmungsvollen Ausrichtung Maßstäbe gesetzt hat. Seitdem hat die inzwischen 63jährige unzählige hervorragende Alben veröffentlicht, die aber im Radio und in den Charts kaum stattfanden. Warum? Weil sie sich nie hat verbiegen lassen und keinen hippen Trends hinterher gelaufen ist. Ulla Meinecke verdient Hochachtung dafür, dass sie nie aufgegeben hat und ihren Weg auch heute noch konsequent weiter geht.
In die Stadthalle Landstuhl kamen gestern knapp 100 Zuschauer, um die Wahl-Berlinerin mit ihrem neuen Programm live zu erleben. Es trägt den Titel „Wir waren mit Dir bei Rigoletto, Boss!“. Etwas sperrig vielleicht, wenn man den Hintergrund nicht kennt. Besagter Satz ist ein Zitat aus dem weltberühmten Film „Manche mögen’s heiß“ und stellt somit eines der berühmtesten Alibis der Filmgeschichte dar. Das Ambiente in der Stadthalle konnte dem fast entsprechen. Die Sitzplätze waren an Tischen gruppiert und mit Kerzen beleuchtet – eine sehr heimelige Atmosphäre wie in einem Kasino der 20er Jahre.
Vor dem Vorhang war Platz für Ulla sowie ihre beiden multi-instrumental begabten Mitstreiter Ingo York und Reinmar Henschke. Ich muss gleich zu Beginn etwas zu den beiden Musikern sagen, damit das nicht zu kurz kommt: Es ist unglaublich, was die beiden leisteten und wie viele Instrumente jeder zu spielen im Stande war. Sie passten sich perfekt an die Songs an und lieferten ab, was gerade gefordert war – egal ob zwei Gitarren oder zwei Tasteninstrumente gebraucht wurden. Ingo spielte wahlweise Gitarre, Bass, Floor Drums, Mundharmonika, sogar Mouth Percussion bei diversen Songs. Reinmar lieferte Keyboards, Gitarre und Percussion ab – und beide sorgten bisweilen auch dafür, dass aus Ullas Vocals ein fantastischer stimmlicher Dreiklang wurde.
Ganz zu Beginn schuf Reinmar einen sehr sphärischen, floydesken Keyboard-Sound und das Konzert begann mit „Geh mir aus dem Licht“. Ulla Meinecke hatte das Publikum mit warmen, sehr herzlichen Ansagen schnell in ihrer Hand. Das Programm war äußerst vielseitig und bot neben poppigen Melodien auch Blues- und Jazz-Passagen sowie Stücke im Chanson- und Liedermacher-Stil. Selbst eine Prise Folkrock sollte nicht fehlen. Der Keyboard-Sound konnte zwischen Jazzpiano und 80s-Synthesizer pendeln, ohne dass dies komisch wirkte. Es gab schon einige ganz besondere Momente.
Ulla sang in atmosphärischer Erzählweise vom „Hafencafe“, postulierte gemütlich „Schlendern ist Luxus“ und verzauberte mit der irischen Volksweise „The Star Of The County Down“. Sie hatte zu vielen Stücken eine kleine Geschichte zu erzählen und brachte das Publikum oft zum Lachen. Egal ob es im Song „Zu alt“ um die moderne Selfie-Kultur ging, „Das nackte Leben“ von einem unerträglichen Paar berichtete oder ob sie herzerwärmende Werbung für Marc Cohn und seinen Song „Walking In Memphis“ machte, den sie dann auch berührend stark vortrug.
Das war nicht die letzte Coverversion vor der Pause. Es gab auch „Grapefruit Moon“ von Tom Waits, den sie als Meister des Trostes und unverzichtbaren Bestandteil jeder Notfallapotheke bezeichnete. Hier konnte Ulla mit ihrer wundervoll tiefen Stimme glänzen, die so verlebt und emotional den Waits-Song zu neuem Leben erweckte.
In der kurzen Pause konnte man sich die poetisch-zeitlose Musik ein wenig setzen lassen. Das Publikum war zum Teil schon gereifteren Alters. Man ließ sich Freude und Bewunderung ob des Gebotenen durchaus anmerken. Die Geschichten über Einsamkeit, Träume, Liebe und Hoffnung sind sehr berührend und trostvoll. Das ungemütliche Herbstwetter draußen vor der Tür konnte man so schnell vergessen.
Nach der Pause gab es einen dichten Reigen eigener Songs. Oft war es eine realistische, oft eine ironisch-nachdenkliche Sicht auf die Dinge des Lebens. „Wenn wir Glück haben“ erwärmte die Herzen, „50 Tipps ihn zu verlassen“ ließ manche Frau euphorisch mitsingen. „Lieb ich dich zu leise“ erklang wundervoll harmonisch im dreistimmigen Satzgesang. Ulla wurde zum Ende hin still und philosophisch: „Es kostet einen hohen Preis, wenn der Traum in Erfüllung geht. Es kostet den Traum.“
Nach zwei Stunden Konzertlänge war das Publikum ihrem Charme endgültig erlegen und es gab stehende Ovationen vor den Zugaben. Manch Mutiger forderte schon „Die Tänzerin“, doch zuerst gab es in Anlehnung an die kuschlige Herbstzeit den Chanson „Schlaf“. Dann erst durfte man sich den bekannten Klängen der Tänzerin hingeben, die Reinmar Henschke am Keyboard wie zu seligen 80er-Jahre-Zeiten klanglich perfekt in Nostalgie-Tönen hinlegte.
Danach hätte Schluss sein können, doch das Trio beriet sich auf der Bühne zu einer weiteren Zugabe. Ulla erzählte von Udo Lindenberg als dem Ersten, der ihr vor 29 Jahren eine Chance gab und widmete ihm den Song „Bis ans Ende der Welt“, dessen Text sie mit ihm geschrieben hat. Die Gänsehaut in der Stadthalle war spürbar. Ein wundervoller Abschluss für ein tolles Konzerterlebnis. Mancher wird überrascht gewesen sein, welchen Genuss ein Konzert von Ulla Meinecke bietet und was ihr aktuelles Programm beinhaltet. Ein Lob an die Veranstalter von Anderswelt-Event, die immer neu den Mut aufbringen, solche Künstler in die Pfalz zu bringen. Im nächsten Jahr werden unter anderem Purple Schulz, Julian Dawson und Ray Wilson am Start sein. Man darf sich jetzt schon freuen.
Westernhagen live ist immer ein ganz besonderes Erlebnis. Das hat sich auch nach Jahrzehnten nicht geändert. Doch dann gibt es da ganz bestimmte Auftritte, die das Feeling noch stärker machen. Die uns den Künstler, der von Kritikern gerne mal als unnahbar beschrieben wird, um einiges näher bringen. Dazu gehört definitiv das MTV unplugged, das im Sommer in der Berliner Volksbühne aufgenommen wurde.
Im Sitzen, mit Gästen und akustischen Instrumenten – das ist simpel und äußerst wirkungsvoll. „Wir haben ‚Unplugged‘ als künstlerische Herausforderung gesehen“, sagt Marius Müller-Westernhagen. „Wir wollten uns nicht einfach nur akustische Gitarren umhängen und die originalen Arrangements als verkapptes Best of runterspielen. Es galt, das Material von über vier Jahrzehnten meiner Arbeit als Songschreiber zu sichten und sich mit ausschließlich analogen Mitteln völlig neu zu erarbeiten. Wir hatten die Ambition, es für uns wie für das Publikum auf den heutigen Stand unseres Verständnisses von guter Musik zu bringen.“
Das Ergebnis ist eine Zusammenstellung der größten Hits in ganz besonderer Atmosphäre. Zumindest auf der Doppel-CD hört man dem Publikum und der Band das entspannte Rumsitzen nicht an. Da ist Feuer in der Performance und eine hervorragende Stimmung unter den Zuschauern. Die DVD-Version liegt mir zwar nicht vor, aber ich habe natürlich die Konzertausschnitte im Fernsehen genossen. Westernhagens riesiger Hut mit breiter Krempe ist äußerst gewöhnungsbedürftig, aber er funktioniert zumindest als Markenzeichen für diese ganz besondere Produktion.
Die Songauswahl ist nicht überraschend. Ich erfreue mich vor allem an „Geiler is‘ schon“ und „Taximann“. Daran werde ich mich niemals satt hören. Auch schön, dass das in letzter Zeit so selten gespielte „Freiheit“ zu neuen Ehren kommt. Die Arrangements sind schön verfeinert und gehen gut ins Ohr. Bisweilen muss man sich etwas rein hören, doch das wird vermutlich schnell gehen.
Einige Gastkünstler finden sich. Udo Lindenberg trommelt zu „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“. Das ist ein netter Gag, der im CD-Format logischerweise nicht zündet. Aber sehr genial kommen die Duette mit den Frauen: „Lass uns leben“ gemeinsam mit Tochter Mimi ist wirklich ein Traum. Die Künstlerin Ellen darf „Durch deine Liebe“ verfeinern. Und für das Duett mit Lebenspartnerin Lindiwe gibt es ein ganz besonderes Lied: Marius hat einen ihrer Songs mit deutschem Text versehen – und „Luft um zu atmen“ geht als neuer Titel direkt ins Ohr. Zu guter Letzt stimmt Seligs Jan Plewka „Mit 18“ an. Ebenfalls sehr passend.
Einzige Coverversion neben Lindiwes Song ist David Bowies „Heroes“. Damit wird auch der Schluss eingeleitet und Westernhagen spurtet durch seine Gassenhauer „Sexy“, „Wieder hier“ und das unvermeidliche Schlusslied „Johnny W.“. Das ganze Album ist eine runde Sache – mit 24 zeitlosen Songs, die die Karriere von Marius gekonnt wiedergeben. In den neuen Versionen kann man sie auch wieder neu genießen.
Das MTV Unplugged ist veröffentlicht als Live-Album auf CD sowie als Konzertfilm auf DVD/BluRay, von keinem Geringeren als dem vielfach prämierten Regisseur Fatih Akin („Gegen die Wand“, „Soul Kitchen“, „Tschick“) filmisch in Szene gesetzt.
Die lieben Kollegen Edith und Rainer Keuenhof haben ja schon mehr als ausführlich über Udo Lindenbergs Tourstart in Gelsenkirchen berichtet. Doch der gute Herr fährt zweigleisig momentan und bringt seine Show in Stadien und Hallenarenen auf die Bühne. So haben wir uns also entschieden – auch wenn die Setlist identisch war – zusätzlich dem Konzert am 21. Juni 2016 in Frankfurt unsere Aufmerksamkeit zu widmen. An zwei Abenden war die Festhalle ausverkauft. Und die Show war mal wieder gigantisch.
Auch hier war der Start etwas später als geplant. Riesenchaos in und um Frankfurt. Da anscheinend alle rechtzeitig zum EM-Spiel der Deutschen zuhause sein wollten, hatte sich der Berufsverkehr auf die Zeit zwischen 17 und 18 Uhr konzentriert. Bis 20.15 Uhr war aber fast jeder an seinem Platz und uns Udo konnte in die Halle einfliegen.
Einfliegen? Yes. Auf der riesigen LCD Leinwand wurde die stürmische See gezeigt und der Rockliner brach dreidimensional durch die Wand. Dann flog der Meister – von Stahlseilen gehalten – durch die Menge vom hinteren Ende der Halle bis auf die Bühne. Ein fulminanter Einstieg. Und die dreistündige Show hatte noch einige Überraschungen parat.
Es war ein sehr vielseitiges Konzert, mit rockigen Klängen und E-Gitarren, zarten Balladen zum Piano, vielen Gästen und (vor allem zum Ende hin) einer kunterbunten Revue voller seltsamer Gestalten aus Udos musikalischem Universum.
Die Setlist zog sich durch alle Bandphasen, wenn auch der Schwerpunkt im neuen Jahrtausend lag. Viele Elemente kannte man schon aus den Stadion-Shows 2015, doch es gibt auch ein neues Album. Und das kam nicht zu kurz. Es war schon ein schöner Moment, als die Kids On Stage aus Düsseldorf die Bühne enterten und mit Udo „Coole Socke“ anstimmten.
Schon früh war die Stimmung am Kochen. „Frankfurt, ihr seid geil am Start. Mir geht einer flitzen“, verkündete Udo nach kurzer Zeit. Als erster Gast war Daniel Wirtz mit an Bord, um den Klassiker „Cello“ zu interpretieren, während sich eine artistische Cellistin akrobatisch in der Luft drehte. Solche Hingucker gab es immer wieder und das begeisterte Publikum hob nach dem Hit „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr“ zu ersten „Udo, Udo“-Rufen an.
Besonders laut wurde es bei den wirklich alten Songs. „Rock ‘n‘ Roller“ wurde gewaltig abgefeiert. Und dann kam der Magische Moment, als Udo mit einer Solistin der Kids On Stage „Wozu sind Kriege da“ vortrug. Ein Song zum Niederknien – heute so aktuell wie vor dreißig Jahren. Das bewegte Udo zu der Ansage, dass der kleine Pascal, damaliger Jungsolist, ihn heute am Piano begleitet.
Politisch wurde es weiter mit Udos spektakulären Anti-Nazi-Songs. „Heute gehen die falschen Leute auf die Straße“, bedauerte er in Richtung von Pegida und AFD, um dann „Straßenfieber“ und „Sie brauchen keinen Führer“ anzustimmen.
Als weitere Gäste erschienen Josephine Busch, Hauptdarstellerin des Lindenberg-Musicals, für „Gegen die Strömung“ und Stefanie Heinzmann, die gewohnt quirlig mit Udo „Ich brech die Herzen der stolzesten Frau‘n“ vortrug. Ole aus Hamburg lieferte sich mit Daniel Wirtz ein Rap-Battle zur aufgepimpten Version von „Bunte Republik Deutschland“, während Wirtz einen Falco-Klassiker kurzerhand in „Rock Me Ama Udo“ umwandelte.
„Sternenreise“ verwandelte die Festhalle in ein Lichtermeer aus Handylichtern. Ein UFO schwebte ein und Schauspieler Axel Prahl gab mit rauer Stimme den Gerhard Gösebrecht. Als weiteren ruhigen Moment gab es „Hinterm Horizont“, doch zum Ende der Show wurde die Stimmung immer ausgelassener.
Bodo Ballermann sah das komplette Backing-Ensemble im schrillen Fußball-Outfit. Die alten Hits wie „Sonderzug nach Pankow“, „Alles klar auf der Andrea Doria“ und „Candy Jane“ wurden als zünftige Rock’n’Roll Revue zelebriert und Udo schwebte wieder durch die Halle. Diesmal auf einem Stehpodest, das ihn in jeder Richtung durch die Zuschauerränge trug, damit er Tuchfühlung zu den Fans aufnehmen konnte.
Viele waren gekommen, um den 70jährigen zu sehen. Und der gab sich keine Blöße. Die Zeit von Alkohol und Exzessen ist längst vorbei. Udo Lindenberg hat die Kurve gekriegt, bietet gute, zeitlose Musik und hält sich fit, um diese Glanzzeit seiner Karriere noch lange zu genießen. Den Abend beendete er mit einer Hommage an die „Reeperbahn“, dem neuen Stück „Eldorado“ und seinem Lieblings-Rausschmeißer „Ich schwöre“. Der Abend endete nach drei Stunden mit einem Hallenfeuerwerk und alle waren sich einig: 70? Pah! Udo darf noch oft wiederkommen.
Setlist – Udo Lindenberg, Frankfurt, 21.6.2016
Odyssee
Einer muss den Job ja machen
Ich mach mein Ding
Coole Socke (Gäste: Kids On Stage)
Cello (Gast: Daniel Wirtz)
Ich lieb‘ Dich überhaupt nicht mehr
Durch die schweren Zeiten
Plan B
Rock ’n‘ Roller
Wozu sind Kriege da (Gäste: Kids On Stage)
Straßenfieber
Sie brauchen keinen Führer
Gegen die Strömung (Gast: Josephine Busch)
Das kann man ja auch mal so sehen
Ich brech‘ die Herzen der stolzesten Frau’n (Gast: Stefanie Heinzmann)
Bunte Republik Deutschland (Gäste: Ole Feddersen und Daniel Wirtz)
Nur knapp 100 km von seinem Geburtsort entfernt startet Udo Lindenberg seine neueste Tour „Keine Panik“. Alle Achtung, denn viele Leute in seinem Alter haben sich schon vor ein paar Jahren in den Ruhestand zurück gezogen. Aber ich denke, da sind Künstler einfach anders. Sie haben sich ihren Traum zum Beruf gemacht. Das trifft auf jeden Fall auf den Akteur des heutigen Abend zu, der vor drei Tagen 70 Jahre „jung“ wurde.
Das Publikum freut sich auf ihn, dies ist klar und deutlich zu erkennen. Um 20.00 Uhr soll es los gehen. Aber auf einmal hört man eine Stimme, die darauf hinweist, dass Udo Lindenberg den Start des Konzerts eine Viertelstunde nach hinten verzögern möchte und das mit der Begründung, dass sich noch viele seiner Fans auf den heute sehr vollen Autobahnen befinden. Er möchte, dass auch sie das Konzert von Anfang an mitbekommen. Ist das nicht ein toller Zug von ihm!? Ich find’s klasse. Aber nicht nur ich denke so. Die gesamte Arena klatscht zustimmend.
Dann endlich erfolgt das Intro mit dem Titelsong aus „Der Pate“. Udo kommt im wahrsten Sinne rein geschwebt. An einem Seil, in einem Käfig.
Und dann beginnt die Show! Ja, Udo gibt kein Konzert, er macht eine Show. Es ist ein Abend mit so vielen Highlights, wie ich lange nicht mehr erlebt habe. Es ist ein auf und ab. Nicht von Darbietungen, nein für das Publikum! Leiser gediegener Song, sitzen. Dann Action, Publikum auf und rockt mit ab! Sie sind alle dabei und unterstützen mit klatschen, singen und Handyleuchten.
Eine Supershow!
Im Hintergrund und später natürlich mit einigen Einzelaktionen das unvermeidliche Panik-Orchester mit Stephan, Kravetz, Engel, Sander u.v.m., die schon teils über 40 Jahre mit dabei sind.
Udo im Duett mit Daniel Wirtz, welcher bereits das Vorprogramm dargeboten hat, über die Dame mit dem Cello, das heute allerdings im „Keller von Schalke“ steht. Ganz tolle Darbietung und perfekter Duetpartner!
Adel Tawil, der davon singt, dass wir keine Kriege brauchen.
Auch der Song „Wozu sind Kriege da“ ist eine kleine Geschichte für sich. Der Junge, der in der Startzeit des Songs, so in den 80igern den Hauptakt gesungen hat, sitzt heute am Klavier. Seinen Part in dem Lied übernehmen, übrigens als Begleitung für die ganze Tour, die „Kids on Stage“ aus Düsseldorf.
Dann natürlich auch was super-, supertolles, die Auftritte mit seinem alten Kumpel Otto Waalkes, der sich mit einer leicht abgewandelten Version des AC/DC-Song „Highway to hell“ probiert und das echt nicht schlecht. Vielleicht kann er ja mal aushelfen, wenn Axl nicht kann. :-)
Ein weiterer Ex-Mitbewohner aus der Villa Kunterbunt stand noch kurz vorher mit Udo auf der Bühne. Marius Müller-Westernhagen mit dem rauhen Wortlaut des Wortes „Sexy“!
Jede Menge habe ich jetzt über seine Gäste erzählt, aber natürlich ist er die Hauptattraktion. Das weiß jeder der ca. 40.000 Besucher. Und das weiß auch Udo selbst. Er liebt es und er feiert es und sich.
Seien es Balladen wie „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr“ oder Rocksongs wie „Andrea Doria“, er meistert alles mit Bravour.
Das Tanzen und Bewegen mit all seinen tollen Bühnendarstellern sieht absolut noch sehr fit aus und das über satte 180 Minuten Show.
Hut ab! Auch wenn der Hut stilecht immer drauf bleibt.
Am 17. Mai wird er 70 Jahre alt, der Begleiter durch so viele Jahrzehnte. Er macht Musik, seit ich denken kann – man kann und will sich nicht vorstellen, dass das irgendwann mal vorbei sein könnte. Vor allem in den 90er Jahren gab es eine lange Durststrecke zu überwinden. Zwar konnte man sich auch mit „Belcanto“ und „Atlantic Affairs“ anfreunden, doch die Alben zwischen „Panik-Panther“ und „Der Exzessor“ hatten einen bösen Hauch von Massenware und Immer-das-Gleiche. Die letzte Platte, die mich wirklich bewegte, war „Bunte Republik Deutschland“.
Doch die Jahrtausendwende brachte uns einen neuen Udo, der mit „Stark wie zwei“ nach acht Jahren Studiopause das erste Nummer-1-Album seiner Karriere vorlegte. Was für ein Ding! Die Kooperationen mit Clueso und Jan Delay waren eine Frischzellenkur für den Künstler. Hinzu kam das Musical „Hinterm Horizont“, das den alten Recken ebenfalls in die Gegenwart pushte und ihm neues Selbstbewusstsein verlieh. Krönung der neuen Zeit war schließlich das „MTV unplugged“. Der Ritterschlag, den Udo auch als solchen empfand.
Jetzt sind schon wieder acht Jahre vergangen. Im Album „Stärker als die Zeit“ arbeitet Udo Lindenberg all diese Geschichten auf. Das hat er schon mit „Stark wie zwei“ getan, doch das neue Werk ist noch ein Stück weit persönlicher und tiefgreifender. Es beschäftigt sich mit der eigentümlichen Persönlichkeit und trägt deutliche Züge einer Rückschau. Von einem Alterswerk will man lieber nicht sprechen, denn wenn Udo so agil weiter macht, kann noch einiges kommen.
Songs wie „Durch die schweren Zeiten“ und „Plan B“ sind nostalgische Reisen, mit denen Lindenberg sich wie in einem Mantra bestätigt, alles richtig gemacht zu haben und nichts zu bereuen. Der Titeltrack „Stärker als die Zeit“ gibt ihm Recht dabei. Viele Songs sind sehr balladesk gehalten. Dazu kommen aber auch echte Rocktitel wie „Einer muss den Job ja machen“ und „Blaues Auge“.
Was die größte Stärke des Albums ist: Endlich wieder eine CD, die uns den puren Udo zeigt. Ohne Kollaborationen. Einfach Udo, wie er mit Panikorchester oder symphonischer Begleitung seine Lieder zu Gehör bringt. Sehr bewegend klingt „Der einsamste Moment“, der den ganz intimen Moment vor einem Livekonzert beschreibt. Nur vom Piano begleitet. Ein Gänsehautsong!
Udo ist und bleibt die „Coole Socke“, als die er sich selbst besingt. Man mag es belächeln, wie ruhig und nachdenklich das Album insgesamt gehalten ist. Wie manche Titel in Pop- und Schlagerelemente abgleiten. Doch Udo macht genau das Richtige: Er beschert uns ein Album zwischen Pianoklängen, Orchester und Gitarrensoli. Bisweilen verstärkt ein Kinderchor den Gesang, Ole Fedderson und Nathalie Dora wirken im Background mit. Wieder hat Udo seinen Co-Autor Andreas Herbig als kongenialen Partner mit an Bord, aber auch andere Songwriter wie Ali Zuckowski und Martin Tingvall. Selbst Lyriker Benjamin von Stuckrad-Barre trägt sein Scherflein bei. Und man gönnt es Udo, die Orchesterpassagen in den Abbey Road Studios aufgenommen zu haben.
Udo Lindenberg ist mit 70 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Nicht als Rentner und belächelter Altstar, der höchstens mal einen Lebenswerk-Preis abgreift. Nein – er ist kreativ wie eh und je, hat Ideen über Ideen. Wir dürfen uns schon auf die kommenden Hallenkonzerte freuen. Und bis dahin die neue CD hören. Immer und immer wieder.